Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 78 07. 06. 2011 1Eingegangen: 07. 06. 2011 / Ausgegeben: 06. 07. 2011 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Haltung nimmt sie zu den Absichten des Daimler-Konzerns ein, in Baden-Württemberg ein Testzentrum für Elektro- und Hybridfahrzeuge zu gründen? 2. Wird sie sich aktiv dafür einsetzen, dass die Konzernleitung bei ihrer Stand - ortentscheidung vorhandene Kompetenzcluster in diesem Themenfeld berücksichtigt ? 3. Welche Standorte sind nach ihrer Kenntnis bei der Konzernleitung in der Entscheidungskonkurrenz ? 4. Ist sie grundsätzlich bereit, im Rahmen ihrer Forschungsförderung ggf. noch fehlende Themen bzw. Arbeitsgruppen zu ergänzen, die zur Abrundung des notwendigen Forschungsspektrums notwendig sein könnten? 5. Teilt sie die Auffassung, dass diesem Testzentrum höchste Bedeutung zukommt , weil es in der Lage sein dürfte, eine leistungsfähige und sichtbare Verbindung zwischen dem Autoland Baden-Württemberg und der Energiewende zu schaffen? 07. 06. 2011 Rivoir SPD Kleine Anfrage des Abg. Martin Rivoir SPD und Antwort des Ministeriums für Finanzen und Wirtschaft Standortentscheidung Daimler Testzentrum für Elektro- und Hybridfahrzeuge Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 78 2 B e g r ü n d u n g Nach Medienberichten plant der Daimler-Konzern ein Testzentrum für Elektround Hybridfahrzeuge. Dabei ist auch ein Standort auf der Schwäbischen Alb bei Nellingen im Gespräch. Eine Entscheidung für diesen Standort würde das neue Zentrum unmittelbar in Verbindung bringen mit der Expertise, die es für solche Forschungsthemen im Forschungszentrum Ulm und einschlägigen Instituten der übrigen Wissenschaftsstadt Ulm gibt. Die Haltung der Landesregierung zu dieser Standortfrage sollte absehen von regional motivierten Egoismen und die höchste und perspektivenreichste Kompetenz zum Maßstab machen. A n t w o r t Mit Schreiben vom 28. Juni 2011 Nr. 2-4224.040/339 beantwortet das Ministe - rium für Finanzen und Wirtschaft in Abstimmung mit dem Ministerium für Umwelt , Klima und Energiewirtschaft, dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst sowie dem Ministerium für Verkehr und Infrastruktur die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Haltung nimmt sie zu den Absichten des Daimler-Konzerns ein, in Baden-Württemberg ein Testzentrum für Elektro- und Hybridfahrzeuge zu gründen? Nachhaltige Mobilitätslösungen für den Transport von Menschen und Gütern sind eine der Grundvoraussetzungen für den wirtschaftlichen Erfolg unserer Gesellschaft . Hierbei sind besonders Konzepte auf Basis erneuerbarer Energien gefragt. Die Elektromobilität bietet hierfür enormes Potenzial und wird von der Landes - regierung sowie der Forschung und Industrie im Land als eine der bedeutendsten Zukunftstechnologien im Bereich der Mobilität angesehen. Auch wenn sich viele Experten einig sind, dass der Verbrennungsmotor in den nächsten zwei Dekaden noch wesentlich unser Straßenbild prägen wird, gilt es bereits heute, den strategischen Übergang zu neuen Technologien zu gestalten. Um im Umfeld der Elektromobilität schnell bezahlbare und kundenorientierte Konzepte und Lösungen zu schaffen, ist eine enge Verzahnung der drei Technologiefelder Fahrzeug-, Energie - sowie Informations- und Kommunikationstechnik erforderlich. Deutschland strebt hierbei eine Spitzenposition an. Im Nationalen Entwicklungsplan und der Nationalen Plattform Elektromobilität werden Wege aufgezeigt, um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen. Die Landesregierung Baden-Württemberg begleitet den damit verbundenen Technologie- und Strukturwandel ebenfalls aktiv. Im Rahmen der Landesinitiative Elektromobilität, des Landesinvestitionsprogramms und weiteren Maßnahmen investiert das Land gezielt in Strukturen und Projekte, die das Innovationsklima für die zügige Umsetzung umweltfreundlicher Elektromobilitätskonzepte verbessern. Das Kernstück der Landesinitiative bildet die Landesagentur für Elektromobilität und Brennstoffzellentechnologie – die e-mobil BW GmbH. Weitere Schwerpunkte innerhalb der Landesinitiative sind die Themen Aus- und Weiterbildung, Strategische Investitionen in die Forschungsinfrastruktur und die gezielte Förderung von Leuchtturmprojekten im Land. Daneben wird in den Aufbau neuer Helmholtz-Strukturen auf dem Gebiet der elektrochemischen Energiespeicherung in Ulm und in die Clusteraktivitäten im Leichtbau in Karls - ruhe und Stuttgart investiert. Im Rahmen des Landesinvestitionsprogramms wird der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur für Brennstoffzellenfahrzeuge unterstützt . Es geht darum, Elektromobilität zu einem zunehmenden Teil des realen Straßenbildes zu machen. Ziel ist es hierbei, Know-How und Produkte aus Baden-Württemberg weltweit anzubieten. Die Landesregierung begrüßt und unterstützt daher die Absichten der Daimler AG, in Baden-Württemberg ein Prüfund Technologiezentrum Süd mit den Schwerpunkten „alternative Antriebe wie Hybrid-, Elektro- und Brennstoffzellentechnologie“ sowie „Fahrerassistenzsysteme“ zu gründen. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 78 2. Wird sie sich aktiv dafür einsetzen, dass die Konzernleitung bei ihrer Stand - ortentscheidung vorhandene Kompetenzcluster in diesem Themenfeld berücksichtigt ? Im Hinblick auf die Themenfelder Hybrid-, Elektro- und Brennstoffzellentechnologie sowie Fahrerassistenzsysteme sind in Baden-Württemberg hervorragende Kompetenzen sowohl in Forschung als auch industrieller Umsetzung vorhanden. Für die Bereiche Energiespeicherung, elektrochemische Grundlagenforschung, Batterieprüfung und -produktion sowie Brennstoffzellentechnologie hat sich in Ulm zwischen der Universität und ihrem Forschungsumfeld ein in Europa führendes Zentrum entwickelt, welches in jüngster Vergangenheit mit erheblichen Investitions- und Projektförderungen seitens des Landes und des Bundes weiter gestärkt und ausgebaut werden konnte. Weiter wird am Standort das Themenfeld Fahrerassistenzsysteme erforscht. Im Großraum Stuttgart, Esslingen und Reutlingen fokussieren die Aktivitäten auf die gesamtsystematische Fahrzeugbetrachtung inklusive Leichtbau, Reduktion von Fahrwiderständen wie Luft- und Abrollwiderstand, Leistungselektronik, Fahrsimulator, Hybridtechnologien sowie der Optimierung des Verbrennungs - motors. Mit den Themen alternative Antriebstechnologien, Elektromotor, alternative Batterietechnologien sowie Fahrerassistenzsystemen hat sich im Großraum Karlsruhe ein weiteres Zentrum mit weltweiter Sichtbarkeit etabliert. Alle drei Zentren sind aktiver Bestandteil des durch die Landesagentur e-mobil BW koordinierten Clusters Elektromobilität Süd-West. Die Daimler AG ist mit Vertretern aus unterschiedlichen Konzernbereichen Teil dieses Clusters und in kontinuierlichem Austausch sowie in zahlreichen gemeinsamen Verbundforschungsprojekten aktiv. Darüber hinaus pflegt die Landesregierung den kon - tinuierlichen Austausch mit der Daimler AG, sodass diese sehr gut über die vorhandenen Kompetenzcluster im Land informiert bzw. mitgestaltender Partner dieser ist. Neben technologie- und forschungspolitischen Aspekten sind bei der Standortentscheidung für das geplante Testzentrum auch Fragen der Raum- und Umweltverträglichkeit von zentraler Bedeutung. Im Interesse einer nachhaltigen Raumentwicklung sollte das Testzentrum aus Sicht der Landesregierung in möglichst flächen- und umweltschonender Weise an einem auch raumordnerisch geeigneten Standort realisiert werden. Bei der Standortwahl und der Projektgestaltung sind Belange des Natur- und Landschaftsschutzes, der Landwirtschaft, des Bodenschutzes und des Schutzes der Anwohner vor Lärm- und Verkehrsbelastungen ebenso zu berücksichtigen wie die Leitprinzipien einer haushälterischen Flächenpolitik und der Schonung wertvoller landwirtschaftlicher Böden. Um unterschiedlichen Belangen und Interessen angemessen Rechnung tragen zu können, hält die Landesregierung eine frühzeitige und breite Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger bei der Standortentscheidung und Projektgestaltung für geboten. 3. Welche Standorte sind nach ihrer Kenntnis bei der Konzernleitung in der Entscheidungskonkurrenz ? Aus Gründen der Effektivität ist seitens der Daimler AG geplant, das Prüfzentrum so nahe wie möglich am Mercedes-Benz Technology Center (MTC) in Sindelfingen zu positionieren. Gewünscht ist eine gute Anbindung an das Autobahnnetz, die Vermeidung von Ortsdurchfahrten sowie maximal eine Stunde Fahrzeit ab Sindelfingen. Um die technologisch anspruchsvollen Fahrzeuge umfassend prüfen zu können, soll das Prüfzentrum die Form eines Ovals mit Geraden und eine Messstrecke aufweisen. Von besonderer Bedeutung ist auch eine Fläche für die angedachte „Simulationsstadt“. Hier sollen Assistenzsysteme erprobt und weiterentwickelt werden, die insbesondere im Stadtverkehr die Zahl der Unfälle weiter reduzieren können. Dabei spielt auch der Fußgängerschutz eine große Rolle. Weiterhin ist geplant, ein Technik-, Verwaltungs- und Veranstaltungszentrum aufzubauen. Das Prüfzentrum soll auch für Präsentationen und Technik-Workshops mit innova - Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 78 4 tiven Fahrzeugen für nationale und internationale Medienvertreter sowie Kunden genutzt werden. Zur Standortfindung wurde, auch auf Basis flächenbezogener Informationen, die von verschiedenen Institutionen zur Verfügung gestellt wurden, seitens der Daimler AG ein systematisches, gestuftes Auswahlverfahren über 80 Standorte in Baden-Württemberg durchgeführt. Neben dem Anwohnerschutz wurden dabei die Belange der Umwelt- und Raumverträglichkeit berücksichtigt: z. B. die Schutz - güter Tiere, Pflanzen, Landschaft, Erholung, Boden, Wasser, Klima, Luft sowie die Kriterien der Nutzungen von Land- und Forstwirtschaft, Bodenschätze, Trinkwassergewinnung u. v. a. m. Zu Standorten, die aus Betreiber- und Umweltsicht für die Errichtung eines Prüfzentrums geeignet wären, wurden weitere Unter - suchungen und Bewertungen mit allgemein zugänglichen Informationen durch - geführt. Bei der Standortsuche hat die Daimler AG von Anfang an großen Wert auf Transparenz und die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger gelegt. Vor diesem Hintergrund haben z. B. in Nellingen und Merklingen sowie in Sulz und Empfingen Bürgerversammlungen stattgefunden. Darüber hinaus fanden jeweils mehrere Gemeinderatssitzungen (zum Teil öffentlich) statt. Den Standort Empfingen hat die Daimler AG in gegenseitigem Einvernehmen mit der Stadtverwaltung in der Prioritätenliste zurückgestellt. Öffentlich bekannt sind weiter die Standortoptionen Nellingen/Merklingen und Sulz. Darüber hinaus steht die Daimler AG mit weiteren Standorten im Gespräch, die allerdings zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht genannt werden wollen und der Landesregierung nicht bekannt sind. 4. Ist sie grundsätzlich bereit, im Rahmen ihrer Forschungsförderung ggf. noch fehlende Themen bzw. Arbeitsgruppen zu ergänzen, die zur Abrundung des notwendigen Forschungsspektrums notwendig sein könnten? Es besteht weltweit großes Interesse, den sich abzeichnenden Paradigmenwechsel hin zur Elektromobilität aktiv mit zu gestalten. Ein intensiver Wettbewerb hat begonnen. Welche Regionen letztlich diesen Wettbewerb für sich entscheiden und nicht nur zum Leitmarkt, sondern auch zum Leitanbieter für Elektromobilität werden , ist aktuell noch offen. Baden-Württemberg ist in diesem Wettbewerb sehr gut aufgestellt. Um im Umfeld der Elektromobilität schnell bezahlbare und kundenorientierte Konzepte und Lösungen zu schaffen, ist einerseits eine enge Verzahnung der drei Technologiefelder Fahrzeug-, Energie- sowie Informations- und Kommunikationstechnik, andererseits aber vor allem eine enge Verknüpfung der Grundlagenforschung mit der angewandten Forschung erforderlich. Die Institute der wirtschaftsnahen Forschung sind die Brücke zwischen der Grundlagen - forschung und der technischen Entwicklung von Produkten und Produktionsverfahren in den gewerblichen Unternehmen. Auf dem Gebiet der Elektromobilität sind neben den Hochschulen verschiedene grundlagen- und anwendungsorientierte Forschungseinrichtungen, wie z. B. Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft , Institute der Fraunhofer-Gesellschaft und der Innovationsallianz Baden- Württemberg sowie Transferinstitute der Universitäten sehr aktiv und teilweise Benchmark in ganz Europa. Im Rahmen der Konjunkturpakete wurde seitens Bund und Land, sowie mit Mitteln der EU die Forschungsinfrastruktur dieser Institute im Themenfeld der Elektromobilität gestärkt und ausgebaut. Mit der bereits in der Antwort zu Frage 1 beschriebenen Landesinitiative Elektromobilität wurde dieser Kurs effektiv fortgesetzt. Das Themenfeld der Elektromobilität wird mit allen seinen Facetten ein fester Bestandteil der Forschungs-, Industrie- und Technologiepolitik der Landesregierung sein. 5. Teilt sie die Auffassung, dass diesem Testzentrum höchste Bedeutung zukommt, weil es in der Lage sein dürfte, eine leistungsfähige und sichtbare Verbindung zwischen dem Autoland Baden-Württemberg und der Energiewende zu schaffen? Die Daimler AG gehört zu den namhaftesten Anbietern von Premium-Pkw und ist der größte weltweit tätige Nutzfahrzeug- und Omnibus-Hersteller. Als Pionier des Automobilbaus will Daimler auch heute und morgen die Zukunft der Mobilität mitgestalten und insbesondere bei der Elektromobilität und der Fahrzeugsicher- 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 78 heit weiterhin eine Vorreiterrolle übernehmen. Künftig wird es aber nicht die eine Technologie als Königsweg zur nachhaltigen Mobilität geben. Erforderlich sind vielmehr maßgeschneiderte Lösungen für die vielfältigen Anforderungen der Kunden und des Straßenverkehrs. Das bedeutet für Konzerne wie die Daimler AG, unterschiedliche Fahrzeugkonzepte mit entsprechenden Antriebslösungen zu entwickeln: Im Langstreckenverkehr werden vor allem saubere und effiziente High-Tech-Verbrennungsmotoren mit Hybridmodul zum Einsatz kommen. Im Stadtverkehr werden künftig lokal emissionsfreie Elektrofahrzeuge mit Batterie oder Brennstoffzelle das Straßenbild prägen. Um zukünftige Fahrzeuggenera - tionen, gerade auch Elektrofahrzeuge, mit ihren komplexen Sicherheits- und Assistenzsystemen möglichst zeitnah und sicher auf die Straßen zu bringen, bedarf es eines Prüfgeländes, auf dem Fahrzeuge unter unterschiedlichen Bedingungen erprobt und abgesichert werden können. Da die Daimler AG ihre Forschung und Entwicklung bewusst in Baden-Württemberg mit Schwerpunkt in Sindelfingen und in unmittelbarer Nähe zu den Forschungsclustern im Land konzentriert hat, soll auch das geplante Prüfzentrum für Pkw und Transporter in räumlicher Nähe zu Sindelfingen eingerichtet werden. Ziel eines solchen Prüfzentrums ist es, die Fahrzeugentwicklung räumlich zu bündeln und zeitlich zu verkürzen, um damit beispielsweise die Elektromobilität schnell marktfähig zu machen. Außerdem können Erprobungsfahrten im öffentlichen Straßenverkehr mittels des neuen Prüfzentrums noch weitgehender als bisher vermieden werden. Die Landesregierung teilt daher die Auffassung, dass der Gründung und dem Aufbau eines derartigen Prüfzentrums im Land höchste Bedeutung zukommt. Ein derartiges Prüfzentrum wird ein bedeutender Baustein auf dem Weg zur nachhaltigen Mobilität. Um nicht nur lokal eine emissionsfreie Mobilität zu realisieren, sondern auch global betrachtet emissionsfrei mobil sein zu können, müssen erneuerbare Energien die Quelle für die Mobilität darstellen. Elektromobilität mit allen ihren Ausprägungen und Konzeptformen kann hierbei als Bindeglied zwischen der Energiewende hinsichtlich der Nutzung erneuerbarer Energien und der Erfüllung der gewünschten und notwendigen Mobilitätsbedarfe wirken. Dr. Schmid Minister für Finanzen und Wirtschaft