Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 2587 02. 11. 2012 1Eingegangen: 02. 11. 2012 / Ausgegeben: 05. 12. 2012 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Strafgefangene und Verurteilungen zu Strafhaft gab es in Baden- Württemberg in den letzten zehn Jahren und welche Entwicklung ist in den nächsten Jahren zu erwarten? 2. Welcher Trend ist bei der Altersstruktur der Strafgefangenen in den letzten Jahren zu beobachten? 3. Welche prozentuale Auslastung haben die Justizvollzugsanstalten in Baden- Württemberg? 4. Wie hoch ist der prozentuale Anteil von Verurteilungen zu Geldstrafen im Verhältnis zu allen Verurteilungen? 5. Wie viele Inhaftierte verbüßen derzeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in einer Justizvollzugsanstalt in Baden-Württemberg? 6. Welche Kosten entstehen dem Land für einen Hafttag und wie viel kostet ein durch das Projekt „Schwitzen statt Sitzen“ vermittelter Arbeitstag dem Land? 7. Welche Rolle nimmt das Projekt „Schwitzen statt Sitzen“ bei der Haftvermeidung ein? 8. Inwieweit könnte durch weitergehende Projekte verhindert werden, dass säumige Geldstrafenschuldner/-innen Haft antreten müssen? 02. 11. 2012 Filius GRÜNE Kleine Anfrage des Abg. Jürgen Filius GRÜNE und Antwort des Justizministeriums Haftentwicklung in Baden-Württemberg/ Projekt „Schwitzen statt Sitzen“ zur Haftvermeidung Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 2587 2 B e g r ü n d u n g Das Haftentwicklungsprogramm der ehemaligen Landesregierung stammt aus dem Jahr 2007 und spiegelt die in den letzten Jahren veränderten Daten nicht wider. Im Hinblick auf die anstehende Modernisierung von Vollzugsanstalten in Baden-Württemberg ist daher aktualisiertes Zahlenmaterial erforderlich. Für die Fraktion GRÜNE steht die Haftvermeidung im Vordergrund, weshalb durch die Kleine Anfrage zudem Zahlenmaterial über das Projekt „Schwitzen statt Sitzen“ im Hinblick auf Überlegungen zur Stärkung von Programmen zur Vermeidung von Strafhaft in Erfahrung gebracht werden soll. A n t w o r t Mit Schreiben vom 20. November 2012 Nr. 4400/0693 beantwortet das Justiz - ministerium die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Strafgefangene und Verurteilungen zu Strafhaft gab es in Baden- Württemberg in den letzten zehn Jahren und welche Entwicklung ist in den nächsten Jahren zu erwarten? Die Zahl der nach Erwachsenenstrafrecht zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Personen hat sich in den vergangenen zehn Jahren wie folgt entwickelt: Die Zahl der nach Jugendstrafrecht zu einer Jugendstrafe verurteilten Personen hat sich in den vergangenen zehn Jahren wie folgt entwickelt: Jahr Verurteilte zu Freiheitsstrafe Davon mit Bewährung Davon ohne Bewährung 2002 18.388 13.118 5.270 2003 18.737 13.474 5.263 2004 18.330 13.164 5.166 2005 18.270 13.267 5.003 2006 17.708 12.757 4.951 2007 17.018 12.384 4.634 2008 17.420 12.784 4.636 2009 16.521 12.073 4.448 2010 15.859 11.566 4.293 2011 14.956 11.045 3.911 Jahr Verurteilte zu Jugendstrafe Davon mit Bewährung Davon ohne Bewährung 2002 2.957 1.724 1.233 2003 2.978 1.748 1.230 2004 2.856 1.671 1.185 2005 2.782 1.531 1.251 2006 2.742 1.596 1.146 2007 2.894 1.678 1.216 2008 2.808 1.616 1.192 2009 2.772 1.592 1.180 2010 2.580 1.400 1.180 2011 2.321 1.247 1.074 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 2587 Die Zahl der im Jahresdurchschnitt inhaftierten Gefangenen hat sich wie folgt entwickelt: Die Anzahl der im Laufe eines Jahres inhaftierten Gefangenen (Inhaftierte jeweils am 1. Januar zuzüglich der Erstaufnahmen innerhalb eines Jahres) entwickelte sich wie folgt: Nach den aus den vergangenen Jahren vorliegenden Erfahrungen kann nicht prognostiziert werden, wie sich die Verurteilten- und Gefangenenzahlen in Zukunft entwickeln werden. Jahr Inhaftierte 2002 20.798 2003 21.333 2004 21.495 2005 20.896 2006 19.467 2007 18.791 2008 17.761 2009 17.298 2010 17.220 2011 16.419 Gesamtbelegung Jahr davon Strafhaft Erwachsene Jugendstrafhaft Untersuchungshaft 8.474 2002 5.360 594 2.223 8.604 2003 5.480 552 2.244 8.586 2004 5.639 570 2.048 8.490 2005 5.639 572 1.949 8.344 2006 5.658 577 1.776 8.128 2007 5.590 591 1.655 7.884 2008 5.487 592 1.545 7.639 2009 5.256 581 1.516 7.500 2010 5.213 567 1.482 7.326 2011 5.112 529 1.451 Jahr Jugendarrest Sicherungsverwahrung Sonstige Freiheitsstrafen 2002 45 50 365 2003 45 53 363 2004 52 56 344 2005 51 59 329 2006 49 60 331 2007 50 66 278 2008 50 68 259 2009 52 71 255 2010 46 74 203 2011 41 68 232 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 2587 4 2. Welcher Trend ist bei der Altersstruktur der Strafgefangenen in den letzten Jahren zu beobachten? Aus der nachfolgenden Tabelle ist ersichtlich, dass das Durchschnittsalter der Gefangenen in den letzten Jahren leicht angestiegen ist: 3. Welche prozentuale Auslastung haben die Justizvollzugsanstalten in Baden- Württemberg? Die Belegungsfähigkeit der baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten ist mit 7.893 Haftplätzen festgesetzt. Hiervon sind wegen Bauarbeiten regelmäßig rund 200 Haftplätze nicht belegbar. Von den zum 31. Oktober 2012 zur Verfügung stehenden 7.697 Haftplätzen waren 7.178 Haftplätze belegt, was einer Belegungsquote von 93 Prozent entspricht. Im geschlossenen Vollzug lag die Belegungsquote sogar bei 96 Prozent. In Wissenschaft und Praxis wird eine landesdurchschnittliche Belegungsquote von 90 Prozent übereinstimmend als Vollbelegung bewertet. 4. Wie hoch ist der prozentuale Anteil von Verurteilungen zu Geldstrafen im Verhältnis zu allen Verurteilungen? Der Anteil der Geldstrafen an allen Verurteilungen nach Erwachsenenstrafrecht belief sich im Jahr 2011 auf 84,3 Prozent. 5. Wie viele Inhaftierte verbüßen derzeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in einer Justizvollzugsanstalt in Baden-Württemberg? Zum 31. Oktober 2012 waren in baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten 480 Personen zur Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe inhaftiert. Strafgefangene und Sicherungsverwahrte am Stichtag 31. März Jahr insge-samt davon im Alter von … bis unter … Jahren 14 – 18 18 – 21 21 – 25 25 – 30 30 – 40 40 – 50 50 – 60 60 und mehr 2002 6.116 98 407 808 1.151 1.911 1.107 459 175 2003 6.230 82 373 877 1.169 1.937 1.103 503 186 2004 6.347 81 390 904 1.190 1.840 1.222 527 193 2005 6.262 83 418 830 1.104 1.848 1.273 518 188 2006 6.391 119 382 869 1.162 1.817 1.329 542 171 2007 6.452 77 404 882 1.152 1.846 1.315 572 204 2008 6.326 85 376 834 1.177 1.707 1.363 595 189 2009 6.076 85 405 793 1.127 1.622 1.272 537 235 2010 5.955 91 401 742 1.084 1.613 1.226 558 240 2011 5.906 90 349 791 1.052 1.593 1.236 555 240 2012 5.677 84 351 738 1.028 1.558 1.114 578 226 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 2587 6. Welche Kosten entstehen dem Land für einen Hafttag und wie viel kostet ein durch das Projekt „Schwitzen statt Sitzen“ vermittelter Arbeitstag dem Land? Die durchschnittlichen Tageshaftkosten pro Gefangenen betrugen im Jahr 2011 93,86 Euro. Bei Hinzurechnung der im Jahr 2011 angefallenen Bauinvestitionen erhöhen sich die Tageshaftkosten je Gefangenen auf 101,39 Euro. Der Zuschuss des Landes an das Netzwerk Straffälligenhilfe im Rahmen des Projekts „Schwitzen statt Sitzen“ für einen zur Vermeidung von einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe abgeleisteten Arbeitstag (vier Arbeitsstunden) betrug im Jahr 2011 rund 7,30 Euro. Mit dem Zuschuss sind etwa 75 bis 80 Prozent der beim Netzwerk Straffälligenhilfe für das Projekt anfallende Kosten abgedeckt. 7. Welche Rolle nimmt das Projekt „Schwitzen statt Sitzen“ bei der Haftvermeidung ein? Das Projekt „Schwitzen statt Sitzen“ ermöglicht Verurteilten, die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch Ableistung gemeinnütziger Arbeit abzuwenden, wenn die in erster Linie verhängte Geldstrafe auch in Raten nicht bezahlt werden kann. Der Verurteilte kann in diesen Fällen einen Antrag bei der für die Vollstreckung der Geldstrafe zuständigen Staatsanwaltschaft stellen. Gesetzliche Grundlage hierfür ist Artikel 293 Abs. 1 EGStGB. Von der hierdurch eröffneten landesrechtlichen Regelungsmöglichkeit hat Baden-Württemberg mit der „Verordnung des Justizministeriums über die Abwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen durch freie Arbeit vom 30. Juni 2009“ (GBl. 2009, 338) Gebrauch gemacht. Diese stellt auch die Grundlage des Projekts „Schwitzen statt Sitzen“ dar. Die Anzahl der abzuleistenden Stunden ergibt sich aus der Anzahl der Haft tage, die zu verbüßen wären. Pro Hafttag müssen in Baden-Württemberg derzeit vier Stunden Arbeit geleistet werden. Diese Möglichkeit, durch „freie Arbeit“ im Sinne von Artikel 293 Abs. 1 EGStGB die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe abzuwenden („Schwitzen statt Sitzen “ im engeren Sinne), ist der Hauptanwendungsfall des Projekts. Dieses geht jedoch noch weiter und ermöglicht darüber hinaus auch die Vermittlung von Straffälligen in gemeinnützige Arbeit in den folgenden zwei Fallgruppen: • Aufgabe von Arbeitsleistungen als Auflage im Rahmen einer Strafaussetzung zur Bewährung; • Aufgabe von Arbeitsleistungen als Auflage als Voraussetzung einer Verfahrenseinstellung nach § 153 a StPO. Nachdem entsprechende Projekte bereits Anfang der 80er-Jahre erfolgreich waren, wurde die Ableistung gemeinnütziger Arbeit schrittweise in den verschiedenen Landgerichtsbezirken des Landes eingeführt. Seit Januar 1987 ist dies landesweit möglich. Damit werden nicht nur Haftkosten gespart, sondern auch unnötige Gefängniserfahrungen vermieden. Verurteilte, die schon lange arbeitslos sind, können wieder einen geregelten Arbeitsrhythmus erlernen und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen. In der Vergangenheit wurden entsprechende Personen vorwiegend durch die ehemals organisatorisch zu den Staatsanwaltschaften des Landes gehörende Gerichtshilfe an gemeinnützige Einrichtungen vermittelt. In einigen Gerichtsbezirken waren daneben auch schon freie Träger tätig, die mit Zuschüssen aus dem Justizhaushalt gefördert wurden. Seit dem 1. Januar 2008 ist nun das Netzwerk Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg GbR landesweit in allen Fällen für die Vermittlung gemeinnütziger Arbeit (soweit nicht die Träger der Bewährungs- und Jugendgerichtshilfe zuständig sind) verantwortlich. Das Netzwerk ist ein Zusammenschluss aus dem Badischen Landesverband für soziale Rechtspflege, dem Verband Bewährungs- und Straf - fälligenhilfe Württemberg e. V. und dem Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband – Landesverband Baden-Württemberg. Das Aufgabenfeld umfasst ein Erstgespräch mit dem Probanden, eine Tilgungsberatung, die Vermittlung der Arbeitsstelle und auch die Überwachung der Arbeitsleistung. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 2587 6 Im Jahr 2011 konnten durch die Tätigkeit des Netzwerks Straffälligenhilfe 6.224 Personen die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe abwenden. Insgesamt ersparte sich das Land die Vollstreckung von 172.967 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe. Im Jahr 2010 waren es 6.049 Personen und 202.021 Hafftage sowie 5.034 Personen und 184.973 Hafttage im Jahr 2009. 8. Inwieweit könnte durch weitergehende Projekte verhindert werden, dass säumige Geldstrafenschuldner/-innen Haft antreten müssen? Von September 2010 bis März 2012 wurde im baden-württembergischen Justizvollzug ein Modellversuch mit der elektronischen Aufsicht durchgeführt (die Ergebnisse der Evaluation durch das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht werden Ende dieses Jahres erwartet). Dabei sollten auch Gefangene aufgenommen werden, die eine Ersatzfreiheitsstrafe zu verbüßen hatten . Im ersten Jahr des Projekts konnten die beteiligten Justizvollzugsanstalten nur einen geeigneten Probanden aus dieser Zielgruppe feststellen. Es hat sich gezeigt, dass bei den durch das Projekt „Schwitzen statt Sitzen“ nicht erreichten Probanden nicht von der für die elektronische Aufsicht notwendigen Vertragsfähigkeit ausgegangen werden konnte. Die elektronische Aufsicht im Strafvollzug zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafe hat sich damit als untauglich erwiesen. Andere Konzepte zur Haftvermeidung bei Ersatzfreiheitsstrafe sind nicht ersichtlich . Stickelberger Justizminister