Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 8090 26. 02. 2016 1Eingegangen: 26. 02. 2016 / Ausgegeben: 29. 03. 2016 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Gibt es Berechnungen, die den konjunkturellen Mehrwert der Aufnahme von Flüchtlingen beziffern und bewerten? 2. Inwieweit wird die Baukonjunktur hierdurch beflügelt? 3. Inwieweit wird dabei der soziale Wohnungsbau insgesamt angekurbelt? 4. Welche positiven Effekte hat dies für die demografische Entwicklung in Baden- Württemberg? 5. Wie wirkt sich die Aufnahme von Flüchtlingen auf den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt nach ihrer Kenntnis im Land aus? 26. 02. 2016 Locherer CDU Kleine Anfrage des Abg. Paul Locherer CDU und Antwort des Ministeriums für Finanzen und Wirtschaft Vom konjunkturellen Mehrwert der Aufnahme von Flüchtlingen im Land Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 8090 2 B e g r ü n d u n g Mit dieser Kleinen Anfrage sollen positive Aspekte, die durch die Aufnahme von Flüchtlingen für unsere Wirtschaft und die demografische Entwicklung entstehen, aufgezeigt werden. A n t w o r t Mit Schreiben vom 21. März 2016 Nr. 92-4202.0/20 beantwortet das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Gibt es Berechnungen, die den konjunkturellen Mehrwert der Aufnahme von Flüchtlingen beziffern und bewerten? 2. Inwieweit wird die Baukonjunktur hierdurch beflügelt? Zu 1. und 2.: Die Zuwanderung von Flüchtlingen nach Baden-Württemberg wird das Brutto - inlandsprodukt voraussichtlich kurzfristig (konjunkturell) positiv beeinflussen und für zusätzliche Wachstumsimpulse sorgen. Durch die Ausgaben für die Aufnahme und Integration der Flüchtlinge wird es zu einer Steigerung der inländischen Nachfrage kommen, die über vier Kanäle der Verwendungsseite des Brutto - inlandsprodukts führt: a) Die monetären Sozialleistungen der Flüchtlinge werden das verfügbare Einkommen erhöhen und für einen Anstieg der privaten Konsumausgaben sorgen. b) Die staatlichen Ausgaben werden durch die Versorgung der Flüchtlinge und Integrationsmaßnahmen zunehmen. c) Die Nachfrage nach Dienstleistungen, vor allem im Bereich der Sprachförderung und der Sozialbetreuung, wird zunehmen und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. d) Die Zuwanderung von Flüchtlingen wird zudem mit einer erhöhten Nachfrage nach Wohnraum einhergehen, was sich in einer Ausweitung der Wohnungsbauinvestitionen niederschlägt. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) hat 2011 im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung die Auswirkungen von zusätzlichen Bauinvestitionen auf die Gesamtwirtschaft und die Beschäftigung untersucht. Unterstellt wurde eine Ausgabe von 1 Milliarde Euro. Für den Bau von (für die Flüchtlingsunterbringung besonders relevanten) Mehrfamilienhäusern, schätzte das Institut eine gesamtwirtschaftliche Produktionswirkung von insgesamt rund 1,78 Milliarden Euro und einen Beschäftigungsaufbau von rund 17.000 Personen (vgl.: Zukunft Bau – Multiplikator- und Beschäftigungseffekte von Bau - investitionen, Essen 2011). Die weitere Entwicklung der Zahl der Asylbewerber sowie der anerkannten Flüchtlinge ist nur schwer abschätzbar. Weil Berechnungen insbesondere zum Bildungsstand sowie der Integration in den Arbeitsmarkt derzeit noch auf höchst unsicherer Grundlage beruhen, kann die Abschätzung der Effekte der Flüchtlingsmigration auf das Bruttoinlandsprodukt Baden-Württembergs noch nicht quantifiziert werden. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 8090 3. Inwieweit wird dabei der soziale Wohnungsbau insgesamt angekurbelt? Zu 3.: Über notwendige Maßnahmen und Anstrengungen für mehr Wohnraum steht das Land in einem Austausch mit Akteuren am Wohnungsmarkt. Sowohl das Landeswohnraumförderungsprogramm als auch das Förderprogramm „Wohnraum für Flüchtlinge“ dienen der Schaffung von Wohnraum. Das Landeswohnraumförderungsprogramm sieht ein breites Angebot sozial orientierter Wohnraumförderung mit zahlreichen Förderansätzen für einkommensschwächere Haushalte vor. Das Programm „Wohnraum für Flüchtlinge“ richtet sich hingegen an die Gemeinden, die gesetzlich zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen verpflichtet sind. Im Mittelpunkt beider Programme steht die Errichtung zweck- oder sozialgebundenen Mietwohnraums. Allein zur Erreichung dieses Ziels stellt das Land im Jahr 2016 ein Bewilligungsvolumen im Umfang von über 205,2 Mio. Euro zur Ver - fügung. Es wird angestrebt, die Zahl der neu geförderten Sozialwohnungen in Baden- Württemberg bis Ende 2016 zu verdoppeln und bis 2021 25.000 Sozialwohnungen zusätzlich zu schaffen. Dies bedeutet unter Zugrundelegung der aktuellen Subventionswerte nach dem Landeswohnraumförderungsprogramm 2015/2016 (vgl. sog. Blaue Broschüre zum Landeswohnraumförderungsprogramm 2015/2016 zur Unterrichtung des Landtags) für Wohnungen mit durchschnittlich 75 m² Wohn - fläche bei angenommener Sozialbindungsdauer von 15 Jahren, was der Dauer der Zinsverbilligung des Förderdarlehens entspricht, einen Bedarf an Haushaltsmitteln im Umfang von rund 1,21 Mrd. Euro, d. h. rund 240 Mio. Euro jährlich für 2017 bis 2021. Bei 25-jähriger Bindungsdauer der geschaffenen Wohnungen entstünde somit ein Bedarf an Haushaltsmitteln im Umfang von rund 1,81 Mrd. Euro, d. h. rund 363 Mio. Euro jährlich für 2017 bis 2021. 4. Welche positiven Effekte hat dies für die demografische Entwicklung in Baden- Württemberg? Zu 4.: In einer um die aktuelle Zuwanderungsentwicklung aktualisierten Bevölkerungsvorausrechnung des Statistischen Landesamts zeigt sich in der Variante mit der höchsten Eintrittswahrscheinlichkeit, dass die Einwohnerzahl Baden-Württembergs zunächst bis 2030 um etwa 420.000 Menschen auf etwas mehr als 11,1 Millionen Einwohner ansteigen und bis 2060 ungefähr auf das heutige Niveau wieder absinken wird. Allerdings sind die Annahmen der Vorausrechnung – aufgrund der starken Zunahme der Zuwanderung aus den Krisenstaaten – derzeit noch unsicherer als sie bei einem solchen Verfahren ohnehin bereits sind. Unabhängig von der starken Zuwanderung ist die Geburtenrate in Baden-Württemberg bereits in den letzten Jahren leicht gestiegen. Dieser Trend wird sich wegen der etwas verjüngten Bevölkerung infolge der kräftigen Zuwanderung durchschnittlich jüngerer Menschen mutmaßlich fortsetzen. Dennoch wird aufgrund der anteilsmäßig stark zunehmenden Altersgruppe ab 65 Jahren trotz weiter steigender Lebenserwartung eine noch stärker wachsende Zahl an Sterbefällen resultieren, sodass insgesamt ein zunehmendes Defizit aus Geburten und Sterbefällen zu erwarten ist. Diese grundsätzliche Entwicklung kann aller Voraussicht nach nicht durch Zuwanderung ausgeglichen werden. Es werden positive Effekte auf das Durchschnittsalter und die Zusammensetzung der Alterskohorten resultieren. Allerdings wird der Alterungsprozess nicht grund - sätzlich gestoppt oder umgekehrt; er wird sich aber durch die Zuwanderung durchaus spürbar verlangsamen. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 8090 4 5. Wie wirkt sich die Aufnahme von Flüchtlingen auf den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt nach ihrer Kenntnis im Land aus? Zu 5. a) Ausbildungsmarkt Die Integration von Flüchtlingen wird sich erst mittelfristig auf den Ausbildungsmarkt auswirken. Von der Bundesagentur für Arbeit werden zum 31. Januar 2016 nur 888 gemeldete Asylbewerber und Flüchtlinge als prinzipiell ausbildungsgeeignet eingeschätzt. Die große Zahl der im letzten und in diesem Jahr nach Baden -Württemberg gelangten Flüchtlinge verfügt noch nicht über die erforderlichen Sprachkompetenzen. Mit dem vom Ministerium für Finanzen und Wirtschaft seit Januar 2016 aufgelegten „Kümmerer“-Programm zur Integration von Flüchtlingen in Ausbildung wird zum Ausbildungsjahr 2016/2017 der Beginn von Ausbildungen oder Einstiegsqualifizierungen durch Flüchtlinge angestrebt. Angesichts von über 6.000 gemeldeten unbesetzten Ausbildungsplätzen in Baden- Württemberg zu Beginn des Ausbildungsjahres 2015/2016 können die Probleme des Ausbildungsmarktes zum kommenden Ausbildungsjahr offensichtlich nicht allein durch Flüchtlinge gelöst werden. Mit den wachsenden Sprachkenntnissen der jetzt im Lande befindlichen Flüchtlinge wird sich das Potenzial der für eine Ausbildung in Frage kommenden Flüchtlinge in den Jahren ab 2017 aber deutlich erhöhen. Noch offen ist die Frage, ob sich die prinzipiell ausbildungsgeeigneten Flücht - linge mehrheitlich für eine mehrjährige Ausbildung und gegen eine kurzfristig finanziell attraktivere Erwerbstätigkeit entscheiden. Hierzu werden Aufschlüsse aus den Erfahrungen mit dem neuen „Kümmerer“-Programm erwartet. b) Arbeitsmarkt Das Fachkräftepotenzial von Flüchtlingen ist kurzfristig eng begrenzt. Mit der Zeit wächst es, abhängig von Spracherwerb und Qualifizierung. Für Personen, für die eine Ausbildung nicht in Betracht kommt, müssen Beschäftigungsmöglichkeiten gefunden werden. Nach den bisherigen Erkenntnissen weisen Flüchtlinge allerdings kaum Deutschkenntnisse auf, haben nur zu einem geringen Teil eine abgeschlossene Berufsausbildung und arbeiten, wenn sie beschäftigt sind, weit überwiegend in Helferberufen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge in Deutschland, Dezember 2015; Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Zuwanderungsmonitor, Februar 2016; Institut der deutschen Wirtschaft, Beschäftigungsspuren der Flüchtlings- und Erwerbsmigration am deutschen Arbeitsmarkt, Februar 2016). Für eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration sind deshalb vor allem die Qualifizierung von Flüchtlingen in der Arbeitslosigkeit und die Weiterqualifizierung von Flüchtlingen, die als Helfer arbeiten, notwendig. Darüber hinaus werden zusätzliche Stellen auf dem Arbeitsmarkt im Bereich Sprachunterricht und Sozialbetreuung nachgefragt. In der Sitzung der Fachkräfteallianz Baden-Württemberg am 30. November 2015 haben die Allianzpartner zugesagt, sich gegenüber privaten und öffentlichen Arbeitgebern insbesondere für die Beschäftigung arbeitsloser anerkannter Flücht - linge einzusetzen. Die Arbeitgeber haben eine weitgehende Rechts- und Planungssicherheit bei der Beschäftigung von anerkannten Flüchtlingen. Anerkannte Flüchtlinge besitzen eine Aufenthaltserlaubnis, die ihnen den uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht. Im Herbst 2016 wird die Fachkräfteallianz eine erste Zwischenbilanz ziehen. In Vertretung Rebstock Ministerialdirektor