Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 1700 24. 02. 2017 1Eingegangen: 24. 02. 2017 / Ausgegeben: 26. 04. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Möglichkeit haben die Bürger einer Gemeinde, als Einzelpersonen oder organisiert in einer Bürgerinitiative oder ähnlichem, um massive Steuerverschwendung von Bürgermeister und Gemeinderatsmehrheit zu verhindern bzw. beschleunigt zu beenden? 2. Welche Möglichkeiten haben sie, um einen Bürgermeister oder Gemeinderäte für bereits erfolgte massive Steuerverschwendung in die Verantwortung zu nehmen, insbesondere finanziell? 3. Welche Möglichkeiten haben die Bürger einer Gemeinde, als Einzelpersonen oder in Gruppen organisiert, um einen Bürgermeister vorzeitig seines Amtes zu entheben? 4. Welche Möglichkeiten haben die Bürger einer Gemeinde, als Einzelpersonen oder in Gruppen organisiert, um Stadtratsmitglieder vorzeitig ihres Amtes zu entheben? 5. Was unternimmt sie, um die Abwahl von Bürgermeistern zu ermöglichen, ähnlich wie es in den meisten anderen Bundesländern längst möglich ist? 6. Was genau müssen Bürger oder Bürgerinitiativen dafür tun, um eine vorzeitige Amtszeit-Beendigung über das Verwaltungsgericht zu erreichen, die das Regierungspräsidium einleiten muss (gemäß § 128 Gemeindeordnung [GemO])? 7. Was empfiehlt sie Bürgermeistern bezüglich des Umgangs mit kritischen Bürgern , gibt es dazu beispielsweise Seminare wie für Beamte (siehe Bericht der Stuttgarter Zeitung vom 6. März 2015 über Seminare für Ministerialbeamte zum Umgang mit „schwierigen Bürgeranfragen“)? Kleine Anfrage des Abg. Thomas Axel Palka AfD und Antwort des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration Bürgermeister und Gemeinderäte in Baden-Württemberg Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1700 2 8. Was hat sich bezüglich den Ausführungen in Drucksache 12/3348 bis heute geändert? 9. In wie vielen Fällen kann sie bei den wenigen Abwahlanträgen, die es in anderen Bundesländern gegen Bürgermeister gab und die in Drucksache 12/3348 erwähnt wurden, einen Missbrauch der Abwahlmöglichkeit erkennen, immerhin eine von der damaligen Regierung befürchtete Missbrauchsmöglichkeit? 24. 02. 2017 Palka AfD B e g r ü n d u n g In äußerst seltenen Fällen, den Zahlen aus anderen Bundesländern in Drucksache 12/3348 nach weit unter 1 Prozent, ist es sinnvoll, wenn der Bevölkerung als oberstem Souverän die Möglichkeit zur Abwahl eines Bürgermeisters zusteht. Die Amtsdauer von Bürgermeistern ist in Baden-Württemberg nahezu die Höchste, was es natürlich zusätzlich erschwert, wenn ein Bürgermeister von den Bürgern keinen Rückhalt mehr hat. Zudem ist in fast allen Bundesländern eine Abwahl selbstverständlich möglich. A n t w o r t Mit Schreiben vom 23. März 2017 Nr. 2-2203.5/71 beantwortet das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Möglichkeit haben die Bürger einer Gemeinde, als Einzelpersonen oder organisiert in einer Bürgerinitiative oder ähnlichem, um massive Steuerverschwendung von Bürgermeister und Gemeinderatsmehrheit zu verhindern bzw. beschleunigt zu beenden? Zu 1.: Die Gemeinde handelt durch ihre demokratisch gewählten Organe Gemeinderat und Bürgermeister. In der Gemeindeordnung (GemO) sind verschiedene Möglichkeiten der Einwohner und Bürger geregelt, auf Entscheidungen unmittelbaren Einfluss zu nehmen. So können Bürger unter den Voraussetzungen des § 21 Absatz 3 GemO über Angelegenheiten aus dem Wirkungskreis der Gemeinde, für die der Gemeinderat zuständig ist und die nicht unter den Negativkatalog in § 21 Absatz 2 GemO fallen, mit einem Bürgerbegehren einen Bürgerentscheid beantragen . Je nach Fallkonstellation und Verfahrensstand ist es möglich, mit einem Bürgerentscheid ein vom Gemeinderat beabsichtigtes oder beschlossenes Vorhaben, das von der Mehrzahl der Bürger abgelehnt wird, zu verhindern. 2. Welche Möglichkeiten haben sie, um einen Bürgermeister oder Gemeinderäte für bereits erfolgte massive Steuerverschwendung in die Verantwortung zu nehmen, insbesondere finanziell? Zu 2.: Der Bürgermeister und die Gemeinderäte unterliegen der demokratischen Kontrolle durch die Bürgerschaft, da ihre Amtszeit befristet ist und sie sich danach erneut dem Votum der Wähler stellen müssen. Eine Möglichkeit für die Bürger- 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1700 schaft, die Gemeindeorgane rechtlich in Haftung zu nehmen, besteht nicht. Über die Rechtsverhältnisse der Gemeinderäte und des Bürgermeisters ist kein Bürger - entscheid möglich (§ 21 Absatz 2 Nummer 3 GemO). Ansprüche der Gemeinde gegen Gemeinderäte und gegen den Bürgermeister werden nach § 126 Absatz 1 GemO von der Rechtsaufsichtsbehörde geltend gemacht. Voraussetzung ist, dass Ansprüche der Gemeinde öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Art (z. B. Schadenersatzansprüche) bestehen. Die politische Verantwortlichkeit der Gemein - deorgane für die von ihnen rechtmäßig getroffenen Entscheidungen wird davon nicht erfasst. 3. Welche Möglichkeiten haben die Bürger einer Gemeinde, als Einzelpersonen oder in Gruppen organisiert, um einen Bürgermeister vorzeitig seines Amtes zu entheben? Zu 3.: Nach § 128 GemO kann – wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen – die Amtszeit des Bürgermeisters für beendet erklärt werden, wenn der Bürgermeister den Anforderungen seines Amts nicht gerecht wird und dadurch so erhebliche Missstände in der Verwaltung eintreten, dass eine Weiterführung des Amts im öffentlichen Interesse nicht vertretbar ist. Die Entscheidung trifft das Verwaltungsgericht auf Antrag der oberen Rechtsaufsichtsbehörde (Regierungspräsidium). Außerdem unterliegen Bürgermeister als Beamte auf Zeit den Bestimmungen über die Beendigung des Beamtenverhältnisses nach Beamten- und Disziplinarrecht . Die Rechtsaufsichtsbehörde nimmt nach § 92 Nummer 1 des Landesbeamtengesetzes die Aufgaben der für die Ernennung zuständigen Stelle, der obersten Dienstbehörde und für bestimmte beamtenrechtliche Entscheidungen des Dienstvorgesetzten und nach § 5 Absatz 1 Nummer 1 des Landesdisziplinargesetzes die Aufgaben der Disziplinarbehörde wahr. Alle danach in Betracht kommenden Maßnahmen bedürfen der Prüfung und Abwägung durch die zuständigen Rechtsaufsichtsbehörden. Die Rechtsaufsichtsbehörde trifft die gebotenen Entscheidungen in eigener Zuständigkeit. Die Bürger können sich allein oder in Gemeinschaft mit Anderen schriftlich mit Beschwerden oder mit Bitten, Maßnahmen gegen den Bürgermeister einzuleiten, an die zuständige Rechtsaufsichtsbehörde wenden (Artikel 17 des Grundgesetzes). Sie haben jedoch keinen Anspruch darauf, dass die Rechtsaufsichtsbehörde in der gewünschten Weise tätig wird. 4. Welche Möglichkeiten haben die Bürger einer Gemeinde, als Einzelpersonen oder in Gruppen organisiert, um Stadtratsmitglieder vorzeitig ihres Amtes zu entheben? Zu 4.: Die Gemeinderäte sind demokratisch gewählte Volksvertreter, die zur Ausübung dieses Ehrenamts verpflichtet sind. Eine Amtsenthebung von Gemeinderäten ist nicht möglich. 5. Was unternimmt sie, um die Abwahl von Bürgermeistern zu ermöglichen, ähnlich wie es in den meisten anderen Bundesländern längst möglich ist? Zu 5.: Die Einführung einer Möglichkeit zur Abwahl von Bürgermeistern ist nicht beabsichtigt . Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1700 4 6. Was genau müssen Bürger oder Bürgerinitiativen dafür tun, um eine vorzeitige Amtszeit-Beendigung über das Verwaltungsgericht zu erreichen, die das Regierungspräsidium einleiten muss (gemäß § 128 Gemeindeordnung [GemO])? Zu 6.: Auf die Antwort zu Frage 3 wird verwiesen. 7. Was empfiehlt sie Bürgermeistern bezüglich des Umgangs mit kritischen Bürgern , gibt es dazu beispielsweise Seminare wie für Beamte (siehe Bericht der Stuttgarter Zeitung vom 6. März 2015 über Seminare für Ministerialbeamte zum Umgang mit „schwierigen Bürgeranfragen“)? Zu 7.: Für die Bürgermeister als Vertreter der Gemeinde und Leiter der Gemeindeverwaltung mit zahlreichen Verwaltungszuständigkeiten ist der Umgang mit Bürgern alltäglicher Bestandteil ihres Amtes. Sie benötigen hierzu keine Ratschläge der Landesregierung. Seminare zur Konfliktbewältigung werden in unterschiedlichen Ausgestaltungen von Fortbildungseinrichtungen und Beratungsunternehmen angeboten . Über die Teilnahme an Fortbildungen muss jeder Bürgermeister für sich selbst entscheiden. 8. Was hat sich bezüglich den Ausführungen in Drucksache 12/3348 bis heute geändert? Zu 8.: Es hat sich nichts daran geändert, dass eine Möglichkeit zur Abwahl des Bürgermeisters in allen Flächenbundesländern außer in Bayern und Baden-Württemberg besteht. 9. In wie vielen Fällen kann sie bei den wenigen Abwahlanträgen, die es in anderen Bundesländern gegen Bürgermeister gab und die in Drucksache 12/3348 erwähnt wurden, einen Missbrauch der Abwahlmöglichkeit erkennen, immerhin eine von der damaligen Regierung befürchtete Missbrauchsmöglichkeit? Zu 9.: Anlässlich der Kleinen Anfrage (Drucksache 12/3348) wurden die Fallzahlen bei den Innenministerien der betreffenden Länder erfragt. Die zugrundeliegenden Einzelfälle sind der Landesregierung nicht bekannt, sodass bezüglich eines mög - lichen Missbrauchs der Abwahlmöglichkeit in anderen Bundesländern keine Aussage getroffen werden kann. Strobl Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration