Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 1279 22. 12. 2016 1Eingegangen: 22. 12. 2016 / Ausgegeben: 10. 02. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Werden Flüchtlinge, die bei ihrer Einreise angegeben haben, dass sie minderjährig sind, medizinisch auf ihr Alter hin untersucht? 2. Werden alle minderjährigen Flüchtlinge medizinisch auf ihr Alter hin untersucht oder nur ein Teil der Flüchtlinge? 3. Wie viele Flüchtlinge in Baden-Württemberg wurden in den Jahren 2013 bis 2016 auf ihr Alter hin untersucht? 4. Welche Untersuchungsmethoden wurden bei wie vielen Flüchtlingen angewendet und welche Ergebnisse lieferten die Untersuchungen? 5. Wie treffsicher sind die angewandten Untersuchungsmethoden? 6. Welche Konsequenzen zieht sie, wenn sich bei einem Flüchtling herausstellt, dass er ein falsches Alter angegeben hat? 22. 12. 2016 Wolle AfD Kleine Anfrage der Abg. Carola Wolle AfD und Antwort des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration Untersuchung des Alters von minderjährigen Flüchtlingen Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1279 2 B e g r ü n d u n g In Dänemark hat sich herausgestellt, dass 75 Prozent der untersuchten Flüchtlinge nicht wie angegeben minderjährig sind. In Großbritannien wurde dies bei 45 Prozent der untersuchten Flüchtlinge festgestellt. Es ist anzunehmen, dass auch in Baden-Württemberg viele Flüchtlinge ein falsches Alter angegeben haben. A n t w o r t Mit Schreiben vom 26. Januar 2017 Nr. 4-135/657 beantwortet das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration im Einvernehmen mit dem Ministerium für Soziales und Integration die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Werden Flüchtlinge, die bei ihrer Einreise angegeben haben, dass sie minderjährig sind, medizinisch auf ihr Alter hin untersucht? 2. Werden alle minderjährigen Flüchtlinge medizinisch auf ihr Alter hin untersucht oder nur ein Teil der Flüchtlinge? Zu 1. und 2.: Eine medizinische Altersuntersuchung nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) – Kinder- und Jugendhilfe – erfolgt nur bei Flüchtlingen, die unbegleitet in das Bundesgebiet einreisen und bei denen Minderjährigkeit vorliegen könnte (unbegleitete minderjährige Ausländerinnen und Ausländer – UMA). Die Einschätzung bzw. Feststellung, ob bei diesen Personen eine Minderjährigkeit vorliegt, liegt in der Verantwortung des örtlich zuständigen Jugendamtes. Sie erfolgt durch Einsichtnahme in die Ausweispapiere oder – falls entsprechende Dokumente nicht vorliegen – im Rahmen einer qualifizierten Inaugenscheinnahme. Eine qualifizierte Inaugenscheinnahme würdigt den Gesamteindruck, der neben dem äußeren Erscheinungsbild insbesondere die Bewertung der in einem Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand umfasst. In Zweifelsfällen sieht § 42 f SGB VIII vor, dass das Jugendamt a) auf Antrag des Betroffenen oder seines Vertreters oder b) von Amts wegen eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen hat. Eine ärztliche Untersuchung erfolgt somit im Rahmen des jugendhilferechtlichen Altersfeststellungsverfahren in Fällen, in denen weder durch die Einsichtnahme in die Ausweispapiere noch im Rahmen der qualifizierten Inaugenscheinnahme eine hinreichend zuverlässige Altersfeststellung möglich ist. Ergeben sich im ausländerrechtlichen Verfahren Zweifel am Lebensalter eines UMA, sind gemäß § 49 Abs. 3 i. V. m. Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) alle erforderlichen Maßnahmen, einschließlich körperlicher Eingriffe, die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zum Zweck der Feststellung des Alters vorgenommen werden, zur Feststellung des Lebensalters zu treffen. Die Maßnahmen sind allerdings nur zulässig bei Ausländern, die das 14. Lebensjahr vollendet haben; Zweifel an der Vollendung des 14. Lebensjahres gehen dabei zu Lasten des Ausländers, § 49 Abs. 6 Satz 2 AufenthG. 3. Wie viele Flüchtlinge in Baden-Württemberg wurden in den Jahren 2013 bis 2016 auf ihr Alter hin untersucht? Zu 3.: Statistische Angaben zu ärztlichen Untersuchungen, die aufgrund von § 42 f SGB VIII durchgeführt werden, liegen nicht vor. Gleiches gilt für statistische Angaben zu den ausländerrechtlichen Altersfeststellungen. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1279 4. Welche Untersuchungsmethoden wurden bei wie vielen Flüchtlingen angewendet und welche Ergebnisse lieferten die Untersuchungen? Zu 4.: Im jugendhilferechtlichen Altersfeststellungsverfahren wird im Regelfall eine qualifizierte Inaugenscheinnahme durchgeführt. Hierzu ist ein Gespräch mit dem Betroffenen durchzuführen, an dem zwei sozialpädagogische Fachkräfte und eine Dolmetscherin bzw. ein Dolmetscher beteiligt sind. Bestehen nach Durchführung der qualifizierten Inaugenscheinnahme weiterhin Zweifel an dem Alter der unbegleiteten ausländischen Person, ist das Jugendamt verpflichtet, eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen. Eine Alterseinschätzung, die sich neben anthropo - metrischen Daten wie Körperhöhe, Körperbautyp und Körpergewicht auch auf die äußerlich erkennbaren sexuellen Reifezeichen stützt, ist im Hinblick auf die bundesrechtlichen Vorgaben (Ausschluss von Genitaluntersuchungen) nur eingeschränkt zulässig und somit im Ergebnis nicht zielführend. Für die Veranlassung ärztlicher Untersuchungen, in deren Rahmen radiologische, mit einer Strahlen - exposition verbundene Verfahren angewandt werden, gibt es im SGB VIII keine gesetzliche Ermächtigung. Zu den ausländerrechtlich zulässigen Maßnahmen zur Altersfeststellung gehören das Abnehmen von Fingerabdrücken sowie Messungen und ähnliche Maßnahmen , einschließlich körperlicher Eingriffe, die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zum Zweck der Feststellung des Alters vorgenommen werden, wenn kein Nachteil für die Gesundheit des Ausländers zu befürchten ist. Dies umfasst im Einzelfall auch Röntgenuntersuchungen. 5. Wie treffsicher sind die angewandten Untersuchungsmethoden? Zu 5.: Eine exakte Bestimmung des Lebensalters ist weder auf medizinischem, pädagogischem oder anderem Wege möglich. Alle bekannten Verfahren können lediglich Näherungswerte liefern. Unschärfen können reduziert werden durch eine Kombination verschiedener Verfahren. 6. Welche Konsequenzen zieht sie, wenn sich bei einem Flüchtling herausstellt, dass er ein falsches Alter angegeben hat? Zu 6.: Kommt die jugendhilferechtliche Altersfeststellung zu dem Ergebnis, dass ein Ausländer volljährig ist, wird die vorläufige Inobhutnahme nach § 42 a SGB VIII unverzüglich beendet und der Betroffene aus dem System der Kinder- und Jugend - hilfe entlassen. In diesem Fall unterliegt der Ausländer den für Volljährige geltenden aufnahme-, asyl- und leistungsrechtlichen Bestimmungen und wird, wenn er ein Asylgesuch stellt, in das Regelverfahren zur Aufnahme von Asylsuchenden übernommen. Soweit UMA vollziehbar ausreisepflichtig sind und ihrer gesetzlichen Ausreisepflicht nicht nachkommen, bestehen ausländerrechtlich Besonderheiten bei der zwangsweisen Rückführung. Gemäß § 58 Abs. 1 a AufenthG hat sich die Ausländerbehörde vor der Abschiebung eines UMA zu vergewissern, dass der UMA im Rückkehrstaat einem Mitglied der Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird. Dieser besondere Schutz entfällt, wenn die Volljährigkeit des Betroffenen festgestellt wird. Strobl Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration