Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 5880 15. 10. 2014 1Eingegangen: 15. 10. 2014 / Ausgegeben: 09. 01. 2015 G r o ß e A n f r a g e Wir fragen die Landesregierung: I . R a d i k a l i s i e r t e J u g e n d l i c h e u n d E r w a c h s e n e 1. Wie viele Jugendliche (bis 21 Jahre) und Erwachsene (differenziert nach Geschlecht), die ihren Wohnsitz in Baden-Württemberg haben oder hatten oder sich hier tatsächlich aufhalten, sind den staatlichen Behörden und Einrichtungen als radikalisierte Salafismus-Anhänger oder entsprechende, durch die Berufung auf eine bestimmte extremis - tische Reli gionsauslegung motivierte, Radikale (unter Nennung auch der Anzahl einschlägig Vorbestrafter) – einschließlich einer möglichen Dunkelziffer – bekannt? 2. Welche Erkenntnisse hat sie über die Organisation bzw. den Organisationsgrad solcher Jugendlicher und Erwachsener in Baden-Württemberg? 3. Welche Erkenntnisse hat sie über Motive von Frauen aus Baden-Württemberg sich zu radikalisieren bzw. in ein radikalisiertes Umfeld einzutreten , insbesondere durch Ehevermittlung? 4. Welche Erkenntnisse hat sie hinsichtlich öffentlicher Auftritte von sogenannten „Hasspredigern“ in Baden-Württemberg seit 2010 bzw. des Zusammenspiels von salafistischen Hasspredigern und der sogenannten „Rapper-Szene“ bzw. in Baden-Württemberg ansässiger Einzelpersonen oder Organisationen (beispielsweise Produktionsfirmen/Musikverlage), die zur Verbreitung extremistischen Gedankenguts im vorbeschriebenen Sinne beitragen? 5. Welche Erkenntnisse hat sie über die Existenz bzw. das Auftreten einer sogenannten „Scharia-Polizei“ in Baden-Württemberg bzw. in anderen Ländern? Große Anfrage der Fraktion der CDU und Antwort der Landesregierung Radikalisierung in Baden-Württemberg durch religiös motivierten Extremismus Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 2 6. Welche präventiven und repressiven rechtlichen Möglichkeiten eines Einschreitens stehen gegen das Auftreten einer sogenannten „Scharia Polizei “ (wie z. B. in Wuppertal) nach bundes- bzw. landesrechtlichen Vorgaben zur Verfügung? I I . E r k e n n t n i s s e ü b e r p a r a m i l i t ä r i s c h e b z w . t e r r o r i s t i s c h e A k t i v i t ä t e n r a d i k a l i s i e r t e r J u g e n d l i c h e r u n d E r w a c h s e - n e r i m I n - u n d A u s l a n d 1. Wie viele radikalisierte Jugendliche und Erwachsene haben sich seit 2010 nach ihrer Kenntnis aus Baden-Württemberg zum Zwecke der Ausbildung in sogenannten „Terrorcamps“, der Beteiligung an kriegerischen Auseinandersetzungen oder der sonstigen Unterstützung terroristischer Vereinigungen, ins Ausland begeben bzw. befinden sich zurzeit zu einem dieser Zwecke noch im Ausland oder sind nach Deutschland zu - rückgekehrt? 2. Welche Erkenntnisse liegen ihr darüber vor, wegen wie vieler extremis - tisch motivierter, insbesondere gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit sowie die Glaubensfreiheit von Menschen und/oder die Staatlichkeit Deutschlands oder anderer Staaten oder die Herabwürdigung der Herkunft und ethnischen Zugehörigkeit von Menschen gerichteter Straftaten im Sinne des oben dargestellten Rahmens (mit Angabe des jeweiligen Straftatbestand) von deutschen bzw. baden-württember - gischen Ermittlungs- bzw. Strafverfolgungsbehörden und Gerichten Ermittlungs - bzw. Strafverfahren eingeleitet, durchgeführt und zum Abschluss gebracht wurden? 3. Inwieweit werden nach ihrer Kenntnis Straftaten im vorbeschriebenen Sinne, welche entweder in Deutschland oder durch Deutsche oder durch Ausländer, die sich regelmäßig in Deutschland aufhalten, im Ausland begangen wurden, in der Statistik der Strafverfolgungsbehörden in einer gesonderten Rubrik erfasst und ausgewiesen? 4. Ist ihr bekannt, welcher Nationalität die Beschuldigten der vorgenannten eingeleiteten und abgeschlossenen Ermittlungs- bzw. Strafverfahren seit 2010 angehörten und welcher Anteil hatte bzw. wie viele der Beschuldigten deutscher Staatsangehörigkeit hatten einen Migrationshintergrund? 5. Welche Erkenntnisse hat sie über den Einsatz (elektronischer) Medien bei Aufruf zu bzw. Vorbereitung und Begehung von Auslandsstraftaten oder entsprechenden Straftaten, die in Deutschland mit Strafe belegt sind? I I I . E r k e n n u n g v o n u n d U m g a n g m i t R ü c k k e h r e r n 1. In welcher Weise werden Erkenntnisse zum religiös motivierten Extremismus bzw. zum Salafismus, insbesondere unterhalb der verfassungsschutzrechtlichen Beobachtungsschwelle, in Baden-Württemberg regelmäßig zwischen zuständigen Stellen gebündelt und landesintern bzw. mit anderen Ländern und dem Bund im Sinne einer Gefährdungslageeinschätzung abgestimmt bzw. ausgetauscht? 2. Durch welche Maßnahmen stellt sie sicher, dass Beteiligte an der Vorbereitung oder Durchführung von Auslandsstraftaten den Sicherheitsbehörden im Land bekannt sind, dass eine Ausreise ausgeschlossen ist und dass bei einer Wiedereinreise ins Land Strafverfolgungsmaßnahmen bzw. bei entsprechender Schwere der Tat auch (vorübergehende) Festnahmen möglich sind? 3. Gibt es zwingende rechtliche Gründe, die dagegen sprechen, bei im Ausland inhaftierten Straftätern im oben genannten Sinne regelmäßig auf das Hinwirken auf eine Auslieferung nach Deutschland zu verzichten? 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 4. Inwieweit kann eine behördlich bekannte Radikalisierung einer Person einer möglichen Einbürgerung entgegengehalten werden bzw. zur Versagung derselben führen oder Grundlage für den Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit sein? I V . F r ü h e r k e n n u n g u n d P r ä v e n t i o n 1. Wie werden Radikalisierung und Extremismus an Schulen thematisiert? 2. Durch welche Maßnahmen werden insbesondere Lehr- und Ausbildungskräfte sowie Jugendämter in der Erkennung von Anzeichen, die auf eine Radikalisierung hindeuten, geschult? 3. Welche besonders gekennzeichneten bzw. einfach zu erkennenden, wirksamen Wege (z. B. persönliche Ansprechpartner, Hotlines, E-Mail/Internet ) bestehen insbesondere für Lehr- und Ausbildungskräfte, Träger von Moscheevereinen sowie Jugendsozialarbeiter, aber auch sonstige Privatpersonen , insbesondere mögliche Aussteiger, um Hinweise auf religiös motivierte, extremistische bzw. radikale Aktivitäten an die zuständigen Stellen (ggf. auch vertraulich, d. h. ohne Angaben zur eigenen Person) weiterzugeben? 4. Inwieweit plant sie, das Thema der Radikalisierung im Rahmen der Arbeiten des Runden Tisch Islam aufzurufen? 5. Durch welche Maßnahmen, Aufrufe und Äußerungen unterstützt sie öffentlich die Hilfe der Bevölkerung bei der frühzeitigen Erkennung möglicher Extremismus- bzw. Radikalenaktivitäten? 6. Ist ihr die Arbeit des Hessischen Informations- und Kompetenzzentrums gegen Extremismus beim dortigen Innenministerium bekannt bzw. was spricht für die Einrichtung einer entsprechenden Organisation in BadenWürttemberg ? 7. Ist ihr bekannt, in wie vielen Fällen durch deutsche Behörden insgesamt bzw. insbesondere durch baden-württembergische Behörden eine Ausreisesperre verfügt bzw. Erkenntnisse weitergegeben wurden, welche zum Erlass einer Ausreisesperre führten? 8. Wie viele Stellen sind im Landesamt für Verfassungsschutz in den Jahren 2010, 2011, 2012, 2013 und 2014 insgesamt sowie insbesondere der Bekämpfung von Linksextremismus, Rechtsextremismus und religiös motiviertem Extremismus, insbesondere Salafismus, jeweils zugewiesen (gewesen)? 15. 10. 2014 Hauk, Hitzler, Blenke, Dr. Lasotta, Pröfrock und Fraktion Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 4 B e g r ü n d u n g Die laufende Berichterstattung lässt darauf schließen, dass Menschen aus BadenWürttemberg z. B. an Kampfhandlungen im Gebiet Syriens teilnehmen. In der von den Kampfhandlungen überzogenen Region Syriens bzw. des Nordiraks wurden schwerste Menschenrechtsverletzungen festgestellt. Durch die Große Anfrage soll geklärt werden, inwieweit Beteiligte an solchen terroristischen Aktivitäten aus Baden-Württemberg stammen bzw. durch welche Maßnahmen die Landesregierung sicherstellt, dass derartige Taten bei einer eventuellen Rückkehr nach Deutschland einer schnellen und konsequenten Ahndung zugeführt werden. Ferner soll die Große Anfrage Klärung darüber liefern, inwieweit die Sicherheitsarchitektur in Deutschland und Baden-Württemberg auf die Problematik von (bei Einreise unerkannten) Rückkehrern, welche an derartigen Aktivitäten teilgenommen haben, eingestellt ist. Schließlich sollen bestehende Präventions- und Kontrollmechanismen (auch aus anderen Bundesländern – z. B. Nordrhein-Westfalen), bzw. deren Effizienz im Rahmen der Großen Anfrage abgefragt werden. A n t w o r t Schreiben des Staatsministeriums vom 12. Dezember 2014 Nr. I-1228: In der Anlage übersende ich unter Bezugnahme auf § 63 der Geschäftsordnung des Landtags von Baden-Württemberg die von der Landesregierung beschlossene Antwort auf die Große Anfrage. Krebs Ministerin im Staatsministerium 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 Anlage: Schreiben des Innenministeriums Mit Schreiben vom 9. Dezember 2014 Nr. 3-1228.3/460 beantwortet das Innen - minis terium im Einvernehmen mit dem Justizministerium, Kultusministerium, Inte grationsministerium und Sozialministerium im Namen der Landesregierung die Große Anfrage wie folgt: Wir fragen die Landesregierung: I . R a d i k a l i s i e r t e J u g e n d l i c h e u n d E r w a c h s e n e 1. Wie viele Jugendliche (bis 21 Jahre) und Erwachsene (differenziert nach Geschlecht ), die ihren Wohnsitz in Baden-Württemberg haben oder hatten oder sich hier tatsächlich aufhalten, sind den staatlichen Behörden und Einrichtungen als radikalisierte Salafismus-Anhänger oder entsprechende, durch die Berufung auf eine bestimmte extremistische Religionsauslegung motivierte, Radikale (unter Nennung auch der Anzahl einschlägig Vorbestrafter) – einschließlich einer möglichen Dunkelziffer – bekannt? Zu I. 1.: Generell ist der Salafismus eine stark anwachsende Bewegung in Deutschland. Diese Entwicklung resultiert einerseits aus einer Umorientierung islamistischer Extremisten und andererseits aus einer großen Zahl neu inspirierter Muslime. Grundsätzlich verlaufen die Übergänge bei salafistischen Bewegungen von friedlichen Missionierungen zu militanten Aufrufen im Internet oder gar zu jihadis - tischer-terroristischer Gewaltausübung fließend. Dabei findet der Salafismus seine Anhänger vorwiegend unter jungen männlichen Muslimen oder unter Jugend - lichen und jungen Erwachsenen bis 21 Jahre, die zum Islam konvertiert sind. Nach derzeitigen Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden gehören etwa 550 Personen in Baden-Württemberg zu der Anhängerschaft des Salafismus. Davon können etwa 120 Personen einem gewaltbereiten jihadistischen Milieu zugerechnet werden . Überdies können weder zur Altersstruktur noch zum Frauenanteil oder zum Radikalisierungsgrad unter den Anhängern verlässliche Aussagen getroffen werden . Eine mögliche Dunkelziffer lässt sich mangels Studien ebenfalls nicht darstellen . Ferner wurde von der baden-württembergischen Polizei im Phänomenbereich Islamismus seit 2010 in insgesamt 107 strafrechtlichen Ermittlungsverfahren mit 154 Tatverdächtigen ermittelt. Da es sich bei dieser Statistik jedoch um eine reine Ausgangsstatistik handelt, können keine Aussagen über den Ausgang dieser Ermittlungsverfahren getroffen werden. Darüber hinaus sind aktuell insgesamt 99 Personen als sogenannte Zielpersonen im Phänomenbereich Islamismus erfasst und werden von den Sicherheitsbehörden im Land besonders im Auge behalten. Altersstruktur und Geschlecht der Personengruppen werden in nachfolgender Tabelle dargestellt: Mangels entsprechender Erfassungskriterien der Strafverfolgungsstatistik oder der Verfahrensstatistiken von Staatsanwaltschaften und Gerichten kann keine belastbare Aussage dahingehend gemacht werden, wie viele Personen aus dem salaBaden - Württemberg Gesamt Jugendliche (14 bis 18 Jahre) Heranwachsende (18 bis 21 Jahre) Erwachsene (ab 21 Jahre) Tatverdächtige männlich weiblich 154 138 16 3 2 0 12 10 2 139 126 13 Zielpersonen männlich weiblich 99 94 5 11 10 1 0 0 0 88 84 4 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 6 fistischen Spektrum einschlägig vorbestraft sind. Als einschlägige Straftaten kommen u. a. die Straftatbestände §§ 89 a (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, 89 b (Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat) und 109 h StGB (Anwerben für fremden Wehrdienst ) in Betracht. Seit dem Jahr 2010 ist in der Strafverfolgungsstatistik dies - bezüglich im Bereich der abgeurteilten Personen ein Freispruch wegen des Anwerbens für einen fremden Wehrdienst gemäß § 109 h StGB erfasst. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich in Ermittlungsverfahren wegen Delikten nach §§ 89 a und 89 b StGB nicht selten ein Verdacht auf Sachverhalte ergibt, deren Ermittlung in die Strafverfolgungszuständigkeit des Generalbundesanwalts fällt. Derartige Ermittlungsverfahren werden an den Generalbundesanwalt abgegeben. Darüber hinaus werden Ermittlungsverfahren, in denen von vornherein der Verdacht von Straftaten nach §§ 129 a (Bildung terroristischer Vereinigungen) und 129 b StGB (Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Erweiterter Verfall und Einziehung) besteht, grundsätzlich von Beginn an durch die Generalbundesanwaltschaft geführt. Diese Fälle werden dann in keiner Landesstatistik erfasst. 2. Welche Erkenntnisse hat sie über die Organisation bzw. den Organisationsgrad solcher Jugendlicher und Erwachsener in Baden-Württemberg? Zu I. 2.: Eine hierarchische, funktional ausdifferenzierte Organisation innerhalb der sala - fis tischen Bewegung ist bislang weder bundesweit noch in Baden-Württemberg erkennbar. Unabhängig von der ideologischen Grundausrichtung ist die salafis - tische Szene in Deutschland mit wechselseitigen Anfeindungen tief gespalten. Ein Teil der politisch-salafistischen Szene ist jedoch in einem aktionsorientierten deutschsprachigen Netzwerk organisiert, die in informellen Beziehungen zueinander stehen. Die rund 30 Hauptakteure bestehen u. a. aus Predigern und Propagandisten (ca. 15 Personen), die zum Teil bundesweit agieren, sowie sogenannten „Netzwerkern“, die auch als lokale Funktionäre auftreten. Beispielsweise gelang es Salafismus-Anhängern im Jahr 2011 erstmals, die bis heute aktive Kampagne „LIES!“ zur Verteilung von Buchexemplaren des Korans in Fußgängerzonen oder öffentlichen Plätzen zu organisieren. An den Aktionen sind auch Personen aus Baden-Württemberg beteiligt, wo „LIES!“-Kampagnen ebenfalls landesweit stattfinden . In Baden-Württemberg haben sich extremistische Zirkel und Szenen gebildet, die vor allem aufgrund ihrer ambivalenten Haltung zu islamistischen Gewalttaten einen Schwerpunkt in der Beobachtungstätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz bilden. Darüber hinaus bestehen Kennverhältnisse in der Szene, die sich exemplarisch anlässlich eines Deutschlandbesuches des saudischen Gelehrten Muhammad Als-Arifi am 3. Januar 2013 in Heidelberg gezeigt haben. Bei der Veranstaltung kamen bundesweit bekannte Propagandisten zusammen. Dennoch ist diese organisatorisch-strukturelle Verdichtung lediglich in Teilbereichen der salafistischen Szene festzustellen. Zudem steht bei den bestehenden Verbindungen vor allem die Bündelung personeller und finanzieller Kapazitäten im Vordergrund . Einen qualitativ hohen und überregionalen Vernetzungsgrad weisen hingegen die im Internet genutzten Netzwerke auf, wobei die Kommunikation je nach Diskussionsthema oftmals in verschlüsselter Form stattfindet. 3. Welche Erkenntnisse hat sie über Motive von Frauen aus Baden-Württemberg sich zu radikalisieren bzw. in ein radikalisiertes Umfeld einzutreten, insbesondere durch Ehevermittlung? Zu I. 3.: Nach salafistisch-jihadistischen Vorstellungen kommt der Frau die Rolle der dienenden und gehorsamen Ehefrau und Mutter zu, die ihren Mann zu Hause unterstützt und die die gemeinsamen Kinder zu neuen Jihadisten erzieht. Grundsätzlich wird der Einsatz von Frauen als aktive Kämpferinnen deshalb von den meis - ten Jihadisten abgelehnt. So leisten aktive Frauen im Jihad vielmehr Unterstüt- 7 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 zungshandlungen für ihren Ehemann bzw. für eine jihadistische Organisation. Beispielsweise rufen sie zum Kampf auf, tätigen Missionierungsarbeit, leisten logistische Unterstützung oder sammeln Spenden. Mithin ist der islamistische Terrorismus männlich dominiert, obwohl vereinzelt vor allem junge Frauen aktiv in den Jihad ziehen wollen. Generell spielen bei der voranschreitenden Radikalisierung von Frauen aus der salafistisch-jihadistischen Szene das Internet und die sozialen Netzwerke als Informations- und Kommunikationsmedium eine zentrale Rolle. In den sozialen Netzwerken werden die aktuelle Lage in Syrien häufig romantisiert und die Heirat mit einem Jihadisten geschönt dargestellt. Die Kämpfer terroristischer Vereinigungen gelten als Helden, die vor Allah großes Ansehen genießen und deshalb attraktive Ehemänner sein sollen. Zwischenzeitlich hat sich in der salafistischen Szene geradezu ein „Heiratsmarkt“ entwickelt, der aktuell aus den Kampfgebieten von Islamisten mit gezielter Propaganda unterstützt wird. Neben freiwilligen Eheschließungen kommen aber durchaus auch Zwangsheiraten in Betracht. Die Ehevermittlung kann außerdem eine Radikalisierung von jugend - lichen Mädchen und jungen Frauen unterstützen, die sich im Grunde nach Geborgenheit , Anerkennung und Liebe sehnen. Unabhängig vom Geschlecht gilt, dass sich Jugendliche durch den Anschluss an eine radikale Gruppe oftmals erhoffen, ein Zugehörigkeitsgefühl zu erlangen, das ihnen nach persönlicher Wahrnehmung in der eigenen Familie oder im Freundeskreis verwehrt bleibt. Bereits im Jahr 2010 wurde durch den Verfassungsschutzverbund eine Analyse zu Frauen in islamistisch-terroristischen Strukturen erstellt. In der Analyse wurden vier typische Profile herausgearbeitet, zu denen sich Frauen in der Szene zuordnen lassen. Hierbei handelt es sich um die „Mitausreisende Ehefrau“, die „JihadFeministin “, die „Junge Wilde“ und die „Sendungsbewusste“. Diese Profile lassen sich wie folgt unterscheiden: Profil: „Mitausreisende Ehefrau“ Eine tatsächliche Ausreise ist bei diesen Frauen kein zwingendes Kriterium, vielmehr werden die Frauen durch ein ausgeprägtes traditionelles muslimisches Rollenverständnis der gehorsam dienenden und ihrem Gatten in allen Dingen folgenden Frau charakterisiert. Dieser Rolle entsprechen die meisten Frauen damit, dass sie bei einer Ausreise des Ehemannes gleichfalls ausreisen. Der „Mitausreisenden Ehefrau“ kommt nur die Rolle einer Begleiterin zu, ohne dass bei ihr eine eigene Motivation für eine Ausreise vorhanden wäre. Die primäre Handlungsmotivation der Frauen ist in der Beziehung zu den Ehemännern begründet. Über die Aus - reisepläne des Ehemannes besteht entweder Unwissen oder lediglich Halbwissen. Da die ideologische Indoktrination der „Mitausreisenden Ehefrau“ nicht sehr stark ausgeprägt zu sein scheint und sie vermutlich keine Kampfausbildung erhält , geht von diesen Frauen eine eher mäßige Gefährdung für deutsche Interessen im Ausland aus. Da jedoch anzunehmen ist, dass nach der Ausreise und im Laufe des Aufenthalts in einem Jihadgebiet eine ideologische Indoktrination erfolgt, kann sich die bis dahin mäßige Gefährdung, die von solchen Frauen möglicherweise ausgehen kann, erhöhen. Dies gilt insbesondere auch für deutsche Interessen im Inland, wenn diese Frauen nach Deutschland zurückkehren. Die Gefährdung ist umso evidenter, je größer die emotionale Abhängigkeit vom Ehemann ist. Profil: „Jihad-Feministin“ „Jihad-Feministinnen“ zeichnen sich durch ein geringeres traditionell-muslimisches Rollenverständnis im Sinne der gehorsamen, dienenden Ehefrau bzw. der sich opfernden Mutter aus. Trotzdem übernehmen die Frauen traditionelle Bekleidungsvorschriften und Ehe und Kinder sind fester Bestandteil der Lebensplanung. Ihre Rolle als muslimische Frau füllen sie selbstbestimmt und nach ihren, in der Regel emanzipierten Vorstellungen aus. Dies ist gerade im Bereich des „Homegrown “-Spektrums und des Wunschs nach individueller Selbstverwirklichung im Zusammenhang mit ihrer westlichen Sozialisation bzw. Teilsozialisation zu verstehen . Das geringe traditionelle Rollenverständnis hat ein verändertes jihadistisches Selbstverständnis zur Konsequenz, da für die Frauen das Konzept der aktiven Kämpferin eine reale Option darstellt. „Jihad-Feministinnen“ erleben in der Regel ohne den starken Einfluss einer männlichen Führungspersönlichkeit eine Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 8 autonome Radikalisierungsphase. Vielmehr haben die Frauen häufig selbst radikalisierenden Einfluss auf den Ehemann oder die Familie. Gleichzeitig suchen gerade diese Frauen auch nach religiöser Spiritualität. Das „emanzipierte“ Selbstverständnis dieser Frauen kollidiert gegenwärtig noch häufig mit den traditionellen Rollenvorstellungen vieler männlicher Jihadisten. Profil: „Junge Wilde“ Diese Frauen radikalisieren sich im Zusammenhang mit dem problembehafteten Selbstfindungsprozess beim Übergang zum Erwachsenenalter. Ihre innere Zer - rissenheit kompensieren sie durch die Befolgung einer strikten Koranauslegung, ohne selbst entsprechend vorgebildet zu sein. Sie verklären den militärischen Jihad , das angeblich korankonforme Leben in einem muslimischen Land und den Einzug ins Paradies, den es als oberstes Ziel zu erreichen gilt. Dabei entwickeln sie eine Tendenz zur Gewaltbefürwortung, fordern so ihre Umwelt heraus und ver - suchen, die von außen auferlegten Grenzen zu überschreiten. Ihre extreme religiöse Einstellung verkörpert nicht nur den Gegensatz zu ihrer Elterngeneration, sondern auch zur Mehrheitsgesellschaft. Dabei wird ein Gefühl der eigenen Unverwundbarkeit suggeriert. Die Frauen zeichnen sich vor allem durch ein aktio nis tisch geprägtes, aber nicht zwingend reflektiertes Verhalten im Hinblick auf die Unterstützung des Jihads aus. Diesen betrachten sie als individuelle Glaubenspflicht, wobei sie den Jihad-Gedanken idealisieren und überhöhen. Für das Er reichen ihrer Ziele werden sie selbstbestimmt aktiv und warten nicht auf die Anleitung bzw. auf Entscheidungen einer männlichen Bezugs- oder auch einer älteren Respektsperson. Oftmals erfolgen Unterstützungen durch Spendensammlungen an bedürftige muslimische Personen bzw. an Personen des islamistisch-terroristischen Spektrums. Andere suchen für ihre Ausreise geeignete heiratswillige Muslime oder andere Männer, die die Rolle des „mahram“ (Begleiter, Beschützer) einnehmen könnten. Dafür wird auf bekannte Kontakte in der islamistischen Szene, vor allem im Internet , zurückgegriffen. Problematisch ist die Unbe rechenbarkeit des Faktors „Jugend “, der mit leichter Beeinflussbarkeit, viel Engagement und wenig Reflexion sowie ausgeprägter Rebellion gegenüber Eltern und Gesellschaft einhergehen kann. Nicht geklärt ist, wie das zunehmende Alter diese Frauen beeinflusst. So könnte eine „Junge Wilde“ in einigen Jahren zu einer „Jihad-Feministin“ oder auch zu einer „Sendungsbewussten“ avancieren. Eine andere Möglichkeit wäre eine allmähliche Abkehr vom jihadistischen Salafismus, insbesondere nach ernüchternden Erfahrungen im „Kampfgebiet“ bzw. einer Änderung der äußeren Lebensumstände (Rückkehr, Heirat oder Familiengründung). Profil: „Sendungsbewusste“ Diese Frauen richten ihre Aktivitäten auf die Verbreitung und Verteidigung des aus ihrer Sicht wahren Islams bzw. die Unterstützung derer, die dieses Ziel verfolgen . Um diesem Selbstverständnis gerecht zu werden, wenden sie sehr viel Energie auf: Sie nutzen intensiv das Internet und bringen viel Zeit auf, um religiöses Wissen zu erlangen und sich ideologisch zu festigen. Tendenziell sind sie selbstbewusst und aktiv, wollen aber als Person nicht unbedingt im Vordergrund stehen . Sie sind häufig aufrichtig und altruistisch eingestellt oder geben sich so und verstehen ihr Handeln als einen missionarischen Akt. Sie sehen sich als Vorbild und versuchen, die jihadistische Szene in Deutschland zu beeinflussen. Von ihnen kann eine starke Ausstrahlungswirkung auf den islamistisch-terroristischen Phänomenbereich ausgehen. Unter diesen Frauen befinden sich sowohl Herkunftsmusliminnen als auch Konvertitinnen. Gemeinsam ist ihnen ihr beharrlicher und engagierter Einsatz für eine Sache, in deren Dienst sie sich stellen. Ihre Radikalität rührt weniger von ihrem Aktionismus, als vielmehr von ihrer starken, zumeist reflektierten Überzeugung her. Sie sind motiviert und ideologisch durchdrungen und bieten somit auch wenig Ansatzpunkte, um sie von außen von ihrem Vorhaben abzubringen. Vor allem verfügen sie als Multiplikatorinnen über eine gewisse Strahlkraft, die besonders durch ihre (vermeintliche) Aufrichtigkeit genährt wird. Diese Frauen bedienen sich zur Vermittlung ihrer Botschaft des Internets , mit dem sie weite Distanzen überbrücken und einen großen Personenkreis erreichen können. 9 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 Nach einer aktuellen Auswertung der nach Syrien ausgereisten Personen (bundesweit 550) durch den Verfassungsschutz stellen Frauen etwa einen Anteil von elf Prozent dar. Aus Baden-Württemberg sind derzeit vier Frauen ausgereist. Davon lässt sich eine Frau dem Profil „mitreisende Ehefrau“ zuordnen, die anderen drei gehören dem Profil „Junge Wilde“ an. Die Profile sollen jedoch nicht als allgemeingültige Typologien verstanden werden, unter die automatisch jede im jiha - dis tischen Umfeld auffällig gewordene Frau zu subsumieren ist. Vielmehr sollen sie bestimmte Radikalisierungs-, Verhaltens- und Motivmuster beschreiben. Insofern kommen natürlich auch Mischformen von Profilen vor; bei jeder Frau können auch Anteile der anderen Profile vorhanden sein. Die größten Überschneidungen dürfte es allerdings unter den drei aktiven Profilen geben, die zusammen etwa die Hälfte der analysierten Frauen ausmachen, und die sich von der eher passiven sowie nicht selbst bestimmten „Mitausreisenden Ehefrau“ deutlicher abheben. 4. Welche Erkenntnisse hat sie hinsichtlich öffentlicher Auftritte von sogenannten „Hasspredigern“ in Baden-Württemberg seit 2010 bzw. des Zusammenspiels von salafistischen Hasspredigern und der sogenannten „Rapper-Szene“ bzw. in Baden-Württemberg ansässiger Einzelpersonen oder Organisationen (beispielsweise Produktionsfirmen/Musikverlage), die zur Verbreitung extremistischen Gedankenguts im vorbeschriebenen Sinne beitragen? Zu I. 4.: In Baden-Württemberg fanden seit dem Jahr 2010 über 100 salafistische Veranstaltungen statt, bei denen etwa 15 salafistische Prediger auftraten, die in den Medien oftmals auch „Hassprediger“ genannt werden, wie z. B. Pierre Vogel oder Sven Lau. Eine Verbindung zwischen solchen „Hasspredigern“ und der islamistischen Rapper-Szene zur Verbreitung extremistischen Gedankenguts ist in BadenWürttemberg bislang nicht bekannt. Bei den Veranstaltungen handelt es sich vorwiegend um sogenannte „Islamseminare“, die für salafistische Islamvorstellungen werben. 5. Welche Erkenntnisse hat sie über die Existenz bzw. das Auftreten einer sogenannten „Scharia-Polizei“ in Baden-Württemberg bzw. in anderen Ländern? Zu I. 5.: Den Sicherheitsbehörden in Baden-Württemberg liegen bislang keine Hinweise auf die Existenz oder Tätigkeiten einer sogenannten „Scharia-Polizei“ im Land vor. Bundesweit bekannt wurde eine solche Gruppierung allerdings Anfang September 2014, als einige junge Männer, die dem islamistischen Spektrum zuzuordnen sind, mit orangefarbenen Warnwesten und der Aufschrift „Sharia Police“ in Wuppertal patrouillierten. Dabei sprachen sie junge Männer an, um sie zum richtigen Verhalten und Handeln im Sinne des Korans sowie zur Konvertierung zum Islam aufzurufen. Zudem verteilten sie Visitenkarten einer Wuppertaler Moschee, luden zum Islamunterricht sowie zum Freitagsgebet ein und erklärten Teile der Wuppertaler Innenstadt auf Flyern zur „Sharia Controlled Zone“. Diese Aktion wurde durch salafistische Anhänger gefilmt und zu Propagandazwecken im Internet veröffentlicht. Dort wurde die „Scharia-Polizei“ als neues „Da’wa“- (Missionierungs -)Projekt von Sven Lau vorgestellt, das auch von Pierre Vogel befürwortet wurde. Er forderte zudem zur Beteiligung an dem Projekt auf. Seitdem wurden keine weiteren Aktionen dieser Art bekannt. Zwischenzeitlich wurde das Tragen solcher Warnwesten mit dem Aufdruck „Sharia Police“ durch das Innenministerium Nordrhein-Westfalens untersagt. Das Tragen der Westen wurde von der Staatsanwaltschaft Wuppertal als ein Verstoß gegen das Uniformierungsverbot im Versammlungsgesetz bewertet. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 10 6. Welche präventiven und repressiven rechtlichen Möglichkeiten eines Einschreitens stehen gegen das Auftreten einer sogenannten „Scharia-Polizei“ (wie z. B. in Wuppertal) nach bundes- bzw. landesrechtlichen Vorgaben zur Verfügung? Zu I. 6.: Generell hängt das Einschreiten der Sicherheitsbehörden nach präventiven oder repressiven Rechtsgrundlagen vom konkreten Einzelfall ab und muss somit differenziert betrachtet werden. Ein präventivpolizeiliches Einschreiten setzt eine Gefährdung oder Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung voraus. Unter das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit fallen Verstöße gegen Verhaltenspflichten , die sich aus dem Straf- und Ordnungswidrigkeitsrecht ergeben, sowie die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Institutionen. Eine Gefährdung ist gegeben , wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem weiteren Geschehensverlauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führt, eine Störung liegt hingegen vor, wenn ein Schaden bereits eingetreten ist. Daneben wird strafbarem Verhalten mit konsequenter Strafverfolgung begegnet. Weiterhin muss bei behördlichem Einschreiten zwischen dem Vorliegen einer öffentlichen Versammlung, die durch das Versammlungsrecht besonders geschützt ist, oder einer Ansammlung unterschieden werden, auf die das Allgemeine Polizeirecht Anwendung findet. Das Bundesverfassungsgericht definiert als Versammlung im Sinne von Artikel 8 Absatz 1 GG „eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen , auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung“. Maßgeblich ist bei der in jedem Einzelfall vorzunehmenden Bewertung somit, ob das Auftreten der „Scharia-Polizei“ durch die gemeinschaftliche Kommunikation geprägt ist und diese auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielt. Am Merkmal der kollektiven Meinungskundgabe fehlt es z. B., wenn lediglich über die Scharia bzw. den Islam einseitig informiert werden soll. Liegen die Voraussetzungen für eine Versammlung hingegen vor, kann diese bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen in § 15 Versammlungsgesetz (VersG) grundsätzlich im Vorhinein verboten oder nach Versammlungsbeginn aufgelöst werden. Aufgrund der elementaren Bedeutung der Versammlungsfreiheit für die Demokratie ist dies nur unter engen Voraussetzungen möglich. Eine Versammlung kann demnach nur zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter und unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verboten bzw. aufgelöst werden . Vorrangig ist der Einsatz von Auflagen zu prüfen. Sind die Voraussetzungen einer Versammlung (noch) nicht erfüllt, und liegt durch das Auftreten einer „Scharia-Polizei“ eine Gefährdung oder Störung der öffent - lichen Sicherheit vor, können bei Ansammlungen nach pflichtgemäßem Ermessen alle polizeirechtlichen Maßnahmen auf Grundlage des Polizeigesetzes BadenWürttemberg (PolG BW) durchgeführt werden. Hierzu zählen beispielsweise das Erteilen von Platzverweisen und Aufenthaltsverboten, die Ingewahrsamnahme, die Durchsuchung von Personen und Sachen sowie die Beschlagnahme. Liegen den Sicherheitsbehörden bereits frühzeitig im Vorhinein – unabhängig von dem Vorliegen einer Versammlung oder Ansammlung – Erkenntnisse dahingehend vor, dass von einer Person eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, kann beispielsweise eine sogenannte Gefährderansprache auf Grundlage der polizeilichen Generalklausel (§§ 1, 3 PolG BW) erfolgen. Eine solche Ansprache soll auf das Verhalten des potenziellen Gefährders einwirken. Im Falle einer patrouillierenden „Scharia-Polizei“ sind weiterhin Straftaten wie z. B. Amtsanmaßung, Nötigung oder Bedrohung nach dem Strafgesetzbuch denkbar. Daneben kommen jedoch auch Straftaten nach dem Versammlungsgesetz , wie der Verstoß gegen das Uniformierungsverbot in Betracht, wenn die uniformierende Kleidung (Uniform, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke ) als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung und als Symbol organisierter Gewalt einschüchternd wirkt (§ 3 Absatz 1 VersG). Dann werden zur Aufklärung und Strafverfolgung alle im konkreten Einzelfall erforderlichen Maßnahmen auf Grundlage der Strafprozessordnung (StPO) getroffen, z. B. Be- 11 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 weismittel gesichert, Tatverdächtige identifiziert oder ggf. erkennungsdienstlich behandelt. Soweit das Verhalten einer „Scharia-Polizei“ sich jedoch im bloßen Werben für eine Religion oder (deren) Sitten- und Moralvorstellungen erschöpft, ist ein polizeiliches Einschreiten nicht möglich. Polizeiliches Handeln muss sich an rechtsstaatlichen Anforderungen messen lassen, insbesondere an den Grundrechten und verfassungsrechtlichen Wertmaßstäben. Aus diesem Grund dürfte auch die Annahme einer Störung oder Gefährdung der öffentlichen Ordnung in derartigen Fällen nur ausnahmsweise in Betracht kommen. Die öffentliche Ordnung umfasst die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung für ein geordnetes menschliches Zusammenleben angesehen wird. Eine Heranziehung des Schutzgutes der öffentlichen Ordnung könnte beispielsweise in Betracht kommen, wenn Personen durch ihr Auftreten in der Öffentlichkeit das Bild einer außerstaatlichen (Ordnungs-)Instanz erwecken und dies zu einer erheblichen Beunruhigung in der Bevölkerung führt. I I . E r k e n n t n i s s e ü b e r p a r a m i l i t ä r i s c h e b z w . t e r r o r i s t i s c h e A k t i v i t ä t e n r a d i k a l i s i e r t e r J u g e n d l i c h e r u n d E r w a c h s e n e r i m I n - u n d A u s l a n d 1. Wie viele radikalisierte Jugendliche und Erwachsene haben sich seit 2010 nach ihrer Kenntnis aus Baden-Württemberg zum Zwecke der Ausbildung in sogenannten „Terrorcamps“, der Beteiligung an kriegerischen Auseinandersetzungen oder der sonstigen Unterstützung terroristischer Vereinigungen, ins Ausland begeben bzw. befinden sich zurzeit zu einem dieser Zwecke noch im Ausland oder sind nach Deutschland zurückgekehrt? Zu II. 1.: Die deutschen Sicherheitsbehörden beobachten seit Jahren immer wieder Aus - reisewellen deutscher bzw. in Deutschland lebender Islamisten in Jihadgebiete. Dazu gehören u. a. Afghanistan/Pakistan, Nordafrika und seit dem Jahr 2011 verstärkt Syrien und der Irak. Derzeit stellen islamistisch bzw. jihadistisch motivierte Ausreisen in Richtung Syrien die größte Anzahl dar. Grundsätzlich können die Ausreise in Kampfgebiete und der Aufenthalt in Ausbildungslagern sowie die Teilnahme an kriegerischen Handlungen in vielen Fällen nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, weswegen insgesamt von einem nicht unerheblichen Dunkelfeld auszugehen ist. Zu 30 Personen aus Baden-Württemberg liegen den Sicherheitsbehörden des Landes Hinweise darauf vor, dass sie in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind, um dort an Kampfhandlungen teilzunehmen oder terroristische Handlungen in sonstiger Weise zu unterstützen. Bundesweit liegen zu mehr als 550 Personen mit steigender Tendenz entsprechende Erkenntnisse vor. Etwa ein Drittel der ausgereisten Personen dürfte zwischenzeitlich zumindest zeitweise nach Deutschland zurückgekehrt sein. Etwa 30 Personen, davon auch einige aus Baden-Württemberg stammende Personen, haben sich vermutlich aktiv am bewaffneten Widerstand in Syrien beteiligt. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat sich eine Person von ihnen vier Wochen in einem Ausbildungslager im türkisch-syrischen Grenzgebiet aufgehalten. Dennoch liegen zu der Mehrzahl der Rückkehrer keine Informationen vor. Mehr als 50 Personen, davon vier Personen aus BadenWürttemberg , wurden bislang in Kampfgebieten getötet, wobei es keine behörd - lichen Bestätigungen hierfür gibt. Die Sicherheitsbehörden sind weiterhin bestrebt , möglichst viele Ausreiseplanungen frühzeitig zu erkennen, um die Aus - reise zu unterbinden. Mithin konnten so Ausreiseversuche bundesweit im mittleren zweistelligen Bereich, fünf davon in Baden-Württemberg, durch behördliches Eingreifen verhindert werden. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 12 2. Welche Erkenntnisse liegen ihr darüber vor, wegen wie vieler extremistisch motivierter, insbesondere gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit sowie die Glaubensfreiheit von Menschen und/oder die Staatlichkeit Deutschlands oder anderer Staaten oder die Herabwürdigung der Herkunft und ethnischen Zugehörigkeit von Menschen gerichteter Straftaten im Sinne des oben dargestellten Rahmens (mit Angabe des jeweiligen Straftatbestand) von deutschen bzw. baden-württembergischen Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden und Gerichten Ermittlungs- bzw. Strafverfahren eingeleitet, durchgeführt und zum Abschluss gebracht wurden? Zu II. 2.: Als Grundlage für die Beantwortung der Fragestellung wurden bekannt gewor - dene und von baden-württembergischen Strafverfolgungsbehörden geführte Ermittlungsverfahren aus dem islamistischen Spektrum herangezogen. Wie bereits unter Abschnitt I (Ziffer 1) erwähnt, wurden in Baden-Württemberg seit dem Jahr 2010 insgesamt 107 Straftaten im Phänomenbereich „Islamismus/ Fundamentalismus“ polizeilich angezeigt. Dabei handelt es sich im Detail um folgende Gesetzesverstöße: Eine gesonderte statistische Erfassung der Ermittlungs- und Strafverfahren im Sinne der Fragestellung erfolgt im Rahmen der Strafverfolgungsstatistik nicht. Straftatbestände StGB Beschreibung Angezeigte Fälle § 86 a StGB Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 1 § 89 a StGB Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat 31 § 109 h StGB Anwerben für fremden Wehrdienst 1 § 111 StGB Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 3 § 126 StGB Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten 8 § 129 StGB Bildung einer kriminellen Vereinigung 1 § 129 a, b StGB Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland 12 § 130 StGB Volksverhetzung 12 § 131 StGB Gewaltdarstellung 1 § 164 StGB Falsche Verdächtigung 1 § 187 StGB Verleumdung 2 § 202 a StGB Ausspähen von Daten 1 § 224 StGB Gefährlich Körperverletzung 7 § 240 StGB Nötigung 1 § 241 StGB Bedrohung 5 § 261 StGB Geldwäsche 4 § 303 StGB Sachbeschädigung 7 Sonstige Verstöße Waffengesetz 3 Jugendschutzgesetz 1 Kriegswaffenkontrollgesetz 1 Außenwirtschaftsgesetz 1 Vereinsgesetz 1 Versammlungsgesetz 1 Völkerstrafgesetzbuch 1 13 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 Die Strafverfolgungsstatistik differenziert nach den Straftatbeständen des Strafgesetzbuchs und anderer Gesetze, die Straftatbestände enthalten. Einzelne Tatmodalitäten oder -motive werden nicht erfasst. Die statistischen Erhebungen der staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen Verfahrensstatistiken orientieren sich ebenfalls an Deliktsgruppen, somit erfolgt keine statistische Erfassung einer den einzelnen Straftaten zugrunde liegenden Tatmotivation. Jedenfalls wurden seit 2010 bei den baden-württembergischen Staatsanwaltschaften nach dort durchgeführten behördeninternen Umfragen bislang insgesamt 52 Ermittlungsverfahren geführt, die Straftatbestände nach §§ 89 a (Vorbereiten einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat), 89 b (Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat), 109 h (Anwerben für fremden Wehrdienst) und 129 StGB (Bildung krimineller Vereinigungen) zum Ermittlungsgegenstand hatten . Darüber hinaus wurde in Einzelfällen wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz, das Jugendschutzgesetz, das Waffengesetz sowie der Geldwäsche und der Volksverhetzung ermittelt. Bei der Betrachtung der Anzahl von polizeilichen bzw. staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren muss berücksichtigt werden, dass diese nicht zwangsläufig in Relation gesetzt werden dürfen. Grund hierfür ist u. a. die Tatsache, dass sich die rechtliche Einordnung eines Ermittlungsverfahrens im Laufe der Ermittlungen aufgrund neuer Erkenntnisse ändern kann, sodass dies sich mithin auf die Statistiken auswirkt. 3. Inwieweit werden nach ihrer Kenntnis Straftaten im vorbeschriebenen Sinne, welche entweder in Deutschland oder durch Deutsche oder durch Ausländer, die sich regelmäßig in Deutschland aufhalten, im Ausland begangen wurden, in der Statistik der Strafverfolgungsbehörden in einer gesonderten Rubrik erfasst und ausgewiesen? Zu II. 3.: Neben der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), die Straftaten aus dem Bereich der Allgemeinkriminalität erfasst, wird für die sogenannte Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) eine gesonderte polizeiliche Statistik geführt. Zur Abgrenzung dieser Straftaten besteht ein bundesweit gültiges Definitionssystem, worunter auch Straftatbestände zählen, die aus einer islamistisch geprägten Ideologie heraus begangen werden. Diese sind nach den „Richtlinien für den Kriminalpo - lizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch Motivierter Kriminalität“ (KPMDPMK ) meldepflichtig. Innerhalb der PMK werden Straftaten mit islamistischem Hintergrund der „Politisch Motivierten Ausländerkriminalität“ (PMAK) zugerechnet , die unabhängig von der Staatsangehörigkeit einer tatverdächtigen Person u. a. abbildet, inwieweit im Ausland begründete Ideologien nach Deutschland hineingetragen werden und schließlich hier die Motivation für Straftaten darstellen. Eine tiefergehende Klassifizierung islamistischer Straftaten erfolgt schließlich im bundesweit einheitlich festgelegten Themenfeld „Islamismus/Fundamentalismus“. Straftaten hingegen, die im Ausland verübt werden, werden statistisch nicht gesondert erfasst. Darüber hinaus erfolgt, wie bereits erwähnt, keine gesonderte Erfassung der in Rede stehenden Straftaten im Rahmen der Strafverfolgungsstatistik oder in staatsanwaltschaftlichen bzw. gerichtlichen Verfahrensstatistiken. 4. Ist ihr bekannt, welcher Nationalität die Beschuldigten der vorgenannten eingeleiteten und abgeschlossenen Ermittlungs- bzw. Strafverfahren seit 2010 angehörten und welcher Anteil hatte bzw. wie viele der Beschuldigten deutscher Staatsangehörigkeit hatten einen Migrationshintergrund? Zu II. 4.: Im Rahmen der von den Polizeibehörden des Landes gemeldeten 107 Ermittlungsverfahren wurden 154 Tatverdächtige ermittelt. Hiervon besitzen 86 Personen ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft, elf Personen die libanesische, zehn Personen die türkische, je fünf Personen die tunesische und die serbische, je vier Personen die irakische und die bosnische und je zwei Personen die afghanische und die syrische Staatsangehörigkeit. Zudem ist je eine Person sri-lanki- Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 14 scher, ägyptischer, russischer, österreichischer, indischer, mazedonischer, eritreischer , sudanesischer oder montenegrinischer Staatsbürger. Des Weiteren haben elf Personen außer der deutschen noch eine weitere Staatsangehörigkeit, wobei es sich um die türkische, syrische, bangladeschische, algerische, eritreische, kenianische , jugoslawische, libanesische oder israelische Staatsangehörigkeit handelt. Bei fünf Personen blieb die Staatsangehörigkeit unbekannt. Das Merkmal der deutschen Staatsangehörigkeit mit Migrationshintergrund wird in der polizei - lichen Statistik nicht ausgewiesen, weshalb hierzu keine validen Angaben gemacht werden können. Die von den Staatsanwaltschaften berichteten 52 Ermittlungsverfahren richteten sich gegen insgesamt 313 Beschuldigte, wovon 179 die deutsche Staatsangehörigkeit und hiervon wiederum 128 Personen einen Migrationshintergrund besitzen dürften. Das Merkmal der Staatsangehörigkeit wird ebenfalls weder in der Strafverfolgungsstatistik noch in den Verfahrensstatistiken der Staatsanwaltschaften oder der Gerichte erfasst. Die oben dargestellte Anzahl beläuft sich vielmehr auf aktuell veranlasste Aktenrecherchen, die nicht abschließend sein müssen. Aber auch hier muss ein Vergleich der insgesamt 154 polizeilich ermittelten Tatverdächtigen mit den 313 staatsanwaltschaftlich ermittelten Beschuldigten unterbleiben , da es im Falle von mehreren geführten Ermittlungsverfahren gegen eine Person zu Mehrfacherfassungen kommen kann. 5. Welche Erkenntnisse hat sie über den Einsatz (elektronischer) Medien bei Aufruf zu bzw. Vorbereitung und Begehung von Auslandsstraftaten oder ent - sprechenden Straftaten, die in Deutschland mit Strafe belegt sind? Zu II. 5.: Elektronische Medien werden von salafistisch geprägten Personen stark genutzt. Insbesondere extremistische Gruppierungen aber auch Einzeltäter nutzen immer intensiver und professioneller die Kommunikations- und Informationsformen des Internets zu Propagandazwecken, zur Agitation und zur Ideologieverbreitung. Aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten, u. a. der konspirativen und anonymen Kommunikation, sind besonders soziale Netzwerke attraktiv für alle islamistischen und jihadistischen Strömungen. So können neben virtuellen ebenso reale Netzwerke und Kontakte entstehen, um Spenden zu sammeln, Sympathisanten zu rekrutieren und ein virtuelles Trainings- und Ausbildungslager durchzuführen. Vor allem das soziale Netzwerk „Facebook“ spielt hierbei eine bedeutende Rolle. Inzwischen hat sich aber neben der hohen Anzahl islamistischer Seiten auch der Anteil deutsch- oder türkischsprachiger Propagandaschriften, Videos und Animationen deutlich erhöht. Vor allem die Darstellung von Macht, Geschlossenheit und Stärke in Form von Militärparaden, dem Posieren mit Waffen sowie Gewalttaten gegen Feinde sollen anziehend wirken. Damit einher geht eine hasserfüllte Verteufelung und Entmenschlichung des Gegners, der erniedrigt und getötet wird. Insbesondere das Videoportal „YouTube“ wird zur rasanten Verbreitung islamis - tischer Propaganda genutzt. Weiterhin kann auch ein Wachstum der herunterzuladenden Bücher und Texte von islamistischen Autoren und Gelehrten sowie der Nutzung von Smartphone-Applikationen wie WhatsApp, Instagram oder Telegram festgestellt werden. In Postings werben Kämpfer in martialischen Selbstdarstellungen offen für den gewaltsamen Jihad. Sehr emotional wirkt auch der Anschein einer möglichst authentischen Berichterstattung sowie des Miterlebens von Kampfhandlungen vor Ort. Darüber hinaus betreiben einige jihadistische Gruppierungen u. a. im Irak, in Sy - rien und in der afghanischen/pakistanischen Grenzregion eigene „Medienabteilungen “, die sie als Informationskanäle nutzen, um damit ein Gegengewicht zu der ihrer Auffassung nach einseitigen und lückenhaften westlichen Berichterstattung zu bilden. 15 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 I I I . E r k e n n u n g v o n u n d U m g a n g m i t R ü c k k e h r e r n 1. In welcher Weise werden Erkenntnisse zum religiös motivierten Extremismus bzw. zum Salafismus, insbesondere unterhalb der verfassungsschutzrechtlichen Beobachtungsschwelle, in Baden-Württemberg regelmäßig zwischen zuständigen Stellen gebündelt und landesintern bzw. mit anderen Ländern und dem Bund im Sinne einer Gefährdungslageeinschätzung abgestimmt bzw. ausgetauscht ? Zu III. 1.: Die Sicherheitsbehörden in Baden-Württemberg erlangen je nach ihrer Zuständigkeit unterschiedliche Erkenntnisse zum religiös motivierten Extremismus bzw. zum Salafismus. Beispielsweise dürfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz ungleich Polizeibeamten grundsätzlich keine Zwangsmaßnahmen durchführen. Erscheint ihnen aufgrund vorliegender Informationen ein polizeiliches Eingreifen erforderlich, so wird im Einzelfall die zuständige Polizeidienststelle unterrichtet. Zur weiteren Intensivierung der Zusammenarbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz und des Landeskriminalamtes erfolgte im Jahr 2012 die Einrichtung einer gemeinsamen Informations- und Analysestelle (GIAS). Sie soll die Informationsweitergabe garantieren, Schnittstellen schließen und die Zusammenarbeit unter Wahrung des Trennungsgebots verbessern . In regelmäßigen Sitzungen werden Informationen in den verschiedenen Phänomenbereichen ausgetauscht. So können frühzeitig phänomenbezogene Bedrohungs - und Gefährdungslagen erkannt und entsprechende Analysen erstellt werden . Dort erfolgen regelmäßig auch Gefährdungslageeinschätzungen im Phänomenbereich Islamismus. Aber auch auf operativer Ebene findet ein enger Austausch in der GIAS statt, sodass erforderliche Maßnahmen bereits im Vorhinein abgestimmt werden können. Insbesondere polizeiliche Erkenntnisse, die sich auf Veranstaltungen wie z. B. Aufzüge und öffentliche Versammlungen, Informa - tionsstände, Plakataktionen, Internetaufrufe oder Hinweise auf möglich extremis - tische Personen und Organisationen beziehen, sind für das Landesamt für Ver - fassungsschutz relevant. Auf Bundesebene findet ein entsprechender Informa - tionsaustausch im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ) in Berlin statt. Dort finden täglich Lagebesprechungen statt, an denen 40 Behörden, alle Landeskriminalämter und Landesämter für Verfassungsschutz sowie das Bundesamt für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst, der Militärische Abschirmdienst , die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt, die Bundesanwaltschaft , die Bundeszollverwaltung und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge , teilnehmen. Generell dürfen Erkenntnisse über islamistische Bestrebungen unterhalb der verfassungsschutzrechtlichen Beobachtungsschwelle aufgrund fehlender Rechtsgrundlagen dort nicht verarbeitet oder gespeichert werden. Im Rahmen von Tagungen im Verfassungsschutzverbund findet allerdings ein allgemeiner Austausch über derartige (neue) Trends oder Entwicklungen statt. Zudem besteht bei der Koordinationsstelle sogenannter Sekten und Psychogruppen des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport eine interministerielle Arbeitsgruppe, die Erkenntnisse zum religiösen Extremismus gemeinsam mit dem Innenministerium, Justizministerium, Sozialministerium, Ministerium für Finanzen und Wirtschaft, Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Staatsministerium und Integrationsministerium austauscht und in Kooperation bearbeitet. Darüber hinaus findet über die Koordinationsstelle regelmäßig Kontakt mit dem Bund-LänderGesprächskreis sogenannter Sekten und Psychogruppen statt, der mehrfach jährlich tagt und in den das Bundesverwaltungsamt und das Bundeministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend integriert sind. Von diesen Gremien werden entsprechende Gefährdungslageeinschätzungen fortwährend aktualisiert. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 16 2. Durch welche Maßnahmen stellt sie sicher, dass Beteiligte an der Vorbereitung oder Durchführung von Auslandsstraftaten den Sicherheitsbehörden im Land bekannt sind, dass eine Ausreise ausgeschlossen ist und dass bei einer Wiedereinreise ins Land Strafverfolgungsmaßnahmen bzw. bei entsprechender Schwere der Tat auch (vorübergehende) Festnahmen möglich sind? Zu III. 2.: Neben den in Abschnitt III, Ziffer 1, dargestellten Formen der Zusammenarbeit werden Erkenntnisse über Vorbereitungen und Durchführung von (Auslands-) Straftaten entsprechend bestehender Meldeverpflichtungen durch die Sicherheitsbehörden in Baden-Württemberg den zuständigen Stellen so schnell wie möglich mitgeteilt. Das Landeskriminalamt unterrichtet in Fällen mutmaßlicher terroristischer Aktivitäten die im GTAZ vertretenen Dienststellen sowie das Landesamt für Verfassungsschutz und koordiniert innerhalb der Polizei Baden-Württemberg den polizeilichen Informationsaustausch. Das Bundeskriminalamt unterrichtet bei entsprechenden Hinweisen auf Auslandsstraftaten auch ausländische Polizeidienststellen und einzelfallorientiert das Bundesamt für Verfassungsschutz sowie ausländische Nachrichtendienste. Mithin werden die an derartigen Straf taten beteiligten Personen entweder nach dem Gefahrenabwehrrecht mit präven tiven oder nach dem Strafprozessrecht mit repressiven Maßnahmen verfolgt. Die polizei - liche Vorgehensweise in Fällen terroristischer Aktivitäten wurde in bundeseinheitlichen Bekämpfungskonzepten niedergeschrieben, die festgelegte Standardmaßnahmen beinhalten, die es im Einzelfall zu prüfen gilt. Dazu gehört auch die Prüfung der Ausreiseverhinderung von radikalisierten und die Verhinderung der Wiedereinreise. Bei radikalisierten Ausländern wird die beim Innenministerium betriebene Arbeitsgruppe „Aufenthaltsbeendigung von als gefährlich einzustufender Ausländer“ informiert. Die Arbeitsgruppe hat den Auftrag, als gefährlich einzustufende Ausländer zu ermitteln, den Informationsaustausch der beteiligten Behörden zu koordinieren und dafür Sorge zu tragen, dass die erforder lichen ausländerrechtlichen Maßnahmen möglichst rasch ergriffen werden. Die Verhinderung der Ausreise gewaltbereiter Salafisten in Krisengebiete und die Wiedereinreiseverhinderung nach erfolgter Ausreise sind wesentliche Elemente zur Be - kämpfung des gewaltbereiten Salafismus. Bei radikalisierten Personen kann unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls eine Ausreiseuntersagung nach § 46 Abs. 2 AufenthG angeordnet werden. Bei bereits ausgereis ten Drittstaatsangehörigen besteht zur Verhinderung der Wiedereinreise insbesondere die Möglichkeit der Ausweisung der Betroffenen aus Deutschland unter den Voraussetzungen der §§ 53 ff. Aufenthaltsgesetz (AufenthG), insbesondere § 54 Nummer 5, 5 a und 5 b AufenthG zur Verfügung. Den Betroffenen ist die Wiedereinreise und der Aufenthalt in Deutschland verboten (§ 11 Absatz 1 AufenthG). Ausländer mit einem solchen Einreiseverbot werden schließlich im polizeilichen Informations - sys tem INPOL und im Schengener Informationssystem (SIS) zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben. Unabhängig davon kann auch eine Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im SIS gemäß Artikel 24 SIS II-Verordnung zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder die nationale Sicherheit in Betracht kommen. So können Drittstaatenangehörige, bei denen entweder ein Ausweisungsgrund vorliegt oder die Voraussetzungen für die Einreise nach Artikel 5 des Schengener Grenzkodexes nicht erfüllt sind, beispielsweise aufgrund einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, nach § 15 AufenthG an der Grenze zurückgewiesen werden. Bei bereits ausgereis ten Ausländern wird, sofern eine Ausweisung im Einzelfall mangels ausreichender verwertbarer Erkenntnisse nicht möglich ist, das Erlöschen des Aufenthaltstitels geprüft (§ 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG). Ein kraft Gesetzes erloschener Aufenthaltstitel wird im Sachfahndungsbestand von INPOL gemäß § 50 Abs. 6 AufenthG und dem SIS gemäß Art. 38 des Beschlusses 2007/533/JI ausgeschrieben, um eine Wiedereinreise zu verhindern. Bei Unionsbürgern besteht gemäß § 6 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) die Möglichkeit, aufgrund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einen Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt festzustellen. Dann darf der Betroffene weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten (§ 7 Absatz 2 FreizügG/EU). Diese Gründe können bereits bei der (Erst-)Einreise herangezogen werden. Die öffentliche Sicherheit ist u. a. dann gefährdet, wenn 17 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr gemäß § 6 Absatz 5 FreizügG/EU ausgeht. Bei deutschen Staatsangehörigen informieren in der Regel die Sicherheitsbehörden die zuständige Pass- und Personalausweisbehörde über eine bevorstehende oder bereits erfolgte Ausreise einer radikalisierten Person und regen eine ausreisebeschränkende Verfügung an. Daraufhin werden dort passentziehende oder pass - beschränkende Maßnahmen geprüft. Zudem sind effektive Grenzkontrollen unerlässlich , da die behördlich angeordneten Passversagungen/-entziehungen und Ausreiseuntersagungen an die zustände Bundespolizeibehörde übermittelt und im polizeilichen Grenzfahndungsbestand gespeichert werden. Ergänzend kann auch die Ausschreibung von ungültigen Reisedokumenten und relevanten Personen im SIS erfolgen, da für die Reisen in die Krisengebiete auch gezielt die offenen Grenzen des Schengen-Raums genutzt werden. Grundlage für die Prüfung der Pass- und Personalausweisbehörden sind das Personalausweisgesetz (PAuswG) sowie das Passgesetz (PassG). Erlangt die zuständige Passbehörde von Tatsachen Kenntnis, die die Annahme von Passversagungsgründen (§ 7 Absatz 1 PassG) rechtfertigen, hat sie den Pass zu versagen, soweit als milderes Mittel nicht eine räumliche oder zeitliche Beschränkung des Passes ausreicht. Die Beschränkung ist im Pass zu vermerken. Reicht eine Beschränkung nicht aus, kann ein Pass nach § 8 PassG auch entzogen werden. Bei radikalisierten Personen aus dem islamistischen Spektrum kommen als Passversagungsgründe insbesondere die Gefährdung der inneren und äußeren Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik (§ 7 Absatz 1 Nummer 1 PassG), die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nach § 89 StGB (§ 7 Absatz 1 Nummer 10 PassG) und die unbefugte Verpflichtung zum Wehrdienst außerhalb der Bundeswehr (§ 7 Absatz 1 Nummer 6 PassG) in Betracht. Anders als Reisepässe können Personalausweise nur eingezogen werden, wenn sie ungültig sind. Die zuständige Behörde kann jedoch im Einzelfall anordnen, dass der Personalausweis nicht zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland berechtigt (§ 6 Absatz 7 PAuswG in Verbindung mit § 7 Absatz 1 PassG). Diese Möglichkeit besteht unter anderem dann, wenn die betreffende Person die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vornehmen wird. Hierbei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung der Personalausweisbehörde . Nach der Rechtsprechung können die Unterstützung des militanten Jihad oder die Teilnahme an einem terroristischen Ausbildungslager die Ausreiseuntersagung rechtfertigen. Mit der Ausreiseuntersagung kann die räum - liche Gültigkeit von Personalausweisen auf das Inland beschränkt werden. Das Bundesministerium des Innern plant, das Personalausweisgesetz in der Art zu ändern, dass auch der Personalausweis gegen die Vergabe eines Ersatzdokumentes entzogen werden kann. Der Geltungsbereich dieses Dokuments soll auf Deutschland begrenzt sein. Eine Entscheidung hierüber steht noch aus. 3. Gibt es zwingende rechtliche Gründe, die dagegen sprechen, bei im Ausland inhaftierten Straftätern im oben genannten Sinne regelmäßig auf das Hinwirken auf eine Auslieferung nach Deutschland zu verzichten? Zu III. 3.: Die Auslieferung einer im Ausland inhaftierten Person nach Deutschland zum Zwecke der Strafverfolgung ist lediglich im Rahmen eines gegen diese Person in Deutschland geführten Ermittlungs- oder Strafverfahrens möglich. Ob im Einzelfall ein derartiges Ermittlungsverfahren eingeleitet werden kann, bestimmt sich nach §§ 4 und 7 StGB, die Regelungen dafür vorsehen, in welchen Fällen auf Auslandsstraftaten das deutsche Strafrecht Anwendung finden kann und infolgedessen eine Verfolgungszuständigkeit deutscher Strafverfolgungsbehörden besteht . Soweit in Deutschland ein Ermittlungsverfahren geführt wird, entscheidet die zuständige Staatsanwaltschaft, ob eine internationale Fahndung zum Zwecke der Festnahme und Auslieferung nach Deutschland veranlasst wird, sofern hinsichtlich dieser Taten ein nationaler Haftbefehl besteht. Eine gesetzliche Verpflich- Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 18 tung, eine Auslieferung eines im Ausland inhaftierten Beschuldigten zu betreiben, besteht für die Staatsanwaltschaften nicht. Zu beachten sind jedoch zum einen die entsprechenden bundeseinheitlichen Regelungen in den „Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren“, insbesondere in der hierzu ergangenen Anlage F „Richtlinien über die internationale Fahndung nach Personen, einschließlich der Fahndung nach Personen im Schengener Informationssystem“. Danach soll eine Ausschreibung zur Festnahme grundsätzlich immer in den Staaten der Europäischen Union, in Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz erfolgen . Zum anderen bestehen staatenspezifische Hinweise und Vorgaben der Bundesregierung . So ist bei einzelnen Staaten vor Einleitung einer Fahndung zum Zwecke der Auslieferung stets die Bundesregierung um Zustimmung zu ersuchen, bei anderen Staaten findet wiederum (derzeit) kein Auslieferungsverkehr statt. Sofern ein Auslieferungsersuchen an einen ausländischen Staat gestellt wird, ergeht die Entscheidung über das Ersuchen auf Grundlage der im Einzelfall anwendbaren bilateralen Verträge, multilateralen Übereinkommen oder – auf Ebene der Europäischen Union – supranationalen Rechtsakten. Bestehen keine völkerrechtlichen Rechtsgrundlagen, steht die Bewilligung der Auslieferung im Ermessen des ersuchten Staates. Für die Fälle der Auslieferung zum Zwecke der Strafvollstreckung einer in Deutschland gegen die im Ausland inhaftierte Person verhängten Freiheitsstrafe gelten die vorstehenden Ausführungen sinngemäß. 4. Inwieweit kann eine behördlich bekannte Radikalisierung einer Person einer möglichen Einbürgerung entgegengehalten werden bzw. zur Versagung derselben führen oder Grundlage für den Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit sein? Zu III. 4.: Voraussetzung für die Einbürgerung einer Person in Deutschland ist unter anderem , dass der Einbürgerungsbewerber sich glaubhaft zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennt und eine wahrheitsgemäße Loyalitätserklärung abgibt . Diese Voraussetzung würde bei radikalisierten Personen nicht zutreffen, sodass eine Einbürgerung abzulehnen ist (§ 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Staatsangehörigkeitsgesetz – StAG). Bei radikalisierten Personen, bei denen ausreichende Anhaltspunkte dahingehend vorliegen, dass sie sich einer als terroristisch eingestuften Organisation angeschlossen haben bzw. eine solche Organisation unterstützen , wäre sogar eine Einbürgerung explizit ausgeschlossen (§ 11 Satz 1 Nummer 1 StAG). Ferner ist ein Einbürgerungsverfahren auszusetzen, sobald der Behörde bekannt geworden ist, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Einbürgerungsbewerber eingeleitet worden ist. Eine rechtswidrige Einbürgerung kann darüber hinaus unter den engen Voraussetzungen des § 35 StAG innerhalb von fünf Jahren wieder zurückgenommen werden, wenn sie durch arg - listige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt worden ist. Straftaten oder Unterstützungshandlungen verfassungsfeindlicher Organisationen, die erst nach der Einbürgerung einer Person bekannt werden, können nur berücksichtigt werden, soweit sie zum Zeitpunkt der Einbürgerung vorgelegen haben. Nach § 28 StAG verliert ein Deutscher seine deutsche Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes dann, wenn er aufgrund freiwilliger Verpflichtung ohne eine Zustimmung des Bundesministeriums der Verteidigung oder der von ihm bezeichneten Stelle in die Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausländischen Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, eintritt. Diese Vorschrift ist jedoch nicht unmittelbar auf die radikalisierten Personen, die sich terroristischen Organisationen anschließen, anwendbar. Derzeit wird in Bezug auf Reisebewegungen von Personen in Krisenregionen möglicher gesetzlicher Anpassungsbedarf von der Bundesregierung geprüft. 19 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 I V . F r ü h e r k e n n u n g u n d P r ä v e n t i o n 1. Wie werden Radikalisierung und Extremismus an Schulen thematisiert? Zu IV. 1.: Schulen leisten einen wesentlichen Beitrag, Kinder und Jugendliche über Radikalisierung , extremistische Gefahren und extremistische Gewalt in unserer Gesellschaft aufzuklären, sie zu starken Persönlichkeiten zu machen und Tendenzen von Radikalisierung und Extremismus vorzubeugen. Dazu zählen auch Formen des religiös motivierten Extremismus. Dabei muss aber deutlich sein, dass Prävention von Extremismus und Radikalisierung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Ziel der schulischen Auseinandersetzung mit der Thematik ist es u. a., Schülerinnen und Schülern aus unterschiedlichen Perspektiven neben zentralen inhaltlichen Kategorien die grundlegende Bedeutung von Toleranz, solidarischem Verhalten und ethischer Verantwortung zu vermitteln, die für das Funktionieren und den Zusammenhalt einer demokratischen Gesellschaft unverzichtbar sind. Dadurch soll der Entwicklung radikaler und extremistischer Einstellungs- und Verhaltensmus - ter vorgebeugt werden. Das Thema „Extremismus“ spielt zum einen im Fachunterricht und in den Bildungsplänen aller allgemein bildenden und beruflichen Schulen eine Rolle. So sind beispielsweise im Bildungsplan 2010 der Werkrealschule für den Fächerverbund „Welt-Zeit-Gesellschaft“ die Inhalte „Extremismus und Terrorismus“ oder „Umgang mit Minderheiten“ genannt. Präventive Maßnahmen im schulischen Bereich müssen frühzeitig ansetzen und gehen über eine rein kognitive Wissensvermittlung im Rahmen des Fachunterrichts im engeren Sinne hinaus. Eine Schlüsselrolle spielen hier Programme und Projekte Sozialen Lernens. Dazu zählen beispielsweise Klassenrat, Schülermentorenprogramme oder schulische Mediationsverfahren . Die im Jahr 2004 eingeführten Bildungspläne ermöglichen breite Gestaltungsspielräume für Schulen. Auch in den neuen Bildungsplänen 2016 wird die Thematik eine zentrale Rolle spielen – exemplarisch wird in diesem Zusammenhang auf die Leitperspektiven „Prävention und Gesundheitsförderung“ oder „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“ verwiesen. Im Rahmen der jeweiligen Schulcurricula können z. B. Schulentwicklungsprojekte und Schulprogramme durchgeführt werden, die darauf abzielen, den Respekt vor Andersdenkenden und gewaltfreie Austragung von Konflikten in konkreten schulischen und außerschulischen Situationen zu fördern. Kultusministerium und Schulen in Baden -Württemberg haben gerade im Hinblick auf einschlägige Lern- und Arbeitsformen im Rahmen des BLK-Projekts „Demokratie lernen und leben“ (bis 2007) nicht nur Erfahrungen gesammelt, sondern auch substanzielle Beiträge z. B. in Form von Praxisbausteinen geliefert. In der Nachfolge dieses Projekts unterstützt das Kultusministerium Maßnahmen an Schulen beispielsweise zum sogenannten „Service Learning“ u. a. Die Koordinationsstelle im Kultusministerium für sogenannte Sekten und Psychogruppen entwickelt derzeit in Zusammenarbeit mit der Jugendstiftung BadenWürttemberg ein Bildungsmodul mit dem Arbeitstitel „Jugend stärken“ – JUST. Hierbei sollen außerschulische Multiplikatoren im Benehmen mit schulischen Ansprechpartnern von der Jugendstiftung BW qualifiziert werden. Das Ziel der Qualifizierung ist die Unterstützung Jugendlicher bei der Entwicklung und Stärkung von Resilienz im Blick auf Gefährdungen durch religiösen und psychomanipulativ agierenden Extremismus. Entsprechende Bildungsmodule sollen im Rahmen der Ganztagsschule im außerunterrichtlichen Bereich angeboten werden. Die Konzeptentwicklung basiert auf dem Ansatz des „Philosophieren(s) mit Kindern und Jugendlichen“ und zielt darauf, die Gefahren des religiösen Extremismus und psychomanipulativ agierender Gruppen zu thematisieren und die Jugendlichen zur konstruktiven Achtsamkeit anzuleiten. Hierbei sollen klassische philosophische Fragestellungen wie Gerechtigkeit, Self-Improvement, Sinnfrage, Selbstkonzept etc. pädagogisch sachgerecht vermittelt werden. Im Hinblick auf Präventionsarbeit gegen Extremismus sind Schulen und Kultusministerium in besonderem Maße auf die Expertise von externen Partnern angewiesen . So hat Baden-Württemberg mit dem Projekt „Team meX – Mit Zivilcou- Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 20 rage gegen Extremismus“ der Landeszentrale für politische Bildung (LpB) als erstes Bundesland eine landesweite Initiative gestartet, um über Propagandastrate - gien und Attraktivitätspotenziale islamistischer und rechtsextremistischer Szenen bei Jugendlichen zu informieren. Das von der Baden-Württemberg Stiftung finanzierte Projekt der LpB wird seit November 2010 in Kooperation mit dem Landesamt für Verfassungsschutz durchgeführt. Die Präventions- und Aufklärungsarbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz im Bereich Rechtsextremismus wurde nach der Aufdeckung der Taten der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund “ (NSU) intensiviert. Sie richtet sich an Schulen und andere staatliche Einrichtungen , zivilgesellschaftliche Akteure sowie an Bürgerinnen und Bürger. Für Informationsveranstaltungen in den verschiedenen Extremismusbereichen stehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz zur Verfügung. Mit dem Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ unterstützen Kultus- und Integrationsministerium eine frühzeitige Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit . Ziel des Projekts ist, Schülerinnen und Schüler bei selbst bestimmten Aktivitäten gegen Diskriminierung und Gewalt an ihrer Schule zu unterstützen . Um Teil des bundesweiten Netzwerks „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ zu werden, müssen 70 Prozent der Schülerschaft und der an der Schule tätigen Personen unterschreiben, dass sie sich gegen jegliche Form der Diskriminierung an ihrer Schule einsetzen und einmal im Jahr einen Projekttag zu diesem Thema durchführen. Außerdem müssen die Schülerinnen und Schüler Projekt - patinnen und -paten gewinnen. Aktuell gehören in Baden-Württemberg über 110 Schulen dem Netzwerk an. Einen ähnlichen präventiven Ansatz wie das Schulnetzwerk verfolgt auch das internationale Theaterprojekt „Instant Acts gegen Gewalt und Rassismus“. Im Rahmen von Projekttagen setzen sich Schülerinnen und Schüler zwischen 13 und 18 Jahren mit anderen Kulturen auseinander und entwickeln eine stärkere Akzeptanz und einen größeren Respekt. Das Integrationsministerium fördert das Projekt seit dem Jahr 2012. Seitdem wurden neun Projekt - tage an baden-württembergischen Schulen und in der Justizvollzugsanstalt Adelsheim angeboten. Teilgenommen haben daran über 1.000 Jugendliche und 2.000 Zuschauerinnen und Zuschauer. Im Jahr 2014 sind weitere acht Projekttage vorgesehen . Außerdem unterstützt das Integrationsministerium zusammen mit dem Kultusministerium seit dem Jahr 2014 das Anti-Rassismus- und Gewaltpräventionsprojekt „Schritte gegen Tritte“. Das Projekt simuliert unter anderem Ausgrenzungserfahrungen . Dadurch werden die Jugendlichen sensibilisiert, ihr Interesse gefördert und Empathie geweckt. Ziel ist, bis Ende des Jahres 2016 insgesamt rund 60 Projekttage in ganz Baden-Württemberg durchzuführen. Das polizeiliche Präventionsangebot zur Verhinderung von Politisch motivierter Kriminalität, wozu auch Veranstaltungen zum Thema „Islamismus“ gehören, wird auf Anfrage landesweit angeboten. In der Regel sind die meisten dieser Veranstaltungen auf die Zielgruppe „Junge Menschen“ ausgerichtet oder finden im Kontext von Schulen statt. Weitere präventivpolizeiliche Maßnahmen, insbesondere zur Sensibilisierung, werden von den polizeilichen Staatsschutzdienststellen durchgeführt. In Baden-Württemberg wird derzeit – insbesondere für Pädagogen – das Medienpaket „Mitreden!“ des Programms Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) angeboten, das von weiteren Medien für Multiplikatoren unterstützt wird. Das Medienpaket enthält zwei Filme zur Islamismusprävention. Die Filme bieten pädagogische Anknüpfungspunkte zur Diskussion mit Jugend - lichen. Das Präventionskonzept „stark.stärker.WIR“ des Kultusministeriums bietet einen geeigneten Rahmen, um durch eine Einbettung eine Verbesserung der Wirksamkeit von präventiven Maßnahmen im Sinne von nachhaltiger und zielgerichteter Prävention zu erreichen. Das Präventionskonzept „stark.stärker.WIR.“ steht seit Beginn des Schuljahres 2012/2013 allen Schulen in Baden-Württemberg zur Verfügung . Das Konzept zielt in erster Linie auf die Förderung von Lebenskompetenzen ab und möchte Schülerinnen und Schüler in ihrer Persönlichkeitsentwicklung stärken. Schulen werden bei der Umsetzung des Rahmenkonzeptes durch Beratung und Fortbildung von den Präventionsbeauftragten der Regierungspräsidien 21 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 unterstützt. Bei Fragen zu speziellen Themen können sich Lehrkräfte auch an das Kontaktbüro Prävention beim Kultusministerium wenden. Die Schulen in Baden-Württemberg werden zudem anlassbezogen, beispielsweise über elektronische Infodienste des Kultusministeriums, auf besorgniserregende Sachverhalte, die gehäuft im schulischen Bereich beobachtet werden, hingewiesen . So wurden etwa in mehreren Infodiensten („Infodienst Schulleitung“ 228/Januar 2014 und 237/Juli 2014 sowie „Infodienst Schule“ 74/September/Oktober 2014) Hinweise des Innenministeriums auf mögliche Ausreisebestrebungen radikalisierter schulpflichtiger Personen nach Syrien veröffentlicht, die u. a. auf Beratungs - und Präventionsangebote sowie Informationen zur Früherkennung von Radikalisierungsprozessen des Landesamtes für Verfassungsschutz hinweisen. 2. Durch welche Maßnahmen werden insbesondere Lehr- und Ausbildungskräfte sowie Jugendämter in der Erkennung von Anzeichen, die auf eine Radikalisierung hindeuten, geschult? Zu IV. 2.: In zweijährigem Abstand führt die Koordinationsstelle sogenannter Sekten und Psychogruppen an der Landesakademie Bad Wildbad Lehrerfortbildungen durch, die Lehrkräfte aller Schularten im Blick auf die Gefährdung von Schülerinnen und Schülern durch sog. Sekten und Psychogruppen qualifizieren sollen. Thema der nächsten Fortbildung vom 4. bis 6. März 2015 ist „Die Gefährdung Jugend - licher durch sogenannte Sekten und Psychogruppen im Kontext einer säkularisierten Gesellschaft“. Im Rahmen der Lehrerausbildung lernen die Absolventen der Lehramtsstudiengänge insbesondere in den Bildungswissenschaften Theorien zur Entstehung und Veränderung von Einstellungen kennen. Dabei wird auch thematisiert , unter welchen Bedingungen Einstellungen zu Verhalten führen, z. B. im Bereich der Demokratieerziehung und Gewaltprävention. In den anschließenden Vorbereitungsdiensten an den Staatlichen Seminaren für Didaktik und Lehrerbildung aller Schularten werden diese Kenntnisse aufgenommen, vertieft und im schulpraktischen Einsatz konkret umgesetzt. Schwerpunkte liegen hier im Bereich der Intervention bei Verhaltensauffälligkeiten oder der Kooperation mit Eltern. Im Bereich der Lehrerfortbildung bieten speziell qualifizierte Lehrkräfte als sogenannte Demokratieberaterinnen und -berater landesweite Fortbildungen u. a. für Verbindungslehrerinnen und -lehrer an. Der Schwerpunkt liegt auf der Vermittlung von Formen des demokratischen Umgangs miteinander, des Aufbaus von Zivilcourage , des Verhandelns und Debattierens oder der Lösung von Konflikten ohne Gewalt („KEEP COOL!“, „ABS – Anti-Bullying-Strategie“, „Klassenrat“, „KMDD – Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion“ etc.). In Fachfortbildungen werden ethische und religionsphilosophische Fragen, der Einfluss und die Herausforderungen von Social Media sowie von Gewalt, Terror, Extremismus und Krieg thematisiert und diskutiert, wie eine gelingende Auseinandersetzung mit diesen Fragen in Unterricht und Schulleben aussehen kann. Im Rahmen des Projekts „Team meX – Mit Zivilcourage gegen Extremismus“ (vgl. Ziff. IV. 1) werden Lehrkräfte sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Jugendeinrichtungen durch Fortbildungen und Fachvorträge darüber informiert, wie demokratiefeindliche, islamistische Überzeugungen bei jungen Menschen erkannt werden und wie diesen vorgebeugt werden kann – ohne dabei ihre Religion in Frage zu stellen. Die Veranstaltungen finden auf Anfrage vor Ort in Schulen, Einrichtungen der offenen und verbandlichen Jugendarbeit, in Kommunen und bei Vereinen in ganz Baden-Württemberg statt. Das Beratungsnetzwerk „kompetent vor Ort. für Demokratie – gegen Rechtsextremismus “, das bei der Jugendstiftung Baden-Württemberg in Kooperation mit der Landesarbeitsgemeinschaft Offene Jugendbildung Baden-Württemberg e. V. angesiedelt ist, hat die Thematik religiös motivierter Extremismus – insbesondere Salafismus – seit Juni 2014 aufgrund einer Bedarfsermittlung im Beratungsnetzwerk aufgegriffen. Hierbei werden Beraterinnen und Berater zum Thema Jugendszenen zwischen Islam und Islamismus geschult. Das Beratungsnetzwerk hat einen breiten Aktionsradius. Es werden Einzelpersonen, Fachkräfte der Kinderund Jugendarbeit, Institutionen, Träger und Organisationen beraten, die mit Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 22 Rechtsextremismus und anderen menschenverachtenden Einstellungen und Handlungen zu tun haben oder sich dagegen engagieren wollen. Dazu gehören beispielsweise Vereine, Initiativen, Betriebe, Schulen, Einrichtungen der Kinderund Jugendarbeit, Gemeinderäte oder Verwaltungen. 3. Welche besonders gekennzeichneten bzw. einfach zu erkennenden, wirksamen Wege (z. B. persönliche Ansprechpartner, Hotlines, E-Mail/Internet) bestehen insbesondere für Lehr- und Ausbildungskräfte, Träger von Moscheevereinen sowie Jugendsozialarbeiter, aber auch sonstige Privatpersonen, insbesondere mögliche Aussteiger, um Hinweise auf religiös motivierte, extremistische bzw. radikale Aktivitäten an die zuständigen Stellen (ggf. auch vertraulich, d. h. ohne Angaben zur eigenen Person) weiterzugeben? Zu IV. 3.: In Baden-Württemberg stehen verschiedene einfache, bekannte und bewährte Wege zur Verfügung, um Hinweise auf entsprechende Aktivitäten zu geben. An erster Stelle müssen hier die Polizeibehörden genannt werden, an die sich jede Bürgerin oder jeder Bürger mit ihrem oder seinem Anliegen wenden kann. Darüber hinaus stehen vertrauliche Hinweistelefone beim Landesamt für Verfassungsschutz u. a. für den Bereich Islamismus mit deutschem, englischen, türkischen und arabischen Sprachangebot zur Verfügung. Eine weitere Möglichkeit der anonymen Kontaktaufnahme zu Sicherheitsbehörden besteht über das vertrauliche Hinweisaufnahmesystem des Landeskriminalamtes. Zudem bietet das im Rahmen der mehrjährigen Initiative „Polizei und Moscheevereine“ gewachsene Vertrauen eine gute Grundlage, um Hinweise aus den Vereinen an die jeweils betreuende Polizeidienststelle oder die „Geschäftsstelle Moscheevereine“ beim Landeskriminalamt weiterzugeben. Auf Bundesebene unterhält das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seit geraumer Zeit die „Beratungsstelle Radikalisierung“. Dieses Angebot richtet sich vor allem an „Umfeldpersonen“, d. h. insbesondere an Familienangehörige und nahe Bekannte von Personen, die sich im Prozess der Radikalisierung befinden. Hierzu bietet das BAMF für den Erstkontakt eine zentrale Hotline oder die Kontaktaufnahme via E-Mail an. Darüber hinaus stehen weitere freie Träger und Nichtregierungsorganisationen (NGO) als Ansprechpartner zur Verfügung . Ein vollständiger Überblick liegt hier nicht vor. Regelmäßig sind diese Angebote über das Internet oder Hotlines verfügbar, persönliche Ansprechpartner sind meist ausgewiesen. 4. Inwieweit plant sie, das Thema der Radikalisierung im Rahmen der Arbeiten des Runden Tisch Islam aufzurufen? Zu IV. 4.: Die Radikalisierung muslimischer Jugendlicher stand im Mittelpunkt der siebten Sitzung des Runden Tisches Islam am 20. Oktober 2014 zum Thema „Integration des Islam in Deutschland und Innere Sicherheit“. Das Gremium beschäftigte sich unter Beteiligung von Islamismus-Experten aus Wissenschaft und Praxis mit den Ursachen, Erscheinungsformen und Auswirkungen von islamistischem Extremismus und beriet über sinnvolle Bekämpfungsstrategien. Zur Verhinderung von Radikalisierungen bei muslimischen Jugendlichen wurden insbesondere bewährte Präventionsprojekte herausgestellt sowie eine stärkere Vernetzung und Koordinierung der bestehenden Angebote diskutiert. Nach dem Willen der Landesregierung sollen zudem Migrantenorganisationen zu einem selbstverständlichen Teil der Kinder- und Jugendarbeit werden. Das Integrationsministerium setzt sich speziell für die interkulturelle Öffnung von Verbänden und Vereinen ein und unterstützt Institutionen mit dem Qualifizierungsprogramm „MEMO – Management & Empowerment in Migrantenorganisationen“. Der Runde Tisch Islam hat sich seit seiner ersten Zusammenkunft wiederholt Fragen gewidmet, die im Zusammenhang mit einem Bekenntnis zum Rechtsstaat und mit der Stärkung muslimischer Jugendlicher auf ihrem Weg zur Mündigkeit in ei- 23 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 ner freiheitlich-demokratischen Gesellschaft stehen (vgl. Drs. 15/4026). Beispielsweise war der Ausbau des islamischen Religionsunterrichts Gegenstand mehrerer Sitzungen. Bereits in der ersten Sitzung am 24. November 2011 wurde gemeinsam mit christlichen Kirchen und jüdischen Verbänden eine Erklärung „Bündnis gegen Menschenfeindlichkeit“ verabschiedet. Bei der zweiten Sitzung am 3. Mai 2012 bekannte sich das Gremium aus Anlass des seinerzeit in der Presse stark präsenten Konfliktthemas „Friedensrichter“ einstimmig zur staatlichen Rechtsprechung. Fragen der Rechte und Gleichstellung von Frauen waren Diskussionsthema der dritten Sitzung am 8. Oktober 2012, und in seiner vierten Sitzung am 18. April 2013 befasste sich der Runde Tisch Islam mit den Lebenswelten junger Muslime. 5. Durch welche Maßnahmen, Aufrufe und Äußerungen unterstützt sie öffentlich die Hilfe der Bevölkerung bei der frühzeitigen Erkennung möglicher Extremismus - bzw. Radikalisierungsaktivitäten? Zu IV. 5.: Das Landesamt für Verfassungsschutz klärt auf dem Feld des Salafismus kontinuierlich in seinen Jahresberichten seit dem Jahr 2004 und in zahlreichen öffent - lichen Vorträgen nicht nur über die Möglichkeiten zum Erkennen entsprechender Aktivitäten, sondern auch über die jeweils aktuellen Entwicklungen auf. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz nehmen an entsprechenden wissenschaftlichen Diskursen teil und unterstützen mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung diese Aufklärungsbemühungen. In zahlreichen Sensibilisierungsveranstaltungen schulen die Expertinnen und Experten die unterschiedlichsten Zuhörerkreise in den Bemühungen um frühzeitiges Erkennen von Radikalisierungstendenzen . Auch Ausstellungen sowie zahlreiche Pressegespräche und -interviews dienen diesem Ziel. Ferner wurden im Oktober 2014 gemeinsam mit dem Landeskriminalamt im Rahmen einer Sensibilisierungskampagne Veranstaltungen für polizeiliche Jugendsachbearbeiter unter dem Thema „Salafismus – Früherkennung von Radikalisierungstendenzen“ durchgeführt. Im Rahmen der polizeilichen (kriminalpräventiven) Öffentlichkeitsarbeit wird auf drohende Kriminalitätsgefahren, auf polizeiliche Ermittlungsansätze und auf Präventionsansätze hingewiesen. In den Jahresberichten des Landeskriminalamtes zur Politisch motivierten Kriminalität wird ebenso auf Gefahren islamistischer und salafistischer Strömungen aufmerksam gemacht. Auch der bereits unter Abschnitt IV (Ziffer 3) benannte enge Kontakt der Polizei mit Muslimen und Moscheevereinen bietet Ansatzpunkte für Hinweise aus diesen Kreisen zur frühzeitigen Erkennung möglicher Extremismus- bzw. Radikalisierungsak - tivitäten. Darüber hinaus wird in Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern wie der Ak - tion Bildungsinformation in Stuttgart und der Parapsychologischen Beratungsstelle in Freiburg sowie Betroffeneninitiativen und weiteren staatlichen und kirch - lichen Beratungsstellen, ein relativ dichtes Netz an Beratungsadressen gebildet, das u. a. durch die Koordinationsstelle sogenannter Sekten und Psychogruppen kommuniziert und koordiniert wird. Ein Flyer und die Internetpräsenz der Koordinationsstelle im Kultusportal informieren die Öffentlichkeit über Kriterien von Radikalisierung und Möglichkeiten der Hilfe und Beratung. 6. Ist ihr die Arbeit des Hessischen Informations- und Kompetenzzentrums gegen Extremismus beim dortigen Innenministerium bekannt bzw. was spricht für die Einrichtung einer entsprechenden Organisation in Baden-Württemberg? Zu IV. 6.: Der Landesregierung ist die Einrichtung des Hessischen Informations- und Kompetenzzentrums gegen Extremismus (HKE) zur Aufarbeitung der dort überdurchschnittlich aktiven salafistischen Szene bekannt. An den entsprechenden Arbeitssitzungen zum Aufbau des HKE und in den Gremien, in denen die Arbeit des HKE vorgestellt wurde, war das baden-württembergische Landesamt für Verfas- Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 24 sungsschutz beratend beteiligt. Aus dem HKE wurde das „Präventionsnetzwerk gegen Salafismus“ entwickelt. Darin arbeiten das HKE und der Verein „Violence Prevention Network“ (VPN) zusammen, um Präventions- und Interventionsmaßnahmen zu verstärken. Dabei sollen z. B. Informationsveranstaltungen mit der Lehrerschaft, Gefängnispersonal oder Moscheegemeinden durchgeführt, Angehörige und Bekannte radikalisierter Jugendlicher beraten oder ein direkter Dialog mit den Radikalisierten geführt werden, um eine Distanzierung von extremis - tischem Gedankengut anzustoßen und zu verstetigen. In Bund und Ländern bestehen verschiedene Präventions- und Interventionskonzepte im Bereich Islamismus. So verfügt Baden-Württemberg beispielsweise mit dem Projekt „Team meX – Mit Zivilcourage gegen Extremismus“ über ein bundesweit einzigartiges Modellprojekt, das vor Ort Fortbildungen und Fachvorträge anbietet, um in der Jugend- und Bildungsarbeit Tätige für das Themenfeld „Islamistischer Extremismus“ zu sensibilisieren und eine Diskussion über Handlungsmöglichkeiten im praktischen Umgang mit dem Phänomen zu ermöglichen. Die Schaffung eines Kompetenzzentrums wie in Hessen stellt eine weitere Möglichkeit dar, die bestehenden Präventionsbemühungen von Polizei und Verfassungsschutz auszubauen. Hierfür sind aus Sicht des Innenministeriums allerdings entsprechendes Personal und finanzielle Ressourcen erforderlich. 7. Ist ihr bekannt, in wie vielen Fällen durch deutsche Behörden insgesamt bzw. insbesondere durch baden-württembergische Behörden eine Ausreisesperre verfügt bzw. Erkenntnisse weitergegeben wurden, welche zum Erlass einer Aus reisesperre führten? Zu IV. 7.: In Baden-Württemberg wurden seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über den elektronischen Personalausweis im Jahr 2010 insgesamt elf Ausreisesperren durch Pass- und Personalausweisbehörden gegenüber radikalisierten Personen aus dem islamistischen Spektrum erlassen. Aufgrund polizeilicher Ermittlungsverfahren wurden seit Oktober 2010 insgesamt vier Ausreiseuntersagungen von Zielpersonen im Phänomenbereich Islamismus verfügt. Bei den betroffenen Personen handelt es sich ausschließlich um männliche Personen. Wie bereits in der Antwort zu Abschnitt III (Ziffer 2 und 3) dargestellt, dürfen gemäß § 6 Absatz 8 PAuswG behördlich erlassene Ausreiseuntersagungen im polizeilichen Grenzfahndungsbestand gespeichert werden. Aufgrund dessen, dass die Bundespolizei ausschließlich dem Kontrollrecht und dem damit verbundenen korrelierenden Fragerecht des Deutschen Bundestages unterliegt, wurden ent sprechende Erkenntnisse über Ausreisesperren von dort nicht übermittelt, sodass dazu keine Aussage getroffen werden kann. Darüber hinaus wird auf die Bundestagsdrucksache 18/2383 „Die Gruppierung Islamischer Staat im Irak und Groß syrien und Maßnahmen der Bundesregierung gegen djihadistische SyrienRückkehrer “ (Ziffer 16) verwiesen. Demnach seien seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges zwischen September 2009 und August 2014 bundesweit 30 Personen an der Ausreise aus Deutschland in Richtung Jihad-Gebiete gehindert worden . 8. Wie viele Stellen sind im Landesamt für Verfassungsschutz in den Jahren 2010, 2011, 2012, 2013 und 2014 insgesamt sowie insbesondere der Bekämpfung von Linksextremismus, Rechtsextremismus und religiös motivierten Extremismus, insbesondere Salafismus, jeweils zugewiesen (gewesen)? Zu IV. 8.: Die Personalstellen des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg sind im Haushaltsplan des Landes ausgewiesen. Danach waren dem Amt in den Jahren 2010 bis 2014 die folgenden Personalstellen zugewiesen: 25 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 5880 Die Zuteilung der Personalstellen zu den einzelnen Arbeitsbereichen des Landesamtes für Verfassungsschutz ist grundsätzlich geheimhaltungsbedürftig, da aus der Veröffentlichung Rückschlüsse auf die interne Ausstattung und Arbeitsweise gezogen werden könnten. Exemplarisch können jedoch Angaben zum Bereich der Bekämpfung des religiös motivierten Extremismus gemacht werden. Die Bearbeitung des Phänomenbereichs Islamismus fällt schwerpunktmäßig in die Zuständigkeit der Abteilung „Internationaler Extremismus und Terrorismus“. Das dem Phänomenbereich Islamismus innerhalb dieser Abteilung zuzurechnende PersonalSoll in den Jahren 2011 bis 2014 lag bei rund 40 Vollzeitäquivalenten (VZÄ). Dieser Wert unterlag in diesem Zeitraum geringfügigen Veränderungen (minus 2,5 VZÄ). Zudem gibt es innerhalb des Landesamtes für Verfassungsschutz mehrere Querschnittseinheiten, in denen fachliche Aufgaben auch für den Bereich Islamismus wahrgenommen werden. Eine detailliertere Darstellung ist aus den oben dargestellten Gründen nicht möglich. Gall Innenminister Jahr Personalstellen 2010 337 2011 338 2012 338 2013 337 2014 337 << /ASCII85EncodePages false /AllowTransparency false /AutoPositionEPSFiles true /AutoRotatePages /None /Binding /Left /CalGrayProfile (None) /CalRGBProfile (sRGB IEC61966-2.1) /CalCMYKProfile (U.S. Web Coated \050SWOP\051 v2) /sRGBProfile (sRGB IEC61966-2.1) /CannotEmbedFontPolicy /Warning /CompatibilityLevel 1.6 /CompressObjects /Off /CompressPages true /ConvertImagesToIndexed true /PassThroughJPEGImages false /CreateJobTicket false /DefaultRenderingIntent /Default /DetectBlends true /DetectCurves 0.1000 /ColorConversionStrategy /LeaveColorUnchanged /DoThumbnails false /EmbedAllFonts true /EmbedOpenType false /ParseICCProfilesInComments true /EmbedJobOptions true /DSCReportingLevel 0 /EmitDSCWarnings false /EndPage -1 /ImageMemory 524288 /LockDistillerParams true /MaxSubsetPct 100 /Optimize true /OPM 1 /ParseDSCComments false /ParseDSCCommentsForDocInfo true /PreserveCopyPage true /PreserveDICMYKValues true /PreserveEPSInfo true /PreserveFlatness true /PreserveHalftoneInfo false /PreserveOPIComments true /PreserveOverprintSettings true /StartPage 1 /SubsetFonts true /TransferFunctionInfo /Preserve /UCRandBGInfo /Preserve /UsePrologue false /ColorSettingsFile () /AlwaysEmbed [ true ] /NeverEmbed [ true ] /AntiAliasColorImages false /CropColorImages true /ColorImageMinResolution 150 /ColorImageMinResolutionPolicy /OK /DownsampleColorImages true /ColorImageDownsampleType /Bicubic /ColorImageResolution 300 /ColorImageDepth 8 /ColorImageMinDownsampleDepth 1 /ColorImageDownsampleThreshold 1.50000 /EncodeColorImages true /ColorImageFilter /FlateEncode /AutoFilterColorImages false /ColorImageAutoFilterStrategy /JPEG /ColorACSImageDict << /QFactor 0.40 /HSamples [1 1 1 1] /VSamples [1 1 1 1] >> /ColorImageDict << /QFactor 0.76 /HSamples [2 1 1 2] /VSamples [2 1 1 2] >> /JPEG2000ColorACSImageDict << /TileWidth 256 /TileHeight 256 /Quality 15 >> /JPEG2000ColorImageDict << /TileWidth 256 /TileHeight 256 /Quality 15 >> /AntiAliasGrayImages false /CropGrayImages true /GrayImageMinResolution 150 /GrayImageMinResolutionPolicy /OK /DownsampleGrayImages true /GrayImageDownsampleType /Bicubic /GrayImageResolution 600 /GrayImageDepth 8 /GrayImageMinDownsampleDepth 2 /GrayImageDownsampleThreshold 1.50000 /EncodeGrayImages true /GrayImageFilter /FlateEncode /AutoFilterGrayImages false /GrayImageAutoFilterStrategy /JPEG /GrayACSImageDict << /QFactor 0.40 /HSamples [1 1 1 1] /VSamples [1 1 1 1] >> /GrayImageDict << /QFactor 0.76 /HSamples [2 1 1 2] /VSamples [2 1 1 2] >> /JPEG2000GrayACSImageDict << /TileWidth 256 /TileHeight 256 /Quality 15 >> /JPEG2000GrayImageDict << /TileWidth 256 /TileHeight 256 /Quality 15 >> /AntiAliasMonoImages false /CropMonoImages true /MonoImageMinResolution 1200 /MonoImageMinResolutionPolicy /OK /DownsampleMonoImages true /MonoImageDownsampleType /Bicubic /MonoImageResolution 600 /MonoImageDepth -1 /MonoImageDownsampleThreshold 1.50000 /EncodeMonoImages true /MonoImageFilter /CCITTFaxEncode /MonoImageDict << /K -1 >> /AllowPSXObjects true /CheckCompliance [ /None ] /PDFX1aCheck false /PDFX3Check false /PDFXCompliantPDFOnly false /PDFXNoTrimBoxError true /PDFXTrimBoxToMediaBoxOffset [ 0.00000 0.00000 0.00000 0.00000 ] /PDFXSetBleedBoxToMediaBox true /PDFXBleedBoxToTrimBoxOffset [ 0.00000 0.00000 0.00000 0.00000 ] /PDFXOutputIntentProfile (None) /PDFXOutputConditionIdentifier () /PDFXOutputCondition () /PDFXRegistryName (http://www.color.org) /PDFXTrapped /False /CreateJDFFile false /SyntheticBoldness 1.000000 /Description << /DEU () >> >> setdistillerparams << /HWResolution [1200 1200] /PageSize [595.276 841.890] >> setpagedevice