Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 1236 19. 12. 2016 1Eingegangen: 19. 12. 2016 / Ausgegeben: 30. 01. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Unter welchen Voraussetzungen durften bzw. dürfen Unterkünfte für die vorläufige Unterbringung bzw. Anschlussunterbringung errichtet werden (aufgeteilt nach allgemeinem Wohngebiet, Mischgebiet, Gewerbegebiet, Industrie - gebiet, Wochenendgebiet sowie im Außenbereich)? 2. Wie lange gelten diese jeweiligen Genehmigungen? 3. Inwieweit dürfen diese verlängert werden? 4. Inwieweit ziehen Änderungen von vorläufiger Unterbringung zu Anschluss - unterbringung genehmigungsrechtliche Effekte nach sich? 5. Von welchen Auflagen bzw. Verordnungen sind Unterkünfte, die nach § 246 Absatz 9 bis 17 BauGB errichtet werden, befreit? 6. Würden diese Unterkünfte bei mangelndem Bedarf anderweitig genutzt werden, z. B. für sozialen Wohnungsbau? 7. Müssen bei einer anderweitigen Nutzung die Ausnahmen nach § 246 Absatz 8 bis 17 BauGB und die Befreiungen aus Frage 5 nachgebessert werden? 8. Können die nach § 246 Absatz 8 bis 17 BauGB errichteten oder umgebauten Gebäude als Präzedenzfall dienen, sodass beispielsweise im Gewerbegebiet mobile Bauten oder Wohnbebauung möglich werden? Kleine Anfrage des Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP und Antwort des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Bau von Unterkünften nach § 246 Absatz 8 bis 17 Baugesetzbuch (BauGB) im Enzkreis Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1236 2 9. Inwieweit wirkt sich die Einführung eines Typus „Urbanes Gebiet“ auf die vorgenannten Fragen aus? 10. Macht es bezogen auf das Baurecht der vorgenannten Fragen einen Unterschied , wenn eine mobile Unterkunft in einem Gewerbegebiet in einer Gemeinde im Enzkreis von der Gemeinde gebaut und genutzt oder vom Enzkreis gebaut und an die betreffende Gemeinde vermietet wird? 15. 12. 2016 Dr. Schweickert FDP/DVP B e g r ü n d u n g Mit den Sonderregelungen nach § 246 Absatz 8 bis 17 BauGB wurden Ausnahme - regelungen für die Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden geschaffen , um den Menschen, die in unser Land kommen, schnellstmöglich eine Unterkunft bieten zu können. Nun stellt sich aber die Frage, was mit den Bauten nach dem 31. Dezember 2019 oder nach den in den oben genannten Absätzen gesetzten Fristen geschieht, also wie oder ob diese weitergenutzt werden können. So sind beispielsweise nach Antwort der grün-roten Landesregierung (Drucksache 15/7450) „Gebäude, die bis zum 31. Dezember 2018 geändert, erweitert oder ausgebaut werden, um sie als Aufnahmeeinrichtung oder Gemeinschaftsunterkunft zu nutzen, unter Wahrung des Mindestwärmeschutzes von den Anforderungen des § 9 EnEV befreit“. Die Konsequenzen einer Umnutzung sind vielen Kommunen nicht bewusst. A n t w o r t Mit Schreiben vom 10. Januar 2017 Nr. 52-0141.5/111 beantwortet das Ministe - rium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Unter welchen Voraussetzungen durften bzw. dürfen Unterkünfte für die vorläufige Unterbringung bzw. Anschlussunterbringung errichtet werden (aufgeteilt nach allgemeinem Wohngebiet, Mischgebiet, Gewerbegebiet, Industriegebiet , Wochenendgebiet sowie im Außenbereich)? Zu 1.: Ist das Vorhaben zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden bauplanungsrechtlich als eine Anlage für soziale Zwecke einzuordnen, was für die meisten der derzeit notwendigen Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschafts - unterkünfte gilt, sind solche Unterkünfte nach Vorschriften der Baunutzungsverordnung sowie den Regelungen des § 246 Absätze 8 bis 13 BauGB in fast allen Baugebieten, d. h. insbesondere in Kleinsiedlungsgebieten, Wohngebieten, Misch - gebieten, Dorfgebieten, Kerngebieten allgemein oder ausnahmsweise planungsrechtlich zulässig. Für die planungsrechtliche Zulassungsmöglichkeit in Gewerbegebieten wurde ein Sonderbefreiungstatbestand geschaffen (§ 246 Absatz 10 BauGB); danach kann für Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte und sonstige Unterkünfte von Flüchtlingen und Asylbegehrenden von den Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit werden, sofern an dem vorgesehenen Standort Anlagen für soziale Zwecke zulässig sind. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1236 Auch die Umnutzung bestehender Gebäude für die Unterbringung von Flücht - lingen und Asylbegehrenden ist in allen Baugebieten möglich, in bestimmten Gebieten , wie Gewerbe-, Industrie- und Sondergebieten allerdings begrenzt auf drei Jahre. Mobile Behelfsunterkünfte können grundsätzlich für die Dauer von drei Jahren in allen Baugebieten und auch im Außenbereich planungsrechtlich zugelassen werden. Wenn die genannten Zulassungsmöglichkeiten zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden nicht ausreichen, dann besteht für die Zulassung von Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften oder sonstigen Unterkünften für Flüchtlinge und Asylbegehrende nach der Regelung des § 246 Absatz 14 BauGB bis zum 31. Dezember 2019 die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen von den Vorschriften des Baugesetzbuchs und den aufgrund dieses Gesetzbuchs erlassenen Vorschriften abzuweichen. Die städtebaulichen Grund - sätze und Ziele des Baugesetzbuchs, wie insbesondere die Wahrung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse, sowie die Einhaltung des Rücksichtnahmegebots, sind bei allen Zulassungen von Unterkünften einzuhalten. 2. Wie lange gelten diese jeweiligen Genehmigungen? 3. Inwieweit dürfen diese verlängert werden? Zu 2. und 3.: Genehmigungen für mobile Unterkünfte dürfen jeweils nur befristet auf drei Jahre erteilt werden. Dies gilt auch für die Nutzungsänderung zulässigerweise errichteter baulicher Anlagen in Gewerbe-, Industrie- und Sondergebieten zu Unterkünften für Flüchtlinge und Asylbegehrende. Die Geltungsdauer aller anderen Genehmigungen kann je nach Einzelfall unbe - fristet oder befristet erteilt werden. Die Entscheidung darüber, sowie über ggf. zulässige Verlängerungen, trifft die jeweilige Baugenehmigungsbehörde nach den Umständen des Einzelfalls. Die in den § 246 Absätzen 8 bis 16 BauGB selbst vorgesehene Befristung „bis zum 31. Dezember 2016“ bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer der Genehmigung , sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im Genehmigungsverfahren von den Vorschriften Gebrauch gemacht werden kann. Dies wurde in § 246 Absatz 17 BauGB gesetzlich klargestellt. 4. Inwieweit ziehen Änderungen von vorläufiger Unterbringung zu Anschluss - unterbringung genehmigungsrechtliche Effekte nach sich? Zu 4.: Die Regelungen des BauGB unterscheiden nicht zwischen vorläufiger Unterbringung und Anschlussunterbringung. Maßgebend ist vielmehr, ob die Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden planungsrechtlich als „Unterbringung in einer Anlage für soziale Zwecke“ oder als „Wohnen“ einzuordnen ist. „Wohnen“ im planungsrechtlichen Sinn ist bestimmt durch eine auf gewisse Dauer angelegte Häuslichkeit, die eigenständige Gestaltung der Haushaltsführung und des häus - lichen Lebens, während „die Unterbringung in einer Anlage für soziale Zwecke“ u. a. durch eine hohe Belegungsdichte, bauliche Verhältnisse, die das eigenbestimmte Leben beschränken, zum Teil durch eine gemeinsame Benutzung von Küchen und Sanitärräumen oder auch zentrale Versorgung und Betreuung gekennzeichnet ist. Auch für die Frage, ob bei Änderungen hinsichtlich der Nutzung eines Gebäudes eine neue baurechtliche Genehmigung erforderlich ist, ist diese Unterscheidung maßgebend. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1236 4 5. Von welchen Auflagen bzw. Verordnungen sind Unterkünfte, die nach § 246 Absatz 9 bis 17 BauGB errichtet werden, befreit? Zu 5.: Auf die Beantwortung von Frage 1 wird verwiesen. Je nach Einzelfall und Stand - ort des Vorhabens können planungsrechtliche Erleichterungen, wie z. B. ein Abweichen vom Gebot des Einfügens nach § 246 Absatz 8 BauGB, ein Abweichen von den Grundzügen der Planung nach § 246 Absätzen 10 und 12 BauGB oder ein Abweichen von den Vorschriften des BauGB und der Baunutzungsverordnung nach § 246 Absatz 14 BauGB zum Zuge kommen. 6. Würden diese Unterkünfte bei mangelndem Bedarf anderweitig genutzt werden , z. B. für sozialen Wohnungsbau? 7. Müssen bei einer anderweitigen Nutzung die Ausnahmen nach § 246 Absätze 8 bis 17 BauGB und die Befreiungen aus Frage 5 nachgebessert werden? Zu 6. und 7.: Ein Wechsel der Nutzungsart einer bisherigen Unterkunft für Flüchtlinge und Asylbegehrende in eine bauliche Anlage, die zukünftig zum Wohnen genutzt werden soll, stellt grundsätzlich eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar. Ob eine solche Genehmigung erteilt werden kann, ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen. Die Regelungen des § 246 Absätze 8 bis 17 BauGB finden auf die Schaffung von (auch sozialem) Wohnraum keine Anwendung. Wohnen ist jedoch in den meisten Baugebieten, insbesondere in allen Wohngebieten, Misch- und Kerngebieten sowie Dorfgebieten, zulässig. Nicht zulässig ist das allgemeine Wohnen dagegen in Gewerbe- und Industriegebieten. 8. Können die nach § 246 Absatz 8 bis 17 BauGB errichteten oder umgebauten Gebäude als Präzedenzfall dienen, sodass beispielsweise im Gewerbegebiet mobile Bauten oder Wohnbebauung möglich werden? Zu 8.: Auf die Beantwortung zu Fragen 6 und 7 wird verwiesen. Da ein Wechsel der Nutzungsart eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung ist, deren Zulässigkeit in jedem Einzelfall zu prüfen ist, sind Präzedenzfälle nicht zu erwarten. 9. Inwieweit wirkt sich die Einführung eines Typus „Urbanes Gebiet“ auf die vorgenannten Fragen aus? Zu 9.: Die vom Bundesgesetzgeber geplante Einführung der neuen Baugebietskategorie „Urbane Gebiete“ wird eine größere räumliche Nähe und Mischung von wichtigen Nutzungsarten wie Wohnen, Arbeiten, Versorgung, Bildung, Kultur und Erholung ermöglichen. In dieser neuen Baugebietskategorie sollen auch Anlagen für soziale Zwecke zulässig sein. Auswirkungen auf die – jeweils für ein einzelnes Vorhaben anzuwendenden – Regelungen des § 246 Absätze 8 bis 14 BauGB zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden bzw. die in den Ziffern 1 bis 8 aufgeworfenen Fragestellungen sind durch die Einführung dieser neuen Baugebietskategorie nicht zu erwarten. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1236 10. Macht es bezogen auf das Baurecht der vorgenannten Fragen einen Unterschied , wenn eine mobile Unterkunft in einem Gewerbegebiet in einer Gemeinde im Enzkreis von der Gemeinde gebaut und genutzt oder vom Enzkreis gebaut und an die betreffende Gemeinde vermietet wird? Zu 10.: Nein, das macht keinen Unterschied. Die bauplanungs- und bauordnungsrecht - lichen Voraussetzungen sind in beiden Fällen gleichermaßen zu erfüllen. Dr. Hoffmeister-Kraut Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau