Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 1486 27. 01. 2017 1Eingegangen: 27. 01. 2017 / Ausgegeben: 31. 03. 2017 K l e i n e A n f r a g e Wir fragen die Landesregierung: 1. Nach welchen Kriterien ist zu beurteilen, ob eine Musikband oder ein Konzert als rechtsextremistisch bzw. verfassungsfeindlich anzusehen ist? 2. Welche rechtlichen Konsequenzen ergeben sich aus dieser Einstufung? 3. Wie beurteilt die Landesregierung die Texte der Band „Permafrost“ nach den zu Frage 1 zugrunde zu legenden Kriterien? 4. Liegen ihr Erkenntnisse darüber vor, dass im Vorfeld des Konzerts der Band „Permafrost“ bei Boxberg-Bobstadt die vorgetragenen Liedtexte der Polizei zur Prüfung vorgelegt werden mussten und welche dabei genehmigt wurden? 5. Nach welchen Kriterien bewertet die Polizei solche Liedtexte? 6. Unter welchen Voraussetzungen sind Auftritte von rechtsextremistischen Bands zu verbieten? 7. Gibt es bei der Polizei in Baden-Württemberg für die Beobachtung rechtsextremistischer Musikgruppen speziell geschulte Einsatzkräfte und Handlungsstrategien ? 8. Wie sah die Polizeipräsenz beim Auftritt von „Permafrost“ am 3. September 2016 bei Boxberg-Bobstadt aus? 9. Warum wurde der Auftritt von „Permafrost“ nicht als rechtsextremistische Musikveranstaltung erfasst? Kleine Anfrage der Abg. Hermann Katzenstein und Alexander Maier GRÜNE und Antwort des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration Rechtsextremistische Konzerte Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1486 2 10. Wer ist nach Kenntnisstand der Landesregierung Veranstalter des Festivals und liegen ihr Erkenntnisse über Kontakte des Veranstalters in die rechtsextremistische bzw. neonazistische Szene vor? 26. 01. 2017 Katzenstein, Maier GRÜNE B e g r ü n d u n g Am 3. September 2016 fand bei Boxberg-Bobstadt das „Torn Your Ties“-Open Air Festival statt. Für dieses Konzert wurde unter anderem die im Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums aus dem Jahr 2009 als rechtsextremistisch eingestufte Band „Permafrost“ aus Zeitz in Sachsen-Anhalt engagiert. Versuche von verschiedener Seite, den Veranstalter dazu zu bewegen, diese Band nicht auftreten zu lassen, waren leider nicht erfolgreich. A n t w o r t Mit Schreiben vom 27. Februar 2017 Nr. 3-1228.2/299/13 beantwortet das Minis - terium für Inneres, Digitalisierung und Migration die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Nach welchen Kriterien ist zu beurteilen, ob eine Musikband oder ein Konzert als rechtsextremistisch bzw. verfassungsfeindlich anzusehen ist? Zu 1.: Die Prüfung, ob eine Musikband oder ein Konzert als rechtsextremistisch einzustufen ist, wird von der regional zuständigen Verfassungsschutzbehörde des Bundeslandes durchgeführt, in dem die Musikband ansässig ist. Die Beurteilung einer Musikband als rechtsextremistisch bzw. verfassungsfeindlich erfolgt in der Regel anhand einer Analyse der Liedtexte. Neben den einschlägigen Liedtexten fließt in die Beurteilung darüber hinaus ein, ob Auftritte vor eindeutig rechtsextremistischem Publikum bzw. auf rechtsextremistischen Veranstaltungen erfolgen. Alleine der Umstand, dass Mitglieder einer Musikband der rechtsextremistischen Szene angehören, reicht für sich genommen noch nicht aus, um die Band als extremistisch einzustufen. 2. Welche rechtlichen Konsequenzen ergeben sich aus dieser Einstufung? Zu 2.: Die Einstufung einer Musikgruppe als rechtsextremistisch ermöglicht eine Be - obachtung durch den Verfassungsschutz nach den Vorschriften des Landesverfassungsschutzgesetzes (LVSG). Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden- Württemberg (LfV BW) ist bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen befugt, Informationen über die entsprechende Musikband und deren Konzerte zu erheben und zu verarbeiten. Soweit durch die offene oder verdeckte Informationsbeschaffung Erkenntnisse über die Begehung von Straftaten anfallen, werden diese im Rahmen der gesetzlichen Übermittlungsvorschriften des LVSG an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben. Darüber hinaus findet ein bundesweiter Informationsaustausch im Verfassungsschutzverbund und im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum zur 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1486 Bekämpfung des Rechtsextremismus/-terrorismus (GETZ-R) statt, soweit überregionale Belange betroffen sind. 3. Wie beurteilt die Landesregierung die Texte der Band „Permafrost“ nach den zu Frage 1 zugrunde zu legenden Kriterien? Zu 3.: Die im Jahr 2003 gegründete, aus Sachsen-Anhalt stammende Black-Metal-Band „Permafrost“ wird vom LfV Sachsen-Anhalt als rechtsextremistisch eingestuft. Ihre rechtsextremistische Ausrichtung lässt sich dabei weniger den Liedtexten entnehmen, die aufgrund des Musikstils ohnehin kaum zu verstehen sind. Ausschlaggebend sind vielmehr Äußerungen der Szene-Protagonisten in Internetbeiträgen und auf ihren Internetseiten (vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern 2009, Seite 115). Dem LfV BW liegen keine eigenen Erkenntnisse zu dieser Band vor. 4. Liegen ihr Erkenntnisse darüber vor, dass im Vorfeld des Konzerts der Band „Permafrost“ bei Boxberg-Bobstadt die vorgetragenen Liedtexte der Polizei zur Prüfung vorgelegt werden mussten und welche dabei genehmigt wurden? Zu 4.: Die Liedtexte wurden dem Landratsamt Main-Tauber-Kreis (Kreispolizeibehörde ) auf Anforderung durch die Stadt Boxberg (Ortspolizeibehörde) bzw. durch den Veranstalter im Vorfeld der Veranstaltung vorgelegt. Es handelte sich um die Texte der Lieder „Mad-ly“, „The Dragon of the other Side“, „He who was Spat Out“, „Ave Satan Lucifer“, „King of the Serpents“, „Dreaming on“, „Lawless“ und „Kraft durch Krieg“. Um den ordnungsgemäßen Ablauf des Konzerts sicherzustellen , wurde durch die Stadt Boxberg im Vorfeld eine Auflagen- und Ordnungsverfügung nach dem Polizeigesetz Baden-Württemberg für diese genehmigungsfreie Veranstaltung erteilt. Die Liedtexte waren Teil dieser Verfügung. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen. 5. Nach welchen Kriterien bewertet die Polizei solche Liedtexte? Zu 5.: Hauptkriterium bei der Bewertung solcher Liedtexte ist die Frage nach einer strafrechtlichen Relevanz, etwa hinsichtlich des Straftatbestandes der Volksverhetzung im Sinne von § 130 StGB. Das Rechts- und Ordnungsamt des Landratsamts Main-Tauber-Kreis kam bei einer entsprechenden Überprüfung zu dem Ergebnis, dass die Liedtexte den Straftatbestand der Volksverhetzung nicht erfüllen und von der Kunstfreiheit gedeckt sind. 6. Unter welchen Voraussetzungen sind Auftritte von rechtsextremistischen Bands zu verbieten? Zu 6.: Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH BW) sind rechtsextremistische Skinheadkonzerte regelmäßig mit einer politischen Botschaft verbunden und daher als Versammlung im Sinne des Art. 8 des Grundgesetzes einzustufen (siehe VGH BW, Urteil vom 12. Juli 2010, Az.: 1 S 349/10). Daher ist ein entsprechendes Verbot an den Vorschriften des Versammlungsgesetzes zu messen. Dabei kann ein Versammlungsverbot in derartigen Fällen nach der Recht - sprechung des VGH BW nur dann ausgesprochen werden, wenn das Repertoire der Musikgruppe durchweg aus strafrechtlich relevanten Musikstücken besteht und/oder es bei Auftritten der Musikgruppe regelmäßig zu Straftaten kommt und der einzige Versammlungszweck das Auftreten der Band ist. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1486 4 Finden sich im Repertoire einer Band nur einzelne Musikstücke, deren Aufführung einen Straftatbestand verwirklicht, ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob das Verbot des Spielens dieser Musikstücke als milderes Mittel gegenüber einem Versammlungsverbot in Betracht kommt. Nur wenn erkennbare Umstände darauf schließen lassen, dass das Vertreten strafbarer Ansichten bzw. das Dulden strafbarer Äußerungen das maßgebliche Anliegen der Versammlung ist, kommt ein Totalverbot in Frage. Auf die Stellungnahme des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migra tion zum Antrag der Abg. Nico Weinmann u. a. FDP/DVP vom 21. Dezember 2016, Drucksache 16/1237, wird verwiesen. 7. Gibt es bei der Polizei in Baden-Württemberg für die Beobachtung rechtsextremistischer Musikgruppen speziell geschulte Einsatzkräfte und Handlungsstrategien ? Zu 7.: Zum polizeilichen Umgang mit rechtsextremistischen Musikveranstaltungen hat das Landeskriminalamt Baden-Württemberg (LKA BW) eine Handreichung erarbeitet und den Polizeidienststellen zur Verfügung gestellt. Sofern die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen gegeben sind, trifft die Polizei in diesem Zusammenhang Maßnahmen zur Verhinderung von Gefahren oder zur Aufklärung von Straftaten. Die dauerhafte, gezielte Beobachtung rechtsextremistischer Musikgruppen ist im Rahmen des gesetzlichen Auftrages der Polizei jedoch regelmäßig nicht zulässig. Observationsmaßnahmen bedürfen je nach Zielrichtung einer präventivpolizeilichen oder strafprozessualen Rechtsgrundlage. Üblicherweise erfolgen die polizeiliche Sachbearbeitung und die gegebenenfalls erforderlichen Maßnahmen – sofern rechtlich zulässig – unter Einbindung respektive Leitung der Kriminalpolizeidirektion (Kriminalinspektion Staatsschutz) bei dem jeweils zuständigen regionalen Polizeipräsidium und/oder durch das LKA BW (Abteilung Staatsschutz). 8. Wie sah die Polizeipräsenz beim Auftritt von „Permafrost“ am 3. September 2016 bei Boxberg-Bobstadt aus? Zu 8.: Der polizeiliche Einsatz im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Konzert wurde unter Berücksichtigung der vorliegenden Lageerkenntnisse durch Kräfte des Polizeireviers Tauberbischofsheim bewältigt. 9. Warum wurde der Auftritt von „Permafrost“ nicht als rechtsextremistische Musikveranstaltung erfasst? Zu 9.: Die Musikveranstaltung in Boxberg-Bobstadt im Main-Tauber-Kreis wurde weder in der rechtsextremistischen Szene beworben noch in rechtsextremistischen Kreisen vorab thematisiert. Daher ergaben sich für das LfV BW keine Hinweise dafür, dass es sich bei diesem Konzert um eine rechtsextremistische Musikveranstaltung handeln könnte. Hinzu kommt, dass die Black-Metal-Band „Permafrost“ als eine extremistische unter mehreren nicht extremistischen Bands beim Festival auftrat, so dass die Veranstaltung nicht als rechtsextremistische Musikveranstaltung per se zu bewerten war. Auf die Ausführungen zu Fragen 3, 4 und 6 wird verwiesen. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1486 10. Wer ist nach Kenntnisstand der Landesregierung Veranstalter des Festivals und liegen ihr Erkenntnisse über Kontakte des Veranstalters in die rechtsextremistische bzw. neonazistische Szene vor? Zu 10.: Nach Erkenntnissen des LKA BW wurde die Veranstaltung durch eine Gruppierung namens „Black Metal Legion“ durchgeführt. Hierbei handelt es sich um eine rockerähnliche Gruppierung aus der Bodenseeregion. Einzelne Mitglieder können der rechten Szene zugerechnet werden. Strobl Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration