Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 7575 14. 10. 2015 1Eingegangen: 14. 10. 2015 / Ausgegeben: 17. 11. 2015 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele stillgelegte Öl- und Gasbohrungen sind in Baden-Württemberg bekannt ? 2. Wie wurden diese Stilllegungen jeweils technisch ausgeführt und welche Gefahren können von einer nicht fachgerechten Stilllegung ausgehen? 3. Von wie vielen und welchen stillgelegten Öl- und Gasbohrungen beziehungsweise deren Altlasten geht in Baden-Württemberg eine Umweltgefährdung aus und wie sind diese Umweltgefährdungen jeweils zu charakterisieren? 4. In welchem Rahmen greift das Verursacherprinzip beziehungsweise die euro - päische Richtlinie zur Umwelthaftung vor dem Hintergrund von problematischen Stilllegungen von Öl- und Gasbohrungen? 5. Inwiefern ist es möglich, stillgelegte Öl- und Gasbohrungen komplett zurückzubauen und welche Kosten verursachen derartige Stilllegungen üblicherweise? 6. Wie wird die Zumutbarkeit der Kosten zur nachhaltigen Beseitigung von Alt - lasten in diesem Zusammenhang ermittelt? 7. Wie bewertet sie die Drohung mangelnden Fachwissens wegen des möglichen Wegbrechens eines Industriezweigs durch einen Manager eines Gasunternehmens ? 14. 10. 2015 Grünstein SPD Kleine Anfrage der Abg. Rosa Grünstein SPD und Antwort des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Umgang mit Umweltrisiken durch alte Öl- und Gas - bohrungen in Baden-Württemberg Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7575 2 B e g r ü n d u n g In einem Artikel der taz-Online (vom 16. Juni 2015) wird aus einem Schreiben eines Öl- und Gas-Unternehmens zitiert. Werde Fracking nicht bald in Deutschland ermöglicht, so könne ein ganzer Industriezweig wegbrechen, warnt das Unternehmen in dem von der taz zitierten Schreiben. Dadurch drohe eine „Gefährdung der Umwelt durch den Mangel an Experten für die fachgerechte Stilllegung der existierenden Bohrungen“, zitiert die taz das Unternehmen. Es gibt also offensichtlich ein erhebliches Risiko im Zusammenhang mit stillgelegten Öl- und Gasbohrungen und auch Baden-Württemberg ist davon betroffen. A n t w o r t Mit Schreiben vom 9. November 2015 Nr. 41W-4711.2/50/1 beantwortet das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele stillgelegte Öl- und Gasbohrungen sind in Baden-Württemberg bekannt ? In der vom Regierungspräsidium Freiburg, Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) geführten Aufschlussdatenbank, dem landesweiten Bohr - archiv, sind 761 Kohlenwasserstoffbohrungen erfasst. Die Bohrungen liegen nach Angaben des LGRB weit überwiegend im Bereich des Oberrheingrabens und in Oberschwaben (tiefe geologische Becken) und wurden schwerpunktmäßig in den 1930er- bis 1960er-Jahren niedergebracht und genutzt. Eine Lagedarstellung der Boh rungen in der Aufschlussdatenbank (sog. Bohrpunkte) ist unter: http:// maps.lgrb-bw.de/?view=lgrb_adb im Internetportal des LGRB zugänglich. Die nachfolgende Tabelle gibt eine Übersicht über die 761 Kohlenwasserstoffbohrungen in Baden-Württemberg nach Fertigstellungsjahrzehnt, die laut LGRB still - gelegt sind. Darüber hinaus gibt es eine Bohrung nach 2010, für die ein Abschlussbetriebsplan zugelassen ist und deren Verfüllung derzeit erfolgen soll. Jahr Anzahl vor 1931 11 1931–1940 162 1941–1950 133 1951–1960 258 1961–1970 147 1971–1980 0 1981–1990 49 1991–2000 0 2001–2010 1 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7575 2. Wie wurden diese Stilllegungen jeweils technisch ausgeführt und welche Gefahren können von einer nicht fachgerechten Stilllegung ausgehen? Nach der Rechtslage seit Inkrafttreten des Bundesberggesetzes (BBergG) am 1. Januar 1982 sind Bohrungen bei Nichtfündigkeit oder nach Beendigung der Nutzung zu verfüllen. Die Verfüllung erfolgt für jede Bohrung individuell nach den jeweiligen geologischen und sonstigen Gegebenheiten. Sie folgt den in § 55 Absatz 1 Nummer 7 BBergG genannten Voraussetzungen, wonach die erforderliche Vorsorge zur Wiedernutzbarmachung der Oberfläche in dem nach den Umständen gebotenen Ausmaß getroffen sein muss. Dabei müssen Bohrungen so abgedichtet werden, dass Gase und Flüssigkeiten aus dem Bohrloch nicht austreten oder in andere Gebirgsschichten nicht eindringen sowie von über Tage Flüssigkeiten nicht in das Bohrloch gelangen können (§ 126 Allgemeine Bergpolizeiverordnung des Umweltministeriums Baden-Württemberg). Die zum Erreichen der formulierten Schutzziele jeweils erforderlichen standortabhängigen Maßnahmen sind Inhalt des jeweiligen Abschlussbetriebsplanverfahrens nach § 53 Absatz 1 BBergG. Aktuell wurde dieses Verfahren bei der nicht-fündigen Ölbohrung Leopoldshafen durchgeführt, bei der die Bohrung derzeit vollständig verfüllt werden soll. Vergleichbare technische Anforderungen sah bereits die Bergpolizeiverordnung Tiefbohrungen und Gasspeicher vom 28. März 1972 vor. Dennoch sind Risiken bei der Stilllegung von Bohrungen nicht vollständig auszuschließen . Bei nicht ordnungsgemäß stillgelegten Bohrungen besteht das Risiko der Gas- bzw. Fluidmigration und daraus resultierender Verunreinigungen. Auch bei den in der Vergangenheit ordnungsgemäß stillgelegten Bohrungen können Risiken nicht vollständig ausgeschlossen werden. Über die konkrete Ausführung der Stilllegungen der einzelnen Tiefbohrungen kann nicht berichtet werden, da selbst bei erheblichem Rechercheaufwand nicht mit einem zufriedenstellenden Ergebnis gerechnet werden kann. In der Vorkriegszeit wurden vermutlich einige Bohrungen nicht erfasst, zumindest ist die damalige Dokumentationskultur mit der heutigen nicht vergleichbar und die Daten liegen allenfalls in Papierform, nicht digitalisiert, vor. Unterlagen über die Bohrungen befinden sich, sofern sie vorhanden sind, in erster Linie in Werksarchiven und sind vom LGRB nicht erfasst. 3. Von wie vielen und welchen stillgelegten Öl- und Gasbohrungen beziehungsweise deren Altlasten geht in Baden-Württemberg eine Umweltgefährdung aus und wie sind diese Umweltgefährdungen jeweils zu charakterisieren? 6. Wie wird die Zumutbarkeit der Kosten zur nachhaltigen Beseitigung von Alt - lasten in diesem Zusammenhang ermittelt? Nach den dem Umweltministerium vorliegenden Erkenntnissen sind aktuell keine Altlasten durch stillgelegte Öl- und Gasbohrungen und daraus resultierende Umweltgefährdungen bekannt. Ein Altlastenverdacht zweier Flächen im Landkreis Bodensee soll zurzeit durch eine sogenannte „orientierende Untersuchung“ geprüft werden. Eine Aussage über mögliche Kosten kann daher nicht getroffen werden. Aus der Vergangenheit wurden dem Umweltministerium folgende Ereignisse mitgeteilt : Im Landkreis Karlsruhe wurden zwischen 1938 und den 1960er-Jahren Bohrungen fertiggestellt bzw. stillgelegt, aus denen Öl an die Tagesoberfläche austrat. Die betroffene Firma veranlasste daraufhin seit den 1990er-Jahren Erkundungsund Sicherungsmaßnahmen. Bis 2007 sanierte sie ca. 150 Altbohrungen, räumte 8 km Feldleitungen und entsorgte mehrere tausend Kubikmeter kontaminierten Bodens (insbesondere in Weingarten/Baden, aber auch in Karlsruhe-Knielingen und Karlsruhe-Neureut) mit einem Aufwand von rd. 5 Mio. Euro. Im Landkreis Ravensburg und im Landkreis Biberach wurden insgesamt 49 Flä - chen von stillgelegten Öl- und Gasbohrungen durch Aushub des Bodens saniert. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7575 4 4. In welchem Rahmen greift das Verursacherprinzip beziehungsweise die euro - päische Richtlinie zur Umwelthaftung vor dem Hintergrund von problematischen Stilllegungen von Öl- und Gasbohrungen? Das Verursacherprinzip, wonach die Kosten der Vermeidung und Beseitigung von Umweltverschmutzungen und Umweltschäden vom Verursacher zu tragen sind, ist einer der Grundpfeiler des Umweltrechtes und gilt auch bei der Still - legung von Öl- und Gasbohrungen. Die Umwelthaftungsrichtlinie 2004/35/EG wurde in Deutschland durch das Umweltschadensgesetz (USchadG) vom 10. Mai 2007 (BGBl. I S. 666) umgesetzt. Dieses findet mangels Aufführung in Anlage 1 des Gesetzes dann Anwendung, wenn der Verantwortliche vorsätzlich oder fahrlässig Schädigungen von Arten und natürlichen Lebensräumen und unmittelbare Gefahren solcher Schäden verursacht hat. Unberührt bleiben daneben fachrecht - liche Schadensersatzregelungen. 5. Inwiefern ist es möglich, stillgelegte Öl- und Gasbohrungen komplett zurückzubauen und welche Kosten verursachen derartige Stilllegungen üblicherweise? Unter einem kompletten Rückbau stillgelegter Öl- und Gasbohrungen versteht man neben der Verfüllung der Tiefbohrung auch das Entfernen sämtlicher eingebauter Rohre. Dieses Vorgehen entspricht nicht den gängigen Verfahren. Statt - dessen verbleiben die Rohre in der Regel im Erdreich. Die im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen zum Rückbau bzw. zur Sicherung der Tiefbohrung variieren. Sie reichen von einer vollständigen Verfüllung über eine Sicherung im oberen Bereich der Bohrung durch teilweises Abschweißen der Verrohrung bis hin zur oberflächennahen Verfüllung oder Verschließung. Welche Maßnahmen im Einzelfall erforderlich sind, hängt unter anderem von der Tiefe, dem Alter und dem Zustand des Bohrlochs ab und kann pauschal nicht beantwortet werden. Die Kos - ten hierfür werden je nach Maßnahme bis hin zu einem niedrigen Millionenbetrag geschätzt. Bei einem weiten Verständnis eines kompletten Rückbaus würden dagegen ähnlich hohe Kosten anfallen wie bei einer Neubohrung. Das LGRB schätzt diese Kosten abhängig vom Einzelfall auf einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag. 7. Wie bewertet sie die Drohung mangelnden Fachwissens wegen des möglichen Wegbrechens eines Industriezweigs durch einen Manager eines Gasunternehmens ? Nach den vorliegenden Erkenntnissen erfolgt die Öl- und Gasförderung aus - schließlich in den Bundesländern Niedersachsen, Schleswig-Holstein, RheinlandPfalz und Bayern. Sie erfolgt überwiegend durch international tätige Unternehmen . Es ist davon auszugehen, dass ein eventuell auftretender Fachkundeverlust durch qualifiziertes Personal aus den kohlenwasserstofffördernden Nachbarstaaten (Niederlande, Norwegen, Großbritannien) oder aus dem Personalpool der international tätigen Unternehmen ersetzt werden könnte. Auf Behördenseite können zur Unterstützung jederzeit Sachverständige hinzugezogen werden. Untersteller Minister für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft