Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 7455 30. 09. 2015 1Eingegangen: 30. 09. 2015 / Ausgegeben: 03. 11. 2015 K l e i n e A n f r a g e Wir fragen die Landesregierung: 1. Welche Vorteile hat die Jugendstrafanstalt Pforzheim bei der Resozialisierung der Strafgefangenen im Vergleich zu anderen Strafanstalten des Landes? 2. Wie gedenkt sie, den Verlust einer in der Resozialisierung hervorragend arbeitenden Jugendstrafanstalt zeitnah zu kompensieren? 3. Welche Argumente führte das Innenministerium für die Umwandlung der Jugendstrafanstalt Pforzheim in eine Abschiebehafteinrichtung anlässlich welcher, auch zeitlich zu benennenden, regierungsinternen Diskussionen an? 4. Welche Argumente gegen die Umwandlung wurden vom Justizministerium bzw. vom Justizminister anlässlich welcher regierungsinternen Diskussionen vorgetragen? 5. In welchem Umfang wurden alternative Standorte für eine Abschiebehafteinrichtung geprüft? 6. In welchem Umfang wurden Mitarbeiter der Jugendstrafanstalt Pforzheim, ehrenamtlich engagierte Bürger und Interessenvertretungen von einer in der Diskussion stehenden bzw. beabsichtigten Umwandlung informiert? 7. Mit welchen Maßnahmen wird die Expertise der Mitarbeiter der Jugendstraf - anstalt Pforzheim und der ehrenamtlich engagierten Bürger für den Jugendstrafvollzug dauerhaft gesichert? Kleine Anfrage der Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke und Dr. Ulrich Goll FDP/DVP und Antwort des Justizministeriums Umwandlung der Jugendstrafanstalt Pforzheim in eine Abschiebehafteinrichtung Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7455 2 8. In welchem Umfang sind Umstrukturierungsmaßnahmen an der Liegenschaft der Justizvollzugsanstalt Pforzheim notwendig, um sie als eine Abschiebehaft - einrichtung nutzen zu können? 29. 09. 2015 Dr. Rülke, Dr. Goll FDP/DVP A n t w o r t * ) Mit Schreiben vom 22. Oktober 2015 Nr. 4405/0067 beantwortet das Justizminis - terium im Einvernehmen mit dem Innenministerium die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Vorteile hat die Jugendstrafanstalt Pforzheim bei der Resozialisierung der Strafgefangenen im Vergleich zu anderen Strafanstalten des Landes? Die der Justizvollzugsanstalt Heimsheim angegliederte Jugendstrafanstalt Pforzheim zeichnet sich aufgrund ihrer zentralen Lage im Land vor allem durch die Möglichkeit eines für eine Wiedereingliederung junger Straftäter hilfreichen heimatnahen Vollzugs aus. Zudem verfügen die 69 Bediensteten der Vollzugseinrichtung über eine in Jahrzehnten des Jugendstrafvollzugs gewachsene Erfahrung im Umgang mit jugendlichen Straftätern. 2. Wie gedenkt sie, den Verlust einer in der Resozialisierung hervorragend arbeitenden Jugendstrafanstalt zeitnah zu kompensieren? Nach dem aktuell geltenden Vollstreckungsplan für das Land Baden-Württemberg ist die Justizvollzugsanstalt Heimsheim – Außenstelle Jugendstrafanstalt Pforzheim – für den Jugendstrafvollzug sowie nach Maßgabe der Einweisungskommission der Jugendstrafanstalt Adelsheim für den Vollzug von Freiheitsstrafen an Verurteilten zuständig, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und sich für den Jugendstrafvollzug eignen. Die Jugendstrafanstalt Pforzheim verfügt über 108 Haftplätze. Die weitere wesentlich größere baden-württembergische Jugendstrafanstalt in Adelsheim hat im Bereich der Jugendstrafhaft eine Belegungsfähigkeit von 398 Haftplätzen. Aufgrund der seit Jahren im Bereich des Jugendstrafvollzugs rückläufigen Gefangenenzahlen ist sowohl die Jugendstrafanstalt Pforzheim als auch die Jugendstrafanstalt Adelsheim beträchtlich unterbelegt. Im August 2015 waren in der Jugendstrafanstalt Adelsheim knapp 190 Haftplätze nicht belegt und in der Außenstelle Pforzheim lediglich 56 Haftplätze genutzt. In Anbetracht dieser niedrigen Auslastung beider Anstalten war es angesichts des dringenden Bedarfs an einer Abschiebungshafteinrichtung angezeigt, die Gefangenen , für die bisher die Jugendstrafanstalt Pforzheim zuständig war, künftig nach Adelsheim einzuweisen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine höhere Belegung der Jugendstrafanstalt Adelsheim zugleich eine bessere Auslastung der dortigen derzeit unterbesetzten zahlreichen beruflichen und schulischen Angebote bedeutet und die Konzentration des Jugendstrafvollzugs in der Jugendstrafanstalt Adelsheim durch Nutzung von Synergieeffekten im personellen Bereich auch in behandlerischer Hinsicht Verbesserungen für die betroffenen jungen Menschen mit sich bringen wird. *) Nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist eingegangen. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7455 So bietet die Jugendstrafanstalt Adelsheim beispielsweise mit den gerade junge Gefangene interessierenden Bereichen Elektro, Kfz und Metall bereits eine wesentlich umfangreichere Ausbildungsvielfalt an. In der Jugendstrafanstalt Adelsheim stehen Werkstätten mit Lagerräumen, ein Schulgebäude, eine außerhalb der Mauern gelegene Gärtnerei, eine eigene sozialtherapeutische Abteilung, eine Turnhalle sowie Sportplätze und große Hof - bereiche im Freien zur Verfügung. Schließlich ist der Vollzug in der Jugendstrafanstalt Adelsheim auch geprägt von der Durchführung landesweiter Projektarbeit – wie beispielsweise dem Projekt der Positive Peer Culture –, die schon alleine aus räumlichen Gründen in der Jugendstrafanstalt Pforzheim nicht durchgeführt werden kann. 3. Welche Argumente führte das Innenministerium für die Umwandlung der Jugendstrafanstalt Pforzheim in eine Abschiebehafteinrichtung anlässlich welcher, auch zeitlich zu benennenden, regierungsinternen Diskussionen an? Das Innenministerium ist der Auffassung, dass der Standort Pforzheim aufgrund seiner guten logistischen Anbindung, insbesondere der sehr guten Erreichbarkeit von Flughäfen (Baden-Airpark, Stuttgart, Frankfurt), der Wirtschaftlichkeit aufgrund der spezifischen Vornutzung der Liegenschaft als Haftanstalt und der schnelleren Verfügbarkeit im Vergleich zu einer Neubaulösung gut geeignet ist. 4. Welche Argumente gegen die Umwandlung wurden vom Justizministerium bzw. vom Justizminister anlässlich welcher regierungsinternen Diskussionen vorgetragen ? Nach etablierter verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung besteht insbesondere bei noch nicht abgeschlossenen Vorgängen ein aus der Gewaltenteilung abgeleiteter Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, zu dem vor allem die Willens - bildung der Regierung selbst, beispielsweise hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett und bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, zu rechnen ist. Ungeachtet dessen wird dem in der Kleinen Anfrage formulierten Informationswunsch in Form der Ausführungen unter Ziffer 1. und 2. entsprochen. 5. In welchem Umfang wurden alternative Standorte für eine Abschiebehafteinrichtung geprüft? Neben der Jugendstrafanstalt Pforzheim wurden landeseigene Grundstücke in Bruchsal, Mannheim und Wertheim nach Kriterien wie Bebauung, Verkehrsanbindung , Vereinbarkeit mit EU-Recht und finanziellem Aufwand bewertet. 6. In welchem Umfang wurden Mitarbeiter der Jugendstrafanstalt Pforzheim, ehrenamtlich engagierte Bürger und Interessenvertretungen von einer in der Diskussion stehenden bzw. beabsichtigten Umwandlung informiert? Nachdem ein Vertreter des Innenministeriums im Rahmen einer Besichtigung der Außenstelle Pforzheim am 29. Juni 2015 Interesse an der Nutzung des Gebäudes signalisiert hatte, fand am 14. Juli 2015 eine erste Information des örtlichen Personalrats sowie des Leiters der Justizvollzugsanstalt Heimsheim – Außenstelle Jugendstrafanstalt Pforzheim – durch einen Besuch des stellvertretenden Leiters der Abteilung Justizvollzug im Justizministerium statt. Es bestand Einvernehmen mit dem Personalrat, dass die dabei zum Stand der Planungen vollumfänglich mitgeteilten Informationen durch den Personalrat an alle dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergeleitet werden. Die Mitglieder des örtlichen Personalrats wurden nach der Entscheidung des Ministerrats vom 28. Juli 2015 mit Ministerschreiben vom 31. Juli 2015 informiert, das auch dem Hauptpersonalrat beim Justizministerium zur Kenntnis gebracht wurde. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7455 4 Die Planungen bezüglich der Jugendstrafanstalt Pforzheim wurden mit Ministerschreiben vom 7. August 2015 auch dem Anstaltsbeirat sowie dem Oberbürgermeister der Stadt Pforzheim mitgeteilt. Die Gefangenenvertretung wurde mit Schreiben vom 19. August 2015 informiert. Am 13. August 2015 führte der Leiter des Personalreferats der Abteilung Justizvollzug vor Ort weitere Gespräche mit dem örtlichen Personalrat und den Füh - rungskräften der Anstalt. An einem weiteren Gespräch an diesem Tag mit dem Anstaltsbeirat der Jugendstrafanstalt Pforzheim und dem in der Anstalt tätigen Bezirksverein für Soziale Rechtspflege waren auch die Landtagsabgeordneten Dr. Engeser und Dr. Rülke anwesend. Des Weiteren ist am 26. Oktober 2015 eine Informationsveranstaltung – gemeinsam mit dem Innenministerium – für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geplant. 7. Mit welchen Maßnahmen wird die Expertise der Mitarbeiter der Jugendstrafanstalt Pforzheim und der ehrenamtlich engagierten Bürger für den Jugendstrafvollzug dauerhaft gesichert? Die in der Behandlung jugendlicher Straftäter erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben die Möglichkeit, in andere Einrichtungen des Justizvollzugs, in denen Jugendliche untergebracht sind – wie insbesondere in die Justizvollzugs - anstalten Adelsheim, Stuttgart und Schwäbisch Hall sowie die Jugendarrestanstalten Rastatt und Göppingen – zu wechseln. Entsprechende Versetzungen oder Abordnungen gegen den Willen der Betroffenen werden jedoch nur erfolgen, wenn dies unter Berücksichtigung sozialer Aspekte im Einzelfall zumutbar ist. Seit jeher war zur Gewährleistung des Resozialisierungsauftrags angesichts der bereits dargestellten baulichen und hierdurch behandlerischen Erschwernisse des Jugendstrafvollzugs in Pforzheim ein gewachsenes und sehr gut funktionierendes Netzwerk von ehrenamtlichen Bürgerinnen und Bürgern von großer Wichtigkeit, das mit Umwidmung der Justizvollzugseinrichtung zumindest für den dortigen Jugendstrafvollzug verloren geht. Diese ehrenamtlich engagierten Mitbürgerinnen und Mitbürger können ihre im Jugendstrafvollzug gesammelten Erfahrungen im Umgang mit jungen Straftätern jedoch in Pforzheim selbst unter anderem im Rahmen des dortigen Hauses des Jugendrechts einbringen, in dem neben Ermittlungsbehörden und zuständigen Ämtern auch der von ehrenamtlichem Engagement getragene Bezirksverein für Soziale Rechtspflege als Kooperationspartner vernetzt ist. Zudem sind auch im benachbarten Land- und Stadtkreis Karlsruhe im Bereich der Jugend- und Straffälligenhilfe tätige Vereine aktiv, die auf die ehrenamtliche Mithilfe von im Umgang mit Jugendlichen erfahrenen Bürgerinnen und Bürger angewiesen sind. 8. In welchem Umfang sind Umstrukturierungsmaßnahmen an der Liegenschaft der Justizvollzugsanstalt Pforzheim notwendig, um sie als eine Abschiebehaft - einrichtung nutzen zu können? Die zur Nutzung der bisherigen Jugendstrafanstalt Pforzheim als Abschiebungshafteinrichtung des Landes erforderlichen Umbaumaßnahmen werden derzeit geprüft . Stickelberger Justizminister