Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 6940 01. 06. 2015 1Eingegangen: 01. 06. 2015 / Ausgegeben: 03. 07. 2015 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Schlussfolgerungen, insbesondere mit Blick auf die Rechtslage in Baden-Württemberg, hat sie aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013, 1 BvR 2457/08, zur Verfassungswidrigkeit unbegrenzt festsetzbarer Kommunalabgaben und der diesbezüglichen weiteren Rechtsprechung , zum Beispiel des Bundesverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichts Karlsruhe, gezogen? 2. Welche Erwägungen liegen den Schlussfolgerungen zugrunde? 3. Inwieweit hat sie nachgeordnete Behörden und die Kommunen von ihren Schlussfolgerungen informiert? 4. Wie bewertet sie aus ihrer Sicht die aufgrund der Rechtsprechung vorgenommenen Änderungen des Kommunalabgabenrechts anderer Bundesländer? 5. Hält sie eine Festsetzungsfrist, wie sie beispielsweise in Artikel 13 Absatz 1 Nr. 4 des bayerischen Kommunalabgabengesetzes geregelt ist, für richtig und wenn ja, wie lang sollte sie sein? 6. Plant sie angesichts der oben erwähnten Rechtsprechung eine Änderung des Kommunalabgabengesetzes? 7. Wenn nein, wie rechtfertigt sie den Verzicht auf eine Änderung des Kommunalabgabengesetzes angesichts der erheblichen Rechtsunsicherheit, die die derzeitige Rechtslage bei Bürgerinnen und Bürgern hervorruft? Kleine Anfrage des Abg. Dr. Ulrich Goll FDP/DVP und Antwort des Innenministeriums Position der Landesregierung zur rückwirkenden Erhebung von Kommunalabgaben, die auf Jahrzehnte zurückliegende Sachverhalte Bezug nimmt Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 6940 2 8. Was empfiehlt sie den Bürgern, die Eigentümer eines erschlossenen Grundstücks sind oder werden wollen, im Hinblick auf den dieser Kleinen Anfrage zugrunde liegenden Sachverhalt? 01. 06. 2015 Dr. Goll FDP/DVP B e g r ü n d u n g Die rückwirkende Erhebung von Kommunalabgaben, die auf Jahrzehnte zurückliegende Sachverhalte Bezug nimmt, sorgt immer wieder für Verunsicherung. Mit Beschluss vom 5. März 2013 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass das der Rechtssicherheit dienende Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlangt, dass Regelungen getroffen werden, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Eine Umsetzung des Beschlusses durch eine Änderung des Kommunalabgabengesetzes erfolgte bisher nicht. Der Umgang der Landes - regierung mit diesem Sachverhalt soll näher untersucht werden. A n t w o r t Mit Schreiben vom 23. Juni 2015 Nr. 2-2270/38 beantwortet das Innenministe - rium im Einvernehmen mit dem Ministerium für Finanzen und Wirtschaft die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Schlussfolgerungen, insbesondere mit Blick auf die Rechtslage in Baden-Württemberg, hat sie aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013, 1 BvR 2457/08, zur Verfassungswidrigkeit unbegrenzt festsetzbarer Kommunalabgaben und der diesbezüglichen weiteren Rechtsprechung , zum Beispiel des Bundesverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichts Karlsruhe, gezogen? 2. Welche Erwägungen liegen den Schlussfolgerungen zugrunde? Zu 1. und 2.: Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013, Az. 1 BvR 2457/08, betrifft die Zulässigkeit der Erhebung von Anschlussbeiträgen durch Gemeinden in Fällen, in denen der Anschluss bzw. die Anschlussmöglichkeit an eine öffentliche Einrichtung (zum Beispiel Wasser- oder Abwasserversorgung) bereits vor vielen Jahren erfolgte, eine wirksame Satzung zur Beitragserhebung allerdings erst wesentlich später in Kraft getreten ist. Gegenstand des Beschlusses war eine Regelung des bayerischen Kommunalabgabengesetzes, wonach im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden ist. Damit werde, so das Bundesverfassungsgericht, der Verjährungsbeginn ohne zeitliche Oberbegrenzung nach hinten verschoben. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts muss der Beitragsschuldner „irgendwann“ Klarheit erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag noch herangezogen werden kann. Das Bundesverfassungsgericht hatte die bayerische Regelung für unvereinbar mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) erklärt und den bayeri- 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 6940 schen Gesetzgeber aufgefordert, bis 1. April 2014 den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen. Für die Umsetzung seiner Entscheidung räumte es dem bayerischen Gesetzgeber einen weiten Spielraum ein. Inzwischen sind weitere Entscheidungen zur Verjährung von Beitragsansprüchen unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergangen . So hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 20. März 2014, Az. 4 C 11.13, dargelegt, dass nach den Wertungen der allgemeinen Verjährungsvorschriften die Erhebung von Beiträgen generell ausgeschlossen ist, wenn seit dem Entstehen der Vorteilslage mehr als 30 Jahre vergangen sind. In – nicht näher bestimmten – Einzelfällen könne auch eine kürzere Frist in Betracht kommen. Auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts greift auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurück (Urteil vom 20. Januar 2015, 2 S 1840/14). Die in der allgemeinen Verjährungsfrist des § 53 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes von 30 Jahren zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzgebers, die Durchsetzbarkeit des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers auf die längste im Zivilrecht vorgesehene Verjährungsfrist zu beschränken, könne in den Treuwidrigkeitstatbestand übernommen werden. Auch das Verwaltungsgericht Karlsruhe legt seinem Urteil vom 11. September 2014, Az. 2 K 2326/13, das genannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde . Es führt in seiner Entscheidung ausdrücklich aus, dass die bestehenden landesgesetzlichen Regelungen (§ 3 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe c des Kommunalabgabengesetzes ) keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken unter der Maßgabe begegnen, dass die Einhaltung des Gebots der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit durch eine ergänzende Anwendung des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben sichergestellt werden kann. Zur Ausfüllung des Treuwidrigkeitstatbestands bezieht sich das Gericht auf die Wertungen der allgemeinen Verjährungsvorschriften von bis zu 30 Jahren. Angesichts der Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung ist eine Änderung des baden-württembergischen Kommunalabgabengesetzes derzeit nicht dringlich. Das Innenministerium verfolgt die weitere Entwicklung der einschlägigen Rechtsprechung . 3. Inwieweit hat sie nachgeordnete Behörden und die Kommunen von ihren Schlussfolgerungen informiert? Zu 3.: Das Innenministerium hat die Regierungspräsidien als Rechtsaufsichtsbehörden auf einer Dienstbesprechung zeitnah über den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts informiert und die Sach- und die Rechtslage sowie das weitere Vorgehen erörtert. Die Kommunalämter bei den Landratsämtern sind von den Regierungspräsidien in Kenntnis gesetzt worden. Auch mit den Kommunalen Landesverbänden hat das Innenministerium unter Beteiligung des Ministeriums für Finanzen und Wirtschaft und der Gemeindeprüfungsanstalt Baden-Württemberg Gespräche geführt. 4. Wie bewertet sie aus ihrer Sicht die aufgrund der Rechtsprechung vorgenommenen Änderungen des Kommunalabgabenrechts anderer Bundesländer? 5. Hält sie eine Festsetzungsfrist, wie sie beispielsweise in Artikel 13 Absatz 1 Nr. 4 des bayerischen Kommunalabgabengesetzes geregelt ist, für richtig und wenn ja, wie lang sollte sie sein? Zu 4. und 5.: Neben Bayern haben nur wenige andere Länder zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ihre Kommunalabgabengesetze geändert. Die getroffenen Regelungen sind in der Gesamtsystematik der jeweiligen Kommunal - abgabengesetze zu sehen und nicht ohne weiteres vergleichbar. Die Regelungen Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 6940 4 der Bundesländer Brandenburg, Sachsen und Thüringen berücksichtigen zudem die Sondersituation nach der Deutschen Einheit. Hinzu kommt, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber zur Umsetzung seiner Entscheidung einen weiten Gestaltungsspielraum zugestanden hat, wie er dem Prinzip der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit Rechnung tragen kann. So könne er beispielsweise eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, die sich auf den Eintritt der Vorteilslage bezieht. Er könne auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglich nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginne. Zudem könne er mit einer Verlängerung der Festsetzungsverjährung weitere Regelungen, zum Beispiel zur Verjährungshemmung, verbinden. Dementsprechend haben die Regelungen der anderen Länder unterschiedliche Anknüpfungspunkte, Reichweiten und Fristen. Eine geeignete gesetzgeberische Lösung muss sich immer in den landesspezifischen Gesamtkontext einfügen. Regelungen anderer Länder lassen sich daher nicht ohne weiteres übertragen. Die bayerische Bestimmung, die eine Ausschluss - frist von 20 – und bei Verletzung einer Mitwirkungspflicht von 25 – Jahren nach Entstehen der Vorteilslage vorsieht, ist grundsätzlich denkbar. Angesichts der neueren Rechtsprechung sind jedoch auch andere Fristen möglich. 6. Plant sie angesichts der oben erwähnten Rechtsprechung eine Änderung des Kommunalabgabengesetzes? 7. Wenn nein, wie rechfertigt sie den Verzicht auf eine Änderung des Kommunalabgabengesetzes angesichts der erheblichen Rechtsunsicherheit, die die der - zeitige Rechtslage bei Bügerinnen und Bürgern hervorruft? Zu 6. und 7.: Die Landesregierung plant angesichts der oben genannten Rechtsprechung derzeit keine Änderung des Kommunalabgabengesetzes. Auf die Antworten zu den Fragen 1 und 2 wird verwiesen. Eine allgemeine Rechtsunsicherheit in Baden-Württemberg wird nicht gesehen. Nach hiesiger Kenntnis sind nur sehr wenige Gemeinden in Baden-Württemberg mit Abgabensachverhalten befasst, in denen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine Rolle spielen könnte. 8. Was empfiehlt sie den Bürgern, die Eigentümer eines erschlossenen Grundstücks sind oder werden wollen, im Hinblick auf den dieser Kleinen Anfrage zugrunde liegenden Sachverhalt? Zu 8.: Eigentümern sowie potenziellen Käufern von Grundstücken ist zu raten, sich mit Fragen zu etwaigen Beitragspflichten des konkreten Grundstücks an die Gemeinde zu wenden, in der das Grundstück liegt. Gall Innenminister << /ASCII85EncodePages false /AllowTransparency false /AutoPositionEPSFiles true /AutoRotatePages /None /Binding /Left /CalGrayProfile (None) /CalRGBProfile (sRGB IEC61966-2.1) /CalCMYKProfile (U.S. Web Coated \050SWOP\051 v2) /sRGBProfile (sRGB IEC61966-2.1) /CannotEmbedFontPolicy /Warning /CompatibilityLevel 1.6 /CompressObjects /Off /CompressPages true /ConvertImagesToIndexed true /PassThroughJPEGImages false /CreateJobTicket false /DefaultRenderingIntent /Default /DetectBlends true /DetectCurves 0.1000 /ColorConversionStrategy /LeaveColorUnchanged /DoThumbnails false /EmbedAllFonts true /EmbedOpenType false /ParseICCProfilesInComments true /EmbedJobOptions true /DSCReportingLevel 0 /EmitDSCWarnings false /EndPage -1 /ImageMemory 524288 /LockDistillerParams true /MaxSubsetPct 100 /Optimize true /OPM 1 /ParseDSCComments false /ParseDSCCommentsForDocInfo true /PreserveCopyPage true /PreserveDICMYKValues true /PreserveEPSInfo true /PreserveFlatness true /PreserveHalftoneInfo false /PreserveOPIComments true /PreserveOverprintSettings true /StartPage 1 /SubsetFonts true /TransferFunctionInfo /Preserve /UCRandBGInfo /Preserve /UsePrologue false /ColorSettingsFile () /AlwaysEmbed [ true ] /NeverEmbed [ true ] /AntiAliasColorImages false /CropColorImages true /ColorImageMinResolution 150 /ColorImageMinResolutionPolicy /OK /DownsampleColorImages true /ColorImageDownsampleType /Bicubic /ColorImageResolution 300 /ColorImageDepth 8 /ColorImageMinDownsampleDepth 1 /ColorImageDownsampleThreshold 1.50000 /EncodeColorImages true /ColorImageFilter /FlateEncode /AutoFilterColorImages false /ColorImageAutoFilterStrategy /JPEG /ColorACSImageDict << /QFactor 0.40 /HSamples [1 1 1 1] /VSamples [1 1 1 1] >> /ColorImageDict << /QFactor 0.76 /HSamples [2 1 1 2] /VSamples [2 1 1 2] >> /JPEG2000ColorACSImageDict << /TileWidth 256 /TileHeight 256 /Quality 15 >> /JPEG2000ColorImageDict << /TileWidth 256 /TileHeight 256 /Quality 15 >> /AntiAliasGrayImages false /CropGrayImages true /GrayImageMinResolution 150 /GrayImageMinResolutionPolicy /OK /DownsampleGrayImages true /GrayImageDownsampleType /Bicubic /GrayImageResolution 600 /GrayImageDepth 8 /GrayImageMinDownsampleDepth 2 /GrayImageDownsampleThreshold 1.50000 /EncodeGrayImages true /GrayImageFilter /FlateEncode /AutoFilterGrayImages false /GrayImageAutoFilterStrategy /JPEG /GrayACSImageDict << /QFactor 0.40 /HSamples [1 1 1 1] /VSamples [1 1 1 1] >> /GrayImageDict << /QFactor 0.76 /HSamples [2 1 1 2] /VSamples [2 1 1 2] >> /JPEG2000GrayACSImageDict << /TileWidth 256 /TileHeight 256 /Quality 15 >> /JPEG2000GrayImageDict << /TileWidth 256 /TileHeight 256 /Quality 15 >> /AntiAliasMonoImages false /CropMonoImages true /MonoImageMinResolution 1200 /MonoImageMinResolutionPolicy /OK /DownsampleMonoImages true /MonoImageDownsampleType /Bicubic /MonoImageResolution 600 /MonoImageDepth -1 /MonoImageDownsampleThreshold 1.50000 /EncodeMonoImages true /MonoImageFilter /CCITTFaxEncode /MonoImageDict << /K -1 >> /AllowPSXObjects true /CheckCompliance [ /None ] /PDFX1aCheck false /PDFX3Check false /PDFXCompliantPDFOnly false /PDFXNoTrimBoxError true /PDFXTrimBoxToMediaBoxOffset [ 0.00000 0.00000 0.00000 0.00000 ] /PDFXSetBleedBoxToMediaBox true /PDFXBleedBoxToTrimBoxOffset [ 0.00000 0.00000 0.00000 0.00000 ] /PDFXOutputIntentProfile (None) /PDFXOutputConditionIdentifier () /PDFXOutputCondition () /PDFXRegistryName (http://www.color.org) /PDFXTrapped /False /CreateJDFFile false /SyntheticBoldness 1.000000 /Description << /DEU () >> >> setdistillerparams << /HWResolution [1200 1200] /PageSize [595.276 841.890] >> setpagedevice