Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 7883 16. 12. 2015 1Eingegangen: 16. 12. 2015 / Ausgegeben: 14. 01. 2016 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie bewertet sie ‒ auch vor dem Hintergrund der aktuellen Klimaschutzverhandlungen in Paris ‒ die Bedeutung der Kohlenstoffspeicherung als Teilziel der heimischen Holz- und Forstwirtschaft? 2. Welche Erkenntnisse hat sie über die Kohlenstoffspeicherung im nachhaltig bewirtschafteten und multifunktionalen Wirtschaftswald im Vergleich zur Koh - lenstoffspeicherung in nicht bewirtschafteten Wäldern? 3. Ist ihr das Ergebnis der „Kohlenstoffstudie Forst und Holz Niedersachsen“ von 2011 bekannt? 4. Wenn ja, wie bewertet sie deren Schlussfolgerung, dass sich die Kohlenstoff - bilanzen unter Betrachtung der Holzverwertung und der Verweildauer der jeweiligen Holzprodukte „eindeutig zugunsten der leistungsfähigen Nadelbaum - arten“ verschiebt? 5. Wie hat sich der Nadelholzanteil im baden-württembergischen Wald in den vergangenen 15 Jahren entwickelt (Angabe jeweils nach Staatsforst, Körperschaftswald und Privatwald sowie nach den Baumarten Fichte, Weißtanne, Kiefer, Douglasie, Lärche und sonstige Nadelbaumarten)? 6. Welche Bedeutung für eine nachhaltige und multifunktionale Holz- und Forstwirtschaft in Baden-Württemberg misst sie vor dem Hintergrund des Klimawandels der Douglasie bei? Kleine Anfrage des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP und Antwort des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Kohlenstoffspeicherung im heimischen Wald Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7883 2 7. Was tut sie sowohl im Staatsforst als auch über die Gewährung von Zuwendungen für nachhaltige Waldwirtschaft für eine langfristige Sicherung des Nadelholzanbaus in Baden-Württemberg sowie für einen nachhaltigen Zuwachs beim Anteil der Douglasie? 08. 12. 2015 Dr. Bullinger FDP/DVP A n t w o r t Mit Schreiben vom 23. Dezember 2015 Nr. Z(51)-0141.5/604F beantwortet das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz im Einvernehmen mit dem Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet sie ‒ auch vor dem Hintergrund der aktuellen Klimaschutzverhandlungen in Paris ‒ die Bedeutung der Kohlenstoffspeicherung als Teilziel der heimischen Holz- und Forstwirtschaft? Zu 1.: Die durch Forst- und Holzwirtschaft erbrachte Entlastung der Atmosphäre von fossilem CO2 ist ein wichtiger Aspekt der Nutzung des heimischen nachwachsenden Rohstoffs Holz. Forst- und Holzwirtschaften leisten dadurch einen Beitrag zur Mitigation der Klimaerwärmung. Denn durch nachhaltige und multifunktionale Waldwirtschaft können fossile, nichterneuerbare Brennstoffe und energieintensive Baumaterialien in erheblichem Maße dauerhaft, langfristig und nachhaltig ersetzt werden (Substitutionseffekte). Außerdem findet in langlebigen Holzprodukten (vor allem verbautes Holz) eine erweiterte Kohlenstoffspeicherung außerhalb des Waldes statt (Speichereffekt). Die durch die langfristige Bindung von Kohlenstoff in langlebigen Produkten erzeugte Senkenleistung ist im Rahmen der 2. Verpflichtungsperiode des Kyoto- Protokolls (2013 bis 2020) anrechenbar. Die Bedeutung der Holznutzung für den Klimaschutz findet für den Staatswald Baden-Württemberg ihren Ausdruck in der SBSC (Sustainability Balanced ScoreCard) des strategischen Nachhaltigkeits - managements, bei der Klimaschutz als Betriebsziel für eine nachhaltige, ökologische Waldbewirtschaftung aufgelistet wird. Deren Rolle für den Klimaschutz wird auch im Integrierten Energie- und Klimaschutzkonzept Baden-Württemberg (IEKK) anerkannt und durch Maßnahmen wie beispielsweise den dauerhaften Erhalt der Waldbestände als Kohlenstoffspeicher (M98) unterstützt. Grundsätzlich gilt, dass Speichereffekte begrenzt sind; dies trifft sowohl für die Speicherung in der Waldbiomasse („in situ“) wie auch für die Speicherung in Holzprodukten außerhalb des Waldes („ex situ“) zu. Die Substitutionseffekte sind ebenfalls nur wirksam, solange die Energiewirtschaft hohe Anteile an fossilen Brennstoffen aufweist (bei einer vollständig auf regenerativen Energien basierenden Wirtschaft würden die Substitutionseffekte gegen Null gehen; dann würden nur noch die Anteile energetisch genutzter Biomasse aus dem Wald eine Rolle spielen). 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7883 2. Welche Erkenntnisse hat sie über die Kohlenstoffspeicherung im nachhaltig bewirtschafteten und multifunktionalen Wirtschaftswald im Vergleich zur Kohlenstoffspeicherung in nicht bewirtschafteten Wäldern? Zu 2.: Obwohl es auch einzelne Fallstudien gibt, die Totalreservaten (ungenutzte sich selbst überlassene Wälder) langfristig eine positive Kohlenstoffbilanz attestieren, kommen Studien mit großflächigem Bezug und repräsentativen Erhebungsmethoden überwiegend zu dem Ergebnis, dass nur bewirtschaftete Wälder langfristig und dauerhaft zu positiven Kohlenstoffbilanzen führen. Hauptgrund hierbei liegt in der Holznutzung (Produktspeicher) und den Substitutionseffekten. Die gesamte Kohlenstofffixierung im nichtbewirtschafteten Wald liegt durchschnittlich höher als im bewirtschafteten Wald. Jedoch wird dieser Kohlenstoff durch Holzzersetzung wieder der Atmosphäre zugeführt , ohne dabei stoffliche oder energetische Nutzungsansprüche des Menschen zu befriedigen. Insbesondere kommt in Nichtwirtschaftswäldern Störungen wie Sturmwürfen oder Borkenkäferkalamitäten besondere Bedeutung zu, denn in diesen Störungsphasen können – wie in „normalen“ Alters- und Zerfallsphasen auch – Nichtwirtschaftswälder zu Kohlenstoffquellen werden. 3. Ist ihr das Ergebnis der „Kohlenstoffstudie Forst und Holz Niedersachsen“ von 2011 bekannt? Zu 3.: Ja. 4. Wenn ja, wie bewertet sie deren Schlussfolgerung, dass sich die Kohlenstoff - bilanzen unter Betrachtung der Holzverwertung und der Verweildauer der jeweiligen Holzprodukte „eindeutig zugunsten der leistungsfähigen Nadelbaum - arten“ verschiebt? Zu 4.: Es ist aus wissenschaftlicher Sicht eindeutig, dass Nadelwald unter Einbeziehung des Waldbodens, der Holzprodukte bei heutigen Holzverwendungsstatistiken (Verweildauer), der Kaskadennutzung und der Substitutionseffekte eine günstigere Gesamt-Kohlenstoffbilanz aufweist als Laubwald. Dies liegt daran, dass langlebige Holzprodukte (Bauholz) aktuell ausschließlich aus Nadelholz (überwiegend Fichte) hergestellt werden. Die Verwendung von Laubholz (überwiegend Buchenholz) erfolgt dagegen in größeren Anteilen in kurzlebigen Produkten und als Brennholz. Wenn es gelingt, Laubholz in größerem Umfang in langlebigen Produkten wie Bauholz zu verwenden, sind Nadel- und Laubbäume im Hinblick auf ihre Klimaschutzfunktion mutmaßlich vergleichbar. Betrachtet man hingegen ausschließlich die Kohlenstoffbindung in der Biomasse im Wald, sind die Laubbaumarten den Nadelbäumen mindestens ebenbürtig. Die bessere Kohlenstoffbilanz von Nadelwäldern bedeutet für die Landesforstverwaltung (ForstBW) nicht, dass der Anbau von Nadelbäumen zukünftig zur Maximierung der Klimaschutzwirkung erhöht werden soll. Denn für die langfristige, nachhaltige Anpassung an den Klimawandel sind neben dem Klimaschutz auch die standörtliche Eignung und Angepasstheit der Baumarten unter Klimawandel wichtige Zielaspekte (Stabilität im Klimawandel). Da die Nadelbaumart Fichte bei der standörtlichen Eignung unter Klimawandel Nachteile gegenüber den Laubbaumarten aufweist, wie auch die Baumarteneignungskarten der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) zeigen, liegt ein Zielkonflikt zwischen Mitigation und Adaption vor. Dieser Zielkonflikt ist der Landesregierung bekannt und kann nur mit einem ausgewogenen Verhältnis zwischen klimaschutzpositiven Nadelbaumarten und besser klimaangepassten Laubbaumarten gelöst werden. Eine prinzipielle Abkehr Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7883 4 oder eine Maximierung von Nadelbäumen scheiden auf jeden Fall als zu extreme Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel aus. Die Baumartenzielsetzung in bewirtschafteten Wäldern Baden-Württembergs orientiert sich deshalb an wissenschaftlichen Erkenntnissen bezüglich der klimawandeldynamisierten Baumarteneignung unter Einbeziehung baumartenspezifischer Klimawandelrisiken. 5. Wie hat sich der Nadelholzanteil im baden-württembergischen Wald in den vergangenen 15 Jahren entwickelt (Angabe jeweils nach Staatsforst, Körperschaftswald und Privatwald sowie nach den Baumarten Fichte, Weißtanne, Kiefer, Douglasie, Lärche und sonstige Nadelbaumarten)? Zu 5.: Der Nadelholzanteil hat sich in Baden-Württemberg seit 1987 wie folgt entwickelt . Gesamtwald: Baumartengruppe 1987 (BWI 1) 2002 (BWI 2) 2012 (BWI 3) Fichte 43,5 % 37,7 % 34,0 % Tanne 7,9 % 7,9 % 8,1 % Kiefer 8,2 % 6,8 % 5,9 % Douglasie 2,3 % 2,8 % 3,4 % Lärche 2,0 % 1,9 % 1,8 % Sonst. Nadelbaumarten – – – Staatswald: Baumartengruppe 1987 (BWI 1) 2002 (BWI 2) 2012 (BWI 3) Fichte 43,0 % 35,9 % 32,6 % Tanne 7,9 % 8,4 % 8,3 % Kiefer 9,6 % 7,8 % 7,2 % Douglasie 2,5 % 3,1 % 3,5 % Lärche 2,9 % 2,8 % 2,4 % Sonst. Nadelbaumarten – – – Körperschaftswald: Baumartengruppe 1987 (BWI 1) 2002 (BWI 2) 2012 (BWI 3) Fichte 35,5 % 29,6 % 25,9 % Tanne 7,2 % 7,2 % 7,4 % Kiefer 9,1 % 7,2 % 6,1 % Douglasie 3,2 % 3,8 % 4,2 % Lärche 2,2 % 2,0 % 1,9 % Sonst. Nadelbaumarten – – – 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7883 6. Welche Bedeutung für eine nachhaltige und multifunktionale Holz- und Forstwirtschaft in Baden-Württemberg misst sie vor dem Hintergrund des Klimawandels der Douglasie bei? Zu 6.: Entsprechend des langfristig angestrebten Baumartenverhältnisses soll der Anteil der Douglasie im Öffentlichen Wald auf 6 % angehoben werden. Dies geschieht im Staatswald durch einzel- bis gruppenweise Beimischung der Douglasie als Mischbaumart auf dafür sorgfältig ausgewählten, geeigneten Standorten. Dabei werden rechtliche Bestimmungen sowie Vorgaben aus Selbstverpflichtungen, wie beispielsweise aus Zertifizierungssystemen oder der Waldnaturschutzkonzeption, umfassend berücksichtigt. Eine ökosystemverträgliche Beimischung der Douglasie in die Wälder ist auch vor dem Hintergrund des Klimawandels möglich und notwendig – stellt die Douglasie doch eine klimatolerante Nadelbaumart dar. Gerade in den kollinen und submontanen Höhenstufen aller Wuchsgebiete, in denen die Fichte aufgrund der für sie klimatisch ungünstigen Rahmenbedingungen immer stärker unter Druck gerät, kann die Douglasie eine leistungsstarke Nadelholz-Alternative sein. So wurde für den Körperschafts- und Privatwald in der neugefassten Richtlinie landesweiter Waldentwicklungstypen der Umbau-Waldentwicklungstyp „Labile Fichte Ziel Douglasien-Mischwald“ erstmalig aufgenommen und in diesem Sinne werden kommunale und private Waldbesitzende beraten. 7. Was tut sie sowohl im Staatsforst als auch über die Gewährung von Zuwendungen für nachhaltige Waldwirtschaft für eine langfristige Sicherung des Nadelholzanbaus in Baden-Württemberg sowie für einen nachhaltigen Zuwachs beim Anteil der Douglasie? Zu 7.: Im Staatsforstbetrieb bildet das Konzept der naturnahen Waldwirtschaft und das daraus abgeleitete langfristige Baumartenverhältnis die Grundlage des forstbetrieblichen Handelns. Diese Ziele werden im Rahmen der mittelfristigen Betriebsplanung auf die Einzelbetriebe heruntergebrochen, operationalisiert und in 10- Jahresintervallen überprüft und aktualisiert. Im Rahmen der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz über die Gewährung von Zuwendungen für Nachhaltige Waldwirtschaft (VwV NWW) wird auch die Anpflanzung und Naturverjüngung von Nadelholz gefördert, sofern sie in Mischung mit Laubholz und gemäß der Richtlinie Landesweiter Waldentwicklungstypen (WET-RL) erfolgt. In Vertretung Reimer Ministerialdirektor Privatwald: Baumartengruppe 1987 (BWI 1) 2002 (BWI 2) 2012 (BWI 3) Fichte 52,7 % 47,9 % 44,1 % Tanne 8,7 % 8,5 % 8,9 % Kiefer 6,4 % 5,7 % 4,7 % Douglasie 1,1 % 1,7 % 2,4 % Lärche 1,2 % 1,3 % 1,2 % Sonst. Nadelbaumarten – – –