Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 7896 16. 12. 2015 1Eingegangen: 16. 12. 2015 / Ausgegeben: 28. 01. 2016 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Sagt sie den bestehenden „Bildungshäusern für Drei- bis Zehnjährige“ über das Schuljahr 2015/2016 hinaus eine Bestandsgarantie zu? 2. In welcher Art und Weise bzw. in welchem Umfang wird sie die bestehenden „Bildungshäuser 3 – 10“ im Land auch nach dem Schuljahr 2015/2016 mit den erforderlichen Ressourcen ausstatten? 3. Wie bewertet sie die vorliegenden wissenschaftlichen Ergebnisse und dokumentierten Erfahrungen der Begleitstudie des TransferZentrums für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) in Ulm, welche im Juni 2015 veröffentlicht wurde? 4. Wie bewertet sie den Nutzen des Bildungshauses für die Kinder, die Eltern, die Schule und für den Schulträger auf Grundlage der Evaluation durch das ZNL in Ulm? 5. Hält sie – ungeachtet der positiven Ergebnisse der Begleitstudie des ZNL – an ihrer Planung fest, die erfolgreichen „Bildungshäuser 3 – 10“ nach dem Schul - jahr 2015/2016 zu schließen? 6. Plant sie den weiteren Aufbau von „Bildungshäusern 3 – 10“, damit noch mehr Kinder von diesem hervorragenden Bildungsangebot profitieren können? 7. Welche Bildungshäuser gibt es aktuell noch im Wahlkreis Esslingen (Aichwald , Denkendorf, Esslingen, Neuhausen auf den Fildern, Ostfildern, Wolfschlugen ), die durch das Land unterstützt werden? Kleine Anfrage des Abg. Andreas Deuschle CDU und Antwort des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Zukunft der „Bildungshäuser 3 – 10“ im Wahlkreis Esslingen Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7896 2 8. Befürwortet sie eine Fortführung dieser exzellenten Einrichtungen über das Schuljahr 2015/2016 hinaus und schafft sie die notwendigen Rahmenbedin - gungen? 16. 12. 2015 Deuschle CDU B e g r ü n d u n g Das zum Schuljahr 2007/2008 gestartete „Bildungshaus für Drei- bis Zehnjährige “ hat eine enge Verzahnung zwischen Kindergarten und Grundschule sowie einen gelingenden Schulstart zum Ziel. Seit 2008 wird das Modellprojekt vom ZNL TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen in Ulm wissenschaftlich begleitet. Die wissenschaftliche Begleitstudie des ZNL wurde im Juni 2015 veröffentlicht. In deren Evaluationsbericht steht, dass die hohen Erwartungen an das „Bildungshaus 3 – 10“ gerechtfertigt waren. Die Studie legt dar, dass sich die kooperative Arbeit im „Bildungshaus 3 – 10“ fast durchweg positiv auf die soziale und emotionale Entwicklung der Kinder auswirkt. Insbesondere Kinder, die von familiärer Seite weniger stark gefördert werden können, profitieren im sprachlichen, schriftsprachlichen sowie mathematischen Bereich. Aber auch Erzieher und Eltern stellen dem „Bildungshaus 3 – 10“ ein durchweg gutes Zeugnis aus. Zudem verbessert sich mit zunehmender Erfahrung die pädagogische Qualität in den institu - tionsübergreifenden, jahrgangsgemischten Bildungsaktivitäten. So eröffnet die gemeinsame Arbeit von Kindertageseinrichtungen und Grundschulen vielfältige pädagogische Chancen, die ohne diese Kooperation im Bildungshaus nicht denkbar wären. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung bestätigen die Entscheidung zur Einführung des „Bildungshauses 3 – 10“ durch die vormalige CDU-geführte Landesregierung. Umso erstaunlicher ist, dass die grün-rote Landesregierung das Bildungshaus nicht fortführen möchte und eine Entscheidung über das laufende Schuljahr 2015/2016 hinaus noch immer nicht getroffen hat. Infolge der aussagekräftigen Ergebnisse des ZNL Ulm bedarf es einer zügigen Entscheidung seitens des Ministers für Kultus, Jugend und Sport. A n t w o r t Mit Schreiben vom 11. Januar 2016 Nr. 33-6937.6/247/1 beantwortet das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport im Einvernehmen mit dem Ministerium für Finanzen und Wirtschaft die Kleine Anfrage wie folgt: Ich frage die Landesregierung: 1. Sagt sie den bestehenden „Bildungshäusern für Drei- bis Zehnjährige“ über das Schuljahr 2015/2016 hinaus eine Bestandsgarantie zu? Alle bestehenden 194 Bildungshäuser können ihre Arbeit – wie im ersten Nachtragshaushalt beschlossen – im laufenden Schuljahr 2015/2016 fortsetzen. Wie bei der 125. Sitzung des Landtags am 15. April 2015 ausgeführt, wird nach Auswertung der Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung durch das Transfer - zentrum für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) über den künftigen Auftrag 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7896 der Bildungshäuser entschieden. Der seit Kurzem vorliegende Abschlussbericht wird derzeit analysiert und aufbereitet. Zentrales Anliegen ist, dass alle Kinder und Familien von den Erfahrungen der Bildungshäuser profitieren. 2. In welcher Art und Weise bzw. in welchem Umfang wird sie die bestehenden „Bildungshäuser 3 – 10“ im Land auch nach dem Schuljahr 2015/2016 mit den erforderlichen Ressourcen ausstatten? Derzeit erhalten alle „Bildungshäuser 3 – 10“ in der um ein weiteres Jahr verlängerten Modellphase eine Deputatsstunde pro institutions- bzw. jahrgangsübergreifender Lerngruppe für die gemeinsame Arbeit für Kinder aus Kindergarten und Grundschule. Eine zukünftige Ausstattung hängt davon ab, wie die Arbeit der Bildungshäuser ausgestaltet sein wird. 3. Wie bewertet sie die vorliegenden wissenschaftlichen Ergebnisse und dokumentierten Erfahrungen der Begleitstudie des TransferZentrums für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) in Ulm, welche im Juni 2015 veröffentlicht wurde? Beim Kongress „Bildungshaus 3 – 10: Bilanz und Ausblick“, den das Kultusminis - terium in Zusammenarbeit mit dem ZNL in Ulm am 12. Juni 2015 veranstaltet hat, wurde eine Auswahl von Ergebnissen der wissenschaftlichen Begleitstudie präsentiert und veröffentlicht (Anlage: „Wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts ‚Bildungshaus 3 – 10‘: Ausgewählte Ergebnisse“). Bei den zu diesem Zeitpunkt präsentierten Ergebnissen handelte es sich um Teilergebnisse und nicht um den Abschlussbericht des ZNL. Diese Teilergebnisse und die dokumentierten Erfahrungen der Bildungshäuser bestätigen im Wesentlichen die Rückmeldungen, die das Kultusministerium von den Beteiligten der Bildungshäuser erhalten hat. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Erfahrungen der Bildungshäuser sollen allen Kindertageseinrichtungen und Grundschulen sowie den Trägern, den Fachberatungen, den Kooperationsbeauftragten und der Schulverwaltung zugutekommen . Deshalb hat das Kultusministerium in einem ersten Schritt die Publikation des ZNL, einen auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Praxisband „Kindergarten und Grundschule auf dem Weg zur Intensivkooperation“, finanziell unterstützt. Praxisnah wird auf der Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse dargestellt, wie eine intensive Kooperation nachhaltig gelingen kann. Der Praxisband wurde an alle Kindertageseinrichtungen verschickt. Die Versand - aktion an Grundschulen wird im Januar 2016 abgeschlossen sein. Diese Publika - tion soll als Arbeitsgrundlage in der Aus- und Fortbildung die gelungene Kooperationsarbeit der Bildungshäuser in die Fläche tragen. Ergänzende Unterstützungsmaterialien zur Umsetzung von Kooperationsvorhaben stellt das Kultusministerium allen Kindergärten und Schulen im Land fortlaufend in Form von Modulen eines sogenannten „Kooperationsordners“ digital und in Druckform zur Verfügung. 4. Wie bewertet sie den Nutzen des Bildungshauses für die Kinder, die Eltern, die Schule und für den Schulträger auf Grundlage der Evaluation durch das ZNL in Ulm? Wie bereits in den Drucksachen 15/5899 vom 16. Oktober 2014 und 15/6426 vom 29. Januar 2015 beantwortet, sind die Auswirkungen für den Kooperationsprozess zwischen Kindertageseinrichtungen und Grundschulen der Bildungshäuser insgesamt als positiv anzusehen. Im Einzelnen werden zum damaligen Stand der wissenschaftlichen Begleitung der fachliche Zugewinn bei den pädagogischen Fachkräften und den Lehrkräften sowie die Möglichkeiten zu einer individuellen Begleitung der Kinder hervorgehoben. Die vorliegenden Befunde des ZNL, dass sich eine intensivierte Kooperation fast durchweg positiv auf die soziale und emotionale Entwicklung der Kinder auswirkt und im sprachlichen, schriftsprachlichen und mathematischen Bereich insbesondere die Kinder, die von familiärer Seite nicht so stark gefördert werden können, profitieren, waren einer der Gründe für die Verbreitung des unter Punkt 3 erwähnten Praxisbandes. Weitere Gründe waren die positiven Kooperationserfah- Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7896 4 rungen der pädagogischen Fachkräfte und der Lehrkräfte, die qualitative Steigerung ihrer Arbeit sowie die Zufriedenheit der Eltern, die u. a. bedingt war durch ihre frühzeitige und kontinuierliche Einbindung und Beteiligung. Was den Nutzen für die Schulträger angeht, so wurden in den bisher veröffentlichten Ergebnissen des ZNL keine Angaben dazu gemacht. 5. Hält sie – ungeachtet der positiven Ergebnisse der Begleitstudie des ZNL – an ihrer Planung fest, die erfolgreichen „Bildungshäuser 3 – 10“ nach dem Schul - jahr 2015/2016 zu schließen? Von einer Schließung der „Bildungshäuser 3 – 10“ war zu keinem Zeitpunkt die Rede. 6. Plant sie den weiteren Aufbau von „Bildungshäuser 3 – 10“, damit noch mehr Kinder von diesem hervorragenden Bildungsangebot profitieren können? Wie bereits in verschiedenen Drucksachen, u. a. in der Drucksache 15/3470 vom 8. Mai 2013 ausgeführt, plant die Landesregierung keinen weiteren Aus- bzw. Aufbau der Bildungshäuser. Vielmehr ist vorgesehen, dass die bestehenden Bildungshäuser die Kindertageseinrichtungen und Grundschulen auf dem Weg zu einer intensivierten Kooperation unterstützen und damit den Weg zu einem qualitätsvollen Kooperationsstandard in Baden-Württemberg ebnen. Ein wesentlicher Schritt hierzu ist mit dem Einstieg in die verlässliche Kooperationszeit zum Schuljahr 2012/2013 erfolgt. Seither erhält jede Grundschule eine Deputatsstunde für das Aufgabenfeld der Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule. Die hierfür eingesetzten Ressourcen kommen allen Grundschulen in Baden-Württemberg zugute. 7. Welche Bildungshäuser gibt es aktuell noch im Wahlkreis Esslingen (Aichwald, Denkendorf, Esslingen, Neuhausen auf den Fildern, Ostfildern, Wolfschlugen), die durch das Land unterstützt werden? Im Wahlkreis Esslingen gibt es drei Bildungshäuser, die im Schul- bzw. Kindergartenjahr 2010/2011 mit ihrer Arbeit starteten. In der nachfolgenden Tabelle sind die einzelnen Standorte mit der am jeweiligen Bildungshaus beteiligten Grundschule und den Kindertageseinrichtungen aufgeführt. Die Gemeinden Aichwald, Denkendorf, Neuhausen und Ostfildern nehmen nicht am Modellprojekt Bildungshaus teil. Bildungshaus Grundschule Tageseinrichtungen für Kinder Esslingen- Mettingen Esslingen-Mettingen Kindergarten Mettingen Kindergarten Mettingen Rosenstraße Kindergarten St. Maria Esslingen- Sulzgries Esslingen-Sulzgries Kindergarten Sulzgries Kindertagesstätte Sulzgries Kindergarten St. Martin Kindergarten Sonnenschein Wolfschlugen Wolfschlugen Kindergarten Spatzenhaus Kindergarten Beethovenstraße Kindergarten Unter dem Regenbogen Kindertagesstätte Wichtelhaus 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7896 Die genannten Bildungshäuser können ihre Arbeit wie alle anderen Bildungs - häuser fortsetzen. Nach Auswertung des Abschlussberichts muss von der Landesregierung über den zukünftigen Auftrag der Bildungshäuser entschieden werden. 8. Befürwortet sie eine Fortführung dieser exzellenten Einrichtungen über das Schuljahr 2015/2016 hinaus und schafft sie die notwendigen Rahmenbedin - gungen? Siehe hierzu die Antworten zu Ziffer 1 und 2. Stoch Minister für Kultus, Jugend und Sport Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7896 6 Wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts „Bildungshaus 3 – 10“: Ausgewählte Ergebnisse Ziele der Wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts „Bildungshaus 3 – 10“ Ab 2008 wurden 33 Standorte des baden-württembergischen Landesmodells „Bildungshaus 3 – 10“ durch das ZNL TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen, Universität Ulm, wissenschaftlich begleitet. Die mit 7,5 Mio. Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union geförderte „Wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts ‚Bildungshaus 3 – 10‘“ zielt darauf ab, den möglichen Gewinn des Modellprojektes festzustellen und her-auszuarbeiten, welche Bedingungen und Ressourcen zum Gelingen notwendig sind. Im Rahmen der Evaluation wurden zum einen die Prozesse an den Modellstandorten eng begleitet, dokumentiert und analysiert. Zum anderen wurde untersucht, ob und wie sich die Maßnahmen im „Bildungshaus 3 – 10“ auf die Entwicklung der Kinder, die Qualitätsentwicklung in den Bildungseinrichtungen, die Situation der pädagogischen Fachkräfte und Lehrkräfte und die Zufriedenheit der Eltern auswirken. Um das zu ermöglichen nahmen 44 Grundschulen und 80 Kindergärten als Vergleichseinrichtungen an den Erhebungen teil. Zur schnellen Orientierung: Wichtige Ergebnisse in aller Kürze Innovationen im Bildungsbereich sollen der Entwicklung und Bildungsbiographie der Kinder dienen. Untersucht wurde die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung. Eine intensivierte Kooperation wie im „Bildungshaus 3 – 10“ wirkt sich fast durchweg positiv auf die soziale und emotionale Entwicklung der Kinder aus. Im sprachlichen, schriftsprachlichen und mathematischen Bereich profitieren insbesondere die Kinder, die von familiärer Seite nicht so stark gefördert werden können (Details s. Abschnitt 1). Die pädagogischen Fachkräfte und Lehrkräfte geben an, von der intensiven Kooperation im Bildungshaus zu profitieren. Trotz der zusätzlichen Aufgaben im Rahmen der Kooperation bewerten sie ihre Arbeitssituation positiver als Fach- und Lehrkräfte in den Vergleichseinrichtungen. Hierzu leisten die vom Kultusministerium und den Trägern der Kindergärten für die Bildungshausarbeit gewährten Deputatsbzw . Personalstunden einen Beitrag (Details s. Abschnitte 2-4). Die Eltern von Bildungshauskindern sind zufriedener mit der Arbeit der Grundschulen als die Eltern von Kindern, die eine Schule an einem Vergleichsstandort besuchen. Bei den Kindergärten finden sich keine Unterschiede, hier erreicht die Zufriedenheit bei allen Eltern ein hohes Niveau (Details s. Abschnitt 6). In den ersten Jahren des Landesmodells haben die Standorte tragfähige Strukturen erarbeitet. Mit zunehmender Erfahrung der Praktikerinnen und Praktiker verbesserte sich die pädagogische Qualität in den institutionsübergreifenden, jahrgangsgemischten Bildungsaktivitäten (Details s. Abschnitte 3-5). 1 Profitieren die Kinder von der intensivierten Kooperation? Soziale und emotionale Entwicklung: Kinder, die ein Bildungshaus besuchen, sind aus Sicht der Eltern besser sozial eingebunden, emotional stabiler und weniger ängstlich als Kinder in Vergleichseinrichtungen . Beim Übertritt in die Schule wirkt sich das Bildungshaus positiv auf die von Eltern beobachtete Ängstlichkeit aus: Alle befragten Eltern beobachteten bei ihren Kindern ein halbes Jahr nach dem Wechsel in die Grundschule mehr ängstliche Verhaltensweisen als ein halbes Jahr davor. Bei Kindern im Bildungshaus ist die Zunahme in der Ängstlichkeit aber nicht einmal halb so stark ausgeprägt wie bei den Kindern der Vergleichsstandorte. Anlage 7 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7896 2 von 4 Die Einschätzungen der Schulkinder selbst sind weniger eindeutig. Klassenklima, Lernfreude usw. bewerten Dritt- und Viertklässler im Bildungshaus positiver, Erstklässler aber weniger positiv als Kinder in Vergleichseinrichtungen. Das Urteil der Grundschulkinder hängt dabei stark davon ab, wie die Aktivitäten im Bildungshaus gestaltet sind, etwa ob Kinder wählen dürften mit welchem Material sie arbeiten oder wie viel Zeit sie für eine Aufgabe verwenden. Im Kindergartenalter ist es insbesondere vorteilhaft, wenn gemeinsame Aktivitäten mit Schulkindern regelmäßig mehrmals pro Woche stattfinden. Mathematik: Für den Umgang mit Zahlen zeigte sich im letzten Kindergartenjahr, dass Jungen, deren Mütter einen niedrigen oder keinen Schulabschluss haben, in Vergleichseinrichtungen niedrigere Werte erzielen als die Jungen, deren Mütter mindestens einen Realschulabschluss haben. In Bildungshäusern sind dagegen die Leistungen im Zählen und ersten Rechnen bei allen Jungen gleichermaßen hoch. Sprache: Im sprachlichen Bereich zeigen Kinder im letzten Kindergartenjahr bessere grammatikalische Fertigkeiten, wenn sie ihre gesamte Kindergartenzeit in einem Bildungshaus verbracht haben. Jungen, die sonst sprachlich den Mädchen etwas unterlegen sind, erreichen im Bildungshaus ebenso gute Werte im Satzgedächtnis wie Mädchen. Insbesondere profitieren Jungen, deren Mütter keinen oder einen niedrigen Schulabschluss haben. Da für das Satzgedächtnis auch Wortschatz und Grammatikkenntnisse wichtig sind, spiegeln sich hier umfassendere sprachliche Fertigkeiten wider. Lesen: In Bildungshausschulen haben Kinder in der zweiten Klasse einen Vorsprung in ihrer Lesefertigkeit, die Kinder an den Schulen der Vergleichsstandorte holen aber im Laufe der Grundschulzeit auf. Einen positiven Effekt auf die Entwicklung Lesen über die zweite Klasse hinaus hat das Bildungshaus dann, wenn die Kinder in den Bildungshausaktivitäten häufig freien Zugang zu Büchern und Sprachspielen haben. Zusammenfassung: Bezüglich der sozialen und emotionalen Entwicklung wirkt sich die intensive Kooperation im Bildungshaus überwiegend positiv für alle Kinder aus. Im mathematischen Bereich profitieren insbesondere die Kindergartenkinder, die von familiärer Seite nicht so stark gefördert werden können. 2 Welcher Gewinn ergibt sich für Fach- und Lehrkräfte aus dem Bildungshaus? 94% der pädagogischen Fachkräfte und Lehrkräfte bewerten den Austausch untereinander als wichtig. Die meisten Befragten geben an, von der Zusammenarbeit zu profitieren und mehr Verständnis für die andere Berufsgruppe und deren Arbeit entwickelt zu haben. Der Blick auf das einzelne Kind sei vielfältiger geworden und Lerninteressen der Kinder würden stärker einbezogen. Fach- und Lehrkräfte fühlen sich in schwierigen Situationen von der Kollegin bzw. dem Kollegen aus der anderen Berufsgruppe unterstützt. 3 Ist die Teilnahme am „Bildungshaus 3 – 10“ eine Belastung für Fach- und Lehrkräfte? Leitungspersonen, die in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren befragt werden konnten, befassen sich schwerpunktmäßig mit den Auswirkungen des Bildungshauses und der Kooperation mit anderen Leitungspersonen . Die Beschäftigung mit der effizienten Umsetzung des Modellprojekts ist für sie weniger relevant. Wenn eine neue Leitungsperson in ein Bildungshaus einsteigt, rückt die effektive Umsetzung wieder in den Fokus. Daraus kann man schließen, dass sich in der Kooperation übergeordnete tragfähige Strukturen entwickelt haben, die die Umsetzung unterstützen, dass aber Personalwechsel erneuten Klärungsbedarf nach sich ziehen. Die Befragung der Praktikerinnen und Praktiker, die die konkrete Lern- und Bildungsaktivitäten gestalten, zeigt, dass diese immer wieder neu erarbeitet und angepasst werden müssen. Angesichts des Auftrags, die Heterogenität der Kinder zu berücksichtigen und Kinder individuell zu fördern, ergibt sich mit jedem Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7896 8 3 von 4 neuen inhaltlichen Thema und jeder neuen Kindergruppe erneuter Planungs- und Gestaltungsbedarf. Für die Bildungshauspraktikerinnen und -praktiker bleibt also ein erhöhter Entwicklungs- und Gestaltungsbedarf auch nach Jahren der Zusammenarbeit bestehen. Trotz der zusätzlichen Aufgaben fühlen sich Fachkräfte und Lehrkräfte, die in einem Bildungshaus arbeiten, im Mittel weniger belastet und sind zufriedener mit ihrer Arbeit als Fach- und Lehrkräfte in Vergleichseinrichtungen . Im Laufe der Jahre nimmt die Arbeitszufriedenheit in den Bildungshäusern sogar noch zu, die Fach- und Lehrkräfte haben stärker das Gefühl im Rahmen ihrer Arbeit etwas bewirken zu können und fühlen sich weniger kontrolliert als Fach- und Lehrkräfte in den Vergleichseinrichtungen. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die zusätzlichen Personalstunden, die Kultusministerium und Kindergartenträger für die Bildungshausarbeit gewähren, sich positiv auf die Einschätzung der Arbeitssituation durch die pädagogischen Fachkräfte und Lehrkräfte auswirken. Die Frage, ob zusätzliche Deputatsstunden bzw. Personalmittel nötig sind, ist anhand der quantitativen Analysen nicht zu beantworten. Die qualitative Analyse der Prozessdokumentation hat allerdings Schlüsselthemen aufgedeckt, deren Bearbeitung für eine gelingende Kooperation grundlegend ist (siehe nächster Abschnitt). Für diese Bearbeitung müssen zeitliche Ressourcen verfügbar sein. 4 Was ist auf dem Weg hin zu intensivierter Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule zu beachten? Die Bildungshäuser haben Pionierarbeit geleistet und sich auf den Weg zur intensiven Kooperation gemacht . Aus der Dokumentation der Entwicklungsprozesse konnten Schlüsselthemen für eine gelingende Kooperation abgeleitet werden. Diese gelten nicht nur für die Arbeit im Bildungshaus sondern lassen sich auf interinstitutionelle Kooperation im Allgemeinen übertragen. Zu den Schlüsselthemen für die Zusammenarbeit gehören beispielsweise Verbindlichkeit als die Basis für die gemeinsame Arbeit, die Berücksichtigung der pädagogischen Ausrichtung der beteiligten Institutionen und der standortspezifischen Besonderheiten, die Klärung von Verantwortlichkeiten usw.1 Für das Gelingen der Kooperation zwischen Fachkräften aus dem Kindergarten und Lehrkräften aus der Grundschule reicht die vielzitierte „Kooperation auf Augenhöhe“ nicht aus. Vielmehr bedürfen die vielfältigen Aufgaben einer fachlichen Begleitung, die Teamprozesse und die Entwicklung neuer Strukturen unterstützt. Es braucht einen zuverlässigen Rückhalt z.B. durch Träger und Eltern sowie ausreichend zeitliche und personelle Ressourcen. 5 Verändert sich die Qualität im „Bildungshaus 3 – 10“? In den gemeinsamen, institutionsübergreifenden Bildungshausaktivitäten verbessert sich die Qualität mit zunehmender Erfahrung und erreicht in den verschiedenen Bereichen gute bis sehr gute Werte. Zu den untersuchten Qualitätsmerkmalen gehören die Berücksichtigung der Heterogenität von Alter und Leistungsfähigkeit der Kinder, die individuelle Unterstützung durch die pädagogischen Fach- und Lehrkräfte , aber auch die Ermutigung zu gegenseitiger Unterstützung und Freiraum für eigenes Ausprobieren. 6 Wie beurteilen Eltern das „Bildungshaus 3 – 10“? Die Eltern der Kindergartenkinder sind hoch zufrieden. Es gibt im Kindergarten keine Unterschiede zwischen Bildungshäusern und Vergleichseinrichtungen. Ein Effekt des „Bildungshaus 3 – 10“ zeigt sich aber in den Grundschulen. Die Eltern von Bildungshauskindern sind zufriedener mit der Arbeit der Grundschulen . Zum ersten Erhebungszeitpunkt (2011) zeigte sich die höhere Zufriedenheit nur bei den Eltern der Erstklässler. Bei der letzten Befragung (2014) war der Effekt über alle Klassenstufen hinweg zu sehen. 1 Koslowski, Constanze (2015). Kindergarten und Grundschule auf dem Weg zur Intensivkooperation. Beltz Verlag. 9 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 7896 4 von 4 7 Welche Chancen eröffnet eine Intensivkooperation wie das „Bildungshaus 3 – 10“? Eine gemeinsame Arbeit von Kindertageseinrichtungen und Grundschulen wie Bildungshaus eröffnet Chancen, die ohne eine intensive Kooperation nicht denkbar wären. Die Lernumwelt der Kinder wird durch institutionsübergreifende Angebote erweitert und die Kinder können von den gemeinsamen Aktivitäten mit anderen Altersgruppen profitieren. Lehr- und Fachkräfte können z.B. die Arbeit und das pädagogische Handeln der jeweils anderen Berufsgruppe kennenlernen. Hier können Ideen zur Weiterentwicklung der pädagogischen Qualität auch innerhalb der eigenen Einrichtung entstehen. Darüber hinaus gestalten im Bildungshaus Schule und Kindergarten die Zusammenarbeit mit den Eltern gemeinsam . Eine solche gemeinsame Elternarbeit kann Eltern besonders in der Phase der Einschulung Sicherheit geben. Sie sind dadurch gut über beide Institutionen informiert, können Sorgen oder Ängste direkt ansprechen. Nicht zuletzt bereichert und erweitert eine gute Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Grundschule das pädagogische Angebot einer Gemeinde oder eines Stadtteils. Hervorzuheben ist, dass nicht jeder Bildungshaus-Modellstandort sämtliche Chancen nutzen kann. Je nach Schwerpunktsetzung, pädagogischen Zielen, standortspezifischen Möglichkeiten und Bedarfen der Kinder ergeben sich unterschiedliche Gewinne. Danksagung Zu allererst möchten wir den pädagogischen Fachkräften und Lehrkräften, den Schul- und Kindergartenleitungen danken, die sich auf den Weg gemacht haben das „Bildungshaus 3 – 10“ in der Praxis umzusetzen . Ebenso gilt unser Dank den Schulen und Kindergärten, die bereit waren sich als Vergleichseinrichtungen an den Erhebungen zu beteiligen. Allen Kindern, Eltern, pädagogischen Fachkräften und Lehrkräften sowie Schul- und Kindergartenleitungen danken wir für ihre Teilnahme an den Datenerhebungen . Ohne sie wären die hier beschriebenen Ergebnisse nicht möglich gewesen. Der besondere Dank der Forschungsgruppe gilt dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, das die aufwändige Längsschnittstudie über sieben Jahre gefördert hat und so eine ungewöhnlich umfassende Evaluation ermöglicht hat. Dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport ist zu danken, welches das „Bildungshaus 3 – 10“ ins Leben gerufen und neben den Bildungshäusern auch die Vergleichsschulen mit zusätzlichen Personalstunden unterstützt hat. Auch danken wir den Trägern der Kindergärten, die das „Bildungshaus 3 – 10“ mit zusätzlichen Personalmitteln unterstützt haben. Förderung Die „Wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts ‚Bildungshaus 3 – 10‘“ wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und des Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union unter dem Förderkennzeichen 01NVB85031 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei der Autorin. Kontaktdaten Dr. Petra Arndt Projektleitung Wissenschaftliche Begleitung „Bildungshaus 3 – 10" ZNL TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen Universität Ulm Beim Alten Fritz 2 D-89075 Ulm E-Mail: petra.arndt@znl-ulm.de