Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 1852 14. 06. 2012 1Eingegangen: 14. 06. 2012 / Ausgegeben: 12. 07. 2012 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Trifft es zu, dass die Region Schwäbische Alb im Bereich des Biosphären - gebiets vom Fuchsbandwurm (Echinococcus multilocularis) besonders betroffen ist? 2. Wie hoch ist das Vorkommen (Prävalenz) der Fuchsbandwürmer in Füchsen im Biosphärengebiet im landes- und bundesweiten Vergleich? 3. Welche Strategie verfolgt sie bei der Eindämmung des Fuchsbandwurmes generell ? 4. Für wie wichtig erachtet sie das Problem der außerordentlich hohen Fuchs - population generell im Land und welches Potenzial misst sie bei der Bekämpfung des Fuchsbandwurmes der Reduktion des Fuchsbestandes durch Jäger bei? 5. Welche Anreize haben die Jäger derzeit aus ihrer Sicht, die Fuchspopulation zu reduzieren beziehungsweise welche Anreize will sie den Jägern geben, eine konsequentere Bejagung der Fuchsbestände vorzunehmen? 6. Inwieweit erachtet sie zur Bekämpfung des Fuchsbandwurmes alternativ oder ergänzend das Ausbringen von Ködern zur Entwurmung für sinnvoll? 7. Welche Kosten werden für eine wirksame Bekämpfung des Fuchsbandwurmes durch die Ausbringung von Ködern zur Entwurmung veranschlagt? 13. 06. 2012 Glück FDP/DVP Kleine Anfrage des Abg. Andreas Glück FDP/DVP und Antwort des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Fuchsbandwurm im Bereich des Biosphärengebiets Schwäbische Alb Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 1852 2 B e g r ü n d u n g Landesweit ist eine deutliche Zunahme der Fuchspopulation zu beobachten. Dies gilt nicht nur für Flächen außerhalb besiedelter Gebiete, sondern insbesondere für Städte und Dörfer. Das Vorkommen des Fuchsbandwurmes (Echinococcus multilocularis ) in Füchsen des Biosphärengebiets Schwäbische Alb ist im bundes - weiten Vergleich besonders hoch. In Fachkreisen werden Durchseuchungen der Füchse von bis zu 80 Prozent angegeben. Aus Sicht des Fragestellers besteht seitens der Landesregierung dringender Handlungsbedarf. Entweder muss den Jägern ein Anreiz zur Reduktion der Fuchspopulation gegeben werden oder möglicherweise alternativ eine breit angelegte medizinische Bekämpfung des Fuchsbandwurmes angegangen werden. Die Landesregierung muss entweder die eine oder die andere Strategie zum Schutz der Bevölkerung konsequent verfolgen. A n t w o r t Mit Schreiben vom 5. Juli 2012 Nr. 0141.5/118F beantwortet das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz im Einvernehmen mit dem Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren die Kleine Anfrage wie folgt: Ich frage die Landesregierung: 1. Trifft es zu, dass die Region Schwäbische Alb im Bereich des Biosphären - gebiets vom Fuchsbandwurm (Echinococcus multilocularis) besonders betroffen ist? 2. Wie hoch ist das Vorkommen (Prävalenz) der Fuchsbandwürmer in Füchsen im Biosphärengebiet im landes- und im bundesweiten Vergleich? Zu 1. und 2.: Bei der Echinokokkose handelt es sich um eine meldepflichtige Tierkrankheit. Gemäß Artikel 4 Absatz 1 bis 3 der Richtlinie 2003/99/EG gehört die Echinokokkose auch zu den überwachungspflichtigen Zoonosen. Es besteht jedoch keine tierseuchenrechtliche Verpflichtung oder Vorgabe zur Durchführung dieser Untersuchungen , daher ist die Informationslage zum Teil sehr lückenhaft. Für Baden-Württemberg liegen Ergebnisse der Universität Hohenheim zur Prävalenzentwicklung des Kleinen Fuchsbandwurmes (E. multilocularis) im Rotfuchs, dem wichtigsten Überträger der (alveolären) Echinokokkose, vor. Seit Beginn der Untersuchungen im Jahre 1973 bis zum Jahr 1998 wird eine inhomogene Prävalenz -Verteilung sowie gebietsweise eine Steigerung der Befallsrate von bis zu über 50 Prozent belegt. Dabei erwiesen sich die Regionen der Schwäbischen Alb (Ulm, Göppingen, Reutlingen) sowie der Neckar-Odenwaldkreis als sog. Hoch - endemiegebiete. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 1852 Die Untersuchungen an der Universität Hohenheim werden in einigen Gemeinden der Landkreise Reutlingen, Ulm und Göppingen anhand von jährlich ca. 100 bis 200 Füchsen fortgesetzt, um den aktuellen Verlauf der Prävalenzentwicklung zu dokumentieren. Die Gemeinden Römerstein und Westerheim zählen dabei zum Biosphärengebiet der Schwäbischen Alb. Die Prävalenzrate lag dort in den Jahren 2007 bis 2011 wiederum zwischen 40 und 50 Prozent. Es liegen keine Informationen zur Prävalenzrate für den gesamten Bereich des Biosphärengebiets Schwäbische Alb vor. Im Rahmen der intensiven landesweiten Tollwutbekämpfung bei Wildfüchsen wurden in den Jahren 2002 bis 2006 flächendeckend ergänzende Untersuchungen an insgesamt 8.970 Füchsen auf das Vorkommen des Kleinen Fuchsbandwurmes in den Landesuntersuchungsämtern durchgeführt. Im Landesdurchschnitt ergab sich dabei eine Befallsrate von ca. 40 Prozent. Zwar differierten die Unter - suchungs methoden (Universität Hohenheim: direkter Erregernachweis mittels Dünndarmabstrich, Landesuntersuchungseinrichtungen: Massenuntersuchungen mittels Koprogen-ELISA), die Ergebnisse waren jedoch durchaus vergleichbar, wie eine Kontrollstudie der Universität Hohenheim ergab. Die landesweiten Untersuchungen wurden infolge des Erlöschens der Testzulassung eingestellt. Die nachfolgenden Daten aus dem Jahr 2007 zum Vergleich der Bundesländer stammen aus dem Nationalen Referenzlabor des Friedrich-Loeffler-Institutes. Eine erhöhte Prävalenz für den süddeutschen Raum ist feststellbar. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 1852 4 Abbildung 1: E. multilocularis in Deutschland (2007) Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, Institut für Epidemiologie, Wusterhausen; n. d.: Untersuchungen nicht durchgeführt 3. Welche Strategie verfolgt sie bei der Eindämmung des Fuchsbandwurmes generell ? Zu 3.: Die Notwendigkeit zur Eindämmung des Fuchsbandwurmes bemisst sich am Infektionsrisiko und am Gefährdungspotenzial, das von diesem für den Menschen und die Nutztiere ausgeht. Es gibt verschiedene Hinweise darauf, dass der Mensch als Fehlwirt nicht besonders empfänglich für die Fuchsbandwurm- Erkran kung ist, daher wird das Gefährdungspotenzial als relativ niedrig eingeschätzt . Des Weiteren sind fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse hinsichtlich der Infektionswege Voraussetzung einer zielgerichteten und wirkungsvollen Strategie . Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung und der sehr variablen Inkuba - tionszeit (Zeitspanne zwischen Infektion und Auftreten von Symptomen), die von mehreren Monaten bis zu mehr als 10 Jahre betragen kann, liegen nach Auskunft des Landesgesundheitsamtes keine belastbaren Daten zu den Infektionswegen vor. Echinokokkose ist nach § 7 Abs. 3 des Infektionsschutzgesetzes als nichtnamentlich meldepflichtig eingestuft. Mit 16 bis 32 Erkrankungsfällen pro Jahr ist die Zahl der Echinokokkose-Erkrankungen, die direkt an das Robert Koch-Institut gemeldet wurden, seit 2007 auf etwa gleichbleibend niedrigem Niveau. In Baden- Württemberg wurden von 2009 bis 2011 insgesamt 20 Einzelfälle gemeldet. 16,6 % (15,4 - 17,8) 4,0 % (0,2 - 7,8) 0,0 % (0 - 28,3) 10,8 % (10,0 - 11,6) 9,8 % (7,3 - 12,3) 33,6 % (32,6 - 34,6) 32,0 % (29,7 - 34,3) 48,3 % (44,7 - 52,0) 29,1 % (24,1 - 34,1) 20,2 % (19 - 24,4) 0,0 % (0 - 63,2) n.d. n.d. n.d. n.d. n.d. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 1852 Infektiöse Bandwurmeier können lange Zeiträume in der freien Natur überdauern. Die Reinfektion der Füchse erfolgt durch Aufnahme von Mäusen, die dem Fuchsbandwurm als Zwischenwirte dienen. Damit eine Strategie nachhaltig wirken kann, müsste der Infektionszyklus großräumig und längerfristig nahezu vollständig unterbrochen werden. Diese Beobachtung wurde auch anlässlich der in den Jahren 2002 bis 2004 in Baden-Württemberg durchgeführten großflächigen Be - köderungsmaßnahmen zur Entwurmung der Füchse in den beiden als Endemie - gebiete bekannten Regionen (Odenwald, Schwäbische Alb) bestätigt. Nach einer Reduktion der Prävalenz auf ca. 20 % wurden die ursprünglichen Befallsraten nach Beendigung dieser Maßnahmen innerhalb eines Zeitraums von ca. 2 Jahren wieder erreicht. Vor dem Hintergrund dieser Sachlage sieht das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz keine Möglichkeit, den Fuchsbandwurm mit den zur Verfügung stehenden ökologisch und ökonomisch vertretbaren Maßnahmen wirkungsvoll einzudämmen. 4. Für wie wichtig erachtet sie das Problem der außerordentlich hohen Fuchs - population generell im Land und welches Potenzial misst sie bei der Bekämpfung des Fuchsbandwurms der Reduktion des Fuchsbestandes durch Jäger bei? Zu 4.: Die hohe Fuchspopulation im Land wird vom Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz ernst genommen und kritisch überwacht. Derzeit liegt die jährliche Fuchsstrecke in Baden-Württemberg bei ca. 70.000 Füchsen. Diese Zahl zeigt, dass mit der Gefahr der Ausbreitung hochinfektiöser, dichteregulierender Krankheiten in der Fuchspopulation gerechnet werden muss. Bei hoher Fuchsdichte wird insbesondere auch die Gefahr einer schnellen und flächenhaften Ausbreitung der Tollwut im Falle einer Reinfektion erhöht. Damit wäre der Status Deutschlands als „tollwutfreies Gebiet“ gefährdet. Das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz sieht in der Bekämpfung des Fuchsbandwurms durch Reduktion des Fuchsbestandes nur dann ein gewisses Potenzial, wenn diese großräumig und konsequent innerhalb eines Bejagungskonzeptes erfolgt. 5. Welche Anreize haben die Jäger derzeit aus ihrer Sicht, die Fuchspopulation zu reduzieren beziehungsweise welche Anreize will sie den Jägern geben, eine konsequentere Bejagung der Fuchsbestände vorzunehmen? Zu 5.: Aus Sicht der Landesregierung sind die eigenen jagdlichen Interessen der Jäger die wesentlichen Anreize zur Reduktion der Fuchspopulation. Die Schaffung zusätzlicher Anreize zur konsequenteren Bejagung der Füchse ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht geplant. 6. Inwieweit erachtet sie zur Bekämpfung des Fuchsbandwurms alternativ oder ergänzend das Ausbringen von Ködern zur Entwurmung für sinnvoll? Zu 6.: Die Wirksamkeit der Ausbringung von Ködern mit Entwurmungsmittel (Wirkstoff : Praziquantel) wurde in verschiedenen Studien untersucht. Als übereinstimmendes Ergebnis kann festgehalten werden, dass solche Maßnahmen infolge des Infektionszyklus über Zwischenwirte und der hohen Widerstandsfähigkeit der Bandwurmeier nur zeitlich begrenzt das Prävalenz-Niveau der Füchse absenken können und daher kontinuierlich durchgeführt werden müssen. Eine vollständige Eliminierung des Erregers ist nach den vorliegenden Untersuchungsergebnissen in der Regel nicht möglich. Die Bekämpfung des Fuchsbandwurms mittels Be - köderung ist für großräumige, flächendeckende und regelmäßig wiederkehrende Entwurmungen der Füchse sehr aufwendig und teuer. Daher ist derzeit eine sol- Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 1852 6 che Maßnahme unter Berücksichtigung der geringen humanen Erkrankungsfälle und des verbleibenden Restrisikos nicht gerechtfertigt. Aufgrund der fehlenden Zulassung ist der eingesetzte Fraßköder nicht in kommerziell großen Mengen erhältlich. Für eine flächendeckende Prävalenzerhebung sowie zu Kontrollzwecken im Anschluss an die Beköderungsmaßnahmen sind derzeit auch keine für sog. Massenuntersuchungen geeigneten Diagnostikmethoden verfügbar. Darüber hinaus ist das Verabreichen von Arzneimitteln an wild lebende Tiere kritisch zu sehen und nur bei Vorliegen zwingender Gründe vertretbar (§ 20 Landesjagdgesetz ). Zur Reduzierung der Gefahr einer Echinokokkose muss somit weiterhin auf die bekannten Maßnahmen des präventiven Gesundheitsschutzes (Gemüse und Obst gründlich abwaschen oder erhitzen, Hunde und Katzen regelmäßig entwurmen) verwiesen werden (vergl. gemeinsames Informationsblatt des LGA und der Universität Hohenheim unter http://www.gesundheitsamt-bw.de/SiteCollectionDocuments/ 40_Service_Publikationen/Der_kleine_Fuchsbandwurm.pdf). 7. Welche Kosten werden für eine wirksame Bekämpfung des Fuchsbandwurmes durch die Ausbringung von Ködern zur Entwurmung veranschlagt? Zu 7.: Für eine wissenschaftlich erwiesene deutliche Reduzierung der Prävalenz werden unter Heranziehung der aktuellen Publikationen der Arbeitsgruppe Wildbiologie und Wildtiermanagement am Lehrstuhl für Tierökologie der TU München, Dr. A. König, infolge der hohen Populationsdichte der Rotfüchse 50 Köder pro qkm benötigt. Die Köderkosten betragen derzeit 0,77 EURO (netto) pro Stück. Die zusätzlichen Kosten für die Handauslage können nicht beziffert werden. Im Falle einer Flug - auslage liegen die zusätzlichen Kosten bei ca. 0,21 EURO pro Köder. Zur wirkungsvollen Beköderung eines Stadt- bzw. Wohngebietes ist ein ergänzender Behandlungsgürtel mit einer Breite von mindestens 500 m bis 1.000 m zu berücksichtigen. Die Beköderung muss in vierwöchigen Abständen für die Dauer von 1 bis 2 Jahren erfolgen, danach können die Auslageintervalle auf sechs Wochen verlängert werden. Bonde Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz