Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 8034 01. 02. 2016 1Eingegangen: 01. 02. 2016 / Ausgegeben: 08. 03. 2016 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie bewertet sie generell das Risiko von Eisschlag bzw. Eisabwurf bei Windkraftanlagen und insbesondere bei solchen ohne Rotorblattheizung? 2. Welche konkreten entsprechenden Gefährdungssituationen für Mensch und Tier sind ihr aus der Vergangenheit bekannt? 3. Wie bewertet sie die bestehenden Möglichkeiten für Kreise und Kommunen, einschlägige Gefährdungsbereiche im Umkreis von Windkraftanlagen zu sperren? 4. Wie bewertet sie die derzeitigen weiträumigen Geländesperrungen um Windkraftanlagen im Schwarzwald von Oktober bis April? 5. Inwiefern sind auch Hauptwanderrouten wie der Westweg oder Schluchtensteig von dieser Problematik betroffen? 6. Welche Erkenntnisse hat sie über die Auswirkungen der unter Frage 4 genannten Sperrungen auf den regionalen Wandertourismus und die örtliche Gastronomie ? 7. Welche Lösungsansätze sieht sie, um diese Nachteile für den Wandertourismus und die örtliche Gastronomie künftig zu vermeiden? 27. 01. 2016 Dr. Bullinger FDP/DVP Kleine Anfrage des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP und Antwort des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Eisabwurf bei Windkraftanlagen im Schwarzwald und Auswirkungen auf den Wandertourismus Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 8034 2 A n t w o r t Mit Schreiben vom 23. Februar 2016 Nr. 4-4516/46/1 beantwortet das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft im Einvernehmen mit dem Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet sie generell das Risiko von Eisschlag bzw. Eisabwurf bei Windkraftanlagen und insbesondere bei solchen ohne Rotorblattheizung? Unter bestimmten Wetterbedingungen kann es an Windkraftanlagen zur Eisbildung und damit zu einem Eisansatz insbesondere an den Rotorblättern kommen. Je nach geografischer Lage sind Standorte mehr oder weniger davon betroffen. Vor allem in der Nähe von Straßen, Wanderwegen oder sonstigen Infrastruktur - einrichtungen können sich durch herabfallende Eisstücke erhöhte Gefährdungen ergeben. „Eisabwurf“ bezeichnet den Vorgang, bei dem Eis sich von drehenden Rotorblättern einer laufenden Windkraftanlage löst und dann in eine bestimmte Richtung „geworfen“ wird. Unter „Eisabfall“ versteht man herabfallendes Eis an einer stillstehenden Anlage. Entsprechend Ziffer 5.6.3.3 des Windenergieerlasses Baden-Württemberg sind detaillierte Anforderungen zur Gefahrenabwehr bei zu unterstellendem Eisabwurf in den technischen Baubestimmungen für Windkraftanlagen beschrieben. Danach sind bestimmte Abstände von Windkraftanlagen zu Verkehrswegen und Gebäuden wegen der Gefahr des Eisabwurfs einzuhalten. Abstände größer als 1,5 x (Rotordurchmesser plus Nabenhöhe) gelten im Allgemeinen als ausreichend. Soweit erforderliche Abstände nicht eingehalten werden, ist eine gutachterliche Stellung - nahme zur Funktionssicherheit von Einrichtungen notwendig, durch die der Betrieb der Windkraftanlage bei Eisansatz sicher ausgeschlossen werden kann. Dieses Gutachten muss auch eine Stellungnahme zur Gefährdung bei abgeschalteter Anlage enthalten (Eisabfall). Im Aufenthaltsbereich unter den Rotorblättern einer Windkraftanlage mit technischen Einrichtungen zur Außerbetriebnahme des Rotors bei Eisansatz ist durch Hinweisschilder auf die verbleibende Gefährdung durch Eisabfall bei Rotorstillstand aufmerksam zu machen. Derzeit kommen mehrere unterschiedliche Eiserkennungssysteme zur Anwendung . Sobald das Eiserkennungssystem anspricht, wird die Windkraftanlage automatisch abgeschaltet, gekoppelt mit einem automatischen Verhindern des Wiederanfahrens einer nicht eisfreien Anlage. Das Wiederanfahren kann nur nach Freigabe erfolgen. Zuvor ist sicherzustellen, dass die Anlage eisfrei ist. Damit ist bei funktionstüchtigem System ein Eisabwurf von drehenden Rotorblättern einer in Betrieb befindlichen Anlage praktisch ausgeschlossen. Der Eisabfall von einer stillstehenden, vereisten Anlage kann bei Tauwetter oder Inbetriebnahme der Rotorblattheizung nicht verhindert werden. Deshalb werden entsprechende Hinweisschilder aufgestellt. Eine Rotorblattheizung hat lediglich das Ziel, beim Wiederanfahren einer zuvor vereisten Anlage den Abtauvorgang hervorzurufen. Damit sollen Stillstandzeiten verringert werden. Stillstehende Wind - kraftanlagen unterscheiden sich hierbei nicht von Brücken, Strommasten oder Gebäuden, bei denen es zu Eisabfall kommen kann. Das Risiko durch Eisabwurf oder Eisabfall in der Umgebung einer Windkraft - anlage zu Schaden zu kommen ist sehr gering, was sich im Übrigen auch in den sehr niedrigen Policen für eine Haftpflichtversicherung einer Windkraftanlage ausdrückt. In Einzelfällen kommen Risikobetrachtungen zu dem Ergebnis, dass weitergehende Maßnahmen ergriffen werden sollten, um das Risiko eines Unfalls zu senken. Solche Maßnahmen können etwa Wegsperrungen bzw. Wegverlegungen im Umfeld von Windkraftanlagen sein oder die Aufstellung von besonderen Schildern mit warnendem Blinklicht, welches bei Wetterlagen aktiviert wird, bei denen Gefährdungen auftreten können. Im Regelfall sind solche Maßnahmen jedoch nicht erforderlich. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 8034 2. Welche konkreten entsprechenden Gefährdungssituationen für Mensch und Tier sind ihr aus der Vergangenheit bekannt? Konkrete Gefährdungssituationen sind weder aus Baden-Württemberg noch aus anderen Bundesländern bekannt. Im Landkreis Reutlingen kam es im Jahr 2002 zu einem Vorfall im Zusammenhang mit Eisabwurf. Es wurden damals unter anderem auf einem Wanderparkplatz und einer Schuppenanlage Eisstücke aufgefunden , bei denen zu vermuten war, dass sie von einer Windkraftanlage stammen könnten. Zu Personenschäden kam es dabei nicht. Daraufhin wurde ein Abschalten der Anlagen bei für die Eisbildung relevanten Temperaturen angeordnet und als weitergehende Maßnahme der Einbau von Eissensoren vorgegeben. Nach erfolgtem Einbau der Eiserkennungssensoren gingen keine Berichte über Eisabwurf mehr beim Landratsamt ein. 3. Wie bewertet sie die bestehenden Möglichkeiten für Kreise und Kommunen, einschlägige Gefährdungsbereiche im Umkreis von Windkraftanlagen zu sperren? Die zuständigen Behörden haben ebenso wie die Anlagenbetreiber die Pflicht zur Gefahrenabwehr gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Hierbei sind neben dem Aufstellen von Warnschildern mit oder ohne Blinklicht auch Wegsperrungen eine rechtlich zulässige Möglichkeit, den Gefahren durch Eisabwurf und Eisabfall von Windkraftanlagen zu begegnen. Die Wahl des geeigneten Mittels unterliegt dabei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 4. Wie bewertet sie die derzeitigen weiträumigen Geländesperrungen um Windkraftanlagen im Schwarzwald von Oktober bis April? 5. Inwiefern sind auch Hauptwanderrouten wie der Westweg oder Schluchtensteig von dieser Problematik betroffen? Eine Sperrung und Wegverlegung wurde bisher lediglich im Fall eines Windparks im Ortenaukreis von Oktober bis April verfügt. Der hiervon betroffene Westweg verläuft relativ nahe an drei Windkraftanlagen. Die jeweiligen Mindestabstände des ursprünglichen Verlaufs zu den Anlagen betrugen 15, 50 und 55 Meter. Nach der winterlichen Verlegung liegen die Abstände nun zwischen 115 und 190 Meter. Der gesamte Umweg gegenüber dem früheren Verlauf beträgt im Winter ca. 700 Meter. Dies verdeutlicht die Dimension der Änderung. Ebenfalls im Ortenaukreis sind an zwei weiteren Windenergieanlagen in geringem Umfang Wege von Sperrungen betroffen, wobei es sich aber um keine Haupt - wanderrouten handelt. In anderen Landesteilen waren Sperrungen von Wanderwegen bislang nicht notwendig . So kam eine Risikoanalyse für einen Windpark im Landkreis Schwäbisch Hall zu dem Ergebnis, dass das Eisfall-Risiko (an einem Rad- und Wanderweg des Schwäbischen Albvereins) ohne besondere Maßnahmen nicht mehr im tolerablen Bereich liegt. Der Betreiber hat deshalb nun an den Zugängen zum Gefahrenbereich ein Eiswarnsystem installiert, das per Blinklicht auf die spezielle Gefährdung durch Eisfall bei Stillstand der Windenergieanlagen hinweist. 6. Welche Erkenntnisse hat sie über die Auswirkungen der unter Frage 4 genannten Sperrungen auf den regionalen Wandertourismus und die örtliche Gastronomie ? 7. Welche Lösungsansätze sieht sie, um diese Nachteile für den Wandertourismus und die örtliche Gastronomie künftig zu vermeiden? Der Ausbau der Windenergie im Schwarzwald wirkt sich bislang im Wesentlichen nur auf die angeführte winterliche Verlegung des Westwegs aus (siehe Frage 5). Der Fernwanderweg führt oftmals über hohe und vergleichsweise schmale Bergkämme , die auch als Windenergiestandorte von Interesse sein können. Bei einem Umweg von lediglich 700 Metern in einem einzigen Fall einer betroffenen Haupt- Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 8034 4 wanderroute können nach Ansicht der Landesregierung negative Auswirkungen auf den Wandertourismus und die Gastronomie nicht angenommen werden. Die Regelungen im Windenergieerlass bieten ausreichend Lösungsansätze zur Konfliktvermeidung zwischen Windenergieausbau und Wandertourismus. Die Wahl einer geeigneten Lösung ist dabei stets auf die konkreten Verhältnisse am jeweiligen Standort abzustellen. Untersteller Minister für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft