Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 1601 10. 02. 2017 1Eingegangen: 10. 02. 2017 / Ausgegeben: 07. 04. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Ist das Erlernen moralischer Kompetenz, also die Fähigkeit, gemäß der eigenen moralischen Ideale zu handeln, Bestandteil der baden-württembergischen Lehrpläne ? 2. Wie schätzt sie die Relevanz des Erlernens von moralischer Kompetenz gerade in Zeiten des technischen, ökonomischen und politischen Wandels und den damit einhergehenden Spannungen und Konflikten ein? 3. Plant sie, das Erlernen und Trainieren moralischer Kompetenz, z. B. durch die „Konstanzer Methode der Dilemmadiskussion“, in die Lehrpläne aufzunehmen? 4. Verfügt sie über Erfahrungsberichte anderer Bundesländer hinsichtlich dieses Kompetenztrainings von Schülerinnen und Schülern? 5. Hat sie andere Pläne zur Förderung der gesamtgesellschaftlichen Moralkompetenz und damit zur Festigung des individuellen Werturteils? 10. 02. 2017 Kleinböck SPD Kleine Anfrage des Abg. Gerhard Kleinböck SPD und Antwort des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Moralkompetenz in die Lehrpläne einführen Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1601 2 B e g r ü n d u n g Die Fähigkeit, nach den eigenen moralischen Idealen zu handeln, ist – im Gegensatz zur Moral selbst – nicht angeboren, sondern muss erlernt und trainiert werden . So erklärt es der Konstanzer Psychologe G. L., der mit der selbst entwickelten „Konstanzer Methode der Dilemmadiskussion“ Schülerinnen und Schülern bei der Lösung von Konflikten hilft. Laut L. kann mit gezielter Förderung durch wenig Aufwand die Moralkompetenz stark gesteigert werden. Dabei ist die Differenz zwischen der individuellen Moral als Ideal und der Moralkompetenz zu beachten : Erstere ist schon bei Babys angelegt, letztere ist eine Fähigkeit, die erlernt und geschult werden muss und meint das tatsächliche Handeln nach den eigenen moralischen Idealen. Gerade in den aktuellen stark polarisierten gesellschaftlichen Debatten ist es wichtig, dass bereits Schülerinnen und Schüler lernen, Konfliktsituationen mit Argumenten statt mit Gewalt zu lösen. Die Schulung der eigenen moralischen Kompetenz ist dafür der richtige Ansatzpunkt. Bisher wird in baden-württembergischen Schulen zwar der Wertevermittlung ein wichtiger Stellenwert beige - messen, es muss aber auch gelehrt werden, wie die Schülerinnen und Schüler in konkreten Situationen nach eben diesen Werten handeln können. A n t w o r t Mit Schreiben vom 1. März 2017 Nr. 31-6520.1-17/17/3 beantwortet das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport die Kleine Anfrage wie folgt: Ich frage die Landesregierung: 1. Ist das Erlernen moralischer Kompetenz, also die Fähigkeit, gemäß der eigenen moralischen Ideale zu handeln, Bestandteil der baden-württembergischen Lehrpläne? 2. Wie schätzt sie die Relevanz des Erlernens von moralischer Kompetenz gerade in Zeiten des technischen, ökonomischen und politischen Wandels und der damit einhergehenden Spannungen und Konflikte ein? Das Handeln entsprechend moralischer Wertvorstellungen setzt deren Vermittlung voraus. Zum Erziehungs- und Bildungsauftrag von Schule bestimmt das Schulgesetz, dass über die Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten und Fertig - keiten hinaus die Schule auch gehalten ist, die Schülerinnen und Schüler zur Menschlichkeit, zur Achtung der Würde und der Überzeugung anderer sowie zu sozialer Bewährung zu erziehen und in der Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu fördern (§ 1 Abs. 2). Die zur Erfüllung der Aufgaben der Schule erforderlichen Vorschriften und Maßnahmen müssen diesen Grundsätzen entsprechen. Dies gilt insbesondere auch für die Gestaltung der Bildungs- und Lehrpläne (§ 1 Abs. 4). In den Bildungsplänen 2016 aller allgemein bildenden Schularten wurden Leitperspektiven verankert, welche die Schulen bei der Wahrnehmung ihres Bildungsauftrags unterstützen und die Herausforderungen der modernen Welt be - rücksichtigen. Die Leitperspektiven bezeichnen handlungsleitende Themen, die nicht einem einzigen Fach zugeordnet werden, sondern spiralcurricular verankert sind und übergreifend in verschiedenen Fächern behandelt werden sollen. Drei der sechs bestehenden Leitperspektiven zielen auf die Stärkung der Persönlichkeit, Teilhabe und Gemeinschaftsbildung ab und sind bezüglich des Erwerbs moralischer Kompetenz besonders relevant. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1601 Die Leitperspektive Bildung für nachhaltige Entwicklung soll angesichts aktueller ökonomischer, ökologischer und sozialer globaler Herausforderungen (z. B. Klimawandel , Artenschwund, Wasserverknappung, Armut, Hunger, Verstädterung, Flucht und Migration) Schülerinnen und Schüler dazu befähigen, als Konsumenten , im Beruf, durch zivilgesellschaftliches Engagement und politisches Handeln einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft zu leisten. Kernanliegen der Leitperspektive Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt ist die Befähigung zu Toleranz und Akzeptanz von sowie zum diskriminierungsfreien Umgang mit Vielfalt in geschlechtlicher, kultureller, ethnischer und sozialer Hinsicht. Die Leitperspektive ist daher im Kontext der Wertschätzung jedes Menschen unabhängig von seiner Leistung zu sehen. Die Leitperspektive Prävention und Gesundheitsförderung zielt auf die Förderung von Lebenskompetenzen und die Stärkung persönlicher Schutzfaktoren ab. Themenfelder sind unter anderem die Verhinderung von Gewalt und Mobbing sowie die Einhaltung der Regeln des Zusammenlebens. Die Leitperspektive dient damit der Gestaltung eines positiven, wertschätzenden und wertebasierten Miteinanders. Den Leitperspektiven vergleichbar zielen die in den Bildungsbereichen der Bildungspläne für die sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren verankerten Lerninhalte auf eine Unterstützung bei der Entwicklung moralischer Wertvorstellungen und der Fähigkeit ihrer Umsetzung in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Im Bildungsbereich „Leben in der Gesellschaft“ im „Bildungsplan für die Förderschule“ beispielsweise geht es zum einen um die Fähigkeit zur „Wahrnehmung der eigenen Person“, eine Grundvoraussetzung für einen respektvollen Umgang mit anderen. Zum anderen geht es um die Unterstützung bei der Entwicklung von Werthaltungen, die die Fähigkeiten und Möglichkeiten anderer anerkennen, ohne sie zu bewerten. In diesem Zusammenhang ist das verantwortungsvolle Miteinander in der Schulgemeinschaft von hoher Bedeutung. 3. Plant sie, das Erlernen und Trainieren moralischer Kompetenz, z. B. durch die „Konstanzer Methode der Dilemmadiskussion“, in die Lehrpläne aufzunehmen? Die Bildungspläne 2016 für die Grundschule und die auf die Grundschule aufbauenden allgemein bildenden Schularten sind, ebenso wie die Bildungspläne für die sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren, kompetenzorientiert angelegt . Die methodische Umsetzung der Bildungspläne obliegt den Lehrkräften vor Ort. Die genannte Methode fand bereits im Jahr 2006 Eingang in die Handreichung des Landesinstituts für Schulentwicklung „Demokratie durch Handeln lernen“. In allen Phasen der Lehrerbildung ist die Vermittlung von Werten und Normen und die Unterstützung selbstbestimmten Urteilens und Handelns von Schülerinnen und Schülern festgeschrieben. Dies geschieht im Bereich der ersten Phase der Lehrerbildung im Rahmen der für alle Fächer verbindlichen Querschnittskompetenzen (u. a. auch Umgang mit berufsethischen Fragestellungen) und fachspezifischen Fragestellungen (z. B. Stu - dieninhalt im Fach Biologie: ethisch-philosophische Betrachtung ausgewählter biotechnologischer Anwendungen und Verfahren). Auch im Rahmen der zweiten Phase der Lehrerbildung setzen sich angehende Lehrkräfte mit ethisch-moralischen Kompetenzen und der Vorstellung vom „moralisch handelnden Menschen“ vertieft auseinander. Es gilt nicht nur Werte und Werthaltungen entsprechend zu reflektieren, sondern auch das eigenverantwort - liche Urteilen und Handeln mit den Schülerinnen und Schülern schrittweise einzu üben und Formen eines konstruktiven Umgangs mit Normkonflikten zu reflek tieren. Die Lehrerfortbildung knüpft an die in der Lehrerausbildung gelegten Grundlagen an. Fortbildungsinhalte für Lehrkräfte reichen über Veranstaltungen zum Thema „Weltbilder, Weltphilosophie, Menschenbilder“, in denen unterschiedliche philosophische Modelle in den Blick genommen werden, über die Bewertung „Nachhaltiger Entwicklungen“ bis zur „Auseinandersetzung mit ökologisch-sozialen Dilemmata“ etc. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1601 4 Die Lehrerbildung nimmt sowohl die allgemeine als auch die angewandte Ethik in den Blick und orientiert sich dabei an einem breiten Feld an Theorien und Möglichkeiten der unterrichtlichen Umsetzung. Die Konstanzer Methode der Dilemmadiskussion ist in diesem Kontext eine von mehreren Möglichkeiten des Umgangs mit ethischen Fragestellungen. 4. Verfügt sie über Erfahrungsberichte anderer Bundesländer hinsichtlich dieses Kompetenztrainings von Schülerinnen und Schülern? Dem Kultusministerium liegen hierzu keine Informationen vor. 5. Hat sie andere Pläne zur Förderung der gesamtgesellschaftlichen Moralkompetenz und damit zur Festigung des individuellen Werturteils? Der Erziehungs- und Bildungsauftrag von Schule wird von den Schulen konsequent und kontinuierlich im Zusammenspiel von Unterricht sowie verschiedenster außerunterrichtlicher Veranstaltungen, Aktivitäten und Projekte verwirklicht. Beispielsweise werden Konflikt-, Kritik- und Entscheidungsfähigkeit als Voraussetzung für demokratisches Handeln im Rahmen der Vermittlung von Kenntnissen über politische, historische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen geschult. Leitgedanken und Kompetenzfelder zur Demokratie- und Werteerziehung sind daneben in den Bildungsplänen aller Schularten verankert. Praktische Erfahrungen werden Schülerinnen und Schülern im Rahmen schulischer Mitwirkung – über Schülermitverantwortung, Klassenrat, Schulverfassung, Kooperationen mit außerschulischen Partnern oder Patenschaften – und durch Schulentwicklungsprojekte, Schulprogramme oder die Beteiligung an Wettbewerben ermöglicht. Dr. Eisenmann Ministerin für Kultus, Jugend und Sport