Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 1293 10. 01. 2017 1Eingegangen: 10. 01. 2017 / Ausgegeben: 24. 02. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wird im Zollernalbkreis und Baden-Württemberg jede Straftat, bei der nicht bewiesen ist, dass sie keine rechtsextreme Motivation hat, in der Statistik unter rechtsextremen Straftaten (Politisch motivierte Kriminalität – rechts) erfasst? 2. Findet im Zollernalbkreis und in Baden-Württemberg in jedem Fall von Gewaltkriminalität eine Prüfung statt, ob „die Tatmotive aufgrund der Person des Opfers in einem rassistisch, antisemitisch, homophoben, antiziganistischen oder einem anderen politisch motivierten Hintergrund liegen könnten“? 3. Wenn eine Prüfung gemäß Frage 2 stattfindet, seit wann wird sie durchgeführt? 4. Bezieht sich diese Prüfung nur auf mutmaßliche rechtsextremistische/fremdenfeindliche Tatmotive oder werden auch linksextremistische/islamistische Tatmotive oder solche der politisch motivierten Ausländerkriminalität geprüft? 5. Durch welche Maßnahmen (zum Beispiel innerhalb der Statistik zur Politisch motivierten Kriminalität) wurde eine „Verbesserung der Erfassung und Einordnung rechtsextrem und rassistisch motivierter Straftaten durch die Polizei“ vorgenommen (bitte bei den Maßnahmen das Datum ihrer Umsetzung nennen und geplante Maßnahmen mit Datum aufführen)? 6. Soll eine Verbesserung der Erfassung und Einordnung bei Straftaten mit mutmaßlich linksextremistischer/islamistischer Motivation oder solchen der Ausländerkriminalität ebenfalls erfolgen? Kleine Anfrage des Abg. Stefan Herre AfD und Antwort des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration Erfassung und Kategorisierung von politisch motivierten Straftaten im Zollernalbkreis und in Baden-Württemberg Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1293 2 7. Wenn ja, wann? 8. Wie sehen die Maßnahmen aus (mit Datum ihrer Umsetzung nennen)? 9. Wenn nein, warum nicht? 23. 12. 2016 Herre AfD B e g r ü n d u n g Der brandenburgische Ministerpräsident Woidke erklärte im September 2016, dass es in Brandenburg Änderungen gegeben habe, wonach jeder Übergriff, bei dem nicht bewiesen ist, dass er keine rechtsextreme Motivation hat, in der Statis - tik zur Erhebung rechtsextremer Straftaten erfasst würde. Auch die Landesregierung in Thüringen strebt eine Änderung der Erfassung und Kategorisierung von politisch motivierten Straftaten an. Im Koalitionsvertrag der die Landesregierung Brandenburg bildenden Fraktionen heißt es, dass eine Pflichtprüfung in allen Fällen von Gewaltkriminalität erfolgen solle, „ob die Tatmotive aufgrund der Person des Opfers in einem rassistisch, antisemitisch, homophoben, antiziganistischen oder einem anderen politisch motivierten Hintergrund liegen könnten“. Auch eine zwingende Dokumentation dieser Prüfung solle erfolgen. Außerdem sei eine „Verbesserung der Erfassung und Einordnung rechtsextrem und rassistisch motivierter Straftaten durch die Polizei“ geplant. Mit dieser Kleinen Anfrage soll die Landesregierung Baden-Württemberg erklären , welche Vorschriften und Bestimmungen derzeit umgesetzt und zur Anwendung kommen und ob sie ein ähnliches Vorgehen wie die beiden anderen Bundesländer handhabt oder solch eine Umsetzung geplant ist. A n t w o r t Mit Schreiben vom 3. Februar 2017 Nr. 3-1228.0/153 beantwortet das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration im Einvernehmen mit dem Ministe - rium der Justiz und für Europa die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wird im Zollernalbkreis und Baden-Württemberg jede Straftat, bei der nicht bewiesen ist, dass sie keine rechtsextreme Motivation hat, in der Statistik unter rechtsextremen Straftaten (Politisch motivierte Kriminalität – rechts) erfasst? 2. Findet im Zollernalbkreis und in Baden-Württemberg in jedem Fall von Gewaltkriminalität eine Prüfung statt, ob „die Tatmotive aufgrund der Person des Opfers in einem rassistisch, antisemitisch, homophoben, antiziganistischen oder einem anderen politisch motivierten Hintergrund liegen könnten“? 3. Wenn eine Prüfung gemäß Frage 2 stattfindet, seit wann wird sie durchgeführt ? 4. Bezieht sich diese Prüfung nur auf mutmaßliche rechtsextremistische/fremdenfeindliche Tatmotive oder werden auch linksextremistische/islamistische Tatmotive oder solche der politisch motivierten Ausländerkriminalität geprüft? 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1293 5. Durch welche Maßnahmen (zum Beispiel innerhalb der Statistik zur Politisch motivierten Kriminalität) wurde eine „Verbesserung der Erfassung und Einordnung rechtsextrem und rassistisch motivierter Straftaten durch die Polizei“ vorgenommen (bitte bei den Maßnahmen das Datum ihrer Umsetzung nennen und geplante Maßnahmen mit Datum aufführen)? 6. Soll eine Verbesserung der Erfassung und Einordnung bei Straftaten mit mutmaßlich linksextremistischer/islamistischer Motivation oder solchen der Ausländerkriminalität ebenfalls erfolgen? 7. Wenn ja, wann? 8. Wie sehen die Maßnahmen aus (mit Datum ihrer Umsetzung nennen)? 9. Wenn nein, warum nicht? Zu 1. bis 9.: Die statistische Erfassung Politisch motivierter Kriminalität (PMK) im Zollern - albkreis sowie in Baden-Württemberg erfolgt auf der Grundlage des bundeseinheitlichen Kriminalpolizeilichen Meldedienstes (KPMD). Mit Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 10. Mai 2001 sind rückwirkend zum 1. Januar 2001 mit dem „Definitionssystem Politisch motivierte Kriminalität“ und den „Richtlinien für den Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK)“ die bundesweit einheitlich geltenden Kriterien zur Definition und Erfassung politisch motivierter Straftaten in Kraft gesetzt worden. Die aktuell geltenden Kriterien sind insbesondere den „Informationen zum polizeilichen Definitionssystem Politisch motivierte Kriminalität (PMK)“ zu entnehmen. Dieses wurde in den Jahren 2002, 2004 und 2015 modifiziert beziehungsweise neu strukturiert. Zuletzt wurde das Definitionssystem zum 1. Januar 2017 angepasst. Seither werden insbesondere auch islamfeindlich , christenfeindlich sowie antiziganistisch motivierte Straftaten gesondert in der PMK-Statistik ausgewiesen. Generell werden Straftaten nur dann als politisch motiviert eingestuft, wenn die Voraussetzungen des Definitionssystems PMK erfüllt sind. Ausgehend von den Umständen der Tat werden nach dem Definitionssystem die Taten zunächst einem Themenfeld zugeordnet. Eine phänomenologische Zuordnung, zum Beispiel zur PMK – Rechts, erfolgt danach aufgrund gegebenenfalls weiterer Informationen zur Tat oder Täterschaft. Straftaten mit extremistischem Hintergrund stellen dabei eine Teilmenge der PMK dar, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind. Der Begriff „extremistische Kriminalität“ orientiert sich am Extremismusbegriff der Verfassungsschutzgesetze des Bundes und der Länder und dazu vorhandener Rechtsprechung. Die einzelnen Phänomenbereiche werden vom Definitionssystem PMK wie folgt unterschieden: – Dem Phänomenbereich PMK – Rechts werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und beziehungsweise oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung , beispielsweise nach Art der Themenfelder, einer „rechten“ Orientierung zuzurechnen sind, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elementes der freiheitlich demokratischen Grundordnung (Extremismus ) zum Ziel haben muss. Der wesentliche Kerngedanke einer „rechten “ Ideologie ist die Annahme einer Ungleichheit beziehungsweise Ungleichwertigkeit der Menschen. Insbesondere sind Taten dazuzurechnen, wenn Be - züge zu völkischem Nationalismus, Rassismus, Sozialdarwinismus oder Nationalsozialismus ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren. Diese politisch motivierten Straftaten sind als rechtsextremistisch zu qualifizieren. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1293 4 – Dem Phänomenbereich PMK – Links werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und beziehungsweise oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung , beispielsweise nach Art der Themenfelder, einer „linken“ Orientierung zuzurechnen sind, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elementes der freiheitlich demokratischen Grundordnung (Extremismus ) zum Ziel haben muss. So sind insbesondere Taten dazuzurechnen, wenn Bezüge zu Anarchismus oder Kommunismus (einschließlich revolutio - närem Marxismus) ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren. Entsprechende politisch motivierte Straftaten sind in der Regel als linksextremistisch zu qualifizieren. – Dem Phänomenbereich der PMK – Ausländische Ideologie, vormals PMK- Ausländerkriminalität, werden Straftaten zugeordnet, sofern in Würdigung der Umstände der Tat und beziehungsweise oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine nichtreligiöse und aus dem Ausland stammende Ideologie entscheidend für die Tatbegehung war, insbesondere wenn sie darauf gerichtet ist, Verhältnisse und Entwicklungen im In- und Ausland zu beeinflussen. Gleiches gilt, wenn aus dem Ausland heraus Verhältnisse und Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland beeinflusst werden sollen . Unerheblich ist hierbei die Staatsangehörigkeit des Täters. – Dem zum 1. Januar 2017 nomenklatorisch neu eingeführten Phänomenbereich PMK – Religiöse Ideologie werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und beziehungsweise oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine religiöse Ideologie entscheidend für die Tatbegehung war. Jeder Sachverhalt kann immer nur einem Phänomenbereich zugeordnet werden. Ist der Sachverhalt nicht unter den Phänomenbereichen PMK – Links, – Rechts, – Ausländische Ideologie oder – Religiöse Ideologie subsumierbar, ist der Phänomenbereich PMK – Nicht zuzuordnen zu wählen. Ferner wurde im Sommer 2015 auf Beschluss der Innenministerkonferenz in der bundesweit und so auch für den Zollernalbkreis gültigen Polizeilichen Dienstvorschrift (PDV 100) zur Beweisermittlung ein Passus aufgenommen, wonach grund - sätzlich in Fällen von Gewaltkriminalität rassistische, fremdenfeindliche, menschenverachtende und anderweitig politisch motivierte Hintergründe zu prüfen und die Ergebnisse zu dokumentieren sind. Hintergrund ist, dass durch das Gesetz zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages vom 12. Juni 2015 § 46 Abs. 2 StGB geändert wurde und seit dem 1. August 2015 im Rahmen der gerichtlichen Strafzumessung bei den Beweggründen und Zielen des Täters besonders auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Motive zu berücksichtigen sind. Zur Verdeutlichung dieser gesetzlichen Verpflichtung wurden flankierend durch Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums vom 15. Juli 2015 verschiedene Regelungen der bundeseinheitlich abgestimmten, im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Sachbearbeitung verbindlichen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) mit Wirkung vom 1. August 2015 entsprechend geändert. So bestimmt etwa Nr. 15 Abs. 5 RiStBV „Aufklärung der für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat bedeutsamen Umstände“ nunmehr, dass – soweit Anhaltspunkte für rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenver - achtende Beweggründe bestehen – die Ermittlungen auch auf solche Tatumstände zu erstrecken sind. Darüber hinaus wurde nach Bekanntwerden des NSU die „Führungs- und Einsatzanordnung Sonderkommissionen bei der Kriminalpolizei“ des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration (Landespolizeipräsidium) überarbeitet. Sie regelt insbesondere Standards bei der Bearbeitung von Kapitaldelikten, auch unter besonderer Berücksichtigung der Erkenntnisse aus dem NSU-Komplex und sieht insoweit vor, dass die für kriminalpolizeiliche Ermittlungen notwendige Entwicklung von Tat- bzw. Täterhypothesen ohne Vorfestlegungen und unter fortlaufender kritischer Überprüfung zu erfolgen hat. Dabei werden insbesondere unterschied - liche kriminalpolizeiliche Fachgebiete, beispielsweise des polizeilichen Staatsschutzes hinsichtlich sämtlicher Phänomenbereiche der PMK, eingebunden. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1293 Im Übrigen wird im Hinblick auf die Fragestellung auf die Antwort der Landes - regierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Christina Baum der Fraktion der AfD „Politisch motivierte Kriminalität in Baden-Württemberg“ (Drucksache 16/411) sowie die Ausführungen im Bericht der Landesregierung zu den Empfehlungen des Abschlussberichts vom 18. Februar 2016 des Untersuchungsausschusses der 15. Wahlperiode „Die Aufarbeitung der Kontakte und Aktivitäten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Baden-Württemberg und die Umstände der Ermordung der Polizeibeamtin M. K.“ (Drucksache 16/1037) verwiesen . Strobl Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration