Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode 1 Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Drucksache 15 / 511 19. 09. 2011 Kleine Anfrage der Abg. Katrin Schütz und Joachim Kößler CDU und Antwort des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Wissenschaftliche Untersuchung des Fremdsprachenunterrichts an Grundschulen K l e i n e A n f r a g e Wir fragen die Landesregierung: 1. Welche wissenschaftlichen Untersuchungen zur Wirksamkeit des Fremdsprachenunterrichts an Grundschulen sind ihr bekannt (mit Angabe, ob ihr auch Untersuchungsergebnisse zum Französischunterricht an der Rheinschiene bekannt sind)? 2. Sind vom Kultusministerium weiterreichende Untersuchungen für Baden-Württemberg geplant und bis wann liegen diese Ergebnisse vor? 3. Inwieweit kommt der Welt- und Wirtschaftssprache Englisch im Land Baden- Württemberg mit seinen wissenschaftlichen und technischen Schwerpunkten eine besondere Bedeutung zu? 4. Wie bewertet sie die im Abschlussbericht des Expertenrats „Herkunft und Bildungserfolg “ formulierte Empfehlung zur sprachlichen Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund und welche Maßnahmen will sie auf dieser Grundlage ergreifen? 5. Wie groß war der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die in der Grundschule Französisch gelernt haben und dieses Fach/diese Sprache an der weiterführenden Schule beibehalten haben? 6. In welchem Umfang mussten Schülerinnen und Schüler die Grundschulfremdsprache in Folge eines Umzugs wechseln (mit Angabe, welche qualitativen Auswirkungen dies auf den Fremdsprachenerwerb an der weiterführenden Schule hatte)? 7. Wie will sie das Angebot des Fremdsprachenlernens im Elementarbereich verändern ? Eingegangen: 19. 09. 2011 / Ausgegeben: 17. 10. 2011 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 511 2 8. Kann weiterhin analog zum Elsässischem Projekt „lerne die Sprache deines Nachbars“ ein freiwilliges Angebot für Französisch realisiert werden, wenn der Fremdsprachenunterricht in Französisch an der Rheinschiene entfällt? 16. 09. 2011 Schütz, Kößler CDU B e g r ü n d u n g Nachdem Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) laut Presseberichten die Abschaffung des Fremdsprachenunterrichts an Grundschulen in den ersten zwei Schuljahren erwägt, ist auch die Diskussion um den Französischunterricht an der Rheinschiene neu entflammt. Die ehemalige Kultusministerin Frau Prof. Schick (CDU) hatte in dieser Frage wissenschaftliche Untersuchungen geplant , um eine verlässliche Entscheidungsgrundlage zu gewinnen. Aus pädagogischer Sicht gilt es wissenschaftlich zu untersuchen, welche Auswirkungen und Ergebnisse durch die frühe Fremdsprache erzielt wurden, besonders für Kinder mit Migrationshintergrund, für Kinder die nicht auf das Gymnasium wechseln sowie ob ein positiver homogener Einstieg in die Fremdsprache am Gymnasium möglich ist. Laut Medienberichten wird von der Landesregierung erwogen , dass es wichtiger sei, in den ersten beiden Klassen den Schrifterwerb im Deutschen zu fördern. Damit würde sie die Handlungsempfehlung des von der CDU-geführten Landesregierung einberufenen Expertenrats „Herkunft und Bildungserfolg “ aufgreifen. Die eingeführte Französischpflicht an den Grundschulen wurde auch nach dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg fortgesetzt. Im Zuge der jetzt von der Kultusministerin angestoßenen Diskussion kommen nun vermehrt Fragen nach dem wissenschaftlich belegten Nutzen auf. Der Fremdsprachenunterricht in der Grundschule ab Klasse 1 begann im Schuljahr 2001/2002 mit einer Versuchsphase an ca. 470 Grundschulen des Landes. Zum Schuljahr 2003/2004 wurde der Fremdsprachenunterricht ab Klasse 1 dann an allen Grundschulen des Landes eingeführt. Somit war mit Ablauf des Schuljahrs 2006/2007 der Vollausbau erreicht. Acht Jahre nach der flächendeckenden Einführung ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Dies betrifft nicht nur den Unterricht in den ersten zwei Schuljahren, sondern insbesondere die unterschiedlichen Fremdsprachen in einem Bundesland. A n t w o r t Mit Schreiben vom 10. Oktober 2011 Nr. 33–6521.12–FREMD/577/1/ beantwortet das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport die Kleine Anfrage wie folgt: Wir fragen die Landesregierung: 1. Welche wissenschaftlichen Untersuchungen zur Wirksamkeit des Fremdsprachenunterrichts an Grundschulen sind ihr bekannt (mit Angabe, ob ihr auch Untersuchungsergebnisse zum Französischunterricht an der Rheinschiene bekannt sind)? Im Vorfeld der flächendeckenden Einführung des Fremdsprachenunterrichts in der Grundschule wurde ab dem Schuljahr 2001/2002 eine wissenschaftlich begleitete Pilotphase durchgeführt. Die Ergebnisse wurden im April 2007 in einem Abschlussbericht veröffentlicht. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 511 3 Über den Fremdsprachenunterricht der Grundschule liegen vielfältige wissenschaftliche Studien vor. Diese weisen darauf hin, dass Kinder am Ende des vierten Schuljahres über rezeptive Fähigkeiten und eine basale produktive Fertigkeit des Sprechens verfügen. Kindern mit Migrationshintergrund stehen im Fremdsprachenunterricht deutlich weniger Problemen gegenüber als in anderen Lernbereichen . In Baden-Württemberg wurden und werden auf Initiative der Pädagogischen Hochschulen wissenschaftliche Begleituntersuchungen im Fremdsprachenunterricht der Grundschulen durchgeführt. Ein besonderes Interesse liegt dabei auf Grundschulen mit bilingualen Grundschulzügen. 2. Sind vom Kultusministerium weiterreichende Untersuchungen für Baden-Württemberg geplant und bis wann liegen diese Ergebnisse vor? Im Bereich des Fremdsprachenunterrichts sind vom Kultusministerium derzeit keine wissenschaftlichen Begleituntersuchungen geplant. 3. Inwieweit kommt der Welt- und Wirtschaftssprache Englisch im Land Baden- Württemberg mit seinen wissenschaftlichen und technischen Schwerpunkten eine besondere Bedeutung zu? Der gemeinsame europäische Referenzrahmen des Europarats zielt darauf ab, „das Erbe der Vielfalt der Sprachen und Kulturen in Europa … zu schützen und zu entwickeln“. Das Lernen von Fremdsprachen soll der verstärkten Mobilität und einer effektiven internationalen Kommunikation Rechnung tragen. Durch die Globalisierung der Märkte und das Zusammenwachsen der europäischen Wirtschaftsregion kommt der möglichst frühen Anbahnung von Mehrsprachigkeit eine hohe Bedeutung zu. Die besondere Bedeutung des Englischen als lingua franca spiegelt sich in der Fremdsprachenkonzeption Baden-Württembergs wider. Unabhängig ab welcher Klassenstufe die Fremdsprache Englisch gelernt wird, ist durch das Mehrsprachigkeitskonzept garantiert, dass – im Hinblick auf die jeweiligen Anforderungen in der Berufswelt – entsprechende Englischkompetenzen aufgebaut werden. 4. Wie bewertet sie die im Abschlussbericht des Expertenrats „Herkunft und Bildungserfolg “ formulierte Empfehlung zur sprachlichen Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund und welche Maßnahmen will sie auf dieser Grundlage ergreifen? Zentrales Ziel der Bildungspolitik der neuen Landesregierung ist, dass alle Kinder die gleichen Chancen erhalten, an Bildung teilzuhaben, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Jedes Kind muss die besten Möglichkeiten bekommen, seine Fähigkeiten und Leistungspotenziale zu entfalten. Im Hinblick auf die Reduzierung sozialer Disparitäten äußert sich der Expertenrat „Herkunft und Bildungserfolg“ gegenüber dem frühen Fremdsprachenbeginn in Klasse 1 der Grundschule skeptisch und empfiehlt einen Fremdsprachenbeginn ab Klasse 3. Diese Einschätzung des Expertenrats ist auch auf den Umstand zurückzuführen, dass es keine Vergleichsuntersuchungen gibt, die sich auf den geeigneten Einstiegszeitpunkt des Fremdsprachenunterrichts in der Grundschule beziehen. Studien , ob und ggf. wie Kinder mit Migrationshintergrund vom Fremdsprachenlernen ab Klasse 1 profitieren, stehen aus. Praxiserfahrungen und Studien zum Spracherwerb weisen ganz allgemein darauf hin, dass ein früher Fremdsprachenunterricht sich günstig auf affektive Faktoren und die Motivation auswirkt. Er fördert eine positive Einstellung gegenüber fremden Sprachen und deren Kultur und baut eine Basiskompetenz auf. Das interkulturelle Lernen wird angebahnt und die positive Entwicklung des Selbstvertrauens gefördert. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 511 4 Die Empfehlungen des Expertenrats haben die Diskussion über die Weiterentwicklung des Fremdsprachenunterrichts in der Grundschule angestoßen. Eine Entscheidung über den künftigen Fremdsprachenunterricht der Grundschule ist noch nicht getroffen worden. 5. Wir groß war der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die in der Grundschule Französisch gelernt haben und dieses Fach/diese Sprache an der weiterführenden Schule beibehalten haben? Aus den Meldungen zur amtlichen Schulstatistik sind keine Angaben zu den Bildungsbiografien der einzelnen Schülerinnen und Schüler auf Basis von Schülerindividualdateien möglich. Somit kann der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die in der Grundschule Französisch gelernt haben und diese Fremdsprache an der weiterführenden Schule beibehalten haben, nicht ermittelt werden. 6. In welchem Umfang mussten Schülerinnen und Schüler die Grundschulfremdsprache in Folge eines Umzugs wechseln (mit Angabe, welche qualitativen Auswirkungen dies auf den Fremdsprachenerwerb an der weiterführenden Schule hatte)? Schülerinnen und Schüler, die in Folge eines Umzugs die Grundschulfremdsprache wechseln, werden statistisch nicht erfasst. Im Mittelpunkt des Fremdsprachenunterrichts der Grundschule stehen das Hörverstehen und die kommunikativen Kompetenzen. Er zielt darauf ab, grundlegende Sprachlernkompetenzen und Sprachlernstrategien im Rahmen eines immersivreflexiven Unterrichts bei den Kindern aufzubauen. Diese sind bei einem Wechsel auf eine andere Zielsprache innerhalb der Grundschulzeit übertragbar. Im Falle eines Fremdsprachenwechsels entscheidet die Grundschule, inwieweit gezielte Förderangebote den Anschluss des betroffenen Kindes unterstützen können. Wissenschaftliche Untersuchungen über qualitative Auswirkungen auf den Fremdsprachenunterricht der weiterführenden Schulen liegen in Baden-Württemberg nicht vor. 7. Wie will sie das Angebot des Fremdsprachenlernens im Elementarbereich verändern ? Siehe Frage 4. 8. Kann weiterhin analog zum Elsässischen Projekt „Lerne die Sprache deines Nachbars“ ein freiwilliges Angebot für Französisch realisiert werden, wenn der Fremdsprachenunterricht in Französisch an der Rheinschiene entfällt? Der Französischunterricht hat an den Grundschulen am Oberrhein eine langjährige Tradition. Viele Schulpartnerschaften wurden begründet und bereichern dort das interkulturelle Lehren und Lernen. Über die Einrichtung von über den Unterricht hinausgehenden Angeboten (z. B. Arbeitsgemeinschaften) entscheiden die Schulen im Rahmen des ihnen zur Verfügung stehenden Budgets. Am Oberrhein sind derzeit insgesamt sieben Grundschulen mit bilingualen deutschfranzösischen Zügen eingerichtet. An diesen Standorten sind auch muttersprachliche französische Lehrkräfte im Einsatz, die im Rahmen des deutsch-französischen Lehreraustauschprogramms gewonnen wurden. Eine Entscheidung über den Französischunterricht an Grundschulen ist noch nicht gefällt. Warminski-Leitheußer Ministerin für Kultus, Jugend und Sport