Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 1263 22. 12. 2016 1Eingegangen: 22. 12. 2016 / Ausgegeben: 09. 02. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Welchen verkehrlichen Nutzen erwartet sie durch das Projekt Hermann-Hesse- Bahn (Verlagerung von Menschen vom motorisierten Individualverkehr auf die Schiene)? 2. Welchen verkehrlichen Nutzen erwartet sie für die Bürgerinnen und Bürger in den betroffenen Raumschaften (Landkreise Calw und Böblingen, Stuttgart)? 3. Wird durch die anhängigen Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss „Neu - bau Tunnel und zweigleisiger Ausbau in Ostelsheim“ das Projekt Hermann- Hesse-Bahn gefährdet? 4. Wie bewertet sie in diesem Zusammenhang die Frage der 2019 auslaufenden Fördermittel aus dem Entflechtungsgesetz und die Finanzierungsperspektive der Hermann-Hesse-Bahn über 2019 hinaus? 5. Wie bewertet sie den innerökologischen Konflikt, Themen des Natur- und Umweltschutzes (CO2-Ausstoß, Feinstaubproblematik) gegen den Artenschutz (Fledermäuse) abzuwägen? 6. Wie bewertet sie die Rolle des Naturschutzbundes NABU, der keine Abwägung erkennen lässt, sondern sich nur auf den Artenschutz konzentriert? 7. Was kann sie tun, um juristische und politische Konflikte, die das Projekt gefährden , zu entschärfen? 21. 12. 2016 Blenke CDU Kleine Anfrage des Abg. Thomas Blenke CDU und Antwort des Ministeriums für Verkehr Die Hermann-Hesse-Bahn jetzt voranbringen Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1263 2 B e g r ü n d u n g Die Reaktivierung der Hermann-Hesse-Bahn ist ein wichtiges Schienenprojekt für die Landkreise Calw und Böblingen – aber auch den Ballungsraum Stuttgart. Die Hermann-Hesse-Bahn wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass mehr Menschen auf ihren täglichen Wegen zur Arbeit oder in der Freizeit den Schienenverkehr nutzen und daher auf das Auto verzichten können. Der Umweltverbund wird dadurch innerhalb der europäischen Metropolregion Stuttgart deutlich gestärkt. Vor dem Hintergrund der Diskussion um CO2-Bilanz, nachhaltige Mobilität und im Angesicht eines inzwischen seit 13. Dezember 2016 geltenden Feinstaub - alarms in der Landeshauptstadt Stuttgart müssen alle Möglichkeiten genutzt werden , den Anteil des Individualverkehrs nachhaltig zu senken und den Bürgerinnen und Bürgern des Landkreises Calw attraktive Öffentliche Personennahverkehrs- Verbindungen in den Großraum Stuttgart anbieten zu können. Die Hermann- Hesse-Bahn leistet dazu einen wichtigen ökologischen Beitrag. Mit dieser Kleinen Anfrage soll erfragt werden, wie die Landesregierung den Konflikt zwischen der potenziellen Gefährdung der Fledermäuse auf der einen und dem nachgewiesenen ökologischen Nutzen auf der anderen Seite bewertet. Aktuell wird die Umsetzung des Projekts auf der Zeitschiene durch anhängige Klagen, insbesondere konkret durch die des NABU gefährdet. Es ist unverständlich , dass ausgerechnet ein anerkannter Naturschutzverband ein unstreitig ökologisches Projekt, das er eigentlich befürworten sollte, durch den Zeitverzug, der mit einer Klage einhergeht, gefährdet. Sowohl auf Bundes- als auch auf Landes - ebene wird vom NABU stets die Wichtigkeit nachhaltiger Mobilitätsangebote und der Wechsel vom Individualverkehr in den ÖPNV betont. Der NABU Baden- Württemberg schreibt selbst: „Beim Schienenpersonennahverkehr sind ein Ausbau und eine Qualitätsoffensive notwendig.“1 Dass es dabei zu innerökologischen Konflikten kommt ist naheliegend, die Bereitschaft umsetzbare Kompromisse zu finden, ist zumindest seitens des NABU aufgrund der getätigten Aussagen derzeit nicht erkennbar. Dies ist umso unverständlicher, als seitens des Projektträgers immense Anstrengungen zur Erfassung des Individuenbestands als auch bei der Suche nach Ersatzquartieren und Alternativen unternommen wurden. A n t w o r t Mit Schreiben vom 25. Januar 2017 Nr. 3-3890.0/741 beantwortet das Ministe - rium für Verkehr im Einvernehmen mit dem Finanzministerium und dem Umweltministerium die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welchen verkehrlichen Nutzen erwartet sie durch das Projekt Hermann-Hesse- Bahn (Verlagerung von Menschen vom motorisierten Individualverkehr auf die Schiene)? 2. Welchen verkehrlichen Nutzen erwartet sie für die Bürgerinnen und Bürger in den betroffenen Raumschaften (Landkreise Calw und Böblingen, Stuttgart)? Die Fragen 1 und 2 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Der sich aus dem Projekt ergebende verkehrliche Nutzen wird in der Standardisierten Bewertung von Verkehrsinvestitionen des öffentlichen Personennahverkehrs anhand von prognostizierten Strukturdaten ermittelt. Die dem Verkehrs - ministerium vorliegende und akzeptierte Standardisierte Bewertung der Hermann- Hesse-Bahn weist einen verkehrlichen Nutzen von ca. 900 vom motorisierten In- _____________________________________ 1 https://baden-wuerttemberg.nabu.de/umwelt-und-leben/verkehr/index.html 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1263 dividualverkehr (MIV) zum öffentlichen Verkehr (ÖV) verlagerte Fahrten je Tag aus. Dadurch ergibt sich eine Einsparung von über zwanzigtausend Personenkilometern je Tag Fahrleistung im MIV. Darüber hinaus können knapp 170 zusätzliche Fahrten gewonnen werden, d. h. Personen unternehmen Wege mit dem ÖV, die sie ohne Hermann-Hesse-Bahn nicht durchführen würden (weder mit MIV noch ÖV). Verfahrenskonform betreffen alle diese Nutzen die Bürgerinnen und Bürger der betroffenen Raumschaften. 3. Wird durch die anhängigen Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss „Neu - bau Tunnel und zweigleisiger Ausbau in Ostelsheim“ das Projekt Hermann- Hesse-Bahn gefährdet? Die Landesregierung kann keine Prognose über den Ausgang der Gerichtsverfahren abgeben. Eine zeitliche Verzögerung des Projekts durch die Klageverfahren ist jedoch nicht auszuschließen. 4. Wie bewertet sie in diesem Zusammenhang die Frage der 2019 auslaufenden Fördermittel aus dem Entflechtungsgesetz und die Finanzierungsperspektive der Hermann-Hesse-Bahn über 2019 hinaus? Die Landesregierung hat das Vorhaben im Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (LGVFG)-Programm berücksichtigt und entsprechende Fördermittel eingeplant , sodass auch unter den heutigen Rahmenbedingungen im Anschluss an eine positive Prüfung des Förderantrags ein Bewilligungsbescheid erteilt werden kann. Auch ein Fördermittelbedarf über das Jahr 2019 hinaus könnte auf dieser Grundlage durch die Übertragung der bewilligten Haushaltsmittel befriedigt werden. Unabhängig davon haben Bund und Länder im Oktober 2016 vereinbart, dass das Auslaufen der sog. Entflechtungsmittel im Jahr 2019 durch eine erhöhte Bundeszuweisung an die Länder aus Umsatzsteuereinnahmen kompensiert werden soll. Damit sind grundsätzlich Voraussetzungen geschaffen, dass Kommunen und Verkehrsunternehmen die dringend notwendige Planungssicherheit für ihre Infrastrukturvorhaben über das Jahr 2019 hinaus erhalten. 5. Wie bewertet sie den innerökologischen Konflikt, Themen des Natur- und Umweltschutzes (CO2-Ausstoß, Feinstaubproblematik) gegen den Artenschutz (Fledermäuse) abzuwägen? Wie bei anderen Infrastrukturvorhaben sind im Zusammenhang mit der Wieder - inbetriebnahme der Bahnstrecke zwischen Calw und Weil der Stadt (Hermann- Hesse-Bahn) verschiedene Belange zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die Vorschriften der §§ 44 f des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) ist eine spezielle artenschutzrechtliche Prüfung durchzuführen. Auf der Trasse der Hermann-Hesse-Bahn werden zwei Tunnelbauwerke (Hirsauer Tunnel und Forst Tunnel) von Fledermäusen verschiedener Arten als Quartiere genutzt, die zu den besonders und streng geschützten Arten gehören und zudem im Anhang IV der FFH-Richtlinie gelistet sind. Ferner halten sich während der Schwärmzeiten der Fledermäuse im August und September zahlreiche Tiere im Umfeld der beiden Tunnel auf. Durch eine Wiederinbetriebnahme der Bahnstrecke könnten daher die Verbote des § 44 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BNatSchG tangiert werden. Derzeit liegen entscheidende Informationen zu den von der Reaktivierung der Hesse-Bahn betroffenen Fledermausvorkommen sowie zum Ausmaß der Beeinträchtigungen und zu möglichen Vermeidungs- und/oder Ausgleichsmaßnahmen noch nicht vor. Diese werden in den nächsten Wochen bzw. Monaten erwartet. Erst danach kann durch die zuständigen Behörden abschließend beurteilt werden, ob und wie eine Lösung des artenschutzrechtlichen Konfliktes auch mit Blick auf die ökologische Vorteilhaftigkeit des Projekts möglich ist. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1263 4 6. Wie bewertet sie die Rolle des Naturschutzbundes NABU, der keine Abwägung erkennen lässt, sondern sich nur auf den Artenschutz konzentriert? Nach der Satzung des Naturschutzbunds Deutschland (NABU), Landesverband Baden-Württemberg e. V., ist der Zweck des Vereins der umfassende Schutz der Natur und der Umwelt. Als anerkannter Naturschutzvereinigung stehen dem NABU bei Vorhaben, die seinen Aufgabenbereich betreffen, gemäß Umwelt- und Naturschutzrecht gewisse Rechte zu. So ist ihm im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Diese Stellungnahme ist von den zuständigen Behörden fachlich und rechtlich zu beurteilen. Eine anerkannte Naturschutzvereinigung kann ferner gegen eine Entscheidung im Planfeststellungsverfahren oder andere behördliche Entscheidungen Rechtsbehelfe einlegen ohne in eigenen Rechten verletzt zu sein, wenn sie beispielsweise geltend macht, dass die Entscheidung artenschutzrechtliche Vorschriften verletzt. Wie der NABU seine Rechte im Einzelfall wahrnimmt, ist Angelegenheit des Vereins. Der NABU hat im Übrigen wiederholt betont, dass er dem Projekt Hermann- Hesse-Bahn als solchem positiv gegenübersteht, insofern also nicht nur den Artenschutz im Blick hat. 7. Was kann sie tun, um juristische und politische Konflikte, die das Projekt gefährden , zu entschärfen? Verkehrsminister Winfried Hermann MdL hat im Zusammenhang mit dem Projekt in verschiedenen Gesprächen seine Vermittlung angeboten, um zur Aufnahme von Gesprächen und zum Finden konstruktiver Lösungen beizutragen. Er hat deshalb zu einem von ihm geleiteten gemeinsamen Gespräch zwischen den Naturschutzverbänden und dem Landkreis Calw im Verkehrsministerium eingeladen. Das Gespräch soll stattfinden, sobald die Ergebnisse der noch laufenden Unter - suchungen zu den Fledermausvorkommen in den beiden Tunneln vorliegen. Diese werden im ersten Quartal 2017 erwartet. In Vertretung Dr. Lahl Ministerialdirektor