Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 840 07. 11. 2011 1Eingegangen: 07. 11. 2011 / Ausgegeben: 07. 12. 2011 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Trifft es zu, dass das Justizministerium davor gewarnt hat, die Ausstiegskosten in der Informationsbroschüre der Landesregierung zum Volksentscheid mit dem Betrag von unter 350 Mio. Euro ausdrücklich zu benennen? 2. Sieht das Justizministerium die Ausstiegskosten im Falle einer unrechtmäßigen Kündigung eher bei 350 Mio. Euro oder eher bei 1,5 Mrd. Euro? 3. Trifft es zu, dass das Justizministerium mit Blick auf geltende Verträge die Auffassung vertritt, dass Neubaustrecke und Stuttgart 21 einander bedingen? 4. Wie bewertet das Justizministerium die Aussagen in der Informationsbroschüre der Landesregierung, wonach die „Neubaustrecke … unabhängig von Stuttgart 21“ ist, und von „einer Kündigung … unberührt“ bliebe? 5. Hält sie es für richtig, in der Bürgerinformation der Regierung möglicherweise falsche Rechtsauffassungen darzustellen? 6. Welche Auswirkungen erwartet das Justizministerium hinsichtlich der Akzeptanz des Ergebnisses des Volksentscheids, sollte sich später herausstellen, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Entscheidung aufgrund möglicherweise bewusst falscher Informationen eines Teils der Regierung getroffen haben? 07. 11. 2011 Haußmann FDP/DVP Kleine Anfrage des Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP und Antwort des Justizministeriums Wahrheitsgehalt von offiziellen Regierungsinformationen bei der Volksabstimmung zur Ausübung von Kündigungsrechten beim Bahnprojekt Stuttgart 21 Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 840 2 A n t w o r t Mit Schreiben vom 28. November 2011 beantwortet das Justizministerium im Einvernehmen mit dem Ministerium für Verkehr und Infrastruktur die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Trifft es zu, dass das Justizministerium davor gewarnt hat, die Ausstiegskosten in der Informationsbroschüre der Landesregierung zum Volksentscheid mit dem Betrag von unter 350 Mio. Euro ausdrücklich zu benennen? Nein. Das Justizministerium hat sich nach Vorlage eines Entwurfs der Informa - tionsbroschüre nur dagegen ausgesprochen, dass dort der Betrag etwaiger Ausstiegskosten mit höchstens 350 Mio. Euro angegeben wurde, und angesichts erheblicher Unsicherheitsfaktoren bei der Höhe der Ausstiegskosten eine zurückhaltendere Formulierung angeregt. Der Entwurf ist daraufhin geändert worden. 2. Sieht das Justizministerium die Ausstiegskosten im Falle einer unrechtmäßigen Kündigung eher bei 350 Mio. Euro oder eher bei 1,5 Mrd. Euro? Das Justizministerium geht davon aus, dass eine Kündigung nur dann ausgesprochen wird, wenn tatsächlich ein Kündigungsrecht besteht. Sollte ein Gericht eine Kündigung als rechtswidrig beurteilen, würden die jeweiligen Verpflichtungen aus dem Finanzierungsvertrag fortbestehen. Zugleich würde eine solche unwirksame Kündigung eine Vertragsverletzung darstellen, die zur Haftung des Landes für alle dadurch bei den Vertragspartnern eingetretenen Schäden führen kann. Eine verlässliche Aussage zur Höhe möglicher Schäden bei den Projektpartnern des Landes ist derzeit nicht möglich. Ergänzend wird zu weiteren Einzelheiten bezüglich etwaiger vom Land Baden-Württemberg zu tragender Ausstiegskosten auf die Stellungnahmen des Justizministeriums zu Frage 8 der Kleinen Anfrage des Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU (Clausula rebus sic stantibus [Wegfall der Geschäftsgrundlage] und S 21 Finanzierungsvertrag, Drucksache 15/616, S. 10 ff.) und zu Frage 3 des Antrags der Fraktion der CDU (Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem S 21-Kündigungsgesetz, Landtags-Drucksache 15/673, S. 3) Bezug genommen. 3. Trifft es zu, dass das Justizministerium mit Blick auf geltende Verträge die Auffassung vertritt, dass Neubaustrecke und Stuttgart 21 einander bedingen? Das Justizministerium hat im Rahmen der Vorbereitung der Informationsbroschüre der Landesregierung für die Volksabstimmung darauf hingewiesen, dass in § 6 der Gemeinsamen Erklärung der Vertragspartner zur Realisierung der Projekte „Stuttgart 21“ und „NBS Wendlingen–Ulm“ vom 2. April 2009 festgelegt ist, dass die Projekte „Stuttgart 21“ und „NBS Wendlungen–Ulm“ voneinander abhängig sind. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 des Finanzierungsvertrages zu Stuttgart 21 vom 2. April 2009 sind sich die Vertragsparteien einig, dass das Projekt Stuttgart 21 als Teil des (auch die Neubaustrecke umfassenden) Gesamtprojektes realisiert werden soll. 4. Wie bewertet das Justizministerium die Aussagen in der Informationsbroschüre der Landesregierung, wonach die „Neubaustrecke … unabhängig von Stuttgart 21“ ist, und von „einer Kündigung … unberührt“ bliebe? Die in der Fragestellung genannten Aussagen finden sich bei den zehn Argumenten für die Kündigung und die Auflösung der Finanzierungsvereinbarung zu Stuttgart 21. Eine entsprechende Bewertung wird von Projektgegnern vertreten. Eine andere Bewertung findet sich in der Informationsbroschüre bei den zehn Argumenten gegen die Kündigung und Auflösung der Finanzierungsvereinbarung zu Stuttgart 21; dort wird auch ausdrücklich auf die bei Frage 3 angesprochene Gemeinsame Erklärung verwiesen. Beide vertretene Auffassungen sind somit in der Broschüre zutreffend dargestellt. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 840 Wie die Vertragspartner im Falle einer wirksamen Kündigung des Finanzierungsvertrages zu Stuttgart 21 durch das Land die Planungen für die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm und deren Fortführung beurteilen, muss zu gegebener Zeit von den Vertragspartnern erörtert und entschieden werden. Gegenstand des Finanzierungsvertrages zu Stuttgart 21, dessen Kündigung in Frage steht, ist nach dessen § 3 Abs. 1 Satz 1 die Durchführung und Finanzierung des Projektes Umgestaltung des Bahnknotens Stuttgart durch Ersetzung des Kopfbahnhofs durch einen tieferliegenden Durchgangsbahnhof (so die Definition in § 1 Abs. 1 des Vertrages), nicht hingegen die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm. 5. Hält sie es für richtig, in der Bürgerinformation der Regierung möglicherweise falsche Rechtsauffassungen darzustellen? Wie sich aus dem Grußwort der Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung in der Informationsbroschüre (S. 2) ergibt, sollen in dieser die gegensätz - lichen Positionen aus der Sicht der Befürworter und Gegner prägnant dargestellt werden. Hieraus ergibt sich, dass auch unterschiedliche Rechtsauffassungen und Bewertungen dargelegt und vertretbar sind. Welche Rechtsauffassung letztlich zutrifft, werden im Streitfall die Gerichte zu entscheiden haben. 6. Welche Auswirkungen erwartet das Justizministerium hinsichtlich der Akzeptanz des Ergebnisses des Volksentscheids, sollte sich später herausstellen, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Entscheidung aufgrund möglicherweise bewusst falscher Informationen eines Teils der Regierung getroffen haben? Das Justizministerium geht nicht davon aus, dass seitens der Landesregierung bewusst falsche Informationen gegeben werden. Stickelberger Justizminister