Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 1517 30. 01. 2017 1Eingegangen: 30. 01. 2017 / Ausgegeben: 24. 03. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Informationen hat sie über die tatsächlichen Zahlen von spongiformen Enzephalopathien bei Menschen in Baden-Württemberg? 2. Wie viele BSE-Fälle (bovine spongiforme Enzephalopathie) gab es tatsächlich in Baden-Württemberg seit Bekanntwerden dieser Krankheit in Großbritannien? 3. Gibt es aus ihrer Sicht aktuell Bestrebungen, dass Baden-Württemberg sich gegenüber der Bundesregierung im Bundesrat sowie auf EU-Ebene für ein komplettes Aufheben des noch gültigen Verbots zum Thema Tiermehl stark macht? 4. Reichen aus ihrer Sicht die bestehenden Regelungen und Maßnahmen hinsichtlich der geltenden Verordnungen aus? 5. Welche Risiken sieht sie, wenn Tiermehl wieder komplett an alle Nutztierarten in der Landwirtschaft in Baden-Württemberg, in Deutschland sowie EU-weit verfüttert werden würde? 6. Seit wann gibt es in Baden-Württemberg keine nachgewiesenen Fälle mehr von BSE in der Rinderzucht? 7. Welche Risiken sieht sie für die Menschen in Baden-Württemberg bezugnehmend darauf, dass Forscher in London eine neue Form der Creutzfeldt-Jakob- Krankheit erforscht haben? Kleine Anfrage des Abg. Stefan Herre AfD und Antwort des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Tiermehl im Zollernalbkreis und in Baden-Württemberg sowie Folgen einer vollständigen Wiederzulassung Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1517 2 8. Wie sicher sind die Kontrollmechanismen in Baden-Württemberg bei infektiösem Fleisch, im Blutspendewesen, in der Transplantation oder bei verunreinigtem OP-Besteck, bzw. können solche Krankheiten in der Zukunft wieder verstärkt auftreten? 24. 01. 2017 Herre AfD B e g r ü n d u n g Vor rund einem Vierteljahrhundert sorgte eine Tierseuche für Schlagzeilen: Rinderwahnsinn . Inzwischen gilt die auch für Menschen gefährliche Seuche BSE in Europa als nahezu ausgerottet − auch dank strenger Hygiene-Vorschriften, wie der für Gesundheit und Verbraucher zuständige EU-Kommissar John Dalli er - klärte. Weil die Zahl der positiv auf BSE getesteten Tiere im vergangenen Jahr auf null sank, will die EU-Kommission nun Regeln wie das Verbot der Verfütterung von Tiermehl wieder lockern. Der Vorschlag der Kommission an die EU- Staaten und das Europaparlament sieht vor, dass Bauern künftig Rindermehl wieder an Schweine, Geflügel oder Fische verfüttern dürfen, aber nicht an andere Rinder. Die Kommission will auch die Notschlachtung und das Massenkeulen von Rindern beenden. Die Rinderseuche BSE war Mitte der 80er-Jahre erstmals bei Kühen in Großbritannien aufgetaucht und breitete sich dann in ganz Europa aus. Auf dem Höhepunkt der BSE-Krise verhängte die EU 1996 ein Exportverbot über britisches Rindfleisch. Forscher hatten zuvor nachgewiesen, dass der Verzehr von BSE- belastetem Fleisch zur neuen Variante der tödlich verlaufenden Creutzfeldt- Jakob-Krankheit beim Menschen führen kann. Vor sechzehn Jahren wurde die Verfütterung von Tiermehlen EU-weit nach EG-VO 999/2001 verboten. Tiermehl besteht aus aufbereiteten Schlachtabfällen. Dieses Tiermehlverbot war die Reak - tion der EU auf die Rinderkrankheit BSE. Auch in Baden-Württemberg gab es Fälle. Seit 1. Juni 2013 darf Tiermehl wieder an Tiere verfüttert werden, die in Aquakultur gehalten werden. Seit Januar 2014 wurde das Verbot weiter gelockert und Tiermehl, das nicht von Wiederkäuern stammt, kann an nicht wiederkäuende Tiere wie Hühner und Schweine verfüttert werden. Dabei soll Kannibalismus vermieden werden, das heißt, dass Tiere nicht ihre Artgenossen fressen dürfen. Am 23. Januar 2017 berichtete die Augsburger Allgemeine Zeitung, dass ein Mann an einer ganz neuen Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit verstorben ist. Wissenschaftler haben nun herausgefunden dass BSE und die Creuzfeld-Jakob-Krankheit wohl ansteckender ist als bisher angenommen. Die Universität Göttingen glaubt, dass in naher Zukunft weitere Fälle zu erwarten sind. Aus diesem Grund wird die Landesregierung zu dieser Problematik um Stellungnahme gebeten. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1517 A n t w o r t Mit Schreiben vom 2. März 2017 Nr. Z(33)-0141.5/113 F beantwortet das Minis - terium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz im Einvernehmen mit dem Ministerium für Soziales und Integration die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Informationen hat sie über die tatsächlichen Zahlen von spongiformen Enzephalopathien bei Menschen in Baden-Württemberg? Zu 1.: In den Jahren 2001 bis 2016 wurden in Baden-Württemberg insgesamt 232 Fallmeldungen für die sporadische Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (klassische CJK) übermittelt. Im gleichen Zeitraum wurden in ganz Deutschland keine Fälle der neuen varianten Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK) festgestellt, somit auch nicht in Baden-Württemberg. 2. Wie viele BSE-Fälle (bovine spongiforme Enzephalopathie) gab es tatsächlich in Baden-Württemberg seit Bekanntwerden dieser Krankheit in Großbritannien? Zu 2.: In Baden-Württemberg wurden in den Jahren 2001 bis 2006 insgesamt 46 BSE- Fälle bei Rindern amtlich bestätigt. Seit dem 16. Februar 2006 wurde kein BSE- Fall in Baden-Württemberg mehr amtlich festgestellt. 3. Gibt es aus ihrer Sicht aktuell Bestrebungen, dass Baden-Württemberg sich gegenüber der Bundesregierung im Bundesrat sowie auf EU-Ebene für ein komplettes Aufheben des noch gültigen Verbots zum Thema Tiermehl stark macht? Zu 3.: Die EU-Kommission hat im zweiten Fahrplan für die TSE-Bekämpfung eine planmäßige schrittweise Lockerung des Verfütterungsverbots vorgesehen. Die Produkte, die gegenwärtig und auch zukünftig für die Verfütterung vorgesehen sind, sind jedoch nicht mit den Stoffen zu vergleichen, die vor dem Verfütterungsverbot im Jahr 2001 zur Fütterung von Nutztieren eingesetzt wurden. Be - inhalteten die „Tiermehle“, die vor dem Verfütterungsverbot in der Nutztierfütterung eingesetzt wurden, auch Ausgangsstoffe von gestorbenen Tieren (einschl. Wiederkäuern), so sind nach der gegenwärtigen Gesetzgebung nur Ausgangs - stoffe von Tieren zugelassen, die im Rahmen einer Schlachttieruntersuchung an einer zugelassenen Schlachtstätte durch einen Amtstierarzt als schlachttauglich befunden wurden und nicht von Wiederkäuern stammen. Es handelt sich somit um Ausgangsstoffe von Tieren, deren Fleisch als Lebensmittel in den Verkehr gebracht wird und die bei der Verarbeitung bestimmten technischen Vorgaben (z. B. Temperatur, Druck) genügen müssen. Diese ernährungsphysiologisch hochwertigen Materialien werden daher in der aktuellen Nomenklatur auch nicht mehr „Tiermehle“ genannt, sondern als „verarbeitete tierische Proteine“ (oder PAP = Processed Animal Proteins) bezeichnet. Die Verwendung von Wiederkäuermaterialien ist bei der Produktion von verarbeiteten tierischen Proteinen, die für die Fütterung von Nutztieren eingesetzt werden sollen, nicht erlaubt und in der Roadmap (2010 bis 2015) auch nicht vorgesehen. Es gibt weder auf Kommissions - ebene noch auf Bundes- oder Landesebene Überlegungen, die Verfütterung von Wiederkäuerproteinen an Nutztiere wieder zuzulassen. Die vollständige Umsetzung der Roadmap (2010 bis 2015) in geltende Rechtsvorschriften ist jedoch aufgrund technischer Probleme noch nicht abgeschlossen. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1517 4 Eine neue Roadmap (über das Jahr 2015 hinaus) liegt bisher nicht vor. Folgende Grundsätze werden jedoch weiterhin Bestand haben: 1. Keine Wiederzulassung der Verfütterung von verarbeiteten tierischen Proteinen, die von Wiederkäuern gewonnen wurden, an Nutztiere, unabhängig vom BSE- Status eines Landes; 2. keine Aufhebung des Kannibalismusverbotes; 3. keine Zulassung der Verfütterung von verarbeiteten tierischen Proteinen an Wiederkäuer. Die Landesregierung befürwortet die schrittweise Lockerung des Verfütterungsverbotes unter Einhaltung der o. g. Grundsätze. Verarbeitete tierische Proteine haben einen hohen ernährungsphysiologischen Wert und eine bedarfsgerechte Aminosäurenzusammensetzung und stellen somit ein hochwertiges Futtermittel dar. 4. Reichen aus ihrer Sicht die bestehenden Regeln und Maßnahmen hinsichtlich der geltenden Verordnungen aus? Zu 4.: Der Prozess der Lockerung des Verfütterungsverbotes erfolgt jeweils aufgrund einer wissenschaftlichen Risikobewertung. Die im EU-Recht bestehenden Regelungen sind aus Sicht der Landesregierung ausreichend und geeignet, das Risiko der Kontamination von verarbeiteten tierischen Proteinen durch Wiederkäuer - materialien größtmöglich zu minimieren. 5. Welche Risiken sieht sie, wenn Tiermehl wieder komplett an alle Nutztierarten in der Landwirtschaft in Baden-Württemberg, in Deutschland sowie EU-weit verfüttert werden würde? Zu 5.: Eine so weitreichende Lockerung des Verfütterungsverbotes von PAP ist auf EU- Ebene nicht vorgesehen und aufgrund der Vorgaben der TSE-Gesetzgebung und der Tierischen-Nebenprodukte-Gesetzgebung nicht möglich (siehe hierzu auch Frage 3). 6. Seit wann gibt es in Baden-Württemberg keine nachgewiesenen Fälle mehr von BSE in der Rinderzucht? Zu 6.: Seit dem 16. Februar 2006 wurde kein BSE-Fall in Baden-Württemberg mehr amtlich festgestellt. 7. Welche Risiken sieht sie für die Menschen in Baden-Württemberg bezugnehmend darauf, dass Forscher in London eine neue Form der Creutzfeldt-Jakob- Krankheit erforscht haben? Zu 7.: In Deutschland wurde bislang kein einziger Fall von vCJK festgestellt, also auch nicht in Baden-Württemberg. Der im Januar 2017 veröffentlichte Einzelfallbericht beschreibt eine Erkrankung bei einem Patienten mit dem mischerbigen (heterozygoten) Genotyp MV an Codon 129. Eine neue Form der Creutzfeld-Jakob-Krankheit wird nicht postuliert. Angesichts des günstigen Umstands, dass in Deutschland bislang kein einziger Fall von vCJK festgestellt wurde, ergeben sich hieraus derzeit keine Anhaltspunkte für eine Neubewertung des Risikos für die Menschen in Baden-Württemberg. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1517 8. Wie sicher sind die Kontrollmechanismen in Baden-Württemberg bei infektiösem Fleisch, im Blutspendewesen, in der Transplantation oder bei verunreinigtem OP-Besteck, bzw. können solche Krankheiten in der Zukunft wieder verstärkt auftreten? Zu 8.: – infektiöses Fleisch Bei der Schlachtung von Rindern, Schafen und Ziegen werden seit Jahren nach Rechtslage in der Europäischen Union bestimmte Risikomaterialien, die möglicherweise BSE-Erreger enthalten könnten (z. B. Gehirn, Augen, Rückenmark), vorsorglich entfernt und über die Tierkörperbeseitigung vernichtet. Auf diese Weise kann kein infektiöses Fleisch in die Lebensmittel- oder Futtermittelkette gelangen. Deutschland hat seit 7. Juli 2016 den Status „vernachlässigbares BSE- Risiko“. – Sicherheit der Organ- und Gewebetransplantation Falls bei einer Person, die eventuell ein Organspender sein kann, nach festgestelltem Tod und vorliegender Zustimmung der Verdacht auf eine Prionen-Infektion besteht, wird dem nachgegangen. Hinsichtlich der Risikoabwägung bezüglich BSE gelten auf dem europäischen Festland die Vorschläge des Europarates (Guide to the Quality and Safety of Organs for Transplantation). Diese wurden in Abstimmung mit führenden Transplant -infectious-disease Experts der Fachgesellschaften aus Europa und den USA erstellt und berücksichtigen auch die Erfahrungen aus Großbritannien. Die Vorgaben zur Sicherstellung von Qualität und Sicherheit von humanen Geweben bzw. Gewebezubereitungen zur Transplantation richten sich an Entnahmeeinrichtungen und Gewebeeinrichtungen und sind im Transplantationsgesetz (TPG) und der TPG-Gewebeverordnung festgelegt. Da nur wenige Gewebe einem Inaktivierungsverfahren unterzogen werden können , welches eine Übertragung sicher vermeiden kann, und spezifische Testverfahren nicht routinemäßig vorgesehen sind, kommt hierbei den Spenderaus - schluss kriterien eine hohe Bedeutung zu. Für bestimmte einzelne Gewebe/Gewebezubereitungen liegen Richtlinien der Bun - desärztekammer vor. Darauf wird hier verwiesen. – Sicherheit beim Blutspendewesen In Deutschland sind bereits seit einigen Jahren umfangreiche Vorsorgemaßnahmen getroffen worden, um die Übertragung von vCJK durch Blut und Blutprodukte zu verhindern. Im Rahmen der Spendertauglichkeitsuntersuchung werden unter anderem Personen dauerhaft von der Blutspende ausgeschlossen, die sich zwischen 1980 und 1996 insgesamt mehr als sechs Monate in Großbritannien aufgehalten haben oder dort seit 1980 eine Operation oder Bluttransfusion erhalten haben. Die Spenderfragebögen und Herstellungsverfahren sind Gegenstand der arzneimittelrechtlichen Zulassung durch die zuständige Bundesoberbehörde (Paul-Ehrlich -Institut), welche ggf. notwendige Anpassungen aufgrund neuer Erkenntnisse durch Stufenplanbescheide veranlassen kann. Insgesamt wird ein hohes Maß an Sicherheit im Blutspendewesen erreicht. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1517 6 – Sicherheit von OP-Besteck bzw. der Medizinprodukte-Aufbereitung Die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI) und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) haben gemeinsam eine Empfehlung zu den Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten herausgegeben . Durch § 8 der Medizinprodukte-Betreiberverordnung sind die Anforderungen dieser Empfehlung für die Betreiber maßgebend. Die stete Einhaltung der Anforderungen wird in regelmäßigen Inspektionen durch die Regierungspräsidien überwacht . Das Risiko für eine Übertragung durch die Anwendung sachgerecht aufbereiteter Medizinprodukte wird gegenwärtig als sehr gering eingeschätzt. Hauk Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz