Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 1580 08. 02. 2017 1Eingegangen: 08. 02. 2017 / Ausgegeben: 10. 04. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Liegen ihr Informationen vor, wonach bei der rechnerischen Ermittlung von Erdbebenlasten die Verwendung von Mittel- statt Medianwerten vorteilhaft wäre und wenn ja, welche Erwägungen liegen diesen zugrunde? 2. Welche Erhöhung der rechnerischen Erdbebenbelastungen würde eine Zugrundelegung von Mittelwerten mit sich bringen? 3. Hätte eine Verwendung von Mittelwerten die unterschiedliche Einstufung von einzelnen Gemeinden in andere Erdbebenzonen zur Folge und gäbe es einzelne Regionen in Baden-Württemberg, die besonders stark von der erwartbaren Erhöhung betroffen wären? 4. Fände eine solche Veränderung der Berechnungsweise Eingang in das bauaufsichtlich zu beachtende Regelwerk? 5. Liegen ihr Erkenntnisse vor, wonach der bauliche Erdbebenschutz in Baden- Württemberg unzureichend ist und erhöht werden müsste? 6. Besteht zur möglichen Veränderung der rechnerischen Ermittlung der Erdbebenlasten für die Anforderungen des baulichen Erdbebenschutzes eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung zur Auswirkung derselben auf die Kosten des Bauens und falls ja, was sind die Ergebnisse dieser Betrachtung? 08. 02. 2017 Bay GRÜNE Kleine Anfrage der Abg. Susanne Bay GRÜNE und Antwort des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Mögliche Neuermittlung der rechnerischen Erdbebenlasten Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1580 2 B e g r ü n d u n g Gegenwärtig berät der DIN-Normungsausschuss NA 005-51-06 AA-Erdbeben über die Erdbebennorm und auch über die rechnerische Ermittlung der Erdbebenbelastung . Konkret wird nun beraten, ob die dafür maßgeblichen Antwortbeschleunigungen des Bodens durch die statistische Auswertung von Medianwerten wie bisher oder stattdessen durch die Auswertung von Mittelwerten ermittelt werden . Eine solche Umstellung auf Mittelwerte könnte im Falle einer Übernahme in das bauaufsichtlich zu beachtende Regelwerk für viele Regionen erhöhte rechnerische Belastungen erbringen. Das hätte erhöhte Anforderungen an den Erdbebenschutz der betroffenen Regionen mit den entsprechenden Konsequenzen für die Kosten des Bauens zur Folge, ohne dass sich die erhobene Datengrundlage geändert hätte. A n t w o r t Mit Schreiben vom 9. März 2017 Nr. 4-5551.22-3/216 beantwortet das Ministe - rium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft die Kleine Anfrage wie folgt: Vorabinformation: Im Rahmen des Projekts SHARE („Seismic Hazard Harmonization in Europe“), einem Gemeinschaftsprojekt im Kooperationsprogramm des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms der Europäischen Kommission, wurden 2013 neue Erdbebengefährdungskarten für Europa veröffentlicht, die für Teile Deutschlands eine deutlich höhere Gefährdung ausweisen als bislang angenommen. Das nachstehend in Rede stehende Projekt „Neue Erdbebengefährdungskarten für Deutschland “ am Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) dient dazu, durch genauere Betrachtung der spezifischen Verhältnisse in Deutschland zu einer genaueren und damit realistischeren Einschätzung der Erdbebengefährdung in Deutschland als beim Projekt SHARE zu kommen. Die Umsetzung der Ergebnisse des Forschungsvorhabens am GFZ im Rahmen der Normenreihe DIN EN 1998 „Aus - legung von Bauwerken gegen Erdbeben“ wird vom zuständigen Normungsausschuss NA 005-51-06 AA „Erdbeben, Sonderfragen“ des DIN beraten. Diese Beratungen sind aktuell noch nicht abgeschlossen. Im Übrigen ist die Annahme, dass „die für die maßgeblichen Antwortbeschleunigungen des Bodens durch die statistische Auswertung von Medianwerten wie bisher oder stattdessen durch die Auswertung von Mittelwerten ermittelt werden sollen “ nach Auskunft des GFZ nicht zutreffend. Vielmehr liege der aktuell in bauaufsichtlicher Anwendung befindlichen Karte der Erdbebenzonen ein „best estimate “ zugrunde, der de facto Mittelwerten entspräche. 1. Liegen Informationen vor, wonach bei der rechnerischen Ermittlung von Erdbebenlasten die Verwendung von Mittel- statt Medianwerten vorteilhaft wäre und wenn ja, welche Erwägungen liegen diesen zugrunde? Ziel der Normungsarbeit ist unter Berücksichtigung des Standes von Wissenschaft und Technik sowie der wirtschaftlichen Gegebenheiten möglichst zutreffende Erdbebeneinwirkungen auszuweisen. Da an den 4040 Endzweigen des im Modell des GFZ verwendeten Logischen Baumes aufgrund von Nichtlinearitäten ortsabhängig mehr oder weniger schiefe Verteilungen der ermittelten Beschleunigungen auftreten, spricht fachlich einiges für eine Mittelwertauswertung. Dis - kutiert werden aber auch 84 %-Quantilwerte, die allerdings zu noch höheren Einwirkungen aus Erdbeben als bei einer Mittelwertauswertung führen würden. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1580 2. Welche Erhöhung der rechnerischen Erdbebenbelastungen würde eine Zugrundelegung von Mittelwerten mit sich bringen? Nach Auskunft des GFZ führt die Anwendung von Mittelwerten im Vergleich zu Medianwerten in den Hauptbebengebieten zu keinen großen Unterschieden, nur im östlichsten Teil Thüringens und in Teilen Bayerns ist der Unterschied wirklich signifikant. Genaue Zahlen stehen allerdings erst nach Abschluss des Normungsvorhabens zur Verfügung. 3. Hätte eine Verwendung von Mittelwerten die unterschiedliche Einstufung von einzelnen Gemeinden in andere Erdbebenzonen zur Folge und gäbe es einzelne Regionen in Baden-Württemberg, die besonders stark von der erwartbaren Erhöhung betroffen wären? Unabhängig von der gewählten Auswertungsmethode (Median, Mittelwert, Quantilwert ) bleiben nach den Berechnungen des GFZ die bereits jetzt bekannten Gebiete erhöhter Erdbebengefährdung in groben Zügen erhalten. Im Detail wird es allerdings zu Änderungen kommen. Näheres lässt sich hierzu erst nach Abschluss der Normungsarbeiten sagen. 4. Fände eine solche Veränderung der Berechnungsweise Eingang in das bauaufsichtlich zu beachtende Regelwerk? Die bauaufsichtliche Regelsetzung zur Bauwerksauslegung stützt sich im Wesentlichen auf das deutsche und durch nationale Anhänge adaptierte europäische Normenwerk . Falls nach Fertigstellung der Norm keine besonderen Gründe dagegensprechen , ist geplant DIN EN 1998 Teil 1 und Teil 5 zusammen mit ihrem jeweiligen Nationalen Anhang in die Musterverwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen aufzunehmen. 5. Liegen Erkenntnisse vor, wonach der bauliche Erdbebenschutz in Baden-Württemberg unzureichend ist und erhöht werden müsste? Seit der ersten bauaufsichtlichen Regelung für erdbebensicheres Bauen in Baden- Württemberg im Jahre 1971 werden sowohl neue Erkenntnisse über die zu erwartenden Erdbeben als auch neue Erkenntnisse bei der Auslegung baulicher Anlagen durch die Fortschreibung des bei der Errichtung und Änderung baulicher Anlagen bauordnungsrechtlich zu beachtenden Regelwerks berücksichtigt. Es liegt deshalb in der Natur der Sache, dass neu errichtete bauliche Anlagen eine höhere Erdbebensicherheit aufweisen können als bereits zu einem früheren Zeitraum errichtete bauliche Anlagen. Unverändert bestehende rechtmäßig errichtete bauliche Anlagen genießen entsprechend der einschlägigen Regelungen Bestandsschutz. Wie gravierend die Erhöhung von Erdbebenlasten in einzelnen Bereichen Baden- Württembergs nach neuer Normungslage sein werden, lässt sich erst nach Abschluss der Normungsarbeit feststellen. 6. Besteht zur möglichen Veränderung der rechnerischen Ermittlung der Erdbebenlasten für die Anforderungen des baulichen Erdbebenschutzes eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung zur Auswirkung derselben auf die Kosten des Bauens und falls ja, was sind die Ergebnisse dieser Betrachtung? Nach den Regeln des DIN sind bei der Erstellung von Normen grundsätzlich sowohl der jeweilige Stand der Wissenschaft und Technik als auch die wirtschaft - lichen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Dabei dürfen in Normen mit sicherheits - technischem Inhalt allerdings keine Festlegungen getroffen werden, durch die das angestrebte Sicherheitsziel beeinträchtigt wird. In diesem Spannungskreis wird bereits im Zuge der Normungsarbeit versucht, Konsens mit allen an der Normung beteiligten interessierten Kreisen zu erreichen. Der nach Abschluss der Beratungen im Normungsausschuss verabschiedete Normentwurf wird der Öffentlichkeit im Rahmen des Normungsverfahrens mit der Möglichkeit zum Einspruch vorgelegt . Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1580 4 Bislang gibt es nach den Regeln des DIN keine Vorgabe zu einer expliziten Folgekostenabschätzung im Zuge von Normungsvorhaben. Zwar empfiehlt die vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) ins Leben gerufene Baukostensenkungskommission, die Auswirkungen von Normungsentscheidungen auf die Baukosten bereits im Normungsprozess zu überprüfen. Wie dies praktisch im Normungsprozess umgesetzt werden kann, wird nach Auskunft des DIN derzeit noch unter Beteiligung des BMUB vom DIN-Sonderpräsidialausschuss „Bauen und Wohnen“ beraten. Ergebnisse hierzu liegen uns nicht vor. Untersteller Minister für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft