Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 1758 25. 05. 2012 1Eingegangen: 25. 05. 2012 / Ausgegeben: 25. 06. 2012 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie groß ist aktuell die Zahl an Rechtsextremisten in Baden-Württemberg? 2. Wie werden die Zahlen der Rechtsextremisten in Baden-Württemberg erhoben? 3. Wie verteilen sich diese Personen regional über Baden-Württemberg? 4. Wo liegen demnach Schwerpunkte der rechtsextremistischen Aktivität? 5. Wodurch sind diese Aktivitäten an den einzelnen Schwerpunkten geprägt? 6. Inwieweit sind an den jeweiligen Schwerpunkten Kontakte zu Rechtsextremis - ten in anderen Bundesländern und gemeinsame Aktivitäten bekannt? 24. 05. 2012 Wahl SPD Kleine Anfrage des Abg. Florian Wahl SPD und Antwort des Innenministeriums Regionale Verteilung von Rechtsextremisten in Baden-Württemberg Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 1758 2 B e g r ü n d u n g Eine effektive Bekämpfung des Rechtsextremismus setzt eine fundierte Kenntnis über dessen Aktivitätsschwerpunkte voraus. Dafür sind umfassende Informationen über regionale und lokale Schwerpunkte notwendig. Eine Auskunft über die tatsächliche Anzahl von Rechtsextremisten an einem jeweiligen Schwerpunkt macht möglicherweise eine neue Bewertung der davon ausgehenden Gefahren notwendig. A n t w o r t Mit Schreiben vom 15. Juni 2012 Nr. 4-1082.2/380 beantwortet das Innenministerium die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie groß ist aktuell die Zahl der Rechtsextremisten in Baden-Württemberg? Zu 1.: Aktuell beläuft sich das rechtsextremistische Personenpotenzial in Baden-Württemberg insgesamt auf ca. 2.000 Personen. Dieses Personenpotenzial setzt sich wie folgt zusammen: etwa 500 subkulturell geprägte Rechtsextremisten, bei denen es sich hauptsächlich um rechtsextremistische Skinheads handelt; etwa 510 Angehörige der Neonaziszene, unter denen sich etwa 190 Personen befinden, die den „Autonomen Nationalisten“ zugerechnet werden; ca. 470 Personen, die sonstigen rechtsextremistischen Organisationen angehören, sowie ca. 460 Personen als Mitglied in der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ und etwa 100 Personen , die Mitglied in der „Deutschen Volksunion“ sind. Dem gewaltbereiten Spektrum, das in den vergangenen Jahren in Baden-Württemberg auf nunmehr 34,5 % des gesamten rechtsextremistischen Personenpotenzials angestiegen ist, werden in Baden-Württemberg ca. 690 Personen zugeordnet. Aufgrund der im Jahr 2010 bundesweit neu eingeführten Zählweise werden diesem Spektrum neben den subkulturell geprägten Rechtsextremisten auch die Angehörigen der „Autonomen Nationalisten“ zugerechnet. 2. Wie werden die Zahlen der Rechtsextremisten in Baden-Württemberg erhoben? Zu 2.: Das Landesamt für Verfassungsschutz erhebt Daten nach den gesetzlichen Bestimmungen des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Baden-Württemberg (LVSG), insbesondere § 6 LVSG. Zum einen erlangt das Landesamt für Verfassungsschutz Informationen aus offenen Quellen. Zum anderen dürfen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gemäß § 6 LVSG Informationen auch verdeckt beschafft und die dafür im LVSG genannten nachrichtendienstlichen Mittel angewendet werden. Hierzu gehören etwa der Einsatz von Vertrauensleuten , Observationen oder Bild- und Tonaufzeichnungen. Darüber hinaus darf der Verfassungsschutz im Einzelfall unter engen, gesetzlichen Voraussetzungen den Brief-, Post- und Fernmeldeverkehr überwachen. Sämtliche Erkenntnisse, die aus offenen und verdeckten Informationen gewonnen werden, einschließlich der polizeilichen Erkenntnisse, fließen in die Feststellung des Personenpotenzials ein. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 1758 3. Wie verteilen sich diese Personen regional über Baden-Württemberg? Zu 3.: Etwa die Hälfte des rechtsextremistischen Personenpotenzials ist der rechtsextremistischen Skinhead- und der Neonaziszene in Baden-Württemberg zuzurechnen. Bezogen auf die Regierungsbezirke bedeutet dies: Tübingen ca. 200, Freiburg ca. 150, Karlsruhe ca. 250 und Stuttgart ca. 300 Personen. Während in der rechtsextremistischen Skinheadszene eine Organisationsstruktur die Ausnahme darstellt, sind die Neonazis in Baden-Württemberg in etwa 25 Grup - pierungen organisiert, die sich über das ganze Land verteilen. 4. Wo liegen demnach Schwerpunkte der rechtsextremistischen Aktivitäten? 5. Wodurch sind diese Aktivitäten an den einzelnen Schwerpunkten geprägt? Zu 4. und 5.: Die regionale Verteilung des rechtsextremistischen Personenpotenzials ist kein Indikator für die Schwerpunkte rechtsextremistischer Aktivitäten. Dies machen beispielsweise die von der rechtsextremistischen Szene organisierten Demonstrationen am 1. Mai 2009 in Ulm und am 1. Mai 2011 in Heilbronn deutlich. In beiden Städten gibt es kein nennenswertes rechtsextremistisches Personenpotenzial. Dennoch fand in beiden Städten jeweils eine rechtsextremistische Großveranstaltung statt. In der Regel laufen die Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene, wenn es sich nicht gerade um Skinheadkonzerte oder Demonstrationen handelt, weitgehend ohne öffentliche Wahrnehmung ab. Treffen der rechtsextremistischen Skinhead - szene und Neonaziszene sowie Treffen und Mitgliederversammlungen der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ oder ihrer Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ finden in der Regel abgeschottet in Nebenzimmern von Gaststätten oder in Privaträumen statt. Steht der rechtsextremistischen Szene ein Veranstaltungslokal zur Verfügung, so wird dieses, wie das Beispiel Gasthaus „Zum Rössle“ in Rheinmünster-Söllingen (Landkreis Rastatt) zeigte, intensiv für Veranstaltungen genutzt, wobei die Teilnehmer nicht nur aus ganz Baden-Württemberg, sondern aus dem gesamten Bundesgebiet und aus dem Ausland kommen. Ein weiteres Beispiel für die Flexibilität der rechtsextremistischen Szene und für die Feststellung, dass Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene in keinem kausalen Zusammenhang mit dem örtlichen oder regionalen Personenpotenzial stehen , sind die Aktionen der sogenannten „Unsterblichen“. Kennzeichnend für die Aktionen der „Unsterblichen“ ist, dass man auf große Vorbereitungen verzichtet und sich an die sogenannte „Flashmob-Bewegung“ anlehnt. Diese Aktionsform ist dadurch gekennzeichnet, dass der Aufruf zur Teilnahme und die konkrete Verabredung hauptsächlich über das Internet – und damit sehr kurzfristig und ohne vorherige Anmeldung der beabsichtigten Versammlung bei einer Behörde – erfolgt . Da es sich um eine offen konzipierte, jugendorientierte Aktionsform handelt , ist von einer Beteiligung junger Rechtsextremisten unabhängig von ihrer konkreten Gruppen- oder Parteianbindung auszugehen. Aktuell rückten „Die Unsterblichen“ durch Aktionen bei Fasnachtsumzügen am 19. Februar 2012 in Konstanz und am 21. Februar 2012 in Eggenstein-Leopoldshafen (Landkreis Karlsruhe) sowie durch eine Aktion in der Nacht vom 30. April 2012 auf den 1. Mai 2012 in Donaueschingen (Landkreis Schwarzwald-Baar) in den Fokus der Öffentlichkeit. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 1758 4 6. Inwieweit sind an den jeweiligen Schwerpunkten Kontakte zu Rechtsextre - misten in anderen Bundesländern und gemeinsame Aktivitäten bekannt? Zu 6.: Im Dreiländereck zwischen Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz besteht mit baden-württembergischer Beteiligung seit 2003 das neonazistische „Aktionsbüro Rhein-Neckar“ (AB Rhein-Neckar). Es koordiniert im gesamten Rhein-Neckar-Raum die Aktivitäten der dort vertretenen Neonazi- und rechts - extremistischen Skinheadgruppierungen, ist personell mit der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ verflochten und hat enge Kontakte zu rechtsextre - mistischen Führungspersonen und Gruppierungen in den angrenzenden Regionen. Sein Aktionsschwerpunkt liegt außerhalb von Baden-Württemberg. Gall Innenminister