Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 7867 11. 12. 2015 1Eingegangen: 11. 12. 2015 / Ausgegeben: 08. 03. 2016 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie gestaltet sich die Kostenerstattung durch Krankenkassen im Bereich der Leistungen für häusliche Krankenpflege in Baden-Württemberg? 2. Wie unterscheiden sich die Krankenkassen untereinander bezüglich der Kos - tenübernahme-Praxis im Bereich der häuslichen Krankenpflege? 3. Ist ihr bekannt, dass eine spezielle Krankenkasse bezüglich der häuslichen Krankenpflege häufiger die Kostenübernahme verweigert? 4. Ist ihr bekannt, in welchem Umfang es bei ambulanten Pflegediensten durch die Verweigerungshaltung bestimmter Krankenkassen zur Kostenübernahme zu finanziellen Engpässen kommt? 5. Ist ihr bekannt, in welchem Umfang es im Rahmen der häuslichen Krankenpflege durch die Verweigerungshaltung von Krankenkassen zu Engpässen im Bereich der ambulanten Versorgung kommt? 6. Was tut sie, um auf Krankenkassen, welche die Finanzierung der häuslichen Krankenpflege nicht hinreichend begründet verweigern, einzuwirken? 09. 12. 2015 B e g r ü n d u n g In den letzten Monaten haben sich Meldungen gehäuft, wonach es im Bereich der häuslichen Krankenpflege immer wieder zu Problemen bezüglich der Kosten - übernahme durch die Krankenkassen zu kommen scheint. Im Fokus stehen hier Kleine Anfrage des Abg. Wolfgang Reuther CDU und Antwort des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Kostenübernahme häusliche Krankenpflege Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7867 2 Leistungen der häuslichen Pflege, wie beispielsweise Medikamentengabe, Blutzuckermessung und Kompressionsstrumpfwechsel. Wie Vertreter verschiedener mobiler Pflegedienste berichten, werden zahlreiche Folgeverordnungen, welche nach der für 14 Tage geltenden Erstverordnung für einen längeren Zeitraum vom Arzt verschrieben werden, abgelehnt. Oft führe erst eine massive Intervention zur Genehmigung. Wohlfahrtsverbände und Pflegeeinrichtungen in ganz Baden- Württemberg haben ihre diesbezügliche Kritik in den letzten Monaten öffentlich geäußert. So verwiesen etwa Diakonie und Caritas darauf, dass die Nicht-Genehmigung bzw. die Kürzungen in der häuslichen Krankenpflege bei alten und kranken Menschen deren ambulante medizinische Versorgung gefährden könnten. Potenzielle Fehlentwicklungen oder Fehlverhalten seitens der Krankenkassen dürfen nicht dazu führen, dass die Versorgung hilfsbedürftiger Mitbürgerinnen und Mitbürger gefährdet wird. Vor diesem Hintergrund ist es Aufgabe der Landesregierung , deutlich Stellung zu beziehen und entsprechend ihrer Möglichkeiten auf die jeweiligen Akteure einzuwirken. A n t w o r t * ) Mit Schreiben vom 23. Februar 2016 Nr. 5-0141.5/25 beantwortet das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren die Kleine Anfrage wie folgt: Ich frage die Landesregierung: 1. Wie gestaltet sich die Kostenerstattung durch Krankenkassen im Bereich der Leistungen für häusliche Krankenpflege in Baden-Württemberg? Leistungen der häuslichen Krankenpflege (HKP) sind nach § 37 SGB V durch eine Vertragsärztin oder einen Vertragsarzt zu verordnen. Das Nähere zur Verordnung , deren Dauer und deren Genehmigung durch die Krankenkasse sowie zur Zusammenarbeit der Vertragsärztinnen und -ärzte mit den die HKP durchführenden ambulanten Pflegediensten und Krankenhäusern regelt die „Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege “ (HKP-RL) nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 7 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Danach ist die ärztliche Verordnung von HKP bei der zuständigen Krankenkasse zur Genehmigung einzureichen. Die Krankenkasse hat von Amts wegen zu prüfen , ob die Leistungsvoraussetzungen gegeben sind. Die in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähigen Maßnahmen der HKP sind dem Leistungsverzeichnis der HKP-Richtlinie zu entnehmen. Darin nicht aufgeführte Maßnahmen sind grundsätzlich nicht als HKP verordnungs- und genehmigungsfähig (§ 1 Abs. 4 Satz 1 und 2 der HKP-RL). Die Krankenkassen stellen den Versicherten die Leistung zur Verfügung, indem sie entsprechende Verträge mit Leistungserbringern schließen. Dies erfolgt in der Regel über den Abschluss von sogenannten Rahmenverträgen nach § 132 a SGB V mit Verbänden wie der Liga der freien Wohlfahrtspflege oder dem Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e. V. (bpa). Diesen Verträgen können die einzelnen ambulanten Pflegedienste unter bestimmten Voraussetzungen beitreten. Die Abrechnung der erbrachten Leistungen erfolgt direkt zwischen Pflegedienst und Krankenkasse, wobei grundsätzlich nur genehmigte Leistungen abgerechnet werden können. Die für die Abrechnung erforderlichen Formalien werden allerdings nicht immer in vollem Umfang beachtet (z. B. fehlende Unterschriften, verpasste Fristen oder unvollständig ausgefüllte Verordnungen). _____________________________________ *) Der Überschreitung der Drei-Wochen-Frist wurde zugestimmt. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7867 Da dies in der Vergangenheit immer wieder zu Spannungen geführt hat, hat der Verband der Ersatzkassen den Modellversuch „Verordnung häuslicher Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V“ initiiert und durchgeführt. Ziel hierbei war, insbesondere eine Entbürokratisierung des Verordnungsprozesses HKP vorzunehmen , damit der Abstimmungsaufwand zwischen den Ersatzkassen, niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, ambulanten Pflegediensten sowie Patientinnen und Patienten reduziert wird. Hierfür wurde ein vereinfachtes Verordnungsverfahren entwickelt (z. B. probeweise Verlagerung der Verordnung von Behandlungspflege auf den Pflegedienst), das nunmehr nach Ansicht der am Modellversuch Beteiligten in den hierfür zuständigen Gremien auf Bundesebene einzubringen ist. 2. Wie unterscheiden sich die Krankenkassen untereinander bezüglich der Kos - tenübernahme-Praxis im Bereich der häuslichen Krankenpflege? Die „Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege“ (HKP-RL) nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 7 SGB V gilt bundesweit für alle gesetzlichen Krankenkassen in gleichem Maße. Unterschiede gibt es lediglich bei den nach § 132a Abs. 2 SGB V geschlossenen Rahmenverträgen. Nach den bundesgesetzlichen Vorgaben des SGB V obliegt die inhaltliche Ausgestaltung von Versorgungsverträgen den gesetzlichen Krankenkassen und den jeweiligen Leistungserbringern als Vertragspartner. Die Krankenkassen haben hierbei einerseits den Sicherstellungsauftrag gegenüber ihren Ver - sicherten zu erfüllen. Andererseits sind sie im Interesse der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots und des Gebots der Beitragssatzstabilität gezwungen, vertretbare Angebote zu unterbreiten und Vertragspartner zu finden, die unter den angebotenen Rahmenbedingungen die Leistungserbringung ermöglichen. Diese Unterschiede betreffen aber nur das „Wie“ der Leistungserbringung und der Abrechnung, nicht aber das „Ob“, welches abschließend von der HKP-RL normiert wird. Darüber hinaus können sich auch im begrenzten Umfang Unterschiede beim Leistungsinhalt durch eine Satzungsregelung ergeben. 3. Ist ihr bekannt, dass eine spezielle Krankenkasse bezüglich der häuslichen Krankenpflege häufiger die Kostenübernahme verweigert? Die Anfrage bei den diesbezüglich um Auskunft gebetenen Institutionen hat Folgendes ergeben: Nach Angaben der AOK Baden-Württemberg hat es bei ihr zu keiner Zeit Hinweise gegeben, dass sie regelhaft das Genehmigungsverfahren hinauszögere bzw. nicht rechtskonform vorginge. Nach Angaben der AOK liegt die Genehmigungsquote in den letzten fünf Jahren kontinuierlich bei über 97 % der beantragten Leis - tungen und dies unabhängig von den steigenden Antragszahlen (Zunahme der Anträge seit dem Jahr 2010 um 11,4 %; für das Jahr 2015 werden es ca. 264.000 Anträge sein). Die Zunahme der Anträge und der Zuwachs bei den einzelnen Verrichtungen spiegeln sich auch in den Gesamtausgaben der AOK Baden-Württemberg für die HKP wider (2013: 254 Mio. Euro, 2014: 275 Mio. Euro, +8,3 %, 2015 (VRE): 294 Mio. Euro, +6,9 %). Auch dem BKK Landesverband sowie der Arbeitsgemeinschaft der B 52-Verbändekooperation Baden-Württemberg ist nicht bekannt, dass es zwischen den Krankenkassen signifikante Unterschiede bei der Gewährung von HKP gibt. Letztlich seien für die Leistungsbewilligung allein die medizinischen Umstände des jeweiligen Einzelfalles entscheidend. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7867 4 4. Ist ihr bekannt, in welchem Umfang es bei ambulanten Pflegediensten durch die Verweigerungshaltung bestimmter Krankenkassen zur Kostenübernahme zu finanziellen Engpässen kommt? 5. Ist ihr bekannt, in welchem Umfang es im Rahmen der häuslichen Krankenpflege durch die Verweigerungshaltung von Krankenkassen zu Engpässen im Bereich der ambulanten Versorgung kommt? Angesichts des Sachzusammenhangs werden die Ziffern 4 und 5 zusammenge - fasst beantwortet. Die Anfrage bei den diesbezüglich um Auskunft gebetenen Institutionen hat Folgendes ergeben: Der Liga der freien Wohlfahrtspflege sind derzeit keine Fälle bekannt, in denen Pflegedienste in finanzielle Schwierigkeiten kamen, weil bei Versicherten keine Leistungen genehmigt wurden und daher Personal bei den Pflegediensten ohne Arbeit war. Auch der bpa nennt nicht explizit als Grund für (finanzielle) Engpässe eine Verweigerungshaltung bei Genehmigungen, abgesehen von Schwierigkeiten mit/bei formellen Voraussetzungen (vgl. Ausführungen zu Ziffer 1). Vielmehr wird der Fachkräftemangel als Grund genannt sowie die deutlich gestiegenen Personalkosten. Bei den Verhandlungen über die Höhe innerhalb der mit den Krankenkassen geschlossenen Versorgungsverträge nach § 132 a SGB V sind die Krankenkassen von Rechts wegen unter Beachtung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität nach § 71 SGB V jedoch verpflichtet, die Vergütung grundsätzlich nur bis zur sog. Veränderungsrate (Entwicklung der Grundlohnsumme, d. h. der Summe der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder der Sozialversicherung ) als zulässige Grenze zu vereinbaren. 6. Was tut sie, um auf Krankenkassen, welche die Finanzierung der häuslichen Krankenpflege nicht hinreichend begründet verweigern, einzuwirken? Vor dem bundesgesetzlich vorgegebenen Hintergrund, dass die Versorgung mit HKP eine ureigene Aufgabe der Selbstverwaltung darstellt und deshalb auch vertragsinhaltliche Fragen und Diskussionspunkte von den vertragschließenden Parteien selbst zu klären sind, sind die Möglichkeiten für die Landesregierung, gestaltend im Sinne der Leistungserbringer auf Bedingungen der Versorgung mit HKP einzuwirken, gering. Daher können von Seiten der Politik die Zielkonflikte zwischen den Krankenkassen (Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung), den Leistungserbringern (auskömmliche Vergütung) und den Versicherten (gute, flächendeckende Versorgung) nicht gelöst werden. Anhaltspunkte, dass Krankenkassen in unzulässiger Art und Weise Leistungen verweigern, liegen dem Sozialministerium nicht vor (vgl. Antworten zu den Fragen 3. bis 5.). Das Sozialminis - terium in seiner Funktion als Rechtsaufsichtsbehörde über die landesunmittelbaren Krankenkassen in Baden-Württemberg kann den Beteiligten vor diesem Hintergrund allenfalls moderierend/beratend zur Seite stehen. Eine politische oder aufsichtsrechtliche Einflussnahme durch die für die Krankenkassen zuständigen Aufsichtsbehörden jenseits der Bestimmung einer Schiedsperson im Konfliktfall ist rechtlich ausgeschlossen. Dies gilt umso mehr, als der Großteil der in Baden- Württemberg tätigen Krankenkassen (Ersatzkassen, BKKen, IKK classic) nicht der Rechtsaufsicht des Landes unterliegen. Angesichts der seit Längerem auftretenden Kritik seitens der Leistungserbringer wurde im Jahr 2014 unter der Moderation des Sozialministeriums im Rahmen eines „Runden Tisches zur häuslichen Krankenpflege“ mit allen beteiligten Akteuren in der HKP grundlegende Themen erörtert, Lösungsansätze und Wege diskutiert , um auf einer gemeinsamen Basis Ansätze zur Sicherung der ambulanten Pflege in Baden-Württemberg weiterzuentwickeln. Altpeter Ministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren