Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 790 26. 10. 2011 1Eingegangen: 26. 10. 2011 / Ausgegeben: 22. 11. 2011 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Teilt sie die Auffassung, dass die Europäische Kommission in Zukunft auch die Aufgabe hat zu kontrollieren, dass ein Land nicht dauerhaft mehr Waren einführt, als es ausführt und umgekehrt? 2. Teilt sie die Auffassung, dass die Außenhandelsungleichgewichte in Europa abgemildert werden müssen? Wenn ja, wie will sie dies erreichen? 26. 10. 2011 Dr. Kern FDP/DVP B e g r ü n d u n g In der Aussprache zur Regierungserklärung „Euro dauerhaft stabilisieren – Mitwirkung der Länder wahrnehmen“ am 28. September hat ein Redner der Fraktion GRÜNE konkrete Vorschläge zu zukünftigen Aufgaben der EU-Kommission gemacht : „Das heißt konkret: Die Europäische Kommission hat in Zukunft auch ein Auge darauf zu werfen, dass ein Land nicht dauerhaft mehr Waren einführt, als es ausführt und umgekehrt. Die Außenhandelsungleichgewichte in Europa müssen abgemildert werden.“ Gerade für ein exportorientiertes Land wie Baden-Württemberg hätte diese politische Zielrichtung schwerwiegende und vor allem nachteilige Auswirkungen. Mit der Kleinen Anfrage soll geklärt werden, ob die grünrote Landesregierung derartige Aussagen und Pläne unterstützt. Kleine Anfrage des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP und Antwort des Staatsministeriums Import- und Exportkontrolle durch die EU-Kommission Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 790 2 A n t w o r t Mit Schreiben vom 16. November 2011 Nr. V-0123.005 beantwortet das Staatsministerium im Einvernehmen mit dem Ministerium für Wirtschaft und Finanzen die Kleine Anfrage wie folgt: Zu 1.: Teilt sie die Auffassung, dass die Europäische Kommission in Zukunft auch die Aufgabe hat zu kontrollieren, dass ein Land nicht dauerhaft mehr Waren einführt, als es ausführt und umgekehrt? Das Europäische Parlament und der Rat haben am 28. September und 8. November 2011 das Gesetzespaket der EU-Kommission zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts (sog. „six-pack“) angenommen. Es sieht u. a. frühere und schnellere Sanktionen gegen Staaten vor, die die Vorschriften nicht einhalten. Außerdem verbleibt den Mitgliedstaaten im Rat künftig weniger Entscheidungsspielraum im Hinblick auf Entscheidungen, die zu Sanktionen führen. Die Problematik der politischen Einflussnahme („Sünder richten über Sünder“) wurde damit zuletzt auch auf Drängen des Europäischen Parlaments zumindest abgeschwächt. Das zwischen Rat und Europäischem Parlament mühsam ausgehandelte Gesetzes - paket ist die größte Reform des Euro-Stabilitätspaktes seit der Einführung des Euro 1999. Es wird voraussichtlich Mitte Dezember spätestens jedoch Anfang 2012 in Kraft treten. Ein bedeutendes neues Element im Zusammenhang mit der Reform des Stabilitäts - und Wachstumspaktes ist die verstärkte wirtschaftspolitische Koordination in Form der makroökonomischen Überwachung durch die EU-Kommission. Diese zielt auf die Erkennung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte anhand von bestimmten Indikatoren ab, die negative Folgen für das Funktionieren der Eurozone haben könnten und ergänzt damit den seit Anfang 2011 bestehenden europäischen Planungs- und Berichtszyklus (Europäisches Semester) und den Euro-Plus-Pakt. Beispiele für Indikatoren sind z. B. die Leistungsbilanz, das Nettoauslandsvermögen , die Exportmarktanteile, die nominalen Lohnstückkosten, die Entwicklung der Arbeitslosigkeit, die Verschuldung des Privatsektors, die Immobilienpreise und Schulden der öffentlichen Haushalte. Damit richtet sich die neu eingeführte makroökonomische Überwachung auf eine Vielzahl von makroökonomischen Indikatoren, und hierbei nicht nur auf zu hohe Defizite und Schuldenstände, sondern auch auf Leistungsbilanzüberschüsse. Alle können zur Gefahr für die Wirtschafts- und Währungsunion werden. Das hat die Krise etwa in den Fällen von Portugal, Irland und Spanien gezeigt. Nach Inkrafttreten der Reform (voraussichtlich Mitte Dezember 2011) wird die Makro-Situa - tion der Mitgliedstaaten anhand bestimmter Kriterien von der EU-Kommission überwacht. Bei übermäßigen Ungleichgewichten in einem Mitgliedstaat unterrichtet die EU-Kommission den Rat und kann diesem eine an den Mitgliedstaat gerichtete Empfehlung vorschlagen. Dieser kann sodann gegenüber dem betreffenden Mitgliedstaat Empfehlungen zur Korrektur aussprechen. Bei Nichtumsetzung dieser Empfehlungen sind gegenüber Mitgliedern des Euroraums Sanktionen , zunächst in Form einer verzinslichen Einlage, im Wiederholungsfall als jährliche Geldbuße in Höhe von 0,1 Prozent des BIP möglich. Im Ergebnis wird das Verfahren zur Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte auf Länder mit Wettbewerbsnachteilen und Leistungsbilanzdefiziten ausgerichtet sein (sog. asymmetrischer Ansatz). Sanktionen gegen Mitgliedstaaten mit einem Leistungsbilanzüberschuss sind nicht vorgesehen. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass auch Mitgliedstaaten mit übermäßigen Leistungsüberschüssen in den Fokus der EU-Kommission geraten und Adressat von Empfehlungen werden können. Zu 2.: Teilt sie die Auffassung, dass die Außenhandelsungleichgewichte in Europa abgemildert werden müssen? Wenn ja, wie will sie dies erreichen? Die Intention einer stärkeren Überwachung und Koordinierung der Fiskal- und Wirtschaftspolitiken in der EU mit dem Ziel einer Abmilderung von makroöko - 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 790 nomischen Ungleichgewichten ist grundsätzlich sehr positiv zu bewerten. Die Landesregierung begrüßt, dass dieser Thematik mit Inkrafttreten der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts eine größere Bedeutung als bisher beigemessen wird. Eine wichtige Bedeutung kommt der Überwachung und Korrektur der Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone zu. Wirtschaftliche und finanzielle Probleme eines Mitgliedstaates können aufgrund der stark verflochtenen Finanzmärkte und Volkswirtschaften in der EU schnell zu einer Gefahrenquelle für andere Mitgliedstaaten und den Währungsraum insgesamt werden, da etwa Wettbewerbsschwächen nicht über die Anpassung von Wechselkursen abgemildert werden können. Im Zentrum der Überwachung und Korrektur makroökonomischer Außenhandels - ungleichgewichte stehen diejenigen Mitgliedstaaten, die Leistungsbilanzdefizite aufweisen. Sie stehen vor der Herausforderung, diese abzubauen und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Der Erfolg dieser Bemühungen liegt im gemeinsamen Interesse aller Mitgliedstaaten und auch von Baden-Württemberg, das mit einer Exportquote in den Euro-Raum von knapp 40 Prozent (im Jahr 2010) von einer funktionierenden Währungsunion in hohem Maße profitiert. Die Landesregierung wird daher alle Maßnahmen unterstützen, die dieser Reform dienen. Insbesondere das vorgeschlagene System mit verschiedenen Indikatoren ist vor diesem Hintergrund zu begrüßen. Art, Umfang und Dringlichkeit der Maßnahmen für jeden Mitgliedstaat müssen einzeln und sorgfältig bewertet werden. Wichtig ist, dass diese Bewertung eine detaillierte ökonomische Analyse der wirtschaftlichen Lage , der spezifischen Strukturen und Perspektiven eines Mitgliedstaates umfasst. Auch wenn der Abbau von Leistungsbilanzdefiziten dringender ist als der Abbau von Überschüssen, ist es wichtig, alle Staaten in das neue Verfahren einzube - ziehen, auch jene mit Leistungsbilanzüberschüssen. Vor diesem Hintergrund wurde in den vergangenen Monaten diskutiert, wie die Überschussländer ihrerseits zu einem Gelingen der Anpassungen in den Defizitländern beitragen können. Zentral ist, dass eine Verringerung der Exportüberschüsse der deutschen Wirtschaft selbstverständlich nicht durch eine Schwächung ihrer Wettbewerbsfähigkeit herbeigeführt wird, sondern durch Reformen zur langfristigen Steigerung der Binnennachfrage . Hier ist insbesondere daran zu erinnern, dass in der vergangenen Dekade das deutsche Wachstum stark von der außenwirtschaftlichen Nachfrage getragen wurde . Die binnenwirtschaftlichen Impulse waren hingegen gering. Zur Stärkung der Investitionstätigkeit als Teil der Binnennachfrage sollten daher langfristig wirkende Strukturmaßnahmen ergriffen werden. Insbesondere der Ausbau der wachstumswirksamen öffentlichen Infrastruktur durch Investitionen in Bildung und Forschung und Entwicklung sowie wachstumsfördernde öffentliche Investitionen stellen ein wichtiges zukünftiges Tätigkeitsfeld der Politik dar. Die Landesregierung leistet hier z. B. durch die Förderung der sozialen und Bildungsinfrastruktur und der institutionellen Förderung von Forschungs- und Technologieeinrichtungen einen nachhaltigen Beitrag. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird es in den nächsten Jahren dar über hinaus entscheidend darauf ankommen, die Erwerbstätigkeit zu erhöhen, um eine Verringerung des Arbeitsvolumens und damit auch des Potenzialwachstums zu verhindern. Dadurch wird das Pro-Kopf-Einkommen gesteigert und die Binnennachfrage gestärkt. Im Rahmen der von der Landesregierung initiierten Allianz für Fachkräfte, in der erstmals in Baden-Württemberg alle Akteure zusammengeführt werden, wird eine Ausweitung der Erwerbstätigkeit etwa durch eine höhere Erwerbsbeteiligung von Personen mit Migrationshintergrund, Frauen und älteren Arbeitnehmern angestrebt. Krebs Ministerin im Staatsministerium