Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 375 29. 07. 2011 1Eingegangen: 29. 07. 2011 / Ausgegeben: 02. 09. 2011 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Ist ihr bekannt, inwieweit die Kühlwasserzufuhr zu den beiden Reaktorblöcken des Atomkraftwerks Fessenheim bei einem Bruch des Kanals oder der Staumauer bei Kembs infolge eines Erdbebens oder eines anderen Vorkommnisses gesichert ist? 2. Kann sie beurteilen, wie lange die Kühlung der beiden Reaktoren und der Brennelementebecken sichergestellt ist, wenn aus dem Rheinseitenkanal kein Kühlwasser mehr bezogen werden kann? 3. Mit welchen Folgen muss aus ihrer Sicht gerechnet werden, wenn infolge eines Bruchs des Rheinseitenkanals das Atomkraftwerk überflutet wird? 4. Inwieweit haftet die Betreiberin Électricité de France (EdF) und der französische Staat bei einem schweren Unfall im Atomkraftwerk Fessenheim und anderen grenznahen Atomkraftwerken für die Folgekosten außerhalb der französischen Staatsgrenzen? 5. Welche Haftungsregelungen gelten für die Schweizer Kernkraftwerke bei einem Unfall für Folgeschäden auf deutscher Seite? 6. Ist ihr bekannt, welche Ursachen und welches Ausmaß die Kontamination des Grundwassers mit Tritium in unmittelbarer Nähe des Atomkraftwerks Fessenheim hat? 28. 07. 2011 Mielich GRÜNE Kleine Anfrage der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE und Antwort des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Atomkraftwerk Fessenheim – Tritium im Grundwasser, Sicherung der Kühlwasserzufuhr, Haftung bei einem schweren Unfall Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 375 2 B e g r ü n d u n g Seit der Atomkatastrophe von Fukushima machen sich die Menschen in der Re - gion zunehmend Sorgen um die Sicherheit des Atomkraftwerks Fessenheim, unmittelbar an der deutschen Grenze. Bisher ist nicht bekannt, ob ausreichend Vorsorge getroffen wurde für den Fall, dass z. B. infolge eines Erdbebens oder eines terroristischen Anschlags der Rheinseitenkanal bricht. Das gleiche gilt für einen Bruch der Staumauer bei Kembs, wo das Wasser aus dem Rhein in den Rhein - seitenkanal geleitet wird. Bei einem Bruch der Staumauer bei Kembs würde das gesamte Wasser in den Altrhein fließen und der Kanal trockenfallen. Ein weiteres Risikoszenario bei einem Bruch des Rheinseitenkanals stellt die mögliche Überschwemmung des Atomkraftwerks dar. Unsicherheit besteht auch in der Frage der Schadenshaftung im Falle eines atomaren Unfalls in einem grenznahen Atomkraftwerk in Frankreich oder der Schweiz. Verunreinigung des Grundwassers mit Tritium: Seit etwa einem halben Jahr werden bei Kontrollmessungen im Grundwasser beim Atomkraftwerk Fessenheim Tritiumverunreinigungen festgestellt. Über die Ursache und das Ausmaß der Kontamination ist bisher in der Öffentlichkeit nichts bekannt geworden. A n t w o r t Mit Schreiben vom 22. August 2011 Nr. 3-4654.21 beantwortet das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft die Kleine Anfrage wie folgt: Ich frage die Landesregierung: 1. Ist ihr bekannt, inwieweit die Kühlwasserzufuhr zu den beiden Reaktorblöcken des Atomkraftwerks Fessenheim bei einem Bruch des Kanals oder der Staumauer bei Kembs infolge eines Erdbebens oder eines anderen Vorkommnisses gesichert ist? 3. Mit welchen Folgen muss aus ihrer Sicht gerechnet werden, wenn infolge eines Bruchs des Rheinseitenkanals das Atomkraftwerk überflutet wird? Die CLIS (Commission Locale de d’Information et de Surveillance) hat im Frühjahr 2011 ein Gutachten zur Frage eines Dammbruches in Auftrag gegeben. Nach ersten Informationen ist mit höheren Wassermengen und einer höheren Überflutung zu rechnen, als bisher unterstellt wurde. Ob die vorhandenen Vorkehrungen und Maßnahmen gegen Hochwasser dennoch ausreichend sind, kann derzeit nicht beurteilt werden, da es sich um ein Minhydrologisches Gutachten handelt. Da die Thematik Hochwasser auch in Verbindung mit Erdbeben Gegenstand des EU- Stresstests ist, erwartet die Landesregierung aus dieser Überprüfung fundierte Angaben der EdF und behördliche Bewertungen der Aufsichtsbehörde Autorité de sûreté (ASN). Darüber hinaus sind der Landesregierung keine Studien bekannt, die die Aus - wirkungen eines Staudamm- oder Dammbruchs des Rheinseitenkanals auf die Wasserführung im Kanal und die Kühlwasserversorgung des Kernkraftwerks Fessenheim zum Gegenstand haben. 2. Kann sie beurteilen, wie lange die Kühlung der beiden Reaktoren und der Brennelementebecken sichergestellt ist, wenn aus dem Rheinseitenkanal kein Kühlwasser mehr bezogen werden kann? Die Betreiberin Électricité de France SA (EdF) hat mit einem Schreiben vom 19. April 2011 an die Lokale Informationskommission (Commission Locale de 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 375 d’Information et de Surveillance) auf Fragen des Regierungspräsidiums Freiburg geantwortet. Nach Angaben der Betreiberin in diesem Schreiben kann bei einem kompletten Verlust der Kühlwasserversorgung vom Rheinseitenkanal die anfallende Nachverfallswärme durch Dampfabgabe über die Dampferzeuger abgeführt werden. Das dazu notwendige Wasser steht in Behältern zur Verfügung. Der aus der Dampfabgabe resultierende Wasserverlust kann durch Wasserentnahmen aus einem Grundwasserbrunnen kompensiert werden. Auch für den Ausfall der Kühlung der Brennelementlagerbecken stehen nach Angaben der Betreiberin aus - reichend Wasserreserven zur Verfügung. Damit wäre eine dauerhafte Kühlung auch bei dem Ausfall der Kühlwasserver - sorgung aus dem Rheinseitenkanal gewährleistet. Entscheidend ist jedoch, unter welchen Randbedingungen diese Möglichkeiten zur Kühlung zur Verfügung stehen. Der Landesregierung ist nicht bekannt, ob beispielsweise die Brunnenwasserversorgung gegen Erdbeben ausgelegt und redundant vorhanden ist. Die Auswirkungen des Ausfalls der Wärmeabfuhr über das Flusswasser sind ein Prüfaspekt im Rahmen des EU-Stresstests. Im EU-Stresstest, der in Folge des Unfalls in Fukushima die Robustheit der Kernkraftwerke gegenüber äußeren Ein - wirkungen und umfassenden Systemausfällen untersucht, wird zudem geprüft, welche Auswirkungen Erdbeben und Überflutungen haben können. Der Zeitplan des EU-Stresstests sieht vor, dass die Ergebnisse der Betreiberuntersuchungen und die behördlichen Bewertungen bis Ende des Jahres vorliegen. Die Landesregierung setzt sich dafür ein, dass bei dem Stresstest an die grenz nahen Kernkraftwerke dieselben Maßstäbe angelegt werden wie in Deutschland. Sie hat sich im Juli 2011 an die französische Regierung gewandt und betont, dass aufgrund der grenzüberschreitenden Unfallauswirkungen der Stresstest für das Kernkraftwerk Fessenheim dem Umfang und den Maßstäben der Überprüfung der deutschen Kernkraftwerke durch die Reaktor-Sicherheitskommission ent sprechen müsse. 4. Inwieweit haftet die Betreiberin Électricité de France (EdF) und der französische Staat bei einem schweren Unfall im Atomkraftwerk Fessenheim und anderen grenznahen Atomkraftwerken für die Folgekosten außerhalb der französischen Staatsgrenzen? Frankreich ist wie Deutschland Vertragsstaat des Pariser Atomhaftungsübereinkommens und des Brüsseler Zusatzübereinkommens. Diese Übereinkommen vereinheitlichen die Regelungen über Entschädigungszahlungen nach einem nuklearen Ereignis. Durch das Pariser Atomhaftungsübereinkommen ist sichergestellt, dass der Inhaber einer Kernanlage bei einem nuklearen Ereignis selbst haftet und die Haftungsverpflichtung nicht beispielsweise an einen Zulieferer weitergeben kann. Für entsprechende Klageverfahren sind die Gerichte desjenigen Vertragsstaates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet das nukleare Ereignis eingetreten ist. Die innerstaatlichen Haftungsregelungen sind ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit , den Wohnsitz oder den Aufenthalt anzuwenden. Nach französischem Recht haftet der Inhaber einer Kernanlage derzeit mit bis zu 91,5 Mio. Euro. Unter Berücksichtigung zusätzlicher Entschädigungen des Sitzlandes und der Vertragsstaaten des Brüsseler Zusatzübereinkommens ergibt sich derzeit ein Gesamt - entschädigungsbetrag von ca. 330 Mio. Euro. Frankreich und Deutschland haben die Revisionsprotokolle von 2004 zu den beiden genannten Atomhaftungsübereinkommen unterzeichnet. Sie werden diese zusammen mit anderen Vertragsstaaten der EU gemeinsam ratifizieren. Nach Inkrafttreten der Protokolle wird im Fall eines nuklearen Ereignisses in einer französischen Anlage ein Gesamtentschädigungsbetrag von 1,5 Mrd. Euro zur Ver - fügung stehen. Darüber hinaus hat der deutsche Gesetzgeber in § 38 des Atomgesetzes einen Anspruch auf einen staatlichen Ausgleich durch den Bund in Höhe von bis zu 2,5 Mrd. Euro geschaffen, um in Deutschland Geschädigten unabhängig von den im Ausland festgesetzten Haftungssummen eine angemessene Entschädigung zu sichern. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 375 4 5. Welche Haftungsregelungen gelten für die Schweizer Kernkraftwerke bei einem Unfall für Folgeschäden auf deutsche Seite? In der Schweiz haftet der Inhaber einer Kernanlage wie in Deutschland summenmäßig unbegrenzt. Dies gilt auch für Schäden, die in Deutschland eintreten. Die Schweiz hat 2009 das Pariser Atomhaftungsübereinkommen und das Brüsseler Zusatzübereinkommen in der Fassung der Revisionsprotokolle von 2004 ratifiziert . Auf die Antwort zu Frage 4 wird insoweit ergänzend verwiesen. 6. Ist ihr bekannt, welche Ursachen und welches Ausmaß die Kontamination des Grundwassers mit Tritium in unmittelbarer Nähe des Atomkraftwerks Fessenheim hat? Im März 2011 wurde vom Betreiber des Kernkraftwerks Fessenheim mitgeteilt, dass an einer Grundwassermessstelle auf dem Anlagengelände eine erhöhte Tritiumaktivität festgestellt wurde. Die Meldung erfolgte auf der Grundlage des zwischen Deutschland und Frankreich vereinbarten Informationsabkommens. Die Tritiumaktivität betrug etwa 500 Becquerel pro Liter. Sie war auf eine Messstelle auf dem Anlagengelände beschränkt. An Messstellen außerhalb des Anlagengeländes wurden keine erhöhten Tritiumwerte festgestellt. Die zuständige Aufsichtsbehörde ASN hat zu dem Befund am 25. März 2011 eine aufsichtliche Kontrolle durchgeführt. Die Ergebnisse der Kontrolle und die daraus abgeleiteten Anforderungen an die Betreiberin sind in einem Schreiben der ASN an das Kernkraftwerk Fessenheim vom 31. März 2011 enthalten. Das Schreiben ist auf der Internetseite der ASN zugänglich. Die Betreiberin wird darin u.a. aufgefordert, Umfang und Ursachen der Kontamination zu klären, sowie diese zu beseitigen. Zum damaligen Zeitpunkt war die Ursache der Tritiumkontamination noch nicht bekannt . Die Verfolgung der Ursachenklärung liegt im Zuständigkeitsbereich der ASN. Die Landesregierung rechnet mit einer Klärung der Ursachen bis spätestens Ende des Jahres und wird die Öffentlichkeit umgehend darüber informieren, sobald die ASN weitere Erkenntnisse übermittelt. In Vertretung Meinel Ministerialdirektor