Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 925 24. 11. 2011 1Eingegangen: 24. 11. 2011 / Ausgegeben: 19. 12. 2011 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Auswirkungen hätte die Einführung einer ausschließlich nationalen Finanztransaktionssteuer auf die Einnahmesituation des Landes? 2. Wie beurteilt sie die Auswirkung der Einführung einer internationalen Finanztransaktionssteuer innerhalb der Eurozone für das Steueraufkommen des Landes? 3. Wie beurteilt sie die wirtschaftliche Entwicklung des Börsenplatzes Stuttgart, falls a) eine nationale oder b) eine internationale Finanztransaktionssteuer eingeführt wird? 4. Wie bewertet sie den wirtschaftlichen Investitionsprozess, das Wirtschaftswachstum und die Entwicklung der Reallöhne in Baden-Württemberg, sofern eine nationale oder internationale Finanztransaktionssteuer (Eurozone) eingeführt wird? 5. Ist sie der Auffassung, dass die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise aufgrund einer fehlenden Finanztransaktionssteuer oder aufgrund anderer Ereignisse , z. B. der bilanziellen Bewertung und dem Rating von Finanzprodukten mit ausgelöst wurde? 23. 11. 2011 Dr. Löffler CDU Kleine Anfrage des Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU und Antwort des Ministeriums für Finanzen und Wirtschaft Auswirkungen der Finanztransaktionssteuer auf den Börsenplatz Stuttgart Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 925 2 B e g r ü n d u n g Die Finanztransaktionssteuer, die alle Finanztransaktionen umfasst, wurde bisher weltweit noch nicht verbindlich eingeführt. Die Befürworter einer Finanztrans - aktionssteuer versprechen sich ein Mehr an Steuereinnahmen, ohne dass dies Verzerrungen in der Realwirtschaft auslöst. Soweit eine Finanztransaktionssteuer nicht weltweit verbindlich eingeführt wird, sehen Skeptiker den nationalen Börsenplatz für gefährdet an, weil dann die internationalen Börsenplätze in London, New York, Tokio, Singapore und Hong Kong den Devisenmarkt vollständig an sich ziehen werden. Soweit die EU mit ihrem Vorschlag für eine internationale Steuer erfolgreich sein wird, bedeutet dies, dass die Unternehmensgewinne unserer mittelständischen Industrie sinken und damit auch die Steuereinnahmen. Eine rein nationale Finanztransaktionssteuer bringt erhebliche wirtschaftliche Probleme für den Devisenmarkt an der Stuttgarter Börse. Ihre Wettbewerbsfähigkeit ist dadurch erheblich eingeschränkt. A n t w o r t Mit Schreiben vom 13. Dezember 2011 Nr. 3-S190.1/14 beantwortet das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Auswirkungen hätte die Einführung einer ausschließlich nationalen Finanztransaktionssteuer auf die Einnahmesituation des Landes? Eine nationale Finanztransaktionssteuer würde der in Deutschland aufgrund des Kapitalverkehrsteuergesetzes bis Ende 1990 erhobenen Börsenumsatzsteuer bzw. der bis Ende 1991 erhobenen Gesellschaftsteuer entsprechen. Nach Artikel 106 Absatz 1 Nummer 4 GG steht das Aufkommen einer Kapitalverkehrsteuer aus - schließlich dem Bund zu. Das Aufkommen aus einer nationalen Finanztransak - tionssteuer würde ebenfalls dem Bund zustehen; die Länder wären am Aufkommen nicht beteiligt. Mit einer Finanztransaktionssteuer werden zunächst die Finanzintermediäre be - las tet, die diese Steuer den Kunden weiterbelasten könnten. Lediglich beim Eigen handel sind die Finanzintermediäre selbst direkt mit dieser Steuer belastet. Jedoch ist davon auszugehen, dass – wie bei allen Steuern – zumindest eine teilweise Steuerüberwälzung stattfinden wird, sodass die höheren Transaktionskosten durch höhere Preise oder Zinsen von Anlegern und Verbrauchern getragen werden . In welchem Umfang eine Überwälzung auf den Endverbraucher möglich ist, kann nicht allgemein angegeben werden, sondern hängt von der Marktsituation ab. Unabhängig von einer möglichen Überwälzung reduziert eine Finanztransak - tionssteuer die Gewinnmarge einer Finanztransaktion und beeinflusst damit den steuerlichen Gewinn des Kunden bzw. des Finanzintermediärs. Damit verringert sich das aus einer solchen Finanztransaktion generierbare Ertragsteueraufkommen . Da das Aufkommen aus Einkommensteuer und Körperschaftsteuer anteilig Bund, Ländern und Gemeinden zusteht, würde eine nationale Finanztransaktionssteuer auch die Einnahmensituation des Landes betreffen. 2. Wie beurteilt sie die Auswirkung der Einführung einer internationalen Finanztransaktionssteuer innerhalb der Eurozone für das Steueraufkommen des Landes? Die Landesregierung hält es für sinnvoll, einen Anteil der in den Mitgliedstaaten unter Achtung der nationalen Steuersouveränität erhobenen Finanztransaktionssteuer dem EU-Budget als neue Eigenmittelquelle zuzuweisen. Dafür spricht unter anderem die strukturelle Vergleichbarkeit einer europäischen Finanztransaktionssteuer mit den EU-Einnahmen aus Zöllen und Einfuhrabgaben, die auch fester Bestandteil der EU-Eigenmittel sind. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 925 Voraussetzung ist allerdings, dass im Gegenzug die bisherigen nationalen Bei - träge an den EU-Haushalt reduziert werden. Die Landesregierung erwartet daher von der EU-Kommission zeitnahe Vorschläge zur Aufteilung des Steueraufkommens zwischen den unterschiedlichen Ebenen. Angesichts der großen finanziellen Herausforderungen an die EU und die Mitgliedstaaten ist es erforderlich, die eigene Finanzbasis der EU zu stärken und die Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten an die EU zurückzufahren. Eine stärkere Unabhängigkeit von Finanzbeiträgen aus den Haushalten der Mitgliedstaaten würde zudem das Denken in europäischen Dimensionen stärken und größere Transparenz über das EU-Finanzsystem gewährleisten . Da diese Steuermittel die bisherigen Zuweisungen aus den Mitgliedstaaten in der vorgesehenen Höhe ersetzen würden, ergäbe sich daraus zudem eine deutliche Entlastung der Steuerzahler in der EU im Vergleich zur bisherigen Situation. 3. Wie beurteilt sie die wirtschaftliche Entwicklung des Börsenplatzes Stuttgart, falls a) eine nationale oder b) eine internationale Finanztransaktionssteuer eingeführt wird? Die Börse Stuttgart hat durch ihre vielfachen Innovationen in den letzten Jahren ein Handelsvolumen erreicht, das sie unter den zehn führenden Börsen Europas auf Platz neun geführt hat – vor traditionellen Nationalbörsen wie etwa der Börse Wien oder der Warschauer Börse. Entscheidenden Anteil haben daran in zunehmendem Maße auch Aufträge, die den Börsenplatz Stuttgart aus dem Ausland erreichen . Sie repräsentieren bis zu einem Sechstel des jährlichen Handelsumsatzes. Zu den Auswirkungen der geplanten Finanztransaktionssteuer befragt, hat die Börse Stuttgart mitgeteilt, dass sich bei einer durchschnittlichen Auftragsgröße von 5.000 bis 10.000 € sowie bei Zugrundelegung des von der EU-Kommission vorgeschlagenen Steuersatzes bei Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf nationaler Ebene die Kosten für die Auftragsausführung an der Börse Stuttgart etwa verdoppeln werden. Deshalb wird es darauf ankommen, möglichst gleiche Voraussetzungen für möglichst alle Handelsplätze zu schaffen, um die Effizienz der Märkte nicht einseitig zu beeinträchtigen. In diesem Sinne hat sich der Bundesrat in seiner Sitzung am 25. November 2011 mit Unterstützung des Landes Baden-Württemberg ausdrücklich für eine EU-weite Einführung der Finanztransaktionssteuer eingesetzt (Ziffer 2. der Drucksache 588/11 [Beschluss]). Außerdem zielt Artikel 3 des Vorschlags für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG im Ergebnis darauf ab, auch Finanztransaktionen durch Institute in einem Drittland in der EU zu besteuern, wenn der Auftraggeber in der EU ansässig ist. Damit soll eine flächendeckende Steuerbarkeit einer Finanztransaktion mit einer Vertragspartei in der EU sichergestellt werden. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wird die Landesregierung daher darauf achten, dass Ausweichbewegungen des Wertpapierhandels auf Märkte ohne Besteuerung möglichst weitgehend ausgeschlossen werden und die Steuererhebung verantwortungsvoll ausgestaltet wird. 4. Wie bewertet sie den wirtschaftlichen Investitionsprozess, das Wirtschaftswachstum und die Entwicklung der Reallöhne in Baden-Württemberg, sofern eine nationale oder internationale Finanztransaktionssteuer (Eurozone) eingeführt wird? In ihrem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem geht die EU-Kommission von Negativeffekten einer europäischen Finanztransaktionssteuer auf das Bruttoinlandsprodukt aus. Inwieweit ein derartiger Effekt eintreten wird, bleibt ungewiss. Die Landesregierung vertritt die Auffassung, dass die mit einer Finanztransaktionssteuer verbundenen Vorteile überwiegen. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 925 4 5. Ist sie der Auffassung, dass die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise aufgrund einer fehlenden Finanztransaktionssteuer oder aufgrund anderer Ereignisse , z. B. der bilanziellen Bewertung und dem Rating von Finanzprodukten mit ausgelöst wurde? Die Landesregierung ist der Auffassung, dass die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise vor allem durch ein Übermaß an Liquidität und daraus folgend durch eine zu hohe Verschuldung von Banken, Staaten, Unternehmen und Haushalten entstanden ist. Hinzu kommen auch Aspekte der bilanziellen Bewertung und des Ratings von Finanzprodukten sowie exzessive spekulative Finanzgeschäfte. Eine Finanztransaktionssteuer wäre ein Beitrag zur Eindämmung übermäßiger Spekulationsgeschäfte . Dr. Nils Schmid Minister für Finanzen und Wirtschaft