Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 8040 03. 02. 2016 1Eingegangen: 03. 02. 2016 / Ausgegeben: 08. 03. 2016 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Welchen Stellenwert misst sie der Michael-Balint-Klinik in Königsfeld (Schwarz - wald-Baar-Kreis) als Zentrum für die muttersprachliche Behandlung türkischund russischsprachiger Menschen mit Migrationshintergrund bei? 2. Welchen Stellenwert räumt sie grundsätzlich der muttersprachlichen medizinischen Behandlung von Patientinnen und Patienten mit psychischen und physischen Erkrankungen ein? 3. Welche Anstrengungen unternimmt sie, um eine kultursensible psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung von Menschen mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg sicherzustellen? 4. Liegen ihr Kenntnisse über den Bedarf an psychotherapeutischer Versorgung von nicht-deutschsprachigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern vor und inwieweit wird dieser von den bestehenden Angeboten gedeckt? 5. Welche Schritte gedenkt sie zu unternehmen, um den durch die Vielzahl der ankommenden Flüchtlinge anzunehmenden steigenden Bedarf an Plätzen im Bereich der Traumatherapie zu decken? Kleine Anfrage des Abg. Manfred Lucha GRÜNE und Antwort des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Zukunft der Michael-Balint-Klinik in Königsfeld und psychotherapeutische Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 8040 2 6. Inwiefern erachtet sie die Ablehnung eines Antrags auf Erhaltung eines Ver - sorgungsvertrag nach § 109 Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) der Michael-Balint-Klinik in Königsfeld über 42 Betten im Fachgebiet Psychosomatische Medizin und Psychotherapie durch die Landesverbände der Krankenkassen in diesem Zusammenhang als eine zukunftsweisende Entscheidung? 27. 01. 2016 Lucha GRÜNE B e g r ü n d u n g Die Michael-Balint-Klinik in Königsfeld (Schwarzwald-Baar-Kreis) ist eine Fach - klinik für Psychosomatik und Ganzheitsmedizin und spezialisiert auf die muttersprachliche Behandlung türkischer Migranten sowie Spätaussiedlern und anderer russisch-sprachiger Patienten. Durch Ablehnung eines Antrags auf einen Versorgungsvertrag nach § 109 SGB V vom 30. September 2015 auf 42 Betten im Fachgebiet Psychosomatische Medizin und Psychotherapie durch die Landesverbände der Krankenkassen ist die Zukunft der Klinik sowie des medizinischen Standorts als Fachkompetenzzentrum für muttersprachliche Versorgung gefährdet. Dieser Vorgang ist insbesondere zu hinterfragen, da ein in der Psychosomatik erfahrener und wirtschaftlich starker Klinikträger aus der Region sich bereiterklärt hatte, unter Erhaltung sämtlicher Arbeitsplätze die Klinik zu sanieren und die Angebote zur psychotherapeutischen Behandlung von Menschen mit Migrationshintergrund auszubauen. Zur Sicherstellung der zufriedenstellenden psychotherapeutischen Behandlung von Menschen mit Migrationshintergrund sind Angebote zur muttersprachlichen Versorgung von großer Relevanz. Angesichts der großen Vielzahl an ankommenden Flüchtlingen mit teils traumatischen Erfahrungen ist anzunehmen, dass der Bedarf an muttersprachlicher psychotherapeutischer Versorgung in Zukunft steigen wird. Der Erhalt bestehender Standorte mit entsprechender Fachkompetenz und Erfahrung sollte daher in der Krankenhausplanung des Landes großen Stellenwert genießen. A n t w o r t Mit Schreiben vom 23. Februar 2016 Nr. 5-0141.5/15/8040 beantwortet das Minis - terium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren die Kleine Anfrage wie folgt: Ich frage die Landesregierung: 1. Welchen Stellenwert misst sie der Michael-Balint-Klinik in Königsfeld (Schwarz - wald-Baar-Kreis) als Zentrum für die muttersprachliche Behandlung türkischund russischsprachiger Menschen mit Migrationshintergrund bei? Die Michael-Balint-Klinik ist kein Plankrankenhaus, das gem. § 108 Nr. 2 Sozialgesetzbuch V (SGB V) in den Krankenhausplan aufgenommen wurde. Vielmehr ver fügt sie über einen Versorgungsvertrag nach § 108 Nr. 3 i. V. m. § 109 SGB V der zwischen der Klinik und den Landesverbänden der Krankenkassen und dem Verband der Ersatzkassen geschlossen wurde (Vertragskrankenhaus). Ob ein Bedarf für ein Vertragskrankenhaus besteht, ist von den Landesverbänden der Krankenkassen und dem Verband der Ersatzkassen in eigener Verantwortung zu ermitteln. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 8040 Die Krankenhausplanung in Baden-Württemberg findet grundsätzlich auf der Ebene der Fachgebiete der ärztlichen Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg statt. Eine Planung nach Leistungen erfolgt nicht. Verschiedene Krankenhäuser spezialisieren sich innerhalb eines Fachgebiets bzw. auf bestimmte Patientengruppen. Solche Spezialisierungen können dazu beitragen , besondere Kompetenz zu entwickeln. Konkrete Zahlen über muttersprachliche Behandlungen türkisch- und russischsprachlicher Menschen mit Migrationshintergrund liegen dem Sozialministerium nicht vor. Allerdings zeichnet sich die Michael-Balint-Klinik durch eine entsprechende Expertise in der Behandlung von Menschen mit psychischen Störungen aus, die einen russischen, türkischen oder kurdischen ethnisch/sprachlichen Hintergrund haben. Für diese Patientinnen und Patienten gibt es muttersprachliche therapeutische Angebote, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter welche die jeweilige Sprache sprechen, erleichtern die Kommunikation. Seitens der akademischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt es eine Publikationstätigkeit bezüglich des kultursensiblen Umgangs mit dieser Klientel. 2. Welchen Stellenwert räumt sie grundsätzlich der muttersprachlichen medizinischen Behandlung von Patientinnen und Patienten mit psychischen und physischen Erkrankungen ein? Eine psychiatrische Diagnosestellung und Therapie setzt eine ausreichende sprachliche Verständigung voraus. Bekannt ist, dass bereits für deutsche Patientinnen und Patienten die Kommunikation in diesem Kontext mitunter schwierig sein kann. Für die Behandlung psychosomatisch erkrankter Migrantinnen und Migranten aus der Türkei sowie russisch-muttersprachlicher Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion stellt sich diese Problematik ebenfalls, verstärkt zum einen durch die zum Teil mangelhafte Integration, zum anderen durch kulturell determinierte sowie reaktiv in Deutschland entwickelte abweichende Denk- und Verhaltensweisen. Unter Berücksichtigung dieser Schwierigkeiten versucht die Michael-Balint-Klinik hauptsächlich störungsorientierte bzw. störungsspezifische Psychotherapieverfahren sowohl in einzelpsychotherapeutischen Settings als auch im Rahmen spezifischer psychoedukativer Gruppen oder als interaktionelle Gruppentherapien anzubieten. Die hierfür notwendigen Voraussetzungen (Sprachkompetenz, interkulturelle Kompetenz) sind in der Einrichtung gegeben. 3. Welche Anstrengungen unternimmt sie, um eine kultursensible psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung von Menschen mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg sicherzustellen? Im Herbst letzten Jahres initiierte das Sozialministerium ein Treffen mit Vertretungen aller Zentren für Psychiatrie in Baden-Württemberg, um die Aktivitäten in Bezug auf die Versorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden zu koordinieren und sich über diesbezügliche Erfahrungen und Probleme auszutauschen. Seither stehen die Zentren für Psychiatrie miteinander in regelmäßigem Kontakt, an allen Zentren werden, neben den sich schon lange in Deutschland befindlichen Migrantinnen und Migranten, nun zunehmend auch die neu nach Deutschland gekommenen Menschen behandelt. Unter diesen sind auch sogenannte Kontingentflüchtlinge , die der yesidischen Ethnie angehören. Zum Teil seitens des Sozialministeriums koordiniert, entwickelt sich eine zunehmend enge Kooperation zwischen den Kommunen (beispielsweise repräsentiert durch die Landratsämter, aber auch durch die sozialpsychiatrischen Dienste) und den Zentren für Psychiatrie um präventive Maßnahmen zu ergreifen, welche eine zeitnahe kultursensible psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung von Menschen mit Migrationshintergrund sicherstellen soll. Teilweise mit initiiert durch das Sozialministerium werden gemeinsam mit den Kommunen in den Kreisen Weiterbildungen für Helferinnen und Helfer in der kultursensiblen psycho - sozialen Versorgung von Flüchtlingen angeboten. Es bleibt festzuhalten, dass die Anstrengungen noch verstärkt werden müssen, um der zukünftig sicher steigenden Nachfrage an Behandlungsangeboten nachkommen zu können. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 8040 4 4. Liegen ihr Kenntnisse über den Bedarf an psychotherapeutischer Versorgung von nicht-deutschsprachigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern vor und inwieweit wird dieser von den bestehenden Angeboten gedeckt? Eine Statistik bezüglich des Bedarfs an psychotherapeutischer stationärer oder teilstationärer Versorgung von nicht deutschsprachigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern liegt dem Sozialministerium nicht vor. Stationär oder teilstationär psychisch oder psychosomatisch behandlungsbedürftige Menschen werden in vorhandenen Krankenhäusern behandelt, ggf. ist ein Dolmetscher hinzuzuziehen. Außerdem wäre es schwierig bzw. epidemiologisch nicht korrekt, von den Zahlen des prozentualen Anteils an Menschen mit Migrationshintergrund mit oder ohne ausreichenden Deutsch-Kenntnisse im Vergleich zur deutschen Bevölkerung ohne Migrationshintergrund bzw. deutschsprachigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern auf eine vergleichbare Behandlungsbedürftigkeit respektive Behandlungsbereitschaft zu schließen. Ein Anteil von etwas über 25 Prozent an Menschen mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg lässt primär keinen Rückschluss über deren Sprachkenntnisse zu. Neben dem Faktor Sprache muss auch der Umgang mit körperlicher und psychischer Krankheit mit in Betracht gezogen werden – Menschen aus dem mittleren Osten vermeiden häufig eine aus mitteleuropäischer Sicht notwendige Behandlung einer psychischen Störung, entweder weil diese somatisiert oder eine entsprechende Behandlung nicht im medizinischen sondern im religiösen Bereich gesucht wird. Im Allgemeinen wird der Bedarf an psychotherapeutischer Behandlung seitens deutscher Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten höher eingeschätzt als es die betreffende Klientel mit Migrationshintergrund selbst tut. Unstrittig ist aber, dass insbesondere Menschen mit möglichen Traumatisierungen vor, während und nach der Flucht von psychotherapeutischer Versorgung profitieren könnten. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) teilt mit, dass der Bedarf an ambulanter Psychotherapie für alle Bevölkerungsgruppen nicht gedeckt sei. Eine verbesserte Sicherstellung der Versorgung psychisch Kranker (deutscher , wie nicht-deutscher Mitbürgerinnen und Mitbürger) werde nach Vorgabe des vom Bundestag am 11. Juni 2015 beschlossenen Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz – GKV-VSG) derzeit im Gemeinsamen Bundesausschuss beraten. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist durch den Gesetzgeber beauftragt worden, die Psychotherapierichtlinie zu überarbeiten. Ziel ist es, eine psychotherapeutische (Akut-)Sprechstunde einzuführen und die Gruppentherapie zu stärken. Außerdem soll das Gutachterverfahren vereinfacht werden. Nach der Einführung der psychotherapeutischen (Akut-)Sprechstunde (vorgesehen ist dies bis zum 30. Juni 2016) wird die Terminservicestelle bei der KVBW außerdem auch Termine für die psychotherapeutische Versorgung zu vermitteln haben. Die KVBW weist speziell zum Bedarf nicht-deutschsprachiger Mitbürgerinnen und Mitbürgern darauf hin, dass die Psychotherapie von Traumata erst nach dem Herstellen von Sicherheit in den Lebensbedingungen und einer Mindestintegra - tion inhaltlich sinnvoll sei. Insofern sei in den nächsten Jahren von einem wachsenden Bedarf auszugehen. Die KVBW konstatiert bei den niedergelassenen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ein hohes Fortbildungsinteresse (siehe Antwort zu Ziffer 5), weshalb ihr derzeit das Angebot größer zu sein scheint als die Nachfrage. Regionale Zahlen lägen der KVBW allerdings noch nicht vor. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 8040 5. Welche Schritte gedenkt sie zu unternehmen, um den durch die Vielzahl der ankommenden Flüchtlinge anzunehmenden steigenden Bedarf an Plätzen im Bereich der Traumatherapie zu decken? Die bedarfsgerechten stationären und teilstationären psychiatrischen und psychosomatischen Behandlungsangebote werden im Krankenhausplan des Landes ausgewiesen . Der Bedarf im Fachgebiet Psychiatrie und Psychotherapie wird entsprechend der gefestigten Rechtsprechung aus der tatsächlichen Nachfrage ermittelt . Seit dem Jahr 2005 sind 691 zusätzliche teilstationäre Plätze und 398 zusätzliche stationäre Betten krankenhausplanerisch ausgewiesen worden. Mit der Fortschreibung der Fachplanung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie im Jahr 2015 wurden 149 zusätzliche teilstationäre Plätze ausgewiesen. Darüber hinaus ist es wichtig, alle Beteiligten zusammenzubringen. Die KVBW hat deshalb schon frühzeitig einen runden Tisch mit Ärztekammer, Psychotherapeutenkammer und Flüchtlingsorganisationen einberufen. Einhellige Meinung sei auch da gewesen, dass psychotherapeutische Therapien erst dann inhaltlich sinnvoll seien, wenn eine gewisse Sicherheit in den Lebensbedingungen und auch beim Aufenthaltsstatus gegeben sei. Zu den Fortbildungen der KVBW und der beiden Kammern zur Traumatherapie bei Migrantinnen und Migranten bestehe ein hohes Interesse der Niedergelassenen. Mehrere hundert Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten besuchen die stets ausgebuchten Fortbildungen. Die KVBW geht von einem angemessenen ambulanten Angebot zur Therapie dieses Personenkreises aus. Die Dolmetscherinnen und Dolmetscher müssten dazu allerdings vorhanden sein. 6. Inwiefern erachtet sie die Ablehnung eines Antrags auf Erhaltung eines Versorgungsvertrag nach § 109 Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) der Michael-Balint-Klinik in Königsfeld über 42 Betten im Fachgebiet Psychosomatische Medizin und Psychotherapie durch die Landesverbände der Krankenkassen in diesem Zusammenhang als eine zukunftsweisende Entscheidung? Über die Vergabe eines Versorgungsvertrags nach § 108 Nr. 3 i. V. m. § 109 SGB V entscheiden die Landesverbände der Krankenkassen und der Verband der Ersatzkassen in eigener Zuständigkeit. Altpeter Ministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren