Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 1443 15. 03. 2012 1Eingegangen: 15. 03. 2012 / Ausgegeben: 17. 04. 2012 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Sind aktuelle Zahlen über den Bestand der Saatkrähen im Landkreis Rastatt (mit Schwerpunkt Bühl) bzw. im Stadtkreis Baden-Baden bekannt und lassen sich daraus Prognosen ableiten, inwiefern sich der Bestand weiterentwickelt oder ob bald eine Sättigung des Bestandes erreicht ist? 2. Sind Zahlen über die Höhe der Schäden bekannt, die Saatkrähen in den letzten Jahren in Städten und Gemeinden Baden-Württembergs angerichtet haben? 3. Welche Methoden sind zur erfolgreichen Vergrämung von Saatkrähen in bebauten Gebieten bekannt und welche hat, sofern bekannt, die höchste Erfolgsquote ? 4. Ist es rechtlich zulässig, über die Vergrämung hinauszugehen und eventuell Maßnahmen zur Verkleinerung des Bestandes zu veranlassen (Entnahme der Eier aus den Nestern, Abschuss, etc.)? 5. Was gedenkt sie zu tun, um präventiv gegen das Problem der Überpopulation von Saatkrähen vorzugehen und neue Maßnahmen/Konzepte zu entwickeln, um Saatkrähen langfristig vom innerörtlichen Baumbestand fernzuhalten bzw. Kommunen in ihrer Arbeit, Saatkrähen in ihrem Bestand einzudämmen, zu unterstützen ? 15. 03. 2012 Wald CDU Kleine Anfrage des Abg. Tobias Wald CDU und Antwort des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Innerörtliche Saatkrähen-Problematik in der Stadt Bühl (Baden) Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 1443 2 B e g r ü n d u n g In letzter Zeit beklagen sich immer mehr Anwohner der Stadt Bühl über vermehrte Verschmutzung der Stadt sowie Ruhestörung durch erhöhte Population der Saatkrähe. Von 20 Brutpaaren im Jahr 2002 hat der Gesamtbestand auf mittlerweile 400 Brutpaare zugenommen, innerorts brüten 85 Prozent hiervon – das bedeutet anfangs der Brutperiode etwa 700, im Sommer 1.500 bis 2.000 Saatkrähen in der Stadt. Die Reduzierung des Bestandes ist rechtlich problematisch, da die Vogelart nach der EG-Vogelschutzrichtlinie und dem Bundesnaturschutzgesetz besonders geschützt ist. Doch auch wenn die Vogelart Schutz genießt, ist die Belästigung durch Saatkrähen in Städten an gewissen Punkten nicht mehr tragbar. Optische Vergrämungsmaßnahmen führten in Bühl zu keinem bzw. das Beschneiden und Kappen von Baumkronen nur zu geringem Erfolg. Das Fällen der Bäume führte zu einer Verteilung der Kolonie in die nahe Umgebung. Es zeigt sich, dass die Problematik der Saatkrähe nur durch ein gezieltes und mit naturschutzrechtlichen Vorgaben gewährendes Vorgehen gelöst werden kann. A n t w o r t Mit Schreiben vom 4. April 2012 Nr. Z(62)-0141.5/91F beantwortet das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Sind aktuelle Zahlen über den Bestand der Saatkrähen im Landkreis Rastatt (mit Schwerpunkt Bühl) bzw. im Stadtkreis Baden-Baden bekannt und lassen sich daraus Prognosen ableiten, inwiefern sich der Bestand weiterentwickelt oder ob bald eine Sättigung des Bestandes erreicht ist? Zu 1.: Die Saatkrähe (Corvus frugilegus) ist in Baden-Württemberg ein häufiger Durchzügler , als solcher häufiger Wintergast, jedoch auch Brutvogel. Die aktuelle Brutverbreitung der Saatkrähe in Baden-Württemberg zeigt zwei Schwerpunkte: die Oberrheinebene zwischen Lörrach und Rastatt sowie in Oberschwaben im Bereich der unteren Riss und der Riss-Aitrach-Platten. Der Bestand der Saatkrähe ist seit den 1980er-Jahren stark angewachsen, der Bestand wird für den Zeitraum 2000 bis 2004 auf 5.500 bis 6.000 Brutpaare geschätzt . Die im Land überwinternden Saatkrähen übersteigen mit rund 300.000 bis 450.000 Vögeln den Brutbestand bei weitem. Dabei sind die Niederungen im Land, insbesondere der Oberrhein bedeutende Überwinterungsgebiete (aus Forschungsprogramm „Wildvögel und Vogelgrippe“, 2009). Im Landkreis Rastatt sind Brutgebiete der Saatkrähe im Bereich der Städte Bühl und Rastatt bekannt. In der Stadt Bühl wurden im Jahr 2011 398 Saatkrähen-Nester gezählt, hiervon 264 Nester in der Kernstadt, 73 Nester in den Stadtteilen und 61 Nester im Ortsrandbereich. In der Stadt Rastatt wurden 2011 rund 230 Nester gezählt, davon innerorts etwa 80 Nester und im Industriegebiet etwa 150 Nester. Im Stadtkreis Baden-Baden sind Saatkrähenvorkommen im Ortsteil Steinbach und in Oos bekannt mit insgesamt rund 30 Brutpaaren über die letzten Jahre hinweg . Grundsätzlich bleibt festzustellen, dass derzeit von einer Überpopulation oder einem landesweiten Krähenproblem nicht gesprochen werden kann, auch wenn die geschilderten Probleme mit Saatkrähen lokal durchaus deutliche Belästigungen darstellen. Speziell am Oberrhein kommt die extrem ausgeräumte Landschaft den Habitatansprüchen der Saatkrähe entgegen. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 1443 2. Sind Zahlen über die Höhe der Schäden bekannt, die Saatkrähen in den letzten Jahren in Städten und Gemeinden Baden-Württembergs angerichtet haben? Zu 2.: Die in Kolonien brütende Saatkrähe verursacht teilweise während des Brutgeschäfts Lärmbelästigungen bei Anwohnern sowie Verschmutzungen durch herabfallenden Kot bzw. Nistmaterial auf Gehwege und parkende Fahrzeuge. Über die Höhe von möglichen materiellen Schäden durch Saatkrähen ist den Naturschutzbehörden nichts bekannt. Hinsichtlich der von Krähen – hier insbesondere auch durch die Rabenkrähe (Corvus corone corone) – verursachten Schäden in der Landwirtschaft wird auf die Landtagsdrucksache 15/429 verwiesen. 3. Welche Methoden sind zur erfolgreichen Vergrämung von Saatkrähen in bebauten Gebieten bekannt und welche hat, sofern bekannt, die höchste Erfolgsquote ? Zu 3.: Im Laufe der letzten Jahre wurde in den Kommunen mit nennenswerten Saatkrähen -Populationen (insbesondere Bühl, Lahr, Baden-Baden, Laupheim) verschieden Maßnahmen zur Vergrämung der Vögel angewandt: • Einsatz von optischen Mitteln (z. B. Laserstrahlen, Flatterbänder, Scheinwerfer, Greifvogel- und Uhuattrappen), • Einsatz von akustischen Mitteln (z. B. Lärmmaschinen, Abspielen von Angstschreien , Vogelklatschen, Knallgeräte, Ultraschall, Feuerwerkskörper) • Einsatz von Falknern, • Baumpflegemaßnahmen (Ausschneiden von Astgabeln, Kronenkappung), • Entfernen von Nestern vor der Brutzeit, • Entfernen von Brutbäumen. Im Rahmen einer Tagung der AG Saatkrähe in Lahr, Ortenaukreis am 15. März 2012, einer Interessengruppe betroffener Städte und Gemeinden in den Regierungsbezirken Freiburg und Karlsruhe, wurden die Vergrämung mit einem Habicht als zwar aufwendige, aber bei Einzelbäumen sehr wirkungsvolle Maßnahme benannt. Gezieltes Ausschneiden von Astgabelungen an Brutbäumen führt nach bisherigen Erkenntnissen nur bei neubesiedelten Brutbäumen zu einem erfolg - reichen Abwandern der Saatkrähen, nicht jedoch bei traditionellen Brutbäumen. Optische oder akustische Abwehrmaßnahmen wirken nur kurze Zeit, denn die intelligenten Vögel lernen schnell, dass von diesen Maßnahmen keine Gefahr ausgeht . Grundsätzlich sind selbst massive Vergrämungsmaßnahmen nicht nachhaltig, insbesondere nicht, wenn sie vor oder zum Beginn der Nestbauphase (im März) enden. 4. Ist es rechtlich zulässig, über die Vergrämung hinauszugehen und eventuell Maßnahmen zur Verkleinerung des Bestandes zu veranlassen (Entnahme der Eier aus den Nestern, Abschuss, etc.)? Zu 4.: Die Saatkrähe ist als europäische Vogelart nach § 7 Abs. 2 Nr. 13 Buchstabe b), bb) Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) besonders geschützt. Sie unterliegt damit den Schutzbestimmungen der §§ 44 und 45 BNatSchG. Nach § 45 Abs. 7 BNatSchG können zur Abwendung erheblicher wirtschaftlicher Schäden, im Interesse der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art Ausnahmen von den Zu- Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 1443 4 griffsverboten des § 44 BNatSchG zugelassen werden, wenn zumutbare Alterna - tiven nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Population einer Art nicht verschlechtert. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Entnahme von Eiern und der Austausch mit Gipseiern aus Nestern möglich, scheitert jedoch häufig an der schlechten Zugänglichkeit der Nester. Eine Ausnahme kann jedoch nicht erteilt werden für letale Vergrämungsmaßnahmen, die allein eine Reduktion des Krähenbestandes zum Ziel haben. Im Zusammenhang mit letalen Vergrämungsmaßnahmen ist ferner zu beachten, dass in Ortslagen, also befriedeten Bezirken nach Jagdrecht, der Gebrauch von Schusswaffen zur Vergrämung grundsätzlich verboten ist. Die Verordnung der Landesregierung über Ausnahmen von den Schutzvorschriften für Rabenvögel vom 15. Juli 1996 ist nicht auf die Saatkrähe anwendbar. 5. Was gedenkt sie zu tun, um präventiv gegen das Problem der Überpopulation von Saatkrähen vorzugehen und neue Maßnahmen/Konzepte zu entwickeln, um Saatkrähen langfristig vom innerörtlichen Baumbestand fernzuhalten bzw. Kommunen in ihrer Arbeit, Saatkrähen in ihrem Bestand einzudämmen, zu unterstützen ? Zu 5.: Die wesentlichsten Faktoren für die Siedlungsdichte von Saatkrähen sind das Nistplatzangebot, die Nahrungsverfügbarkeit und der Schutz vor Verfolgung. Die Kolonien waren ursprünglich außerhalb des besiedelten Bereiches beheimatet . Zunehmender Mangel an geeigneten Brutbäumen in der freien Landschaft, Störungen und Verfolgungen haben die Krähen jedoch vermehrt in die Städte und Ortschaften getrieben. Ein Weg, um die Zunahme der Saatkrähenpopulationen in den städtischen Bereichen zu verringern kann daher sein, die Lebens - räume in den Außenbereichen wieder attraktiv zu machen, insbesondere den Vögeln Sicherheit vor Verfolgung zu geben. Mit einer gleichzeitigen ökologischen Aufwertung dieser Lebensräume, beispielsweise durch Erhalt und Schaffung geeigneter Brutmöglichkeiten in der Feldflur, könnte der Siedlungsdruck auf die Ortschaften verringert werden. Die Stadt Laupheim verfolgt beispielsweise ein solches Konzept. Vor diesem Hintergrund wird die Ausarbeitung eines auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmten Vergrämungskonzeptes als zielführend erachtet. Wesentlich ist hierbei, dass ein solches Konzept für das gesamte Stadtgebiet durch einen Spezialisten erfolgt, der die Art wirklich kennt und ihre Reaktionen ab- und einschätzen kann. Ein solches Gesamtkonzept sollte folgende Punkte beinhalten: • Erhebung des Brutbestandes sowie dessen Verteilung, • Überblick über die Brutmöglichkeiten im gesamten Stadtgebiet, • Entwicklung eines Zonierungskonzeptes, wo Saatkrähen geduldet werden können und von welchen Bereichen sie abzuhalten sind, • Übersicht über Methoden der Vergrämung sowie deren jeweiliges Ergebnis, wobei die Wahl der Vergrämung auf den jeweiligen Standort und das Ziel angepasst sein muss sowie • eine Abstimmung mit anderen betroffenen Kommunen in der Region. Im Rahmen eines solchen Konzeptes muss beachtet werden, dass sich nur Teilkolonien verlagern lassen und dass eine ausreichende Anzahl besiedlungsfähiger Bäume zur Verfügung steht, zu denen die Teilkolonien verlagert werden können. In diesem Zusammenhang kommt Maßnahmen zur Aufwertung von für Krähen geeigneten Lebensräume eine hohe Bedeutung zu, beispielsweise durch Erhalt und Schaffung geeigneter Brutmöglichkeiten in der Feldflur. Im Rahmen eines solchen Konzeptes können dann – sofern erforderlich – die aus artenschutzrecht - lichen Gründen notwendigen Ausnahmegenehmigungen oder Befreiungen erteilt werden. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 1443 Die Stadt Lahr hat 2011 begonnen, einen solchen Weg zur Lenkung der Besiedlung durch die Saatkrähen zu beschreiten, sowohl hinsichtlich eines Gesamtkonzepts , als auch hinsichtlich eines regionalen Erfahrungsaustausches. Bonde Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz