Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 274 14. 07. 2011 1Eingegangen: 14. 07. 2011 / Ausgegeben: 11. 08. 2011 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie sieht sie gegenwärtig den kulturellen Stellenwert des Erbes von Johannes Reuchlin und Philipp Melanchthon in Baden-Württemberg? 2. Was tut sie, um das geistige Erbe und die Werte der Humanisten kulturell präsent zu halten? 3. Welche über städtische Ereignisse in Pforzheim und Bretten hinausgehenden Möglichkeiten und Chancen sieht sie, um die Kultur des Humanismus insbesondere für Schülerinnen und Schüler bekannter zu machen? 12. 07. 2011 Dr. Rülke FDP/DVP Kleine Anfrage des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP und Antwort des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Bewahrung und kulturelle Vermittlung des humanistischen Erbes Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 274 2 A n t w o r t Mit Schreiben vom 2. August 2011 Nr. 729.20/6 beantwortet das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst im Einvernehmen mit dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport die Kleine Anfrage wie folgt: Ich frage die Landesregierung: 1. Wie sieht sie gegenwärtig den kulturellen Stellenwert des Erbes von Johannes Reuchlin und Philipp Melanchthon in Baden-Württemberg? Johannes Reuchlin und Philipp Melanchthon gehören zu den herausragenden Gestalten der europäischen Geistesgeschichte des 15. und 16. Jahrhunderts. Die Landesregierung misst dem Erbe der beiden Philosophen und Humanisten einen hohen Stellenwert bei. Reuchlin ist durch die Begründung der christlichen Hebraistik und seine Verteidigung der jüdischen Literatur gegen Fanatismus und Intoleranz bis zum heutigen Tag eine Schlüsselfigur für den Dialog der Religionen im allgemeinen und das christlich-jüdische Gespräch im besonderen; Melanchthon ist als Humanist, Bildungsreformer und bedeutendster Reformator neben Martin Luther nicht nur für die protestantischen Kirchen von zentraler Bedeutung, sondern wird in jüngerer Zeit dank seiner integrativen Dialogbereitschaft auch als Wegbereiter der Öku - mene wiederentdeckt. Seine Bedeutung für die Geschichte des deutschen Schulwesens ist unbestritten. 2. Was tut sie, um das geistige Erbe und die Werte der Humanisten kulturell präsent zu halten? Das Wissenschaftsministerium unterstützt in einem Umfang von ca. 400.000 bis 500.000 € p. a. grundlegende Forschungsprojekte an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Hierbei handelt es sich insbesondere um langfristige Editionsprojekte zu den zentralen Gestalten des südwestdeutschen Humanismus: Die international renommierte Edition von Melanchthons (rund 10.000 Stücke umfassenden ) Briefwechsel; die jüngst abgeschlossene Herausgabe des Reuchlin-Briefwechsels ; die Dokumentation der Antike- und Mittelalter-Rezeption für die Jahre 1500 bis ca. 1630 durch die Forschungsstelle Europa Humanistica, die damit ein Grundlagenwerk zu den Humanisten in den Gebieten des heutigen Baden-Württemberg vorgelegt hat. Durch diese an ihrer Landesakademie angesiedelten Projekte sorgt die Landesregierung auch weiterhin für die Sicherung des kulturellen Erbes, das gerade im Bereich des Renaissance-Humanismus von europäischer Strahlkraft war und ist. Aus Landesmitteln wurde auch die Umgestaltung bzw. Neueinrichtung der Ausstellungen zu Melanchthon in Bretten und zu Reuchlin in Pforzheim und Stuttgart durch die im Deutschen Literaturarchiv Marbach angesiedelte „Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg“ gefördert . Außerdem wurden Zuschüsse für Veranstaltungen gewährt (s. Übersicht). BRETTEN, MELANCHTHONHAUS Zuschüsse für Umgestaltung des Melanchthonhauses/DVD zum Melanchthon-Jubiläum 2002–2008 32.800,00 € Zuschüsse für Veranstaltungen 2003–2010 8.349,00 € Summe 41.149,00 € PFORZHEIM, MUSEUM JOHANNES REUCHLIN Zuschüsse für Neueinrichtung Museum Johannes Reuchlin 2008 44.718,00 € Zuschüsse für Veranstaltungen 2008 732,00 € Summe 45.450,00 € 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 274 Die Nachhaltigkeit dieser Förderung wird dadurch ergänzt, dass die Ausstellungen auf der vom Land geförderten Internetplattform präsentiert werden und somit einem großen Interessentenkreis zur Verfügung stehen. Gefördert wurde in Bretten u. a. eine vom Melanchthonhaus und dem Religionspädagogischen Institut Karlsruhe gemeinsam erstellte CD „Religion und Kultur. Philipp Melanchthon in Geschichte und Gegenwart“, die insbesondere für die Schülerarbeit konzipiert wurde. Des Weiteren ist von der o. g. Arbeitsstelle im Rahmen der erfolgreichen Reihe „Per Pedal zur Poesie“ ein literarischer Radweg geplant, der Pforzheim und Bretten mit dem Weltkulturerbe Kloster Maulbronn und dem Faustmuseum Knittlingen verbindet – beides ebenfalls literarische Orte, die für die Frühe Neuzeit und den Humanismus eine wichtige Rolle spielen. Die Badische Landesbibliothek verfügt über umfangreiche Bestände von und über Johannes Reuchlin, darunter auch zahlreiche Bestände aus dem frühen 16. Jahrhundert . Die Bestände sind erschlossen und für jedermann zugänglich. Des Weiteren gibt es eine Zusammenarbeit des Melanchthonhauses Bretten mit der Badischen Landesbibliothek. Mit Wirkung vom 1. April 1987 konnte zwischen dem Melanchthon-Verein in Bretten (als Träger des Melanchthonhauses) und dem Land Baden-Württemberg, vertreten durch die Badische Landesbibliothek , ein Vertrag über die bibliothekarische Verwaltung der Bibliothek des Melanchthonhauses durch die Badische Landesbibliothek geschlossen werden. Die Bibliothek des Melanchthonhauses, die u. a. umfangreiche Bestände von und über Reuchlin und Melanchthon enthält, dient der Erforschung der Reformation und des Renaissance-Humanismus. Im Mittelpunkt steht die Beschäftigung mit Philipp Melanchthons Leben und Werk. Bei einem Gesamtbestand von ca. 11.000 Titeln umfasst der historische Bestand 4.277 Titel. Seit Beginn der Zusammenarbeit konnten alle Bände der Bibliothek des Melanchthonhauses im Südwestdeutschen Bibliotheksverbund retrospektiv durch die Badische Landesbibliothek katalogisiert werden und sind dank unentgeltlicher technischer Unterstützung der Universitätsbibliothek Karlsruhe über einen eigenen Online-Katalog (OPAC) weltweit im Internet recherchierbar. Die Katalogisierung des laufenden Neuzugangs erfolgt anhand von Titelblattkopien in der Badischen Landesbibliothek. Für Restaurierungsmaßnahmen am Buchbestand der Bibliothek des Melanchthonhauses stellte die Stiftung Kulturgut Baden-Württemberg von 1991 bis 1993 66.000 DM (= 33.745,26 €) zur Verfügung. Die Stiftung Kulturgut unterstützt auch den Erwerb humanistischer Literatur auf Antrag, zuletzt wurde im Mai 2011 der Erwerb eines Sammelbandes mit Lutherdrucken für die Universitätsbibliothek Tübingen mit 8.000 € unterstützt. Im November 2004 wurde die Europäische Melanchthon-Akademie gegründet, die sich der historisch-kritischen Forschung zu allen auf die universale Dimension des Humanisten und Reformators Philipp Melanchthon bezogenen Disziplinen widmet. Dazu gehören neben der Reformations- und Religionsgeschichte auch die Frühneuzeitforschung, Politik, Ethik, Bildungsgeschichte sowie der interkonfessionelle und interreligiöse Dialog. Die Landesstiftung Baden-Württemberg hat die Aufbauphase der Akademie mit 250.000 € gefördert. Das Melanchthonhaus Bretten war bis Juli 2009 Sitz der Akademie. Am 31. Juli 2009 erhielt die Akademie für 3 Mio. € einen Neubau, der sich direkt neben dem Melanchthonhaus befindet. Das Land unterstützte das Projekt mit Mitteln i. H. von 670.000 € aus dem Bund- Länderprogramm „Soziale Stadt“. STUTTGART, STÄNDIGE AUSSTELLUNG ZU JOHANNES REUCHLIN (Leonhardskirche) Zuschüsse für Dauerausstellung zu Johannes Reuchlin / Materialheft / Reuchlin-Plastik 2002–2008 7.524,00 € Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 274 4 3. Welche über städtische Ereignisse in Pforzheim und Bretten hinausgehenden Möglichkeiten und Chancen sieht sie, um die Kultur des Humanismus insbesondere für Schülerinnen und Schüler bekannter zu machen? Neben dem Melanchthonhaus in Bretten und der Badischen Landesbibliothek verfügen auch die Universitätsbibliotheken des Landes mit umfangreichen Altbeständen (Tübingen, Heidelberg, Freiburg) über zahlreiche schriftliche Zeugnisse des Humanismus. Alle diese Einrichtungen stehen als außerschulische Lernorte auch den Schülerinnen und Schülern des Landes offen. Besonders zu erwähnen ist der Melanchthon-Schülerpreis. Er wird seit 2004 alljährlich zum Ende des Schuljahres von einer Stiftung vergeben und ist mit 750 Euro dotiert. Er richtet sich an Schüler weiterführender Schulen in Bretten. Die Auszeichnung wird sowohl für hervorragende schulische Leistungen als auch für Wissen über Philipp Melanchthon und vor allem für soziales Engagement vergeben . Das Themengebiet „Humanismus“ wird in den Bildungsplänen der weiterführenden Schulen angemessen behandelt. Die Kultur des Humanismus ist ein wesentlicher Aspekt bei der Vermittlung der Landes- und Regionalgeschichte. Ziel ist es, Schülerinnen und Schüler für die landesgeschichtliche Verortung des Humanismus zu gewinnen. Eine Einbindung in den schulischen Unterricht stellt das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport dabei mit dem Konzept der Landeskundebeauftragten sicher, die Unterrichtsmodule erarbeiten, Lehrkräfte fortbilden und mit außerschulischen Partnern in der Region zusammenarbeiten. Das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport bietet in Kooperation mit dem Landesinstitut für Schulentwicklung mit dem Landesbildungsserver (www.landeskunde-bw.de) die zentrale Internetplattform des Landes zur Mul - tiplikation didaktisch aufbereiteter Unterrichtsmaterialien landeskundlicher Inhalte mit über 100 Modulen zu Orten und historischen, geographischen sowie kulturellen Themen Baden-Württembergs. Es liegen bereits Module zum Themengebiet des Humanismus vor, der Bestand der Module wird ständig weiter ausgebaut. In diesem Kontext hat das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport im Jahr 2009 das Buch über den Renaissancebaumeister Schickhardt „Heinrich Schickhardt. Geboren in Württemberg – zu Hause in Europa“ herausgegeben. Das Buch wendet sich an die Lehrkräfte des Landes. Es enthält einen stark unterrichtlich geprägten Teil, der konkrete Umsetzungsbeispiele für fächerverbindenden und projektorientierten Unterricht darstellt, und einen Teil, der sich mit Heinrich Schickhardt als Mensch seiner Zeit und seines Lebensumfeldes – also mit der Zeit des Humanismus – befasst. Das Buch wurde an weiterführende Schulen versandt und erfreut sich großer Nachfrage. Bauer Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst