Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 964 07. 12. 2011 1Eingegangen: 07. 12. 2011 / Ausgegeben: 28. 02. 2012 G r o ß e A n f r a g e Wir fragen die Landesregierung: 1. Wie schätzt sie die Frauengesundheit in Baden-Württemberg im Vergleich zu anderen deutschen Ländern und zu anderen europäischen Ländern ein (auch in Bezug auf die Lebenserwartung)? 2. Welche Erklärung gibt es dafür, dass Frauen derzeit eine höhere Lebenserwartung haben als Männer und ist zu erwarten, dass sich diese Entwicklung so fortsetzen wird? 3. Sind Frauen in gleicher Weise von den sogenannten „Zivilisationskrankheiten“ Bluthochdruck, Schlaganfall, Herzinfarkt etc. betroffen, wie die männliche Bevölkerung ? 4. Gibt es eine separate wissenschaftliche Wahrnehmung von Frauengesundheit und warum ist eine geschlechterdifferenzierte Betrachtung angezeigt (etwa auch in Bezug auf die Wirkweise von Medikamenten)? 5. Seit wann erfüllt das Institut für Frauengesundheit in Baden-Württemberg welche Aufgaben? 6. Gibt es geschlechterspezifische Krankheitsbilder (mit Angabe, welche dies sind, der Verteilung auf die männliche und die weibliche Bevölkerung und der hierfür zur Verfügung stehenden geschlechterdifferenzierten Beratungs- und Behandlungsangebote)? 7. Wie hat sich die Kaiserschnittrate in den vergangenen zehn Jahren entwickelt und welche Gründe sieht sie dafür? 8. Wie hat sich im entsprechenden Zeitraum das Komplikationsrisiko bei Geburten entwickelt und welche Gründe sieht sie dafür; lässt sich insbesondere begründen , dass aus einer steigenden Kaiserschnittrate ein erhöhtes Komplika - tionsrisiko bei Geburten resultiert? Große Anfrage der Fraktion der CDU und Antwort der Landesregierung Frauengesundheit in Baden-Württemberg Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 2 9. Welche Initiativen ergreift sie für einen Rückgang der Kaiserschnittquote? 10. Wie hat sich die Zahl der frauenspezifischen Krebserkrankungen in den vergangenen zehn Jahren entwickelt? 11. Welche Erfolge konnten bislang mit der Qualitätsoffensive Brustkrebs des Landfrauenverbandes Baden-Württemberg e. V. erzielt werden? 12. Wie hoch ist in Abhängigkeit vom Qualifikationsniveau das statistische Ri - siko für Frauen, im Laufe ihres Berufslebens arbeitsunfähig zu werden, im Verhältnis zu männlichen Erwerbstätigen? 13. Wie stellt sich das Risiko für psychische Erkrankungen in Abhängigkeit des Geschlechts dar? 14. Wie hoch ist im Speziellen die Burn-Out-Rate von Frauen im Vergleich zu Männern (mit Angabe der geschlechterdifferenzierten Entwicklung der Burn- Out-Rate in den vergangenen zehn Jahren und der Berufe, in denen es überdurchschnittlich oft zu dieser Erkrankung kommt)? 15. Wie hat sich die Zahl der beantragten und der bewilligten Mutter/Vater-Kind- Kuren in den letzten zehn Jahren bei den gesetzlichen Krankenkassen im Land entwickelt? 16. Welche Möglichkeiten sieht sie, darauf hinzuwirken, dass von Mutter/Vater- Kind-Kuren in verstärktem Maße Gebrauch gemacht werden kann? 17. Wie unterscheidet sich das Risiko von Frauen, pflegebedürftig zu werden, von dem entsprechenden Risiko von Männern? 18. Welche konkreten Handlungsnotwendigkeiten leitet sie daraus ab? 19. Wie hat sich in den unterschiedlichen Lebensdekaden das Körpergewicht von Mädchen bzw. Frauen gegenüber vergangenen Zeiten verändert? 20. Welche Schlüsse können daraus für die zukünftige Frauengesundheit und gegebenenfalls nötige Präventionsangebote gezogen werden? 21. Wie beurteilt sie insbesondere unter Berücksichtigung der Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen das Gesundheits- und Körperbewusstsein der weiblichen Bevölkerung im Vergleich zur männlichen Bevölkerung? 22. In welcher Weise unterstützt sie seit wann welche frauenspezifischen Präventionsangebote und -maßnahmen (mit Angabe der damit bislang erzielten Erfolge )? 23. Wo sieht sie danach noch konkreten Handlungs- und Aufklärungsbedarf? 24. Findet das Thema Gesundheit, Bewegung und Ernährung genügend Beachtung in den verschiedensten Sozialisationsinstanzen des baden-württembergischen Bildungssystems (von der Kindertagesstätte bis zur Sekundarstufe)? 25. Wie steht sie der Idee gegenüber, dem vorgenannten Themenfeld noch stärkeres Gewicht zu verschaffen, indem in Ganztageseinrichtungen – vergleichbar den sogenannten Ernährungsjugendbegleitern – Gesundheitsjugendbegleiter eingesetzt werden? 06. 12. 2011 Hauk, Gurr-Hirsch und Fraktion 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 B e g r ü n d u n g Frauen und Männer unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Anatomie und Immunologie sowie ihrer genetischen und hormonellen Voraussetzungen. Körperliches und seelisches Wohlbefinden werden unterschiedlich erlebt. Erkrankungen, die bei beiden Geschlechtern auftreten, wie z. B. der Herzinfarkt, können sich mit gänzlich unterschiedlichen Symptomen äußern. Auch Wirkweisen und Dosierungen von Medikamenten können bei Männern und Frauen voneinander abweichen. Vor diesem Hintergrund sind geschlechterdifferente Diagnoseverfahren und Behandlungskonzepte in den vergangenen Jahren Gegenstand der medizinischen Forschung geworden. Zielsetzung ist hierbei stets die optimale medizinische Versorgung beider Geschlechter. Mit dieser Anfrage soll der Blick auf die Gesundheit von Frauen in Baden-Württemberg gelenkt werden. Wie stellt sich diese im innerdeutschen und europä - ischen Vergleich dar? Welche Anlaufstellen für geschlechtsspezifische Erkrankungen gibt es? Findet das Thema Gesundheit genügend Beachtung in den verschiedenen Sozialisationsinstanzen? Zielsetzung der Anfrage ist es, hierdurch einerseits umfassend über das Thema Frauengesundheit in Baden-Württemberg zu informieren und gleichsam zu hinterfragen, ob es weitere Erfordernisse und Bedarfe in diesem Bereich gibt. A n t w o r t Schreiben des Staatsministeriums vom 16. Februar 2012 Nr. III/: In der Anlage übersende ich unter Bezugnahme auf § 63 der Geschäftsordnung des Landtags von Baden-Württemberg die von der Landesregierung beschlossene Antwort auf die Große Anfrage. Krebs Ministerin im Staatsministerium Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 4 Anlage: Schreiben des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Mit Schreiben vom 8. Februar 2012 Nr. 54-0141.5/15/964 beantwortet das Minis - terium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren im Namen der Landesregierung die Große Anfrage wie folgt: 1. Wie schätzt sie die Frauengesundheit in Baden-Württemberg im Vergleich zu anderen deutschen Ländern und zu anderen europäischen Ländern ein (auch in Bezug auf die Lebenserwartung)? Im Rahmen des europäischen Projekts I2SARE (Health Inequalities Indicators in the Regions of Europe) wurde anhand verschiedener Indikatoren der Gesundheitszustand der Bevölkerung Deutschlands und verschiedener Regionen Europas miteinander verglichen. Für die Beurteilung der Frauengesundheit in Baden-Württemberg relevante Indikatoren sind in der nachfolgenden Tabelle mit dem jeweiligen Rangplatz innerhalb der Bundesländer Deutschlands und innerhalb der Regionen Europas zusammengestellt. Auszug aus dem Gesundheitsüberblick für Baden-Württemberg (Die Region mit Rangplatz 1 ist die Region mit dem höchsten Wert des jeweiligen Indikators): Quelle: Regionalprofil Baden-Württemberg, I2Sarehttp://www.i2sare.eu/region.aspx?page=Germany&at=HealthProfil Wie aus der Tabelle ersichtlich, haben Frauen in Baden-Württemberg im Vergleich mit den anderen Bundesländern die höchste Lebenserwartung. Auch im Vergleich zu anderen europäischen Regionen liegt die Lebenserwartung der Frauen in Baden-Württemberg im oberen Bereich. Daten zur Lebenserwartung und Mortalität finden sich kreisbezogen auch im Gesundheitsatlas Baden-Württemberg (www.gesundheitsamt-bw.de). 2. Welche Erklärung gibt es dafür, dass Frauen derzeit eine höhere Lebenserwartung haben als Männer und ist zu erwarten, dass sich diese Entwicklung so fortsetzen wird? In Baden-Württemberg lag 2005/2007 die Lebenserwartung von Frauen bei 83,2 Jahren, von Männern bei 78,3 Jahren und war damit sowohl bei Frauen wie auch bei Männern bundesweit am höchsten (1. Atlas zur Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland, 2009). Die Diskussion über die Ursachen der Unterschiede der Lebenserwartung von Männern und Frauen wird schon seit Jahren geführt. Einerseits wird die männ - Rangplatz innerhalb der Bundesländer Deutschlands Rangplatz innerhalb der Regionen Europas Lebenserwartung bei Geburt: weibl. 1/16 63/189 Mortalität (Sterblichkeit) aller Ursachen: weibl. 16/16 210/265 Vorzeitige Mortalität <65: weibl. 16/16 215/265 Mortalität Kreislauf-Erkrankungen: weibl. 15/16 149/244 Mortalität Krebsarten: weibl. 15/16 173/235 Mortalität durch äußere Ursachen: weibl. 7/16 163/244 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 liche Übersterblichkeit biologischen Faktoren (genetische oder hormonelle Unterschiede ) zugeschrieben, andererseits mit verhaltens- und umweltbedingten Einflussfaktoren zu erklären versucht. An geschlechtsdifferenten Verhaltensweisen und Lebensumständen werden unter anderem das Rauchverhalten, der Alkoholkonsum , die Ernährungsweisen, riskante Verhaltensweisen (z. B. im Straßenverkehr ) sowie das Gesundheitsverhalten hervorgehoben. Letztlich ist anzunehmen, dass die Ursachen für diese Unterschiede in einem komplexen Zusammenwirken von vielfältigen Komponenten liegen. Die Anteile der Komponenten sind dabei schwer zu quantifizieren und sie verändern sich vermutlich über die Zeit. Für biologische Ursachen spricht, dass schon die Sterblichkeit männlicher Föten ab dem 7. Schwangerschaftsmonat und die Sterblichkeit männlicher Säuglinge höher sind als die entsprechenden Sterblichkeiten bei weiblichen Föten und weiblichen Säuglingen. Studien weisen jedoch darauf hin, dass biologische Faktoren nur einen Unterschied von 1 bis 2 Jahren in der mittleren Lebenserwartung ausmachen und der Großteil der heutigen männlichen Übersterblichkeit den verhaltens- und umweltbedingten Faktoren zuzuordnen ist. Die Lebenserwartung wird also wahrscheinlich in einem höheren Maße von beeinflussbaren Faktoren bestimmt, wie z. B. der sozialen und wirtschaftlichen Lage, dem Bildungsniveau und dem persönlichen Lebensstil. Zur zukünftigen Entwicklung kann auf Basis der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes die Aussage getroffen werden, dass von einer weiteren, wenn auch geringeren Zunahme der Lebenserwartung sowie einer leichten Annäherung der Lebenserwartung von Frauen und Männern ausgegangen wird. Die Geschlechterdifferenz der Lebenserwartung bei der Geburt lag 2002/2004 bei 5,6 Jahren, für 2050 wird mit einer Differenz von etwa 4,5 Jahren gerechnet. Als eine mögliche Ursache dieser Annäherung der Lebenserwartungen zwischen den Geschlechtern wird der sich im Zeitverlauf immer weiter abschwächende Einfluss kriegsbedingter Gesundheitsschäden bei Männern auf die Sterblichkeitsraten angesehen. 3. Sind Frauen in gleicher Weise von den sogenannten „Zivilisationskrankheiten “ Bluthochdruck, Schlaganfall, Herzinfarkt etc. betroffen, wie die männ - liche Bevölkerung? Daten zur Morbidität (Krankheitshäufigkeit), die sowohl den ambulanten wie auch den stationären Bereich umfassen, liegen dem Sozialministerium nicht vor. Im Rahmen der Krankenhausdiagnosestatistik stehen lediglich die Hauptdiagnosen von vollstationär behandelten Patienten zur Verfügung. Frauen sind hier, wie folgende Tabelle zeigt, bei Bluthochdruck und Schlaganfall stärker betroffen als Männer . Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 6 Ausgewählte Hauptdiagnosen, gegliedert nach Geschlecht für Baden-Württemberg (BW) und Deutschland (D) (Wohnort der Patienten) jeweils für das Berichtsjahr 2010 (absolute Fallzahl je 100.000 Einwohner, altersstandardisiert). Weitere Hauptdiagnosen können auf der Internet-Seite der Gesundheitsberichterstattung (www.gbe-bund.de) abgerufen werden. Anhaltspunkte für die Frage, ob Frauen in gleicher Weise von den sogenannten „Zivilisationskrankheiten“ betroffen sind, können sich auch aus der Todesur - sachenstatistik ergeben. So kommen nach der Todesursachenstatistik 2004 des Statistischen Bundesamtes auf eine an Krankheiten des Herz-Kreislaufsystems verstorbene Frau 1,44 Männer. Den größten Einfluss hat die körpereigene Hormonproduktion (vor allem der Östrogene) bei Frauen vermutlich auf die kardiovaskuläre Physiologie bzw. kardiovaskuläre Erkrankungen. Diese Erkrankungen sind sicher multifaktoriell verursacht , speziell bei der Frau spielen hier jedoch auch Östrogenwerte eine bedeutende Rolle. Dies ist durch eine Vielzahl von experimentellen und epidemiologischen Untersuchungen gut dokumentiert. Die Häufigkeit von Herz-Kreislauferkrankungen wie vor allem von Herzinfarkten und Bluthochdruck nimmt nach der Menopause (= letzte Regel, Versiegen der Östrogenproduktion in den Eierstöcken) bei Frauen im Vergleich zu alters - gleichen Männern überproportional und stark zu. Es gilt als gesichert, dass die körpereigene Produktion der Hormone vor der Menopause gerade im kardiovaskulären Bereich zahlreiche äußerst wichtige Schutzeffekte entfaltet, die nach der Menopause nicht mehr wirken können. Möglicherweise im Zusammenhang damit ist auch zu erklären, warum Rauchen Frauen im Hinblick auf Herz-Kreislauferkrankungen noch deutlich stärker gefährdet als altersgleiche Männer – Rauchen kann die Östrogenproduktion im Eierstock beeinflussen wodurch der Schutzeffekt durch Östrogene verringert wird. Auffallend ist, dass bei Frauen die Symptome eines Herzinfarktes bzw. auch allgemein die Symptome der chronischen Vor-/Grunderkrankungen wie Angina pectoris weniger typisch sind als bei Männern. Die klassischen Symptome wie Engegefühl und Schmerzen in der Brust, ausstrahlend in die Arme, können fehlen . Ein drohender Herzinfarkt kann sich bei Frauen allein durch auffallende Kurzatmigkeit, Müdigkeit, Erbrechen, Schmerzen an untypischen Stellen (Schul- BW Frauen BW Männer D Frauen D Männer Bluthochdruck (Hypertonie, (I10–I15) 355 161 355 161 Schlaganfall (Zerebrovaskuläre Krankheiten, I60–I69) 313 280 344 307 Erkrankungen der Herzkranzgefäße (Ischämische Herzkrankheiten, I20–I25) 389 654 453 779 davon Herzinfarkt (I21–I22) 135 224 148 243 Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus E10–E14) 170 187 202 224 7 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 ter, Nacken) äußern. Frauen warten dabei häufiger als Männer ab, bevor sie ärzt - liche Hilfe ersuchen. In der Auslösung akuter Symptome ist bei Frauen stärker als bei Männern Stress als Risikofaktor zu beachten – aufgrund der Mehrfachbelastung durch Beruf, Haushalt und Familie resultiert ein chronischer Druck, der gerade von Frauen lange verdrängt und nicht (z. B. durch entsprechenden Ausgleich in einer Freizeit) kompensiert wird. Neben den Herz-Kreislauferkrankungen gibt eine große Anzahl von weiteren Erkrankungen , für die gesichert ist, dass Unterschiede zwischen Männern und Frauen in den Symptomen, im Verlauf und in der Prognose bestehen. Allgemein hat die körpereigene Hormonproduktion bei der Frau in der Entstehung, im Schweregrad und im Verlauf vieler Erkrankungen eine große Bedeutung. 4. Gibt es eine separate wissenschaftliche Wahrnehmung von Frauengesundheit und warum ist eine geschlechterdifferenzierte Betrachtung angezeigt (etwa auch in Bezug auf die Wirkweise von Medikamenten)? Derzeit unterliegt die Erkenntnis von geschlechtsspezifischen Unterschieden mehr oder weniger noch der eher zufälligen Beobachtung in Studien. Dies hat zu der Forderung geführt, dass die Ergebnisse vorliegender Studien geschlechtsspezifisch analysiert werden sollten und dass bei Planung neuer Studien Frauen in den Fallzahlen stärker berücksichtigt werden müssen. Insofern hatte auch die 20. Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz (GFMK) im Jahr 2010 geschlechtsspezifische Aspekte der medizinischen Versorgung, Gesundheitsförderung und Prävention im Fokus. Der Leitantrag befasste sich mit dem Themenbereich „Geschlechterspezifische Gesundheitsaspekte“. Eine „separate wissenschaftliche Wahrnehmung der Frauengesundheit“ ist aber bereits sehr stark in vielen Bereichen der Klinischen Pharmakologie zu erkennen. Hier gehört eine genderspezifische Beurteilung von Medikamenten nach wissenschaftlich fundierten Parametern mit zum wichtigsten Basiswissen. Es zählen dazu besonders die geschlechtsspezifischen Unterschiede in den sog. „pharmakokinetischen Kenngrößen“ von Medikamenten. Diese beschreiben im Wesentlichen die Resorption der Substanzen, die Verteilung im Körper, den Abbau (Metabolismus) und die Ausscheidung (Elimination). Hierzu gibt es bereits eine Fülle von Literatur, welche eine auf diesem Gebiet schon sehr ausgedehnte Forschungsarbeit dokumentiert. Insgesamt bestimmen die pharmakokinetischen Parameter die „Bioverfügbarkeit“ eines Arzneimittels, die somit zwischen Männern und Frauen sehr stark variieren kann. Nach einer speziell von der amerikanischen Zulassungsbehörde durchgeführten Untersuchung zeigten allein im kardiovaskulären Bereich etwa 30 % der zur Zulassung eingereichten Arzneimittel Unterschiede in der Bioverfügbarkeit und davon waren mehr als die Hälfte geschlechtsspezifisch verschieden. Es scheint, dass allgemein Nebenwirkungen häufiger bei Frauen auftreten. In der Fachliteratur bekannt ist eine große Analyse von 48 Studien mit verschiedenen relativ neuen Medikamenten, die insgesamt über 50 % häufiger Nebenwirkungen bei Frauen im Vergleich zu Männern zeigte. Gründe dafür sind vielschichtig, möglicherweise berichten Frauen in Studien sensitiver und genauer über auftretende Nebenwirkungen. Die zustimmende Bewertung der zuständigen Ethik-Kommission zu einer Klinischen Prüfung, mit der die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels nachgewiesen werden soll, kann entsprechend § 42 Absatz 1 Nr. 2 Arzneimittelgesetz (AMG) versagt werden, wenn die Studie ungeeignet ist, den Nachweis einer eventuellen unterschiedlichen Wirkung bei Männern und Frauen zu erbringen. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 8 5. Seit wann erfüllt das Institut für Frauengesundheit in Baden-Württemberg welche Aufgaben? Das Institut für Frauengesundheit (IFG) wurde im Jahr 2006 eingerichtet. Aufgabe des Instituts ist es, die geschlechterspezifische Forschung voranzutreiben, Forschung , Gesundheitsversorgung und Versorgungseinrichtungen zu vernetzen, die Prävention von frauenspezifischen Krankheiten zu verbessern und Laien wie Fachleute aktuell über spezielle Aspekte der Frauengesundheit zu informieren. Das Institut für Frauengesundheit versteht dabei Frauengesundheit interdisziplinär und bezieht das sozio-kulturelle und gesellschaftliche Umfeld in seine Arbeit ein. 6. Gibt es geschlechterspezifische Krankheitsbilder (mit Angabe, welche dies sind, der Verteilung auf die männliche und die weibliche Bevölkerung und der hierfür zur Verfügung stehenden geschlechterdifferenzierten Beratungs- und Behandlungsangebote)? Neben den Erkrankungen der Geschlechtsorgane gibt es eine ganze Reihe wei - terer geschlechtsspezifischer Erkrankungen. Hier sind hinsichtlich der Verteilung auf die männliche und weibliche Bevölkerung die häufigsten Untersuchungen für Herz-Kreislauferkrankungen durchgeführt worden. Mengenmäßig im Hinblick auf Krankheitshäufigkeit (Morbidität) und Sterblichkeit (Mortalität) sind dies gleichzeitig auch die wichtigsten Erkrankungen ; dabei entfallen ca. 60 % der Todesfälle durch Herz-Kreislauferkrankungen auf Frauen. Die Erkrankungen entwickeln sich typischerweise 10 bis 20 Jahre später als bei Männern, zeigen jedoch dann häufiger einen schwerwiegenderen Verlauf. Hinsichtlich eines im Vergleich zum Mann häufigeren Auftretens von Erkrankungen sind allgemein alle Erkrankungen zu nennen, deren Auftreten und Verlauf wesentlich auch vom weiblichen Zyklus abhängig sein kann, ohne dass im Einzelnen genauere Daten über die Verteilung vorliegen. Solche Erkrankungen sind beispielsweise bestimmte Formen von Asthma, von Schilddrüsenerkrankungen, von neurologischen und neurologisch-degenerativen Erkrankungen, von Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis und auch spezielle Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Lupus Erythematodes, deren schubartige Verläufe zyklusabhängig sind. Hinsichtlich einer geschlechterspezifischen Beratung und Behandlung muss pri mär beachtet werden, dass es wesentliche Unterschiede in der Bewertung von Risikofaktoren und sogar von spezifischen diagnostischen Kriterien geben kann. Auch dies ist im Bereich Herz-Kreislauf am besten untersucht. So muss beispielsweise bei der Bewertung des EKG sowohl bei akuten Symptomen (z. B. Arrhythmien) als auch bei chronischen Erkrankungen (z. B. in der Bewertung des Belas tungs-EKGs zur Feststellung einer Erkrankung der Herzkranzgefäße) auf Unterschiede zwischen Männern und Frauen geachtet werden. Solche Unterschiede sollten jedoch dem praktisch tätigen Internisten bzw. Kardiologen hinreichend bekannt sein. Eventuell weniger bekannt sind mögliche Unterschiede hinsichtlich der Bewertung von Laborparametern – zum Beispiel hat eine Erhöhung der Triglyzeride (Neutralfette ) für die Risikobewertung bei Frauen eine viel stärkere Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist im Hinblick auf geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Deutung und Bewertung akuter wie chronischer Symptome besonders auf wichtige Grund- bzw. Begleiterkrankungen zu achten. Beispielsweise wird die Zuckerkrankheit aufgrund ihrer seit längerem bekannten großen Bedeutung für Frauen bei Risikoerhebungen für Frauen in verschiedenen Score-Berechnungen besonders berücksichtigt (z. B. bei der Bestimmung des PROCAM Scores zur Berechnung des 10-Jahresrisikos für Herzinfarkte). Für zuckerkranke Frauen ist die Gefahr an einem Herzinfarkt zu sterben 30 bis 50 % höher als für Männer. In den letzten Jahren wurde auch die für Frauen vergleichsweise noch größere Bedeutung der schwerwiegenden Grunderkrankung Bluthochdruck sicher erkannt. Der gynäkologischen Endokrinologie kommt aufgrund dieser starken Abhängigkeit zahlreicher Erkrankungen vom Stoffwechsel der Sexualhormone eine Schlüs- 9 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 selstellung zu, geschlechtsspezifische Unterschiede in der Entstehung, Symptomatik und Behandlung von Erkrankungen zu deuten bzw. zu erkennen. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen mit Frauenärztinnen und Frauenärzten ist deshalb anzustreben. 7. Wie hat sich die Kaiserschnittrate in den vergangenen zehn Jahren entwickelt und welche Gründe sieht sie dafür? Nach Feststellung des Statistischen Landesamtes ist der Anteil der Entbindungen durch Kaiserschnitt (Sectio) von 22,6 Prozent im Jahr 2000 auf 33,4 Prozent im Jahr 2010 angestiegen. Der Kaiserschnittanteil in Baden-Württemberg liegt derzeit geringfügig über dem Bundesdurchschnitt, insgesamt spiegelt die Entwicklung in Baden-Württemberg jedoch die bundes- und weltweite Entwicklung hin zu steigenden Kaiserschnittraten wider. Der Großteil der Schnittentbindungen umfasst den Bereich der relativen medizinischen Indikation, bei der eine Abwägung unterschiedlicher Risiken unter Einbezug der Mutter gefordert ist. Der Anstieg der Kaiserschnittrate hat sicherlich verschiedene Gründe. Faktoren sind beispielsweise das zunehmende Alter der Schwangeren, die damit einher - gehende Zunahme von Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes etc., die sich ändernden Erwartungen an eine Entbindung, die Zunahme des Kindsgewichts bei der Geburt und die verstärkte Wahrnehmung und veränderte Bewertung mit der Entbindung assoziierter Sorgen und Probleme (Sorge um den Erhalt des Beckenbodens und der Kontinenz, Angst vor Veränderung des sexuellen Erlebens). Das Sozialministerium hat zur Analyse der Situation in Baden-Württemberg im Mai 2011 bei den Mitgliedern des Landeskrankenhausausschusses und dem Hebammenverband eine Umfrage durchgeführt. Im Einklang mit der Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) wurden in der Umfrage als Ursachen für die steigende Sectio-Häufigkeit die sich wandelnde Einstellung vieler Schwangerer zur Geburt, veränderte ärztliche Verhaltensweisen und ein auf beiden Seiten gestiegenes Sicherheitsbedürfnis (aus ärztlicher Sicht insbesondere im Hinblick auf die medizinjuristischen und haftungsrechtlichen Aspekte) angenommen. 8. Wie hat sich im entsprechenden Zeitraum das Komplikationsrisiko bei Geburten entwickelt und welche Gründe sieht sie dafür; lässt sich insbesondere begründen , dass aus einer steigenden Kaiserschnittrate ein erhöhtes Komplika - tionsrisiko bei Geburten resultiert? Aussagen zur Komplikationsrate in dem oben genannten Zeitraum sind nicht möglich, da die Komplikationsrate bei Geburten insgesamt vom Statistischen Landesamt seit dem Berichtsjahr 2005 nicht mehr erhoben wird. In ihrer Leitlinie geht die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburts - hilfe, Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht, davon aus, dass sich das mütterliche Sterblichkeitsrisiko und das mütterliche Erkrankungsrisiko des primären (geplanten ) Kaiserschnitts denen der vaginalen Entbindung annähert. Die geplante Schnittentbindung hat deutlich geringere Risiken als eine sogenannte sekundäre Sectio, bei der erst während der Geburt die Entscheidung zum Kaiserschnitt getroffen wird. So hat sich nach den Ergebnissen der Zusammenführung der Daten der Bayerischen Perinatalerhebung und der Bayerischen Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung in der stationären Versorgung mit den Daten der seit 1983 laufenden Einzelfalluntersuchungen von Müttersterbefällen in Bayern das Sterblichkeitsrisiko Vaginalgeburt vs. Kaiserschnitt in Bayern von 1 : 7,0 (1983 bis 1988) auf 1 : 2,6 (2001 bis 2006) vermindert. Ursachen für diese Entwicklung sind vor allem Fortschritte in der Operationstechnik, der Anästhesie, der Thromboseprophylaxe sowie im Antibiotikaeinsatz. Das Risiko für das Kind bei vaginaler Geburt wird als generell größer eingeschätzt , in Anbetracht ansonsten häufiger auftretender vorübergehender Atem - prob leme des Kindes sollte allerdings ein Kaiserschnitt ohne vorausgehende Wehen möglichst vermieden werden. Nach Einschätzung des Instituts für Frauen - gesundheit der Universität Tübingen ist davon auszugehen, dass die Frage, inwie- Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 10 weit eine operative Entbindung bei risikoarmer Konstellation noch ein erhöhtes Risiko für die Mutter beinhaltet, als bislang nicht abschließend beantwortet gilt. Die WHO beziehe eine gleichgerichtete Position: Bei einer normalen Geburt sollte es einen guten Grund dafür geben, in den natürlichen Verlauf einzugreifen. 9. Welche Initiativen ergreift sie für einen Rückgang der Kaiserschnittquote? Für das Sozialministerium steht die Gesundheit von Mutter und Kind im Zentrum der Überlegungen. Das Thema der ansteigenden Sectio-Häufigkeiten ist allen an der geburtshilf - lichen Versorgung Beteiligten bekannt und wird unter medizinischen und medizinrechtlichen Aspekten regelmäßig diskutiert. In der Umfrage des Sozialministeriums sieht nur ein Teil der Befragten die Notwendigkeit eines Gegensteuerns. Umsetzbare Gegenmaßnahmen beziehen sich auf Aufklärung und Bewusstseinsbildung der Schwangeren und eine bessere Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Hebammen. Der Einfluss dieser großteils bereits praktizierten Maßnahmen auf die Sectio-Rate wird jedoch als gering eingeschätzt. Die Thematik „Entbindungen durch Kaiserschnitt“ befindet sich im Spannungsfeld zwischen medizinischer Indikation und Selbstbestimmung. Nach Einschätzung des Sozialministeriums kommt einer ergebnisoffenen umfassenden Aufklärung der Schwangeren durch die an der geburtshilflichen Versorgung Beteiligten in diesem Zusammenhang eine entscheidende Bedeutung zu. Hebammen in ihrer Funktion als psychosoziale und medizinische Beraterinnen für die Betreuung und Versorgung der schwangeren Frauen kommt dabei eine wichtige Rolle zu. 10. Wie hat sich die Zahl der frauenspezifischen Krebserkrankungen in den vergangenen zehn Jahren entwickelt? Im Hinblick auf die Verbreitung von Krebserkrankungen kann mangels aussagekräftiger Zahlen des noch im Aufbau befindlichen Landeskrebsregisters Baden- Württemberg nur auf bundesweite Zahlen des Robert-Koch Institutes (RKI) und dessen Publikation „Verbreitung von Krebserkrankungen in Deutschland. Entwicklung der Prävalenzen zwischen 1990 und 2010“ Bezug genommen werden, wobei es sich bei den Zahlen für 2010 um Projektionen, basierend auf den Inzidenzraten für 2006, handelt. 2009 wurden die Daten aller bevölkerungsbezogenen Krebsregister in Deutschland bis zum Diagnosejahr 2006 an das RKI übermittelt, mit Ausnahme von Baden-Württemberg und Hessen. Das RKI stellt fest, dass in den letzten 25 Jahren für einige Krebserkrankungen die altersspezifischen bzw. altersstandardisierten Neuerkrankungsraten deutlich zugenommen haben, was sich entsprechend auf die Prävalenz, d. h. die Anzahl der mit der jeweiligen Erkrankung lebenden Patienten, auswirkt. Gerade die 5- und 10-Jahres-Prävalenzen (Krankheitshäufigkeiten) folgen den Entwicklungen der Neuerkrankungsraten dabei naturgemäß mit einer gewissen Verzögerung. Für einige dieser steigenden Trends sind die Ursachen auch in einer verbesserten Diag nostik oder intensivierten Früherkennung zu sehen, bei anderen wirken sich Änderungen im Lebensstil aus, teilweise sind die Ursachen noch weitgehend unklar . Für einige Krebsarten (z. B. Gebärmutterhalskrebs) sind allerdings auch deutlich sinkende Neuerkrankungsraten in den letzten beiden Jahrzehnten zu beobachten . Brustkrebs (Mammakarzinom): An Brustkrebs, der häufigsten Krebsneuerkrankung bei Frauen, erkrankten in Deutschland 2006 58.000 Frauen. Die altersstandardisierte Neuerkrankungsrate (Inzidenzrate) von Krebserkrankungen der weiblichen Brustdrüse ist seit den 1980er-Jahren um ca. 50 % angestiegen. Die relativen 5-Jahres-Überlebensraten für Frauen mit Brustkrebs der Diagnosejahrgänge 2000 bis 2004 lagen bei 81 % gegenüber 69 % zu Beginn der 1980er-Jahre. Die Zunahme der Erkrankungshäufigkeit und die Verbesserung der Überlebensraten haben bei Frauen mit Brustkrebs zu einem deutlichen Anstieg der Prävalenzen 11 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 geführt. Am stärksten ausgeprägt ist diese Zunahme im Altersbereich zwischen 50 und 69 Jahren. Gerade für diese Altersgruppe, die gleichzeitig auch Zielgruppe des Mammographie-Screening-Programms ist, wird sich der Anstieg in den nächs - ten Jahren aller Voraussicht nach zunächst weiter fortsetzen. Die sich rechnerisch ergebende Zahl von 250.000 bzw. 416.000 Frauen für die 5- bzw. 10-Jahres-Prävalenz im Jahr 2010 ist daher als deutliche Unterschätzung anzusehen, da die Effekte aus dem Screening in den vorliegenden Daten noch nicht abgebildet sind. Eierstockkrebs (Ovarialkarzinom): Die Neuerkrankungsraten haben sich zwischen 1980 und 2004 in den verschiedenen Altersgruppen unterschiedlich entwickelt. Während es bei den 45- bis 64- jährigen Frauen zu einem Rückgang kam, stiegen die altersspezifischen Inzidenzraten in allen anderen Altersgruppen an. Insgesamt stieg die altersstandardisierte Neuerkrankungsrate in diesem Zeitraum um 12 % an. Die relativen 5-Jahres- Überlebensraten mit Eierstockkrebs lagen für die in den Jahren 2000 bis 2004 gestellten Diagnosen mit 47 % deutlich höher als Anfang der 1980er-Jahre (34 %). Insgesamt haben verbesserte Überlebensraten, demografische Veränderungen und gestiegene Erkrankungsraten zu einer deutlichen Zunahme der Prävalenzen für Krebserkrankungen der Eierstöcke geführt. Im Jahr 2004 waren es etwa 25.700 Frauen, bei denen die Erkrankung in den zurückliegenden 5 Jahren diagnostiziert wurde. Für 2010 ist von 26.300 Frauen mit dieser Erkrankung auszugehen. Aufgrund der unterschiedlichen Entwicklung der Erkrankungsraten in den verschiedenen Altersgruppen sowie demografischer Veränderungen hat sich der Anteil älterer Patientinnen deutlich erhöht. Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom): Die altersstandardisierten Erkrankungsraten an Gebärmutterhalskrebs haben zwischen 1980 und 2004 um ca. 40 %, die absolute Zahl der Neuerkrankungen um etwa 35 % auf zuletzt etwa 6.200 Fälle jährlich abgenommen. Seit 1980 ist ein erheblicher Rückgang der altersstandardisierten Mortalität um etwa 60 % zu verzeichnen . Im Jahr 2004 verstarben in Deutschland aber immer noch 1.660 Frauen an dieser Erkrankung. Die relativen 5-Jahres-Überlebensraten mit Gebärmutterhalskrebs waren für 2000 bis 2004 gestellte Diagnosen mit 61 % gegenüber dem Vergleichszeitraum (1980 bis 1984) praktisch unverändert. Die Abnahme der Erkrankungszahlen an invasivem Gebärmutterhalskrebs hat seit 1990 zu einem ebenfalls deutlichen Rückgang der Prävalenz an dieser Erkrankung geführt. Wegen des relativ frühen Erkrankungsalters spielen demografische Effekte hier eine geringe Rolle, ebenso wenig wie die weitgehend unverändert gebliebenen Über - lebensraten. Die für 2010 hochgerechnete 5-Jahres-Prävalenz von 23.800 Frauen wäre leicht überschätzt, wenn sich der abnehmende Trend in der Inzidenz seit 2004 weiter fortgesetzt hat. Auch wenn hierzu keine zuverlässigen Zahlen für ganz Deutschland vorliegen, ist davon auszugehen, dass es parallel zur Abnahme der invasiven Erkrankungen aufgrund der Früherkennung zu einer deutlichen Zunahme von Inzidenz und Prävalenz an in situ Karzinomen des Gebärmutterhalses gekommen ist. In einigen epidemiologischen Krebsregistern Deutschlands werden inzwischen deutlich mehr in situ als invasive Fälle registriert (Epidemiologisches Krebsregister NRW 2009, Krebsregister Schleswig-Holstein 2009). Gebärmutterkörperkrebs (Endometriumkarzinom): Zwischen 1980 und 2004 ist die altersstandardisierte Erkrankungsrate an Gebärmutterkörperkrebs nahezu unverändert geblieben. Die relativen 5-Jahres-Überlebensraten mit Gebärmutterkörperkrebs waren für 2000 bis 2004 gestellte Diag - nosen mit ca. 82 % etwas günstiger als zwanzig Jahre zuvor mit 76 %. Im Jahr 2004 waren in Deutschland 47.300 Frauen in den vorausgegangenen fünf Jahren an Krebs des Gebärmutterkörpers (und nicht näher bezeichneter Teile der Gebärmutter ) erkrankt. Im Zeitraum von 1990 bis 2004 ist die Prävalenz dieser Krankheiten damit um 10 % bis 20 % angestiegen, in erster Linie aufgrund der demografischen Veränderungen in diesem Zeitraum. Entsprechend ist für das Jahr 2010 mit einem weiteren Anstieg der 5-Jahres-Prävalenz auf etwa 49.100 Frauen zu rechnen. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 12 11. Welche Erfolge konnten bislang mit der Qualitätsoffensive Brustkrebs des Landfrauenverbandes Baden-Württemberg e. V. erzielt werden? In der vom Landesfrauenrat Baden-Württemberg ausgerufenen Kampagne „Qualitätsoffensive Brustkrebs“ engagiert sich der LandFrauenverband Württemberg- Baden e. V. seit Herbst 2000 in Kooperation mit dem Krebsverband Baden-Württemberg e. V. Über die Informationskampagne zur „Qualitätsoffensive Brustkrebs “ gelang es nach Auskunft des LandfrauenVerbands, in seinem Verbandsgebiet Frauen in 250 Informations- und Aufklärungsveranstaltungen mit 25.000 Frauen die Bedeutung des Themas Brustkrebs nahezubringen und sie über die Möglichkeiten der Früherkennung, die Risikogruppen und die Entstehungsfaktoren zu informieren. So ist beispielsweise in der Region Neckar-Alb der Anteil der Frauen aus den ländlichen Gemeinden, die an einem Screening-Programm teilnehmen , höher als der der Frauen aus den städtischen Gemeinden. Zur Sicherung des Krebstelefons am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg spendeten die Mitglieder des LandFrauenverbands Württemberg-Baden e. V. nahezu 30.000 €. Der LandFrauenverband startete außerdem im Herbst 2011 eine weitere Unterschriftenkampagne , die von allen Mitgliedsorganisationen der Arbeitsgemeinschaft der LandFrauenverbände Baden-Württembergs, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und anderen Kooperationspartnern unterstützt wird. 12. Wie hoch ist in Abhängigkeit vom Qualifikationsniveau das statistische Risiko für Frauen, im Laufe ihres Berufslebens arbeitsunfähig zu werden, im Verhältnis zu männlichen Erwerbstätigen? Klare, belastbare Vergleichsdaten zwischen Männern und Frauen im gleichen Beruf und bei gleicher beruflicher Qualifikation gibt es für Baden-Württemberg nur sehr wenige. Daher kann zu der konkreten Fragestellung nur eine allgemeine Antwort erfolgen. Mit steigender Qualifikation scheint bei Frauen und Männern gleichermaßen die Häufigkeit und Dauer von AU-Zeiten zu sinken. Frauen haben durchschnittlich höhere AU-Zeiten als Männer. Das führt jedoch nicht dazu, dass Frauen häufiger eine Erwerbsminderungsrente erhalten. Das Risiko für eine Erwerbsminderungsrente ist bei Frauen mit niedriger Qualifikation sogar geringer als bei Männern in der gleichen Qualifikationsstufe. Dies hängt aber vermutlich mit der zwischen Männern und Frauen unterschiedlichen Verteilung auf die Berufe zusammen. Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass für weibliche und männliche Erwerbstätige gleichermaßen das Risiko, im Laufe des Berufslebens arbeitsunfähig zu werden, desto niedriger ist, je höher das Qualifikationsniveau ist. 13. Wie stellt sich das Risiko für psychische Erkrankungen in Abhängigkeit des Geschlechts dar? Im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 des Robert-Koch-Instituts ist die 12-Monats - prävalenz, d. h. der Anteil der innerhalb eines Jahres an einer psychischen Störung erkrankten Menschen zwischen 18 und 65 Jahren mit 31,1 % angegeben. Allerdings wurden nicht alle psychischen Störungen bei dieser Erhebung erfasst. Frauen waren mit 37 %, Männer mit 25 % betroffen. Je nach psychischer Störung sind Häufigkeit und Geschlechterverteilung unterschiedlich. Frauen leiden häufiger unter depressiven und Angststörungen (ca. doppelt so häufig), Männer deutlich häufiger unter durch Alkohol oder Drogen verursachten Störungen (fast 4 Mal häufiger). Kein gravierender Unterschied zwischen den Geschlechtern findet sich z. B. bei schizophrenen Psychosen. An einer Demenz sind Frauen häufiger erkrankt, wobei dies auf die höhere Lebenserwartung von Frauen zurückzuführen ist. Für Baden-Württemberg verdeutlichen folgende Zahlen der Krankenhausstatistik 2010 die unterschiedliche Inanspruchnahme des Gesundheitssystems je nach Geschlecht : Etwas mehr Männer (64.323) als Frauen (58.377) wurden wegen einer 13 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 psychischen Störung stationär behandelt. Darunter waren aber deutlich mehr Männer wegen Störungen durch Alkohol im Krankenhaus (23.338) als Frauen (8.730). In Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen befanden sich wegen einer psychischen Erkrankung 13.428 Männer, demgegenüber 22.367 Frauen. Aus der Statistik der gesetzlichen Krankenversicherung in Baden-Württemberg geht hervor, dass im Jahr 2009 4,59 von 100 männlichen Mitgliedern wegen einer psychischen oder Verhaltensstörung arbeitsunfähig waren, dagegen 6,41 von 100 weiblichen Mitgliedern. Männer waren deswegen 119 Tage und Frauen 180 Tage krankgeschrieben. Bei den Sozialpsychiatrischen Diensten, die chronisch psychisch Kranke betreuen, lag 2010 der Anteil der weiblichen Klienten mit 59,1 % über dem Anteil von 40,9 % männlichen Betreuten. Auch Ergebnisse der Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA) 2009 zum Zusammenhang zwischen psychischer Gesundheit und gesunder Lebens - weise bei Erwachsenen in Deutschland zeigen Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Die Lebensweise der Frauen gilt nach den Ergebnissen der Studie als gesünder. Nur hinsichtlich der Sportbeteiligung zeigt sich ein gesünderes Verhalten bei den Männern, alle anderen Lebensstilfaktoren liegen häufiger bei Frauen vor. Der Geschlechterunterschied ist nach der GEDA-Studie dabei am deutlichsten für Obstund Gemüsekonsum sowie für gesundes Gewicht zu erkennen. In der GEDA-Studie 2009 geben 6 % der befragten Personen an, dass bei ihnen in den letzten 12 Monaten eine depressive Erkrankung diagnostiziert wurde. Eine aktuelle seelische Belastung in den letzten vier Wochen berichten insgesamt 11 % der Befragten. Dabei sind Frauen deutlich häufiger in ihrer psychischen Gesundheit beeinträchtigt als Männer: Eine aktuelle seelische Belastung wird von 13 % der Frauen und 8 % der Männer, eine diagnostizierte Depression wird von 8 % der Frauen und von 5 % der Männer angegeben. Für den Geschlechtsunterschied bei der Prävalenz affektiver Störungen werden unterschiedliche Erklärungsansätze herangezogen: Frauen sind in Zeiten mit großen Hormonschwankungen – vor der Menstruation oder nach einer Geburt – anfälliger für eine Depression. Akute psychosoziale Belastungen wie Verlust oder Tod einer wichtigen Bezugsperson, Arbeitsplatzverlust oder chronische Überlas - tungssituationen können als Auslöser einer depressiven Erkrankung fungieren und in diese einmünden. Allerdings kommt es nur bei einer geringen Anzahl von Personen, die von schwerwiegenden Ereignissen betroffen sind, zum Ausbruch einer psychischen Erkrankung. Ein weiterer Punkt betrifft Risiko- und Stressfaktoren , denen Frauen im Vergleich zu Männern eher ausgesetzt sind. Dazu zählen Armut, Benachteiligung in der Arbeitswelt und Rollenüberlastung (Rolle als Mutter , Arbeitnehmerin, Partnerin etc.). Diese Faktoren können zur Ausbildung von psychischen Störungen führen. Zudem gibt es viele Hinweise darauf, dass Mädchen eine höhere Wahrscheinlichkeit traumatischer Kindheitserlebnisse (z. B. sexueller Missbrauch) haben als Jungen, was wiederum zu erhöhtem Auftreten von psychischen Störungen führen könnte. In der GEDA-Studie 2009 wird auch ein Zusammenhang zwischen psychischer Gesundheit und sozialem Status deutlich, der anhand von Angaben der Befragten zu Bildungsstand, Einkommen und beruflicher Position ermittelt wurde. Höherer sozialer Status geht mit einer besseren psychischen Gesundheit und mit einer gesünderen Lebensweise einher. Eine gesündere Lebensweise ist mit geringeren Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit verbunden. Sowohl diag - nostizierte Depressionen als auch aktuelle seelische Belastungen werden am häufigsten von Personen mit niedrigem Sozialstatus angegeben. Dieser Zusammenhang ist insgesamt deutlicher ausgeprägt für seelische Belastungen als für Depression und variiert zusätzlich nach Alter und Geschlecht. Dabei zeichnen sich die Unterschiede bei Frauen sowie bei Personen im mittleren Erwachsenenalter am deutlichsten ab. Bei statistischer Kontrolle der Effekte von Alter und Geschlecht ergibt sich, dass Personen mit niedrigem Sozialstatus ein fast doppelt so hohes Risiko einer diagnostizierten Depression haben, wie Personen mit hohem Sozialstatus. Das Risiko Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 14 einer aktuellen seelischen Belastung ist bei niedrigem Sozialstatus etwa 2,6-mal höher als bei hohem Sozialstatus. 14. Wie hoch ist im Speziellen die Burn-Out-Rate von Frauen im Vergleich zu Männern (mit Angabe der geschlechterdifferenzierten Entwicklung der Burn- Out-Rate in den vergangenen zehn Jahren und der Berufe, in denen es überdurchschnittlich oft zu dieser Erkrankung kommt)? Bisher existiert keine einheitliche Definition des Burn-Out-Syndroms und auch kein allgemein akzeptiertes, standardisiertes Vorgehen, um ein Burn-Out-Syndrom zu diagnostizieren. Auch hat es in die aktuellen Versionen der gängigen Klassifikationssysteme psychischer Erkrankungen keinen Eingang gefunden. In der im deutschen Gesundheitssystem verwendeten Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) kann es nur als Zusatzinformation unter dem Punkt „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ erfasst werden, nicht aber als eigenständige psychische Erkrankung. Auch deshalb gibt es kaum belastbare epidemiologische Untersuchungen zur Häufigkeit des Symptomkomplexes. Auf Überschneidungsbereiche mit etablierten psychiatrischen Diagnosen wie Depression oder Anpassungsstörung wird in der Literatur hingewiesen. Im Kern herrscht Einigkeit darüber, dass Burnout eine umfassende arbeitsbezogene Erschöpfung darstellt. In einer Auswertung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) der Krankmeldungen von über 10 Millionen bei der AOK versicherten Mitgliedern zeigte sich für 2010, dass Frauen ungefähr doppelt so lange aufgrund eines Burn-Out-Syndroms krankgeschrieben werden als Männer (101,9 Ausfalltage pro 1000 AOK-Mitglieder bei Frauen, 49,7 Ausfalltage bei Männern ). Besonders betroffen waren Frauen zwischen dem 40. und dem 60. Lebensjahr . Insgesamt haben sich zwischen 2004 und 2010 die dadurch bedingten Arbeitsunfähigkeitstage um ca. das 9-fache erhöht. Gefährdet ist insbesondere, wer beruflich mit Menschen zu tun hat, die sich in emotional belastenden Situationen befinden. Heimleiter, Sozialpädagogen, Telefonisten, Sozialarbeiter und Sozialpfleger waren am häufigsten wegen eines Burn-Out-Syndroms krankgeschrieben. 15. Wie hat sich die Zahl der beantragten und der bewilligten Mutter/Vater-Kind- Kuren in den letzten zehn Jahren bei den gesetzlichen Krankenkassen im Land entwickelt? Daten zu beantragten und bewilligten Mutter/Vater-Kind-Kuren werden seit dem Jahr 2008 in der KG-5-Statistik erfasst. Die Statistik wird jedoch nicht länder - spezifisch erhoben, weshalb der Landesregierung nur die Ergebnisse der Krankenkassen in Baden-Württemberg vorliegen, die der Aufsicht des Landes unterstehen. Diese Krankenkassen versichern ca. 40 % der in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Personen im Land. Hieraus ergibt sich folgendes Bild: Neuanträge auf Leistungen für Mütter und Väter bei den landesunmittelbaren Krankenkassen in Baden-Württemberg Ablehnungen auf Leistungen für Mütter und Väter bei den landesunmittelbaren Krankenkassen in Baden-Württemberg 2008 2009 2010 Vorsorge 4 088 3 874 4 190 Rehabilitation 1 179 1 108 786 2008 2009 2010 Vorsorge 1 860 1 833 1 637 Rehabilitation 643 506 282 15 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 Es ist zu erkennen, dass die Anzahl der Neuanträge im Bereich der Vorsorgekuren für Mütter und Väter gleichbleibend ist, jedoch die Ablehnungen zurückgehen. Im Bereich der Rehabilitationskuren für Mütter und Väter gab es bei den Neuanträgen im Jahr 2010 einen spürbaren Rückgang, wobei aber die Ablehnungen im Verhältnis hierzu noch weiter abgefallen sind. Bei diesen Aussagen ist jedoch zu berücksichtigen, dass diese Daten bisher nur für wenige Geschäftsjahre bei den Krankenkassen erhoben werden und es daher naturgemäß schwierig ist, hieraus eine verbindliche Tendenz abzulesen. 16. Welche Möglichkeiten sieht sie, darauf hinzuwirken, dass von Mutter/Vater- Kind-Kuren in verstärktem Maße Gebrauch gemacht werden kann? Eine wesentliche Maßnahme der letzten Gesundheitsreform war die Stärkung der Mutter/Vater-Kind-Maßnahmen durch die Umwandlung in Pflichtleistungen. Danach haben Versicherte nach § 24 SGB V (Vorsorge) und § 41 SGB V (Rehabilitation ) Anspruch auf Leistung, soweit die entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Das Sozialministerium führt über die landesunmittelbaren Krankenversicherungen die Rechtsaufsicht, jedoch keine Fachaufsicht. Im Rahmen dieser Rechtsaufsicht trägt es dafür Sorge, dass die Krankenkassen die ihnen rechtlich gesetzten Grenzen einhalten. Zum Thema „ambulant vor Reha“ hatte das Sozialministerium daher die Krankenkassen und die Krankenkassenverbände in Baden-Württemberg angeschrieben und nähere Ausführungen zum Bewilligungsverfahren gemacht. Es wurde klargestellt, dass es für die Gewährung einer medizinischen Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahme für Mütter und Väter nicht erforderlich ist, dass zu - nächst die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sein müssen. Ist eine Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme medizinisch notwendig und kann das mit der Maßnahme angestrebte Vorsorge- oder Rehabilitationsziel nicht mit anderen, ggf. wirtschaftlicheren und zweckmäßigeren Maßnahmen erreicht werden , hat die Krankenkasse die Leistung zu bewilligen. Eine von einer Krankenkasse als Selbstverwaltungskörperschaft eigenverantwortlich getroffene Entscheidung hat die Aufsichtsbehörde allerdings zu akzeptieren, wenn sie nicht offensichtlich rechtswidrig ist. Fehlt es im Einzelfall an eindeu - tigen gesetzgeberischen Vorgaben und/oder einer dezidierten Rechtsprechung, hat die Aufsichtsbehörde jede Entscheidung des Versicherungsträgers zu akzeptieren, die zumindest vertretbar erscheint. Das heißt, dass das Sozialministerium keine Schiedsstelle ist und dass es seine Entscheidung nicht an die Stelle der Entscheidung der Krankenkasse setzen kann. Insoweit ist die abschließende rechtliche Klärung individueller Rechtsverhältnisse und Ansprüche Sache der Gerichte. Nur sie können streitige Rechtsansichten verbindlich klären. Das Sozialministerium behält die Bewilligungspraxis der landesunmittelbaren Krankenkassen weiterhin im Auge. Bei erkennbaren Anzeichen, dass bei der Antragsbearbeitung wiederholt bzw. systematisch eine rechtlich fehlerhafte Prüfung der medizinischen Voraussetzungen für die Bewilligung von Mutter/Vater-Kind- Kuren stattfindet (z. B. Ablehnung von Anträgen mit der alleinigen Begründung, dass noch nicht alle ambulanten Maßnahmen am Wohnort ausgeschöpft sind), wird dies vom Sozialministerium gegenüber Krankenkassen, die seiner Rechtsaufsicht unterstehen, aufgegriffen werden. Zudem gewährt das Sozialministerium im Rahmen der Zuschüsse an Vereinigungen , die auf dem Gebiet der Familienpflege tätig sind, dem Deutschen Müttergenesungswerk , Landesausschuss Baden-Württemberg – als Träger von Mutter/Vater -Kind-Kureinrichtungen – eine jährliche Förderung in Höhe von 85.000 Euro. Das Deutsche Müttergenesungswerk ist im Bereich der Mutter-Kind-Kuren sehr aktiv. Bundesweit bestehen ca. 1.400 Beratungs- und Vermittlungsstellen. In 82 vom Müttergenesungswerk anerkannten Einrichtungen werden Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen für Mütter und Mutter-Kind durchgeführt. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 16 17. Wie unterscheidet sich das Risiko von Frauen, pflegebedürftig zu werden, von dem entsprechenden Risiko von Männern? Frauen werden häufiger pflegebedürftig als Männer. Im Dezember 2007 waren 68 Prozent der im Sinne der Pflegeversicherung Pflegebedürftigen Frauen. Von den 80- bis 85-jährigen Männern sind 17 %, von den Frauen 25 % betroffen, von den 85- bis 90-jährigen Männern sind 30 %, von den Frauen 40 % betroffen. Neben Unterschieden in der gesundheitlichen Entwicklung bei Frauen und Männern sowie einer ungleichen Altersverteilung von Frauen und Männern innerhalb der genannten Altersgruppen kann ein Faktor für diesen Verlauf der Pflegequoten auch das differierende Antragsverhalten bei Männern und Frauen sein: Ältere Frauen leben häufiger alleine. Bei Pflegebedarf kann daher schneller die Notwendigkeit bestehen, einen Antrag auf Leistungen zu stellen, während die pflegebedürftigen Männer häufig z. B. zunächst von ihren Frauen versorgt werden (Pflegebericht des Medizinischen Dienstes 2005, Essen). In Baden-Württemberg leben derzeit rund 244.000 Personen, die 85 Jahre oder älter sind. Diese Altersgruppe setzt sich zu knapp drei Vierteln aus Frauen (177.000) und lediglich zu gut einem Viertel aus Männern (67.000) zusammen. Hinzugewonnene Lebensjahre verlängern derzeit auch die Jahre der Pflege (Barmer Ersatzkasse Pflegereport 2011). Während die Lebenserwartung von Frauen höher ist als die von Männern, verbringen Frauen weniger Lebenszeit als Männer (96,6 % versus 98,1 %) frei von Pflegebedürftigkeit. Die Zeit in Pflege hat sich gegenüber den Jahren 1999 bis 2004 nun von 1,25 Jahren auf 1,46 Jahren bei Männern und von 2,49 auf 2,75 Jahren bei Frauen verlängert. Das heißt, dass die Jahre in Pflege etwas mehr zugenommen haben als die Jahre frei von Pflegebedürftigkeit . Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens pflegebedürftig zu werden hat sich im Zeitraum vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2009 für Männer von 41 % auf 50 % erhöht, für Frauen von 65 % auf 72 %. Bei weiterhin steigender Lebens - erwartung wird sich dieser Trend fortsetzen. Dem erhöhten Risiko, pflegebedürftig zu werden, liegt im Weiteren auch das vermehrte Auftreten funktionaler Beeinträchtigungen, also Aktivitätseinschränkungen aufgrund körperlicher oder mentaler Schädigungen, die den Menschen am Ausführen bestimmter üblicher Aktivitäten hindern, zugrunde. Von 50- bis 59- Jährigen geben ca. ein Drittel, von 80-Jährigen über 80 % Aktivitätsbeschränkungen an. Frauen haben derartige Einschränkungen häufiger als Männer. Die Gründe sind vielschichtig. Beispielsweise sind Frauen im Lebensverlauf auf der einen Seite spezifischen physiologischen Risiken wie Schwangerschaften, Geburten und Menopause ausgesetzt, auf der anderen Seite aber auch sozialen Risiken. Ein Belastungsfaktor dabei ist die Übernahme von Pflege im Lebensverlauf. Informelle Pflege im häuslichen Umfeld wird hauptsächlich von Frauen übernommen, von Töchtern und Ehefrauen, gefolgt von Schwiegertöchtern (Gesundheit und Krankheit im Alter: Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung; RKI 2009). Die Zahl der Pflegebedürftigen wird nach Abschätzungen des Statistischen Bundesamtes weiter zunehmen. Unter Zugrundelegung des Statusquo-Modells wird die Zahl der Pflegebedürftigen zwischen den Jahren 2007 und 2020 um knapp ein Drittel ansteigen. Die Zunahme wird dabei bis zum Jahr 2030 bei den Männern mit 65 % voraussichtlich höher ausfallen als bei den Frauen (43 %). 18. Welche konkreten Handlungsnotwendigkeiten leitet sie daraus ab? In der Versorgung von pflegebedürftigen Frauen sollen Leistungsträger und Leis - tungserbringer den geschlechtsspezifischen Unterschieden wie auch Wünschen nach gleichgeschlechtlicher Pflege Rechnung tragen. Dies ist in den §§ 1 Abs. 4 a und 2 Abs. 2 Satz 3 des Pflegeversicherungsgesetzes verankert. In der Pflegereform und der Überarbeitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs ist dieser Gender Aspekt unbedingt zu berücksichtigen. Pflegende Frauen benötigen Entlastung im häuslichen Pflegearrangement, die eine tatsächliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf herstellt. Das aktuelle Familienpflegezeitgesetz erfüllt diese Aufgabe nicht. Es verweist Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterhin darauf, dass die Arbeitgeber auf freiwilliger Basis einer Arbeitszeitreduzierung zum Zwecke der Pflege zustimmen. Daher wird 17 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 es nur für einen kleinen Personenkreis von Bedeutung sein. Zudem ist der Anwendungsbereich der Familienpflegezeit, der nur nahe pflegende Angehörige vorsieht , sehr eng gefasst und entspricht nicht mehr der Realität, nachdem vielfach Frauen oder Männer als Nachbarn und Freunde die Pflege übernehmen. 19. Wie hat sich in den unterschiedlichen Lebensdekaden das Körpergewicht von Mädchen bzw. Frauen gegenüber vergangenen Zeiten verändert? Mädchen: Daten zum Körpergewicht von Kindern liegen in Baden-Württemberg vor allem aus den Einschulungsuntersuchungen seit 1999 vor. Zur Beurteilung des Körpergewichts der Kinder wird in Baden-Württemberg ebenso wie in den anderen Bundesländern der Body-Mass-Index (BMI) herangezogen, der nach den alters- und geschlechtsspezifischen Referenzwerten von Kromeyer-Hauschild et al. bewertet wird. Im Zeitraum von 1999 bis 2008 ist bei sechsjährigen Mädchen keine eindeutige Veränderung der Häufigkeit unter- oder übergewichtiger Kinder zu erkennen . Die berechnete Häufigkeit von Übergewicht bei den Mädchen lag in diesen Jahren insgesamt bei 9,9 %, davon waren 3,9 % adipös (stark übergewichtig). Beide Werte liegen im erwarteten Bereich von 10 % bzw. 3 %. Seit Einführung der neu konzipierten Einschulungsuntersuchung im Untersuchungsjahr 2008/2009 sind die Kinder durchschnittlich ein Jahr jünger. Von den im Jahr 2009/2010 untersuchten fünfjährigen Mädchen waren 9 % übergewichtig und 3,2 % adipös. Bundesweite Ergebnisse zum Gewicht von Mädchen im Alter von 3 bis 17 Jahren liefert die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS), die von 2003 bis 2006 vom Robert Koch-Institut durchgeführt wurde. Klare Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen oder zwischen den alten und neuen Bundesländern sind im KiGGS nicht zu erkennen. Es zeigt sich jedoch eine Abhängigkeit vom Sozialstatus: Ein höheres Risiko für Übergewicht und Adipositas besteht bei Kindern aus sozial benachteiligten Schichten, bei Kindern mit Migrationshintergrund und bei Kindern, deren Eltern ebenfalls übergewichtig sind. Zu erkennen ist auch, dass die Häufigkeit von Übergewicht und Adipositas mit Beginn der Schulzeit ansteigt. Im Alter von 3 bis 6 Jahren sind 9,9 % der Mädchen übergewichtig, was den Ergebnissen der Baden-Württembergischen Einschulungsuntersuchungen entspricht. In der Altersgruppe 7 bis 10 Jahre steigt dieser Anteil auf 14,7 %. Bei den 11- bis 13-Jährigen sind 18,9 %, bei den 14- bis 17-Jährigen 17 % der Mädchen übergewichtig. Es ist also nicht zu erwarten, dass aus der Häufigkeit von Übergewicht und Adipositas bei der Einschulungsunter - suchung auf die Häufigkeit von Übergewicht und Adipositas bei älteren Mädchen in Baden-Württemberg geschlossen werden kann. Frauen: Bei Erwachsenen wird ein Body Mass Index (BMI) zwischen 25 und <30 kg/m2 als Übergewicht, ein BMI ab 30 kg/m2 als Adipositas bezeichnet. Daten zur Entwicklung in Baden-Württemberg im Hinblick auf Übergewicht oder Adipositas bei Frauen in den letzten Jahrzehnten oder über verschiedene Altersgruppen liegen nicht vor. Die Ergebnisse bundesweiter Studien zeigen jedoch, dass die Häufigkeit von Adipositas bei Frauen ebenso wie bei den Männern sowohl mit zu - nehmendem Alter ansteigt, als auch zumindest im Westen Deutschlands bis Ende der 1990er-Jahre gestiegen ist. Für den Zeitraum bis 1998 liegen Auswertungen getrennt nach Deutschland Ost und West vor , in der Nationalen Verzehrstudie aus dem Jahr 2006 erfolgte eine Auswertung für Gesamtdeutschland. Für die Jahre1984 bis 1998 kann auf Mess - werte zurückgegriffen werden, die im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 (BGS) und den vorausgegangenen drei Nationalen Gesundheitssurveys der Deutschen Herz-Kreislaufstudie (NUST0-2) erhoben worden sind. Betrachtet werden kann – aufgrund des Zuschnitts der Nationalen Gesundheitssurveys – allerdings nur die zeitliche Entwicklung in der 25- bis 69-jährigen Bevölkerung der alten Bundesländer . Die Prävalenz von Übergewicht hat bei Frauen von 50 Prozent auf 52 Prozent zugenommen. Ein bedeutsamer Anstieg lässt sich vor allem bei den jungen Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 18 Erwachsenen beobachten, während die Veränderungen in den anderen Altersgruppen eher gering ausfallen. Bei den ostdeutschen Frauen war vor allem die Häufigkeit von Adipositas Anfang der 1990er-Jahre höher als im Westen. Beim Survey Ost 1991/92 waren 57,2 % der Frauen übergewichtig, davon 25,6 % adipös. Im Gegensatz zu den westdeutschen Frauen fand jedoch kein Anstieg der Adipositashäufigkeit bis 1998 statt. Beim BGS 1998 waren 57,2 % der ostdeutschen Frauen übergewichtig, davon 24,2 % adipös. Bei der Nationalen Verzehrsstudie II (NVS II) 2006 waren bundesweit 50,6 % der Frauen übergewichtig, davon 21,1 % adipös. Aus der NVS II liegen auch Ergebnisse zu Baden-Württemberg vor, dort waren 48,4 % der Frauen übergewichtig, davon 16,4 % adipös. Vor allem der Anteil adipöser Frauen in Baden-Württemberg lag in dieser Studie also knapp 5 % unter dem bundesweiten Durchschnitt. Ausnahmslos in allen bislang genannten Studien stieg die Häufigkeit von Übergewicht mit zunehmendem Lebensalter bis zu einem Alter von 70 bis 75 Jahren an. (http://www.was-esse-ich.de/uploads/media/NVS_II_Abschlussbericht_Teil_1_ mit_Ergaenzungsbericht.pdf) Eine Zusammenfassung der bislang in bundesweiten Studien erhobenen Häufigkeit von Übergewicht und Adipositas zeigt folgende Tabelle: Zusammenfassung der Häufigkeit von Übergewicht und Adipositas bei Frauen * erfragte Daten zu Körpergröße und -gewicht Studie Übergewicht … darunter Adipositas Baden-Württemberg Erhebungszeitraum Studie 2006 NVS II 48,4 16,4 2009* GEDA 51,6 14,6 Deutschland West Erhebungszeitraum Studie 1984 bis 1986 NUST0 49,5 17,1 1987 bis 1988 NUST1 49,6 17,5 1990 bis 1991 NUST2 52,2 19,8 1998 BGS 51,8 21,4 2003* GSTel 50,3 17,5 2009* GEDA 51,7 15,7 Deutschland Ost Erhebungszeitraum Studie 1991/92 Survey Ost 57,2 25,6 1998 BGS 57,2 24,2 2003* GSTel 52,0 25,2 2009* GEDA 53,7 17,1 Deutschland gesamt Erhebungszeitraum Studie 1999* Mikrozensus 39,7 11 2006 NVS II 50,6 21,1 2009* Mikrozensus 42,9 13,8 19 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 20. Welche Schlüsse können daraus für die zukünftige Frauengesundheit und gegebenenfalls nötige Präventionsangebote gezogen werden? 22. In welcher Weise unterstützt sie seit wann welche frauenspezifischen Präventionsangebote und -maßnahmen (mit Angabe der damit bislang erzielten Erfolge )? 23. Wo sieht sie danach noch konkreten Handlungs- und Aufklärungsbedarf? Grundsätzlich ist die Förderung der Frauengesundheit im Zusammenhang mit Gender Mainstreaming als eine Querschnittsaufgabe mit dem Ziel der Gleichstellung von Mann und Frau zu sehen. Dabei muss die Geschlechterperspektive in alle Politikfelder integriert werden. Bezogen auf Prävention und Gesundheitsförderung bedeutet dies ein konsequentes geschlechtersensibles Vorgehen zur Herstellung von Chancengleichheit. Vor diesem Hintergrund ist bei allen Aktivitäten zur Prävention und Gesundheitsförderung von der geschlechtsdifferenzierenden Prob - lemdefinition, über die konkrete Programmplanung bis hin zur Evaluation Gender Mainstreaming zu berücksichtigen. Von großer Relevanz in diesem Zusammenhang ist beispielsweise Übergewicht und Adipositas für die Frauen- (und Männer-)Gesundheit . Folgeerkrankungen von Übergewicht sind Fettstoffwechselstörungen, erhöhte Harnstoffwerte, Bluthochdruck, Herzversagen, koronare Herzkrankheit und Herzinfarkt , Schlaganfall, Störungen im Kohlenhydrathaushalt mit Zuckerkrankheit, nicht-alkoholisch bedingte Lebererkrankungen, Fettleber, Gallensteine, Sodbrennen , Schlaf-Apnoe-Syndrom, Lungenerkrankungen (sogenannte restriktive Ventilationsstörungen ), Erkrankungen am Bewegungsapparat, besonders Arthrose in den Knien und Hüftgelenken, erhöhtes Risiko bei Narkosen und Operationen, Gerinnungsstörungen und Gefahr von Thrombosen. Starkes Übergewicht kann zu Störungen der Fruchtbarkeit führen. Das gilt vor allem für Frauen, die bereits in jungen Jahren an Adipositas erkrankt sind. Übergewichtige erleben mehr Schwangerschaftskomplikationen als andere, z. B. erhöhter Blutdruck, Schwangerschaftsvergiftung , Diabetes und Frühgeburten. Während der Geburt kann es zu Problemen mit Wehenabschwächung und festsitzenden Schultern kommen. Übergewichtige haben ein erhöhtes Krebsrisiko (besonders Speiseröhre, Darm, Leber, Gallenblase, Niere). Außerdem spielen bei übergewichtigen Frauen Gebärmutter-, Gebärmutterhals-, Eierstock- und Brustkrebs eine Rolle. Daneben machen psychische Probleme – vor allem ein vermindertes Selbstwertgefühl – übergewichtigen Frauen häufig zu schaffen. Die Ursachen für Übergewicht und Adipositas liegen meist in einer Kombination aus genetischer Veranlagung und ungesundem Lebensstil. Übergewichtige Frauen haben einerseits oft eine zu fett- und insgesamt zu kalorienreiche Ernährung, andererseits kommt häufig Bewegungsmangel hinzu. Auch psychische Faktoren wie Stress wirken begünstigend. Gesundheitsrelevantes Verhalten, wie gesunde Ernährung, körperliche Aktivität und gesundheitsbezogene Lebenskompetenz, stellen Bestandteile eines Lebensstils dar, dessen Ausbildung über Lernen, Gewohnheitsbildung und Prozesse des sozialen Vergleichs entsteht. Da die Ausbildung eines solchen Lebensstils bereits in frühester Kindheit über die Vorbildfunktion und Erziehung der Eltern beginnt, kommt der Familie eine besonders hohe Bedeutung hinsichtlich der Entwicklung eines gesundheitsfördernden Lebensstils zu, gefolgt von den Lebenswelten Kindertagesstätte und Schule. Ein zentraler fachlicher Schwerpunkt der Gesundheitsförderung ist die Förderung der Alltagsbewegung. Um Alltagsbewegung möglichst breit zu verankern, sind in allen Ländern, so auch in Baden-Württemberg am Landesgesundheitsamt Baden- Württemberg „Zentren für Bewegungsförderung“ eingerichtet worden. Diese geben einen Überblick über die Angebote, informieren über gute Praxisbeispiele und stehen als kompetente Ansprechpartner zur Verfügung. Vorrangig sollen hier ältere Frauen und Männer angesprochen werden. In Modellprojekten werden besondere Aspekte zur Herstellung von gesundheit - licher Chancengleichheit berücksichtigt. Es werden einzelne Zielgruppen wie Kinder, Ältere, sozial Benachteiligte und Menschen mit Migrationshintergrund Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 20 angesprochen, übergeordnete Fragestellungen z. B. zur Qualitätssicherung bearbeitet und konkrete Veränderungen in den Lebenswelten wie Kindertagesstätten, Schulen und Betrieben aufgegriffen. Interventionen zur Vermeidung oder Verringerung von Übergewicht und Adipositas müssen auf verschiedenen Ebenen alters-, gender-, soziallagen- und kultursensibel ansetzen. Bereits im Jahr 2008 wurde deshalb in Baden-Württemberg „Gesund aufwachsen in Baden-Württemberg. Kommunale Netzwerke für Ernährung und Bewegung“, ein Projekt des Gesundheitsforums Baden-Württemberg, gefördert von der Robert- Bosch-Stiftung, gestartet. Später wurde die Landesinitiative unter Leitung des Landesgesundheitsamtes Baden-Württemberg und mit finanzieller Unterstützung der Robert-Bosch-Stiftung erweitert zu „Gesund aufwachsen und leben in Baden-Württemberg “. Zentrales Anliegen ist die Förderung der Gesundheit und Lebensqualität von Kindern, Familien und älteren Menschen durch Änderungen im Lebensstil und in den Lebensräumen. Damit unterstützt das Land Städte und Gemeinden bei kommunaler Gesundheitsförderungsplanung in den Themenfeldern Ernährung, Bewegung , Lebenskompetenz, soziale Teilhabe und geistige Aktivität. Informationen zum Ablauf kommunaler Gesundheitsförderung bietet das Handbuch „Gesund aufwachsen in Baden-Württemberg“. Mittlerweile beteiligen sich fünfzehn Städte und Gemeinden aus Baden-Württemberg an der Initiative. Es ist vorgesehen, diese Ansätze im Rahmen des Gesundheitsdialoges zu erweitern und zu vertiefen. Da verschiedene Studien belegen, dass die Brustkrebssterblichkeit bei Frauen zwischen 50 und 69 Jahren durch die Einführung eines flächendeckenden Mammografie -Screenings um 30 Prozent gesenkt werden kann, hat die Landesregierung alles für eine rasche Einführung dieses Screenings unternommen. Mit dem Mammografie-Screening steht ein Instrument zur Verfügung, mit dem bei jeder Frau frühzeitig möglicherweise bösartige Veränderungen erkannt und mit bestmöglichen Heilungschancen behandelt werden können. Fördermittel des Landes in Höhe von 20.000 Euro sind für die Bereitstellung der Meldedaten für das Einladungsverfahren im Rahmen des Mammografie-Screening-Programms im Haushalt des Landes zur Verfügung gestellt. Aus der Anzahl der eingeladenen und erschienenen Teilnehmerinnen in 2008 ist zu entnehmen, dass im Jahr 2008 die durchschnittliche Teilnahmequote der eingeladenen Frauen bei 55,72 Prozent lag. Ziel des Programms ist, die Brustkrebs-Sterblichkeit deutlich zu senken. Dies kann nur erreicht werden, wenn eine hohe Teilnahmerate der anspruchsberechtigten Frauen gesichert ist. Vor diesem Hintergrund wird das Ziel der mindestens 70- prozentigen Teilnahmequote bei einer flächendeckenden Etablierung des Mammographie -Screening-Programms in Baden-Württemberg weiterhin angestrebt. Hierzu wurden umfangreiche Maßnahmen zur Steigerung des Beteiligungsgrades von Seiten der Zentralen Stelle Mammografie-Screening Baden-Württemberg skiz ziert und teilweise bereits durchgeführt, beispielsweise Veranstaltungen durch die programmverantwortlichen Ärzte, Kassen und die Zentrale Stelle mit unterschiedlichen Zielgruppen (Landesfrauenrat, Landfrauen etc.), Interviews mit regionalen Zeitungen und diverse Werbemaßnahmen wie Plakate und Flyer. Um den Erfolg des Screeningprogrammes messen und Erkenntnisse über Brustkrebserkrankungen gewinnen zu können, ist im Landeskrebsregistergesetz ein Datenabgleich zwischen dem epidemiologischen Krebsregister und der zur Durch - führung des Mammografie-Screenings etablierten Zentralen Stelle vorgesehen. Dies ist ein wichtiger Baustein zur Verbesserung der Brustkrebsvorsorge und -therapie in Baden-Württemberg. Im Hinblick auf frauenspezifische Prävention ist auch zu erwähnen, dass sich die Landesregierung im Rahmen eines Runden Tisches mit dem Thema Genitalverstümmelung beschäftigt. Weiterer konkreter Handlungsbedarf besteht z. B., dass Angehörige aller Gesundheitsberufe in ihren Aus- und Fortbildungen für geschlechtsspezifische Unterschiede bei Krankheiten sensibilisiert werden müssen. Die geschlechterdifferenzierte Medizin sollte zur Unterstützung dieses Ziels stärker an den Fakultäten verankert werden. In Zusammenarbeit mit der Wissenschaft und den Fraueninitia - tiven im Land sollen Strategien entwickelt werden, wie die unabhängige Beratung von Frauen in Gesundheitsfragen optimal gewährleistet werden kann. 21 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 Von besonderer Bedeutung sind Frauengesundheitsforschung sowie Versorgungsforschung , Versorgungsgestaltung und -sicherung, besonders in den Bereichen Prävention und Versorgungsqualität. 21. Wie beurteilt sie insbesondere unter Berücksichtigung der Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen das Gesundheits- und Körperbewusstsein der weiblichen Bevölkerung im Vergleich zur männlichen Bevölkerung? Es gibt eine Vielzahl von Präventionsmaßnahmen, die die Mitglieder der gesetz - lichen Krankenversicherung je nach Alter und Geschlecht kostenlos wahrnehmen können. Dazu zählen Check-up 35, Früherkennungen von Darmkrebs, Hautkrebs oder Prostatakrebs, Mammographie-Screening und Impfungen. Wie eine aktuelle Schätzung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI 2011) zeigt, nutzt nur ein Teil der Berechtigten die Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen. Defizite zeigen sich vor allem bei Männern. So gingen beispielsweise 2010 nach Zahlen des ZI 13,5 Prozent Frauen und 10,6 Prozent Männer zwischen 55 und 74 Jahren zur Darmkrebsberatung. Etwa 4,1 Millionen Versicherte haben sich einem Test auf okkultes Blut im Stuhl unterzogen , davon fast zwei Drittel Frauen. In der Altersgruppe der 55- bis 59-Jährigen ist die Differenz zwischen der Inanspruchnahme von Frauen (17,2 Prozent) und Männern (10,1 Prozent) am höchsten. Bei der Beratung steigt in den folgenden Altersgruppen der Anteil der Männer an und der der Frauen sinkt, sodass sich von den 70- bis 74-Jährigen beide gleich selten beraten lassen (9,3 Prozent). Danach kehrt sich das Bild um: Mehr Männer als Frauen nehmen an der Beratung teil. Auch aus Zahlen der AOK Baden-Württemberg sowie der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung zur Inanspruchnahme der Gesundheitsuntersuchung (Checkup 35) sowie zu Krebsfrüherkennungsuntersuchungen von 2008 bis 2010 lässt sich die Tendenz erkennen, dass die weiblichen Versicherten durchgängig die Vorsorgeuntersuchungen stärker in Anspruch nehmen. Untersuchungen zur Inanspruchnahme der Schwangerenvorsorge, der ältesten standardisierten Konzeption zur Vorsorge und Früherkennung in Deutschland, am Universitätsklinikum Tübingen anhand der Perinataldaten von Schwangeren, die an einer Klinik in Baden-Württemberg in den Jahren 1998 bis 2003 entbunden wurden, zeigten, dass unzureichende Inanspruchnahme von Schwangerschaftsvorsorge , wie sie sich bei bestimmten sozialen Gruppen findet, gesundheitliche Ungleichheiten verstärkt. Differenziert nach psychosozialen Belastungen und Merkmalen der horizontalen Ungleichheit (z. B. Familienstand, Nationalität) bestanden signifikante Unterschiede im Inanspruchnahmeverhalten, nicht zuletzt vor dem Hintergrund gesamtökonomischer Entwicklungen. Die Assoziation zwischen Berufsgruppenzugehörigkeit und Vorsorgeverhalten bei der geringen und der Nutzung über Standard zeigte keine Tendenz in Richtung einer Reduktion der Unterschiede über den untersuchten 5-Jahreszeitraum. Als Schlussfolgerung ergibt sich daraus, dass auch bei freier Zugänglichkeit zu medizinischer Versorgung in Verbindung mit Schwangerschaft und Geburt und dem insgesamt hohen Ausbildungsstand in Baden-Württemberg Versorgungsungleichheiten zu beobachten sind, die sich negativ auf das Risiko von Müttern, die zu den vulnerablen Bevölkerungsgruppen zählen, auswirken. 24. Findet das Thema Gesundheit, Bewegung und Ernährung genügend Beachtung in den verschiedensten Sozialisationsinstanzen des baden-württembergischen Bildungssystems (von der Kindertagesstätte bis zur Sekundarstufe)? Die genannten Themenfelder finden im Bildungsplan der allgemein bildenden Schulen über alle Schularten hinweg angemessene Berücksichtigung. Es ist ein Wesensmerkmal des Bildungsplans, dass die Schulen eine große Freiheit bei der Auswahl ihrer Themenbereiche haben. Wichtige Themenbereiche – zu denen ohne Zweifel auch die Aspekte Gesundheit, Bewegung und Ernährung gehören – sind für die Schulen verbindlich. In der Einführung in den Bildungsplan 2004 für alle Schularten heißt es darüber hinaus: „Sport, Spiel und Bewegung erfahren in allen Schulen eine über den Sportunterricht hinausgehende Förderung – in den Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 964 22 Pausen, auf Exkursionen, im Zusammenwirken mit Sportvereinen.“ Auch bei der geplanten Überarbeitung der Bildungspläne kann davon ausgegangen werden, dass den Themen Gesundheit, Bewegung und Ernährung besondere Beachtung beigemessen wird. Im Orientierungsplan für baden-württembergische Kindergärten sind die Themen ebenfalls im Erziehungs- und Bildungsauftrag verankert. Das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz unterstützt den gesamten Bildungsbereich zu Ernährungsthemen mit seinen beiden Landesinitia - tiven „BeKi-Bewusste Kinderernährung“ und „Blickpunkt Ernährung“ seit vielen Jahren. Jährlich werden darüber rund 7.000 Veranstaltungen durchgeführt für Kinder, Eltern und in den letzten Jahren zunehmend auch Fortbildungsveranstaltungen für Lehrkräfte (z. B. über den aid Ernährungsführerschein), die aufgrund ihrer Alltagstauglichkeit und Praxisorientierung eine sehr positive Resonanz finden . (s. a. www.beki-bw.de). Mit dem flächendeckenden Ausbau des neuen landesweiten Präventionskonzept „stark.stärker.WIR.“ des Kultusministeriums, das Gewaltprävention, Suchtpräven - tion und Gesundheitsförderung unter ein gemeinsames Dach stellt und in Anlehnung an den schwedischen Psychologen Dan Olweus nachhaltig machen soll, erhalten die Themen für die Arbeit an den Schulen zusätzlich Gewicht. Vor dem Hintergrund, dass sich Schulen vom Lernort zum Lebensort der Kinder und Jugendlichen weiterentwickeln, ist es konsequent, dass auch die Bedeutung der Themen Gesundheit, Bewegung und Ernährung zunimmt. 25. Wie steht sie der Idee gegenüber, dem vorgenannten Themenfeld noch stärkeres Gewicht zu verschaffen, indem in Ganztageseinrichtungen – vergleichbar den sogenannten Ernährungsjugendbegleitern – Gesundheitsjugendbegleiter eingesetzt werden? Die Landesregierung würde eine solche Entwicklung begrüßen. Mit der Implementierung des neuen Präventionskonzepts „stark.stärker.WIR.“ geht die Erwartung einher, dass sich Schulen noch intensiver als bisher mit den Themen der Prävention und der Gesundheitsförderung auseinandersetzen. Das gilt für curriculare Bezüge ebenso wie für die Gestaltung des Schulalltags im Ganztagsbetrieb. Im Jugendbegleiterprogramm entscheiden die Schulen selbstständig, wofür sie das hierfür vorgesehene Budget einsetzen wollen. Das Ministerium für Länd - lichen Raum und Verbraucherschutz hat über die Ernährungszentren im Rahmen der Initiative „Komm in Form“ bereits etwa 100 Jugendbegleiter Ernährung qualifiziert , die nun von den Schulen landesweit für die Durchführung von Ernäh - rungskursen und Aktionen in Anspruch genommen werden können. Eine Erweiterung im Hinblick auf die Themen Prävention und Gesundheitsförderung sollte geprüft werden. Aus Sicht der Landesregierung erscheint es darüber hinaus sinnvoll, wenn die Angebote im Jugendbegleiterbereich, die die Gewaltprävention, die Suchtprophylaxe und die Gesundheitsförderung zum Gegenstand haben, an den Schulen ausgebaut werden. Altpeter Ministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren