Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode 1 Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Drucksache 15 / 489 09. 09. 2011 Kleine Anfrage der Abg. Viktoria Schmid CDU und Antwort des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur Stadtbahn von Pforzheim nach Ittersbach K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie steht sie zu den Aktivitäten zur Einrichtung einer möglichen Stadtbahnverbindung zwischen Pforzheim und dem westlichen Enzkreis nach Ittersbach? 2. Wie sieht der derzeitige Planungsstand dieses Stadtbahnprojektes aus? Gibt es konkrete planungsrechtliche Schritte? 3. Wie bewertet sie die bereits abgeschlossenen Planungsaktivitäten und eine mögliche Projektfinanzierung? 4. Mit welchen Fördermitteln seitens des Landes und des Bundes wäre für das Vorhaben zu rechnen und wann wäre – die Beschlussfassung der politischen Gremien vorausgesetzt – eine Realisierung möglich? 5. Ist sie bereit, sich für den Bau der geplanten Stadtbahnlinie einzusetzen? 09. 09. 2011 Viktoria Schmid CDU Eingegangen: 09. 09. 2011 / Ausgegeben: 11. 10. 2011 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 489 2 A n t w o r t Mit Schreiben vom 4. Oktober 2011 Nr. 3–3895.03–01/256 beantwortet das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie steht sie zu den Aktivitäten zur Einrichtung einer möglichen Stadtbahnverbindung zwischen Pforzheim und dem westlichen Enzkreis nach Ittersbach? Die Landesregierung begrüßt alle Initiativen, die dazu führen, den Schienenpersonennahverkehr zu verbessern und den motorisierten Individualverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Aufgabenträger für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sind gemäß ÖPNV-Gesetz Baden-Württemberg die Stadt- und Landkreise. Folgerichtig planen und finanzieren diese den ÖPNV. Ob eine Schieneninfrastruktur errichtet, ausgebaut oder reaktiviert und betrieben werden soll, liegt damit im Ermessen und in der Planungshoheit der kommunalen Gebietskörperschaften als Aufgabenträger des ÖPNV und als Investor für die Schieneninfrastruktur. Die im Rahmen dieser Planungshoheit erarbeiteten Vorhabensplanungen müssen allerdings die Wirtschaftlichkeit durch einen positiven Nutzen-Kosten-Faktor nachweisen, der im Rahmen eines standardisierten Verfahrens zu ermitteln ist. 2. Wie sieht der derzeitige Planungsstand dieses Stadtbahnprojektes aus? Gibt es konkrete planungsrechtliche Schritte? Bereits Anfang des vorigen Jahrzehnts kamen angesichts der dynamischen Siedlungsentwicklung und zunehmender Verkehrsprobleme auf den Straßen auch in der Region Nordschwarzwald/Pforzheim Überlegungen auf, neben dem Ausbau der bestehenden Enztalbahn von Pforzheim nach Bad Wildbad auch eine neue Schienenverbindung zwischen Pforzheim und Ittersbach zu schaffen. Die Möglichkeiten , eine solche neue Schienenverbindung zu realisieren, wurden unter Federführung des Landratsamts Enzkreis in den Jahren 2001 bis 2006 durch Gutachter und im Rahmen einer Arbeitsgruppe untersucht. Auftraggeber der Gutachten waren der Enzkreis und die Streckenanliegergemeinden. Das Verkehrsressort des Landes wurde einbezogen. Die überprüften Betriebskonzepte sahen den Neubau einer Zwei-System-Stadtbahn zwischen Ittersbach–Straubenhardt–Neuenbürg–Birkenfeld mit anschließender Einschleifung auf die Enztalbahn vor. Jedoch erreichte selbst der Betrieb auf einer optimierten Trasse bei der Nutzen-Kosten-Untersuchung im Rahmen des sogenannten Standardisierten Bewertungsverfahrens von Verkehrswegeinvestitionen des ÖPNV lediglich ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von 0,01. Der Nutzen unterschritt die Kosten der Investition damit erheblich. Das Projekt war volkswirtschaftlich nicht sinnvoll. Zuschüsse des Landes zur Realisierung des Projekts aus Mitteln nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) bzw. Entflechtungsgesetz waren damit nicht darstellbar. Dem Ministerium für Verkehr und Infrastruktur ist bekannt, dass sich zum Jahreswechsel 2009/2010 im Raum Pforzheim-Enzkreis erneut eine lebhafte öffentliche Diskussion über das Projekt einer Stadtbahn Ittersbach–Pforzheim entwickelt hat. Daraufhin hat der Enzkreis eine Expertenrunde einberufen, die überprüfen sollte , ob es inzwischen sinnvolle Varianten für weitere Untersuchungen gibt. Der wichtigste Anknüpfungspunkt war die Empfehlung aus dem Gutachten zur Standardisierten Bewertung aus dem Jahr 2006, in der zum Ausdruck kam, dass sich eventuell bessere Perspektiven ergeben könnten, wenn in Pforzheim ein innerstädtisches Schienennetz bestünde. Aufbauend auf den Untersuchungen für den Verkehrsentwicklungsplan der Stadt Pforzheim, kam diese Expertenrunde offensichtlich zu der Einschätzung, dass die neuen Pforzheimer Siedlungsschwerpunkte aufgrund der Topografie – starke Steigungen von bis zu 10 Prozent – mit einer Zwei-System-Stadtbahn, die auch auf Eisenbahnstrecken verkehren könnte, nicht erschlossen werden können. Sie empfahl daher die Konzeption einer Niederflurstraßenbahn zwischen Ittersbach und Pforzheim weiter zu verfolgen, die jedoch nicht mehr auf die Enztalbahn einschleifen sollte, sondern als eigenständige Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 489 3 Straßenbahn vom Pforzheimer Wohngebiet „Arlinger“ über die Innenstadt bis zum Wohngebiet Haidach auf dem Buckenberg geführt wird. Die in Anlehnung an die Standardisierte Bewertung durchgeführte Nutzen-Kosten -Abschätzung, die im Abschnitt Ittersbach–Birkenfeld im Wesentlichen die Ansätze der Bewertung von 2006 übernommen hat, kam zu dem Ergebnis, dass die neue Straßenbahnlinie von Ittersbach kommend in Pforzheim zu deutlichen Reisezeitnutzen sowie zu erheblichen Verkehrsverlagerungen mit moderaten Fahrgastgewinnen in der Region und zu hohen Fahrgastgewinnen in Pforzheim führen würde. Der Nutzen wurde mit rund 8,3 Millionen Euro jährlich bewertet. Dennoch sei – angesichts der erforderlichen sehr hohen Fahrweginvestitionen von grob geschätzten 170 bis 180 Millionen Euro sowie der erheblichen Betriebs- und Unterhaltungskosten – die neue Strecke volkswirtschaftlich nicht sinnvoll. Das Nutzen-Kosten-Verhältnis wurde mit 0,5 ermittelt. Es zeigt damit erneut einen unzureichenden volkswirtschaftlichen Nutzen, trotz sehr positiver Effekte für den Stadtverkehr Pforzheim. Eine Fördermöglichkeit auch dieser Variante war damit nicht gegeben. Die Ergebnisse wurden am 26. November 2010 in einem „Stadtbahngipfel“ im Landratsamt Enzkreis präsentiert. Die Bürgermeister/-innen der Streckenanliegergemeinden sowie Vertreter/-innen des Regionalverbandes Nordschwarzwald, des Verkehrsverbundes Pforzheim-Enzkreis (VPE) und der Industrie- und Handelskammer Nordschwarzwald sowie weitere Experten/-innen haben daran teilgenommen . Dabei wurde deutlich, dass die Kernaussagen der Gutachten für eine Straßenbahn von Ittersbach zum Haidach in Pforzheim allenfalls eine langfristige Realisierungschance erkennen lassen. Mittelfristig könnte nach Auffassung der Teilnehmer/-innen eine Qualitäts- und Kapazitätssteigerung eventuell durch die Einführung eines hochwertigen Bussystems (Metrobus) erreicht werden. Dies bedarf aber näherer Untersuchungen, die von den ÖPNV-Aufgabenträgern derzeit vorbereitet werden. Um die langfristige Perspektive einer neuen Schienenstrecke nach Ittersbach zu wahren, hat der Enzkreis den Gemeinden empfohlen, die Trasse planungsrechtlich zu sichern. Inwieweit dies von den Gebietskörperschaften bereits konkret umgesetzt wurde, ist nicht bekannt. 3. Wie bewertet sie die bereits abgeschlossenen Planungsaktivitäten und eine mögliche Projektfinanzierung? 4. Mit welchen Fördermitteln seitens des Landes und des Bundes wäre für das Vorhaben zu rechnen und wann wäre – die Beschlussfassung der politischen Gremien vorausgesetzt – eine Realisierung möglich? Anlässlich eines „Runden Tisches“, der am 6. Mai 2011 im Landratsamt Enzkreis stattfand, wurde ein Faktencheck vereinbart und Anfang Juni 2011 durchgeführt. Dabei wurden nochmals alle Ergebnisse der Untersuchung auf mögliche Schwachstellen überprüft. Im Rahmen dieses Faktenchecks kamen auch Kritiker/-innen der Untersuchungsergebnisse zur Erkenntnis, dass sich Verbesserungen in Richtung einer erhöhten Wirtschaftlichkeit und somit die Aussichten auf Fördermittel allenfalls in einem marginalen, nicht relevanten Umfang erreichen lassen. Insbesondere bestand nach Kenntnis des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur unter den Beteiligten Einvernehmen , dass auch bei einer Durchbindung von Straßenbahnen aus Richtung Karlsruhe/Ettlingen/Karlsbad nach Straubenhardt/Pforzheim keine nennenswerten Verkehrsströme zu erwarten sind. Zudem wurde festgestellt, dass sich im Abschnitt Ittersbach–Birkenfeld im Vergleich zur Bewertung von 2006 keine merklichen zusätzlichen Fahrgastpotenziale ergeben würden, weil sich die Siedlungs- und Einwohnerstrukturen nur unwesentlich geändert haben. Auch der Vorteil einer Linienführung zum Wohngebiet Haidach wurde bestätigt. Sie weist zwar hohe Baukosten auf, trägt aber mit ihrem sehr hohen Erschließungspotenzial entscheidend zum verbesserten Bewertungsergebnis bei. Es wurde auch festgestellt, dass bei der durchgeführten Untersuchung keine bewertungsrelevanten Gesichtspunkte übersehen oder unzutreffend eingestuft wurden. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 489 4 Insofern besteht auch seitens des Landes kein Anlass, die Planungsaktivitäten der Gebietskörperschaften zu kritisieren oder in Frage zu stellen. Eine Förderung sowohl des Bundes als auch des Landes scheidet aufgrund des fehlenden Nachweises der Wirtschaftlichkeit dieses Projektes nach wie vor aus. Ob die kommunalen Gebietskörperschaften zur alleinigen Finanzierung eines solchen Stadtbahn-Projekts in der Lage sind, entzieht sich der Kenntnis des Ministeriums . 5. Ist sie bereit, sich für die Stadtbahnlinie einzusetzen? Auf die Antworten zu den Fragen 1., 3. und 4. wird verwiesen. Hermann Minister für Verkehr und Infrastruktur