Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode 1 Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Drucksache 15 / 730 18. 10. 2011 Kleine Anfrage der Abg. Thomas Marwein, Manfred Lucha, Bärbl Mielich, Thomas Poreski, Charlotte Schneidewind-Hartnagel und Josef Frey GRÜNE und Antwort des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Beobachtungsgesundheitsämter für neuartige Erscheinungsformen von Krankheiten K l e i n e A n f r a g e Wir fragen die Landesregierung: 1. Welche Gesundheitsämter in Baden-Württemberg sind sogenannte Beobachtungsgesundheitsämter für die gesundheitlichen Auswirkungen z. B. von nichtionisierender Strahlung durch Mobilfunk, Richtfunk und Radar und Radio- und Fernsehsignale? 2. Gibt es Meldungen oder Berichte aus der Bevölkerung, die Beschwerden im Zusammenhang mit Mobilfunk geäußert haben? 3. Liegen dem Sozialministerium von den entsprechenden Gesundheitsämtern Daten vor, die die gesundheitlichen Auswirkungen besagter Strahlung betreffen? Wenn ja, seit wann werden diese Daten erhoben? 4. Wie steht das Sozialministerium zu den Einschätzungen des Europarates, der ausdrücklich vor den potenziellen Gefahren durch nicht-ionisierende Strahlung warnt (Resolution „The potential dangers of electromagnetic fields and their effect on the environment“, 27. Mai 2011)? 5. Wie und wo werden die Empfehlungen des EU-Parlaments in Baden-Württemberg umgesetzt? Eingegangen: 18. 10. 2011 / Ausgegeben: 09. 11. 2011 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 730 2 6. Wie geht das Ministerium mit den Anfragen und Meldungen von elektrohypersensiblen Menschen um? 13. 10. 2011 Marwein, Lucha, Mielich, Poreski, Schneidewind-Hartnagel, Frey GRÜNE B e g r ü n d u n g Die Gesundheitsämter des Landes Baden-Württemberg unterstehen dem Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg . Zu ihren Aufgaben zählen u. a. der umweltbezogene Gesundheitsschutz sowie die Gesundheitsförderung und Prävention. Die potenziellen Gefahren durch nicht-ionisierende Strahlung sind hinlänglich bekannt . Verbraucherschutzorganisationen, wie zum Beispiel Diagnose Funk, warnen seit Jahren eindringlich vor den gesundheitlichen Folgen durch nicht-ionisierende Strahlung. Die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) hat in diesem Jahr hochfrequente elektromagnetische Felder als „potenziell krebserregend“ eingestuft (Gruppe 2B). Und auch der Europarat hat im Mai ein grundsätzliches Umsteuern in der Mobilfunkpolitik gefordert. In seiner Resolution vom 27. Mai 2011 empfiehlt er den Ministerien (Bildung, Umwelt und Gesundheit), gezielte Informationskampagnen für Lehrer, Eltern und Kinder auszuarbeiten, um auf die speziellen Risiken aufmerksam zu machen (Punkt 8.3.1.). Ein Umsteuern in Sachen Grenzwertepolitik wird nicht nur neuerdings vom Europarat , sondern auch vom EU-Parlament bereits seit April 2009 gefordert1. International geforderte Vorsorgewerte unabhängiger Wissenschaftler und Verbände liegen mit 0,6 bis 0,2 V/m bei einem Bruchteil der Deutschen Grenzwerte (27,5 bis 61 V/m). Der Ansatz der Grenzwerteforderung z. B. der Seletun-Gruppe (0,25 V/m) beruht nach Aussage der Wissenschaftler auf der vorhandenen wissenschaftlichen Beweislage: „(…) wegen des erhöhten Krebsrisikos, wegen der Verringerung der Fruchtbarkeit und nachlassender Fortpflanzung, wegen Störungen des Immunsystems , wegen neurologischen Erkrankungen und eines erhöhten Risikos von Verkehrsunfällen und Verletzungen wie auch einer Beeinträchtigung der Fähigkeiten des Denkens, Verhaltens und der Leistung, sowie der Befindlichkeit und wegen Schlafstörungen.“2 1 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. April 2009 zu der Gesundheitsproblematik in Zusammenhang mit elektromagnetischen Feldern (2008/2211[INI]) 2 Deutsche Übersetzung des Seletun-Papiers: http://diagnose-funk.de/assets/df_seletun_2011_ de.pdf Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 730 3 A n t w o r t Mit Schreiben vom 2. November 2011 Nr. 52–5426–6.3 beantwortet das Ministerium für Arbeit, Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren die Kleine Anfrage wie folgt: Wir fragen die Landesregierung: 1. Welche Gesundheitsämter in Baden-Württemberg sind sogenannte Beobachtungsgesundheitsämter für die gesundheitlichen Auswirkungen z. B. von nichtionisierender Strahlung durch Mobilfunk, Richtfunk und Radar und Radio- und Fernsehsignale? Es existieren in Baden-Württemberg keine Gesundheitsämter mehr, die als sogenannte Beobachtungsgesundheitsämter fungieren. Fallbezogen werden einzelne Gesundheitsämter in Projekte eingebunden. 2. Gibt es Meldungen oder Berichte aus der Bevölkerung, die Beschwerden im Zusammenhang mit Mobilfunk geäußert haben? Ja. Es gibt Bürger, die gesundheitliche Beschwerden äußern, die sie auf den sogenannten „Elektrosmog“ durch Mobilfunk zurückführen. Dem Sozialministerium liegen jedoch nur wenige Schreiben von Bürgern, die o. g. Beschwerdesymptomatik thematisieren, vor. Im Zeitraum von 1. Januar 2011 bis zum 25. Oktober 2011 haben insgesamt 4 Bürger eine Anfrage beim Sozialministerium eingereicht. 3. Liegen dem Sozialministerium von den entsprechenden Gesundheitsämtern Daten vor, die die gesundheitlichen Auswirkungen besagter Strahlung betreffen? Wenn ja, seit wann werden diese Daten erhoben? Daten, die die gesundheitlichen Auswirkungen besagter Strahlung betreffen, werden nach Kenntnis des Sozialministeriums von den Gesundheitsämtern nicht erhoben . 4. Wie steht das Sozialministerium zu den Einschätzungen des Europarates, der ausdrücklich vor den potenziellen Gefahren durch nicht-ionisierende Strahlung warnt (Resolution „The potential dangers of electromagnetic fields and their effect on the environment“, 27. Mai 2011)? Wir verweisen diesbezüglich auch auf unsere Stellungnahme zur Kleinen Anfrage 15/692 der Abg. Marwein, Fritz, Poreski und Aras GRÜNE – zu WLAN-freien Schulen in Baden-Württemberg vom 17. Oktober 2011. Das Sozialministerium Baden-Württemberg kann angesichts der Ergebnisse des Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramms, in dem keine Hinweise über mögliche gesundheitliche Beeinträchtigungen bestätigt werden konnten und auch keine neuen belastbaren Hinweise für mögliche gesundheitsrelevante Wirkungen gefunden wurden sowie unter Berücksichtigung der Empfehlungen der SSK (Strahlenschutzkommission ), die Resolution des Europarates in vielen Punkten nicht nachvollziehen . Die geltenden Grenzwerte der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung (BImSchV) werden vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) und der deutschen Strahlenschutzkommission (SSK) als ausreichend angesehen , um die Bevölkerung zuverlässig zu schützen. Aufgrund des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstandes besteht derzeit kein akuter Handlungsbedarf. Bei Einhaltung der Grenzwerte ist eine gesundheitliche Gefährdung durch elektromagnetische Felder mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen . Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 730 4 5. Wie und wo werden die Empfehlungen des EU-Parlaments in Baden-Württemberg umgesetzt? Maßgeblich für den Schutz vor elektromagnetischer Strahlung sind die geltenden Grenzwerte der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung (BImSchV). Im Übrigen wird auf Frage 4. verwiesen. 6. Wie geht das Ministerium mit den Anfragen und Meldungen von elektrohypersensiblen Menschen um? Dem Sozialministerium liegen keine Zahlen vor über die Anzahl von Personen, die tatsächlich unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Elektromagnetische Felder (EMF) leiden. Eine Vielzahl unspezifischer Beschwerden, wie sie auch in der Allgemeinbevölkerung weit verbreitet sind, wird von den Betroffenen auf das Vorhandensein elektromagnetischer Felder in der Umwelt zurückgeführt, auch bei einer Intensität der Felder weit unterhalb der Grenzwerte bzw. Richtwerte. Sowohl Untersuchungen im Rahmen des Deutschen Mobilfunkforschungsprogrammes wie auch weitere, allgemein anerkannte wissenschaftliche Studien haben dabei keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen elektromagnetischen Feldern und den Beschwerden der Personen, die sich als elektrosensibel bezeichnen, ergeben. Bei einer sogenannten Elektrosensibilität handelt sich daher auch nicht um ein allgemein anerkanntes Krankheitsbild bzw. eine medizinische Diagnose. Die Notwendigkeit von „Schutzzonen“ für sogenannte Elektrosensible wurde im Rahmen der Drucksache 14/5113 vom 17. September 2009 geprüft. Diesbezüglich kann nach dem gegenwärtigen wissenschaftlich akzeptierten Kenntnisstand ein Zusammenhang zwischen den von den Betroffenen beschriebenen Beschwerden und elektromagnetischen Feldern nicht gestützt werden. Dennoch nimmt das Sozialministerium die geklagten gesundheitlichen Beschwerden der Betroffenen ernst, dies gilt auch für den Aspekt der Vorsorge. Altpeter Ministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren