Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 1320 27. 02. 2012 1Eingegangen: 27. 02. 2012 / Ausgegeben: 27. 03. 2012 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Problematiken hinsichtlich der Änderung der Waldabstandsregelung in der Landesbauordnung (LBO) Baden-Württemberg ab dem 1. März 2010 sind ihr bekannt? 2. Trifft es zu, dass die im März 2010 erfolgte Neuregelung von § 4 Absatz 3 Satz 2 LBO Bebauungen, die nach den Festsetzungen des Bebauungsplans im Waldabstand zulässig sind, unabhängig von jeder weiteren Prüfung der konkreten Gefahrenlage vor Ort automatisch zulässt? 27. 02. 2012 Dr. Rülke FDP/DVP Kleine Anfrage des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP und Antwort des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur Folgen der Änderung der Waldabstandsregelung in der Landesbauordnung Baden-Württemberg ab 1. März 2010 Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 1320 2 A n t w o r t Mit Schreiben vom 19. März 2012 Nr. 41-2600.0/177 beantwortet das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur im Einvernehmen mit dem Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz die Kleine Anfrage wie folgt: Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Problematiken hinsichtlich der Änderung der Waldabstandsregelung in der Landesbauordnung (LBO) Baden-Württemberg ab dem 1. März 2010 sind ihr bekannt? Nach Erkenntnissen der Landesregierung ist in Folge der Änderung der Waldabstandsregelung in § 4 Abs. 3 Landesbauordnung (LBO) bei den Baurechtsbehörden vielfach der Eindruck entstanden, dass es nun generell möglich sei, Bedenken hinsichtlich der Gebäudesicherheit oder der Aufrechterhaltung einer ungehinderten Waldbewirtschaftung, die sich aus der Unterschreitung des Regelwaldabstandes ergeben, durch entsprechende Festsetzungen des Bebauungsplans zu überwinden . Eine solche Interpretation würde bei betroffenen Waldbesitzenden zu erheblichen Einschränkungen in der ordnungsgemäßen Waldbewirtschaftung bis hin zu Waldverlusten durch unvermeidbare Rücknahme der Waldgrenzen wegen latenter Sicherheitsrisiken führen und ist daher nicht akzeptabel. Zwar erfasst der Wortlaut des § 4 Abs. 3 Satz 2 LBO, wonach das 30-Meter-Waldabstandsgebot nicht gilt, wenn „Gebäude nach den Festsetzungen des Bebauungsplans mit einem geringeren Abstand zulässig sind“, grundsätzlich auch solche Festsetzungen in neuen Bebauungsplänen, jedoch ist die planende Gemeinde gehalten, im Rahmen des planerischen Abwägungsgebots sowohl die Belange der Gebäudesicherheit als auch die Belange des Waldschutzes und der Waldbewirtschaftung in ihre Entscheidung einzustellen. Seit der Änderung der Waldabstandsregelung ist lediglich eine Fallgestaltung bekannt geworden, die eine nordbadische Großstadt auf die geänderte gesetzliche Regelung zurückführt. Die Stadt sieht sich durch die Neuregelung gezwungen, trotz ggf. bestehender Gefahren für Menschen und Gebäude Bauvorhaben im Waldabstand zuzulassen. In zahlreichen älteren Bebauungsplänen aus der Zeit vor dem 1. März 2010 seien Baufenster innerhalb des Waldabstands vorgesehen worden , wobei man seinerzeit bei der Abwägung dieser Pläne davon ausgegangen sei, dass die Frage, ob die Gefahrenlage eine Bebauung in diesem Baufenster zuließe, im Rahmen der Baugenehmigung anhand des konkreten Bauantrags noch beurteilt werde. Die Neuregelung in § 4 Abs. 3 Satz 2 LBO verwehre nunmehr diese Möglichkeit: Da der Gesetzgeber die Bebauung im Waldabstand, die bisher nur ausnahmsweise zugelassen werden konnte, generell für zulässig erklärt habe, sei nunmehr in allen Fällen, in denen nach den Festsetzungen des Bebauungsplans Gebäude im Waldabstand zugelassen sind, automatisch eine Bebauung zulässig unabhängig von der konkreten Gefährdungslage. Um daraus ergebende Amtshaftungsansprüche zu vermeiden, sei die Stadt gezwungen, sämtliche Bebauungspläne zu ändern und die Baufenster im Waldabstand zurückzunehmen, was aber zu Entschädigungsansprüchen der Grundstückseigentümer/-innen führen würde. Die Stadt hat daher die Landesregierung darum gebeten, die Neuregelung in § 4 Abs. 3 Satz 2 LBO im Wege der Auslegung so einzuschränken, dass das Waldabstandsgebot nicht auch durch Festsetzungen in alten Bebauungsplänen außer Kraft gesetzt wird. Die Landesregierung kann dieser Bitte nicht entsprechen, da der eindeutige Wortlaut des Gesetzes die Anwendung der Neuregelung auch auf Festsetzungen in alten bereits bestehenden Bebauungsplänen zulässt und die Erfassung dieser Bebauungspläne auch Ziel der Neuregelung war. Darüber hinaus ist auch keine Notwendigkeit für eine solche einschränkende Auslegung gegeben , da die von der Stadt gesehene Problematik so nicht besteht (siehe Antwort zu Frage 2). 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 1320 2. Trifft es zu, dass die im März 2010 erfolgte Neuregelung von § 4 Absatz 3 Satz 2 LBO Bebauungen, die nach den Festsetzungen des Bebauungsplans im Waldabstand zulässig sind, unabhängig von jeder weiteren Prüfung der konkreten Gefahrenlage vor Ort automatisch zulässt? Nein. Aus der Nichtgeltung des Waldabstandsgebots folgt nicht, dass damit ohne weiteres und unabhängig von einer tatsächlich bestehenden Gefahrenlage in Waldnähe gebaut werden darf. Der Gesetzgeber hat nämlich nur das nach der Rechtsprechung praktisch ausnahmslos geltende Waldabstandsgebot eingeschränkt, er hat dagegen nicht das Bauen im Waldabstand generell für zulässig erklärt. Daher ist auch bei bauplanungsrechtlich zugelassener Bebauung im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der einzelnen Bauvorhaben immer auch zu prüfen, ob eine konkrete Gefahr für Leben oder Gesundheit durch die Bäume eines nahen Waldes droht. Ist eine solche konkrete Gefahr im Sinne des § 3 Abs. 1 LBO anzunehmen , z. B. weil in Hanglage das Waldgrundstück deutlich höher und die Fallweite und damit die Aufprallgeschwindigkeit der Bäume besonders groß wäre, dann kann dies dazu führen, dass die Baurechtsbehörde die Baugenehmigung verweigert , zusätzliche bauliche Anforderungen stellt oder Maßnahmen nach § 47 LBO ergreift. Hier ist die Handhabung die gleiche, die auch dann angezeigt ist, wenn ein Bauvorhaben in der Nähe zu einzelnen Bäumen außerhalb von Wäldern errichtet werden soll. Abstrakte Gefahren, die dadurch bestehen, dass jeder Baum umfallen kann und in diesem Sinn potenziell gefährlich ist, reichen dagegen generell nicht als Begründung für baurechtliche Maßnahmen aus. Das Gleiche gilt auch für Gefahren durch vernachlässigte Pflege des Waldsaums bzw. die Unterlassung der Beseitigung bruchgefährdeter Bäume. Hier ist die Gefahrenbeseitigung den Wald- bzw. Parkbesitzenden gegenüber im Wege der Forstaufsicht anzuordnen oder aber vom Eigentümer bzw. der Eigentümerin des Baugrundstücks privatrechtlich durchzusetzen . Dr. Splett Staatssekretärin