Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 1285 22. 12. 2016 1Eingegangen: 22. 12. 2016 / Ausgegeben: 09. 02. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Welchen Optimierungsbedarf sieht sie bei der aktuellen Ausrüstung der Polizei mit Blick auf Angriffe durch Messer und andere Stichwaffen? 2. Welche Maßnahmen will sie ergreifen, um zu verhindern, dass Extremisten im Internet und in Publikationen Schwachstellen der Schutzkleidung der Polizei für Angriffe aufzeigen? 3. Welche Maßnahmen ergreift sie, um den im Verfassungsschutzbericht dargestellten gezielten Angriffen von Linksextremisten auf Polizeibeamte und Polizeieinrichtungen entgegenzuwirken? 4. Werden nach ihrer Kenntnis Strategien für den Umgang mit bewaffneten Angehörigen der sogenannten „Reichsbürger“ erarbeitet? 5. Ist ihr bekannt, ob diese sogenannten „Reichsbürger“ die Polizei als „Feind“ einstufen und aktiv bekämpfen? 6. Wird sie Maßnahmen ergreifen, um Angriffe von sogenannten „Reichsbürgern“ und Linksextremisten durch V-Leute und andere Überwachungsmaßnahmen rechtzeitig zu unterbinden? 7. Plant sie Programme zur Vermeidung von Gewalt gegen Polizisten? 8. Plant sie konkrete Programme, um in Schulen gezielt über die Gefahren durch Linksextremisten und „Reichsbürger“ aufzuklären? Kleine Anfrage des Abg. Lars Patrick Berg AfD und Antwort des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration Schutz der Polizei vor Linksextremisten und Reichsbürgern Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1285 2 9. Was tut sie, um ein Abdriften von Menschen, insbesondere jungen Menschen, in den Linksextremismus oder zur „Reichsbürgerbewegung“ zu verhindern? 13. 12. 2016 Berg AfD B e g r ü n d u n g Die Polizei steht unter täglicher Belastung. Im Internet und im öffentlichen Raum muss sich die Polizei heftigen Anfeindungen ausgesetzt sehen. Diese Kleine Anfrage soll die Situation in Baden-Württemberg beleuchten. A n t w o r t Mit Schreiben vom 26. Januar 2017 Nr. 3-1130.3/67/1 beantwortet das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration im Einvernehmen mit dem Minis - terium für Kultus, Jugend und Sport, dem Ministerium für Soziales und Integra - tion sowie der Landeszentrale für politische Bildung die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welchen Optimierungsbedarf sieht sie bei der aktuellen Ausrüstung der Polizei mit Blick auf Angriffe durch Messer und andere Stichwaffen? Zu 1.: Bereits seit dem Jahr 2000 sind ballistische Schutzwesten fester Bestandteil der persönlichen Schutzausstattung von operativ tätigen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten . Diese bieten eine konstruktionsbedingte hemmende Wirkung bei Angriffen mit Stichwaffen. Dem Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration wurden bislang keine Fälle bekannt, bei denen die getragene Schutzausstattung mit einem Messer oder einem ähnlichem Gegenstand durchstoßen wurde. Vor diesem Hintergrund wird aktuell kein Optimierungsbedarf gesehen. 2. Welche Maßnahmen will sie ergreifen, um zu verhindern, dass Extremisten im Internet und in Publikationen Schwachstellen der Schutzkleidung der Polizei für Angriffe aufzeigen? 3. Welche Maßnahmen ergreift sie, um den im Verfassungsschutzbericht dargestellten gezielten Angriffen von Linksextremisten auf Polizeibeamte und Polizeieinrichtungen entgegenzuwirken? 6. Wird sie Maßnahmen ergreifen, um Angriffe von sogenannten „Reichsbürgern“ und Linksextremisten durch V-Leute und andere Überwachungsmaßnahmen rechtzeitig zu unterbinden? Zu 2., 3. und 6.: Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg sammelt seinem gesetzlichen Auftrag entsprechend Informationen über extremistische Bestrebungen . Im Rahmen dieser Beobachtung fallen auch Erkenntnisse über mögliche Angriffe auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sowie Polizeieinrichtungen an. Diese werden anlassbezogen an die Polizei übersandt. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1285 Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg sowie die regionalen Polizeipräsi - dien werten ihrerseits die Lage im Bereich der „Politisch motivierten Kriminalität “ aus und berücksichtigen dabei im Rahmen der Gefährdungsbewertung auch mögliche Angriffe auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sowie Polizeieinrichtungen . Soweit im Einzelfall Hinweise vorliegen, die eine konkrete Gefahr oder den Anfangsverdacht einer Straftat begründen, führt die Polizei anlassbezogene offene und/oder verdeckte Maßnahmen der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung durch. Im Übrigen können zu verdeckten Maßnahmen aus Gründen der operativen Geheimhaltung keine Angaben gemacht werden, da aus ihrem Bekanntwerden Rückschlüsse auf die Arbeitsweise und Methoden der Sicherheitsbehörden gewonnen werden können. Hierdurch würde die Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörden beeinträchtigt. Das gleiche Geheimhaltungsinteresse erstreckt sich auch auf Details zur persön - lichen Schutzausstattung der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sowie den Schutz von Dienstfahrzeugen und -gebäuden der Polizei Baden-Württemberg. 4. Werden nach ihrer Kenntnis Strategien für den Umgang mit bewaffneten Angehörigen der sogenannten „Reichsbürger“ erarbeitet? Zu 4.: Die Polizeidienststellen des Landes wurden durch das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg im Hinblick auf die Eigen - sicherung beim Einschreiten gegen sogenannte „Reichsbürger“ gezielt sensibilisiert . Ferner wurden die sogenannten „Reichsbürger“ im November 2016 zum Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden erhoben. Die Beobachtung erfolgt gemäß den Vorschriften des Landesverfassungsschutzgesetzes (LVSG). 5. Ist ihr bekannt, ob diese sogenannten „Reichsbürger“ die Polizei als „Feind“ einstufen und aktiv bekämpfen? Zu 5.: Sogenannte „Reichsbürger“ lehnen aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ab. Vor diesem Hintergrund weigern sich die Anhänger der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ Steuern, Abgaben oder Bußgelder zu bezahlen und leisten – teilweise körperlichen – Widerstand gegen hoheitliche Maßnahmen . Staatliche Institutionen wie die Polizei werden von ihnen nicht anerkannt . Auf die Stellungnahme des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration zum Antrag der Abgeordneten Sascha Binder u. a. SPD, Drucksache 16/905, wird insoweit verwiesen. Im vergangenen und aktuellen Jahr wurden sechs Straftaten sogenannter „Reichsbürger “ bekannt, die sich gegen die Polizei richteten. Dabei handelt es sich um Straftaten im Sinne von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB), gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315 b StGB), Körperverletzung (§ 223 StGB) und Beleidigung (§ 185 StGB). 7. Plant sie Programme zur Vermeidung von Gewalt gegen Polizisten? Zu 7.: Der Phänomenbereich „Gewalt gegen Polizeibeamte“ wird bereits seit Jahren gezielt analysiert. Auf Basis der Analyse verschiedener einschlägiger landesinterner Untersuchungen, bei denen auch Aggressionen und Provokationen unterhalb der Strafbarkeitsschwelle beleuchtet wurden, sowie der Erkenntnisse aus der Studie „Gewalt gegen Polizeibeamte“ des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen und des bundesweiten Lagebildes „Gewalt gegen Polizeibeamte“ wurde durch das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration unter Beteili- Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1285 4 gung von Experten die „Konzeption zur Reduzierung von Provokationen, Aggressionen und Gewalt gegen Polizeibeamte“ entwickelt. Ein Kernbereich umfasst das professionelle Auftreten und Einschreiten von Polizeibeamtinnen und Polizei - beamten. Die Erlangung der notwendigen Handlungssicherheit nimmt hierbei einen hohen Stellenwert ein. Daher werden unverändert entsprechende Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, sowohl für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in Ausbildung, als auch für die besonders betroffene Zielgruppe des Streifendiens - tes, durchgeführt. Darüber hinaus soll durch einen ressortübergreifenden Ansatz, z. B. durch die Beteiligung des Ministeriums der Justiz und für Europa, des Minis - teriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg sowie weiteren Behörden auf örtlicher Ebene dem Phänomenbereich entgegengewirkt werden. Mit Verabschiedung der Änderung des Polizeigesetzes Baden-Württemberg zur Einführung der Bodycam durch den Landtag von Baden-Württemberg am 12. Oktober 2016 wird ein weiteres Element zur Reduzierung von „Gewalt gegen Polizeibeamte “ eingeführt. 8. Plant sie konkrete Programme, um in Schulen gezielt über die Gefahren durch Linksextremisten und „Reichsbürger“ aufzuklären? Zu 8.: Die Demokratieerziehung ist die wesentliche Primärprävention gegen sämtliche Formen von Extremismus und ist Aufgabe aller Unterrichtsfächer sowie der außerunterrichtlichen Gestaltung des Schullebens. Verschiedene Formen des Extremismus sind explizit Gegenstand des Unterrichts in den Fächern Geschichte und Gemeinschaftskunde – dort sollen auch aktuelle Phänomene wie die „Reichsbürger “ aufgegriffen werden. Die Schulen nutzen intensiv die Angebote der Landeszentrale für politische Bildung, die auch die Prävention gegen Extremismen verschiedener Couleur umfassen. In einer gemeinsamen Erklärung von Innen- und Kultusministerium vom 19. Januar 2015 hat sich die Polizei verpflichtet, bestimmte Präventionsangebote vorzuhalten , die von Schulen, Institutionen und Interessierten abgerufen werden können . Damit ist die Polizei in der Lage, ein flächendeckendes und für jede weiterführende Schule im Land abrufbares Präventionsangebot durch speziell geschulte Kräfte anzubieten. Dabei werden Themenfelder, in denen die Polizei über eine originäre Expertise verfügt, namentlich der Gewaltprävention, Prävention von Mediengefahren sowie der Drogen- und Verkehrsprävention, angeboten. Im Zusammenhang mit dem Themenschwerpunkt „Gewaltprävention“ wurde das Programm „Herausforderung Gewalt“ erstmals 1998 für Schulen angeboten und 2014 in Zusammenarbeit mit Pädagoginnen und Pädagogen neu konzipiert. Die für die Durchführung verantwortlichen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten werden in speziellen Seminaren, die von der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg angeboten werden, auf ihre Aufgaben vorbereitet. Im Jahr 2016 konnten fast 2.300 Veranstaltungen des Programms „Herausforderung Gewalt“ durchgeführt werden. Dieses und andere Programme mit gewaltpräventiver Ausrichtung für Schulen sollten stets in ein schulspezifisches Konzept zur Prävention eingebettet sein, um nachhaltig wirksam zu sein. Das Präventionsrahmenkonzept „stark.stärker.WIR.“ unterstützt Schulen bei der Entwicklung ihrer Präventions - arbeit. Das Polizeipräsidium Ludwigsburg bietet beispielsweise mit seinem Projekt „ACHTUNG?!“ ein umfassendes Gesamtangebot für Schulen und Bildungseinrichtungen , um das Thema Extremismus und Radikalisierung im Schulalltag umfassend zu bearbeiten. Die Landeszentrale für politische Bildung bietet in diesem Rahmen Workshops zur Radikalisierungsprävention in Schulen an. Die vielfältigen beim Landesamt für Verfassungsschutz laufenden Präventionsprogramme bzw. Präventionsprojekte dienen der Aufklärung über extremistische Bestrebungen und deren Gefahren in Baden-Württemberg. Dieses Angebot gilt selbstverständlich auch für Schulen und andere Bildungseinrichtungen. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1285 Zur Extremismusprävention im Allgemeinen wird auf das „Demokratiezentrum Baden-Württemberg“, das im Rahmen des Programms „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ vom Bundes - ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie vom Ministerium für Soziales und Integration gefördert wird, verwiesen. Das Demokratiezentrum Baden-Württemberg dient als Ansprechpartner für alle Bereiche der Extremis - musprävention. Weiterführende Informationen finden sich in der Landtagsdrucksache 16/1037 (Bericht und Beschlussempfehlung des Untersuchungsausschusses „Die Aufarbeitung der Kontakte und Aktivitäten des Nationalsozialistischen Untergrunds [NSU] in Baden-Württemberg und die Umstände der Ermordung der Polizeibeamtin M. K. [Rechtsterrorismus/NSU BW]“) und der Landtagsdruck - sache 16/189 (Kleine Anfrage der Abgeordneten Carola Wolle: Maßnahmen gegen den Links- und Rechtsextremismus). 9. Was tut sie, um ein Abdriften von Menschen, insbesondere jungen Menschen, in den Linksextremismus oder zur „Reichsbürgerbewegung“ zu verhindern? Zu 9.: Die Aufgabe der Landeszentrale für politische Bildung ist die Förderung und Vertiefung der politischen Bildung in Baden-Württemberg. Reichsbürger delegitimieren Staat und Rechtssystem und leugnen die Existenz unter Bezügen auf das historische Deutsche Reich, Verschwörungstheorien oder das Naturrecht. Das gesamte Aufgabenfeld der Landeszentrale für politische Bildung richtet sich dem explizit und implizit entgegen. Im Juni 2017 ist eine Fortbildung für Mitarbeitende von Kommunen zum Thema Reichsbürger geplant. Kooperationspartner sind das Landesamt für Verfassungsschutz und die Verwaltungsschule des Gemeindetags. Des Weiteren wird auf die Landtagsdrucksache 16/189 (Kleine Anfrage der Abgeordneten Carola Wolle: Maßnahmen gegen den Links- und Rechtsextremismus ) und speziell für die Tätigkeiten des Landesamtes für Verfassungsschutz auf die Landtagsdrucksache 16/705 (Kleine Anfrage des Abgeordneten Stefan Räpple: Linksextremistische Ausschreitungen gegen die Polizei vom 30. April bis 1. Mai 2016), Frage 9, verwiesen. Strobl Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration