Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode 1 Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Drucksache 15 / 655 04. 10. 2011 Kleine Anfrage des Abg. Andreas Deuschle CDU und Antwort des Justizministeriums Einstellung von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten und Ernennung auf Lebenszeit K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Nach welchen Kriterien erfolgt die Einstellung von Bewerberinnen und Bewerbern für die Richter-/Staatsanwaltslaufbahn in der baden-württembergischen Justiz? 2. Nach welcher Tätigkeitsdauer im richterlichen Dienst erfolgt regelmäßig oder – falls eine Regel nicht besteht – im Durchschnitt bei den Proberichterinnen und -richtern in der ordentlichen Gerichtsbarkeit die Ernennung auf Lebenszeit? 3. Welche Kriterien sind – gegebenenfalls mit welcher Gewichtung – dafür ausschlaggebend , eine Ernennung bereits vor der regelmäßigen bzw. durchschnittlichen Tätigkeitsdauer vorzunehmen? 4. Wirken sich die nachfolgend genannten Kriterien auf eine vorzeitige Ernennung auf Lebenszeit aus und falls ja, inwiefern und mit welcher Gewichtung: – Note im Ersten und Zweiten Staatsexamen, – Dienstzeugnisse, – Sonderverwendung bei einer Landesbehörde, – Sonderverwendung bei einer Bundesbehörde? 5. Wie gestaltet sich der Verfahrensablauf bei der Ernennung auf Lebenszeit? 6. Kann sich jede Proberichterin und jeder Proberichter, die bzw. der die erforderliche Probezeit nach § 10 Absatz 1 DRiG (Deutsches Richtergesetz) abgeleistet hat, auf ausgeschriebene freie Planstellen bewerben? 7. Nach welchen Kriterien erfolgt die Besetzung freier Planstellen? Eingegangen: 04. 10. 2011 / Ausgegeben: 28. 10. 2011 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 655 2 8. Inwiefern wird bei Ausschreibung und Vergabe der freien Planstellen sichergestellt , dass der Anspruch auf Gleichbehandlung der Bewerber gewährleistet ist? 9. Gelten für die Fachgerichtsbarkeiten dieselben Regeln? 29. 09. 2011 Deuschle CDU A n t w o r t Mit Schreiben vom 24. Oktober 2011 Nr. 2201/083 beantwortet das Justizministerium namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Nach welchen Kriterien erfolgt die Einstellung von Bewerberinnen und Bewerbern für die Richter-/Staatsanwaltslaufbahn in der baden-württembergischen Justiz? Für die Einstellung gilt der Grundsatz der Bestenauslese des Art. 33 Abs. 2 GG, wonach jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte hat. Maßstab für die Auswahl unter den Bewerberinnen und Bewerbern ist das Anforderungsprofil für das Eingangsamt im staatsanwaltschaftlichen Dienst und im richterlichen Dienst, welches in der Anlage 3 zur Beurteilungsrichtlinie für Richter und Staatsanwälte, Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums vom 15. Oktober 2008 (2000/0175) – Die Justiz S. 313 –, enthalten ist. 2. Nach welcher Tätigkeitsdauer im richterlichen Dienst erfolgt regelmäßig oder – falls eine Regel nicht besteht – im Durchschnitt bei den Proberichterinnen und -richtern in der ordentlichen Gerichtsbarkeit die Ernennung auf Lebenszeit? Die Probezeit in der ordentlichen Gerichtsbarkeit besteht aus zwei Abschnitten von jeweils ca. zwei Jahren, von denen einer bei einem Amts- oder Landgericht, der andere bei einer Staatsanwaltschaft absolviert wird. Eine Lebenszeiternennung erfolgt nach Ende dieser insgesamt vierjährigen Probezeit. Da die Lebenszeiternennung voraussetzt, dass eine freie und besetzbare Planstelle zur Verfügung steht, kann sich die Ernennung um einige Monate verzögern; im Augenblick erfolgt die Lebenszeiternennung aber regelmäßig spätestens nach einer Probezeit von ca. vier Jahren und sechs Monaten. 3. Welche Kriterien sind – gegebenenfalls mit welcher Gewichtung – dafür ausschlaggebend , eine Ernennung bereits vor der regelmäßigen bzw. durchschnittlichen Tätigkeitsdauer vorzunehmen? Eine Ernennung vor Ablauf von vier Jahren nach der Einstellung erfolgt nur in seltenen Ausnahmefällen. In erster Linie soll dabei Schwierigkeiten bei der Geschäftsverteilung begegnet werden, die dadurch entstehen, dass nach § 29 Satz 1 DRiG nicht mehr als ein Proberichter an einer gerichtlichen Entscheidung mitwirken darf. Voraussetzung einer Lebenszeiternennung ist in solchen Fällen, dass die Mindestprobezeit von drei Jahren nach § 10 Abs. 1 DRiG absolviert worden ist und die Proberichterin oder der Proberichter nach den vorliegenden dienstlichen Beurteilungen für das Amt eines Richters auf Lebenszeit geeignet ist. Sehr selten erfolgt eine Ernennung vor Ablauf von vier Jahren in Konstellationen, in denen nach § 10 Abs. 2 DRiG eine Anrechnung von Vortätigkeiten auf die Probezeit möglich ist und in denen die Absolvierung der regelmäßigen Probezeit unter Berücksichtigung dieser Vortätigkeit unzumutbar wäre. In diesen Fällen wird bereits bei der Einstellung eine spätere Verkürzung der Probezeit in Aussicht gestellt. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 655 3 In Einzelfällen werden auch Proberichter und Proberichterinnen während einer Abordnung an das Justizministerium Baden-Württemberg auf Lebenszeit ernannt, da in diesen Fällen der für die Ernennung zuständige Justizminister die Eignung der Proberichter und Proberichterinnen aus eigener Anschauung beurteilen kann und eine Ernennung auf einer sogenannten Leerstelle möglich ist, also nicht auf eine freie Planstelle bei einem Gericht oder einer Staatsanwaltschaft gewartet werden muss. Auch in diesen Fällen setzt die Ernennung voraus, dass die dreijährige Mindestprobezeit nach § 10 Abs. 1 DRiG absolviert worden ist. 4. Wirken sich die nachfolgend genannten Kriterien auf eine vorzeitige Ernennung aus und falls ja, inwiefern und mit welcher Gewichtung: – Note im Ersten und Zweiten Staatsexamen, – Dienstzeugnisse, – Sonderverwendung bei einer Landesbehörde, – Sonderverwendung bei einer Bundesbehörde? Auf die Antwort zu Frage 3. wird verwiesen. Die Examensnoten spielen für die Entscheidung über eine Lebenszeiternennung vor Ablauf von vier Jahren keine Rolle, ebenso wenig Sonderverwendungen bei einer sonstigen Landesbehörde oder einer Bundesbehörde. 5. Wie gestaltet sich der Verfahrensablauf bei der Ernennung auf Lebenszeit? Nach § 3 LRiG werden freie Planstellen für Richter und Staatsanwälte ausgeschrieben . Die Ausschreibung wird auf der Internetseite des Justizministeriums veröffentlicht. Für die Bewerbung, die nach der Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums über die Vorlage von Bewerbungen um ausgeschriebene Stellen für Richter und Beamte an das Justizministerium vom 14. Dezember 2009 (2010/0303) – Die Justiz 2010, S. 34 – auf dem Dienstweg vorzulegen ist, kann ein Musterschreiben verwendet werden, das von der Internetseite des Justizministeriums heruntergeladen werden kann. Unter den Bewerbungen trifft das Justizministerium eine Auswahl, für die ebenfalls Art. 33 Abs. 2 GG gilt. In der Praxis kommt es allerdings selten zu Konkurrenzsituationen zwischen den zur Lebenszeiternennung anstehenden Assessorinnen und Assessoren, da es bislang regelmäßig gelingt, eine hinreichende Anzahl an Planstellen auszuschreiben. Vor der Ernennung durch den Justizminister (die Zuständigkeit folgt aus § 2 Satz 1 Nr. 1 lit. a des Ernennungsgesetzes) muss die Beteiligung des Präsidialrats nach § 32 Abs. 1 LRiG erfolgen. Das Beteiligungsverfahren richtet sich nach § 43 Abs. 1 bis 5 LRiG. Kommt zwischen Justizministerium und Präsidialrat keine Einigung zustande, entscheidet über die Ernennung der Justizminister gemeinsam mit dem Richterwahlausschuss. Das Verfahren im Richterwahlausschuss ist in §§ 58, 59 LRiG geregelt. 6. Kann sich jede Proberichterin und jeder Proberichter, die bzw. der die erforderliche Probezeit nach § 10 Abs. 1 DRiG (Deutsches Richtergesetz) abgeleistet hat, auf ausgeschriebene freie Planstellen bewerben? Ja. 7. Nach welchen Kriterien erfolgt die Besetzung freier Planstellen? Freie Planstellen werden nach § 3 LRiG ausgeschrieben und nach dem Prinzip der Bestenauslese des Art. 33 Abs. 2 GG besetzt. Im Einzelfall wird bei freien Planstellen im Eingangsamt der Besoldungsgruppe R 1 die Ausschreibung auf Proberichterinnen und -richter des Landes beschränkt, um sicherzustellen, dass eine Lebenszeiternennung erfolgen kann. Im Rahmen des dem Dienstherren zustehenden Organisationsermessens erfolgt gelegentlich auch eine Beschränkung von Ausschreibungen auf Versetzungsbewerber, um einen personalwirtschaftlich gewünschten Wechsel zwischen verschiedenen Gerichten oder Staatsanwaltschaften Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 655 4 zu ermöglichen. Auch in diesen Fällen richtet sich die Auswahlentscheidung zwischen mehreren Bewerberinnen und Bewerbern nach Leistungsgesichtspunkten. 8. Inwiefern wird bei Ausschreibung und Vergabe der freien Planstellen sichergestellt , dass der Anspruch auf Gleichbehandlung der Bewerber gewährleistet ist? Für die Auswahlentscheidung gilt der Grundsatz der Bestenauslese des Art. 33 Abs. 2 GG, der durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichte näher konkretisiert worden ist. Dem Grundsatz der Bestenauslese ist der Gleichbehandlungsgrundsatz immanent, da er die Anwendung anderer Maßstäbe als den der Leistung ausschließt. Die im Bundesvergleich geringe Anzahl verwaltungsgerichtlicher Konkurrentenstreitigkeiten zeigt, dass die Personalverwaltung durch das Justizministerium in der Richter- und Staatsanwaltschaft insgesamt eine hohe Akzeptanz genießt. Dazu trägt auch die starke Stellung des Präsidialrats bei, welche die Transparenz von Auswahlentscheidungen erhöht. Daher ist beabsichtigt, auch dem Hauptstaatsanwaltsrat dem Präsidialrat vergleichbare Mitbestimmungsrechte einzuräumen. 9. Gelten für die Fachgerichtsbarkeiten dieselben Regeln? In den Fachgerichtsbarkeiten bestehen folgende Besonderheiten: In der Sozialgerichtsbarkeit verbringen die Proberichterinnen und -richter in der Regel ihre gesamte Probezeit an demselben Gericht, wo sie im Augenblick nach ca. 3,5 Jahren auf Lebenszeit ernannt werden. Auch hier hängt die konkrete Dauer der Probezeit von der Stellensituation ab. Da in der Verwaltungs- und Arbeitsgerichtsbarkeit gegenwärtig nicht genügend Planstellen für Lebenszeiternennungen zur Verfügung stehen, werden Proberichterinnen und -richter dort nur ca. zwei Jahre lang eingesetzt, bevor sie in eine andere Gerichtsbarkeit wechseln, wo sie auf Lebenszeit ernannt werden können. Beim Finanzgericht werden nur wenige Proberichter beschäftigt. Der finanzrichterliche Nachwuchs rekrutiert sich in erster Linie aus Beamtinnen und Beamten der Finanzverwaltung, die an das Finanzgericht abgeordnet und dort befristet als Richterinnen oder Richter kraft Auftrags tätig werden. Im Anschluss hieran können sie sich auf ausgeschriebene Stellen eines Richters oder einer Richterin am Finanzgericht bewerben. Proberichterinnen oder -richter beim Finanzgericht waren vor ihrer Einstellung in der Regel mehrere Jahre lang in der steuerrechtlichen Praxis tätig. Die Probezeit beim Finanzgericht beträgt zwischen drei und fünf Jahren . Dabei muss berücksichtigt werden, dass die erste Lebenszeiternennung beim Finanzgericht in einem Amt der Besoldungsgruppe R 2 (Richter am Finanzgericht) erfolgt, sodass in der Probezeit auch die Eignung für dieses Beförderungsamt unter Beweis gestellt werden muss. Stickelberger Justizminister