Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 1703 27. 02. 2017 1Eingegangen: 27. 02. 2017 / Ausgegeben: 26. 04. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Inwiefern wurde die Verordnung des Kultusministeriums über die Pflicht zur Teilnahme am Unterricht und an den sonstigen Schulveranstaltungen (Schul - besuchsverordnung) aus dem Jahr 1982 auf die veränderte Beschulung in unserem Land, wie die der Ganztagsschule, angepasst? 2. Gibt es außer den Kirchen und religiösen Gemeinschaften weitere Organisationen , die für ihre Belange die Schulpflicht aussetzen können? 3. Was priorisiert sie: die reibungslose Beschulung im Ganztagsbetrieb oder die mögliche Durchführung des Konfirmandenunterrichts während der Schulzeit? 4. Gibt es Verhandlungen mit der evangelischen Landeskirche, wie der Konfirmandenunterricht mit der ganztägigen Beschulung vereinbart werden soll? 5. Gibt es Überlegungen, den laut Schulbesuchsverordnung für den Konfirmandenunterricht freien Nachmittag auf den Freitag zu legen, damit der Ganztagsschulbetrieb von Montag bis Donnerstag für alle Schüler gleich stattfinden kann? 6. Hält sie es für angemessen, dass Schulen, die ein mehrere Gemeinden umfassendes Einzugsgebiet haben, die Termine des Konfirmandenunterrichts mit mehreren Kirchenvertretern abstimmen müssen, auch wenn es sich je nach Jahrgang nur um einen Bruchteil der Klasse handelt? Kleine Anfrage des Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP und Antwort des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Schulbesuchsverordnung in Zeiten der Ganztagsschule Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1703 2 7. Hält sie es für angemessen, dass Familien, die ihren Wochenplan mit dem Ganztagsbetrieb der Schule abgestimmt haben, diesen umstellen müssen, auch wenn sie selbst die Freistellung für den Konfirmandenunterricht nicht nutzen? 24. 02. 2017 Dr. Schweickert FDP/DVP B e g r ü n d u n g Schulen mit einem den Mittwoch umfassenden Ganztagsangebot, wie zum Beispiel die Kirnbachschule in Niefern-Öschelbronn, müssen aufgrund der Verordnung des Kultusministeriums über die Pflicht zur Teilnahme am Unterricht und an den sonstigen Schulveranstaltungen vom 21. März 1982 den Wochenplan bzw. Unterrichtsplan für die achte Klasse umstellen, damit Schülerinnen und Schüler für den Konfirmandenunterricht am Mittwochnachmittag freigestellt werden können . Um einen abweichenden Termin mit den Kirchenvertretern vor Ort zu vereinbaren , müssen Schulen deren Einzugsgebiet mehrere Gemeinden umfasst, mehrere Abstimmungsgespräche führen, was sehr zeitaufwendig ist. Familien, in denen beispielsweise die berufliche Tätigkeit der Eltern auf den Rhythmus des Ganztagsunterrichts angepasst ist, müssen dadurch für ein Jahr ihre Planung anpassen, auch wenn die eigenen Kinder nicht am Konfirmandenunterricht teilnehmen. A n t w o r t Mit Schreiben vom 21. März 2017 Nr. KM-6502.10/67/1 beantwortet das Minis - terium für Kultus, Jugend und Sport die Kleine Anfrage wie folgt: Ich frage die Landesregierung: 1. Inwiefern wurde die Verordnung des Kultusministeriums über die Pflicht zur Teilnahme am Unterricht und an den sonstigen Schulveranstaltungen (Schulbesuchsverordnung ) aus dem Jahr 1982 auf die veränderte Beschulung in unserem Land, wie die der Ganztagsschule, angepasst? Die Regelungen des Schulgesetzes zur Ganztagsschule nach § 4 a Absatz 3 und § 8 a Absatz 3 SchG Baden-Württemberg sehen vor, dass die Zeiten des Ganztagsbetriebs der Schulpflicht nach § 72 Absatz 3 SchG unterliegen. In der Grund - schule ist allerdings die Mittagspause einschließlich des Mittagessens ausgenommen . Somit findet die Ganztagsschule über die erweiterte Zeitspanne der Schulpflicht mittelbar Berücksichtigung in der Schulbesuchsverordnung. Eine darüber hinausgehende Anpassung der Schulbesuchsverordnung wurde nicht vorgenommen . 2. Gibt es außer den Kirchen und religiösen Gemeinschaften weitere Organisationen , die für ihre Belange die Schulpflicht aussetzen können? § 1 Absatz 4 der Schulbesuchsverordnung sieht vor, dass die Schulen für den Konfirmandenunterricht in der Klassenstufe 8 den ganzen Mittwochnachmittag unterrichtsfrei halten; nach örtlicher Absprache kann dieser Nachmittag zusätzlich in Klasse 7 freigehalten werden. Soweit danach somit kein Unterricht oder 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1703 sonstige verbindliche Veranstaltungen der Schule stattfinden, besteht für diesen Zeitraum auch keine Schulpflicht nach § 72 Abs. 3 SchG. Folglich setzt § 1 Absatz 4 der Schulbesuchsverordnung die Schulpflicht auch nicht aus. Eine dem § 1 Absatz 4 Schulbesuchsverordnung vergleichbare Regelung für andere religiöse Unterweisung als den Konfirmandenunterricht existiert nicht. Vom verpflichtenden Besuch der Schule kann in Ausnahmefällen jedoch beurlaubt werden. Dies ist nach § 4 Absatz 2 der Schulbesuchsverordnung für bestimmte Veranstaltungen von Kirchen, Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften vorgesehen. Aber auch aus anderen als religiösen oder weltanschaulichen Gründen kann eine Beurlaubung vom Besuch der Schule erfolgen, beispielsweise bei Teilnahme an den von der Landeszentrale für politische Bildung durchgeführten zweitägigen Politischen Tagen für die Klassen 10 bis 13 (§ 4 Absatz 3 Nr. 3 Schulbesuchsverordnung), bei Teilnahme an wissenschaftlichen oder künstlerischen Wettbewerben (§ 4 Absatz 3 Nr. 4 Schulbesuchsverordnung) oder bei der aktiven Teilnahme an sportlichen Wettkämpfen und an Lehrgängen über - regionaler oder regionaler Trainingszentren sowie an überregionalen Veranstaltungen von Musik- und Gesangvereinen, anerkannten Jugendverbänden und sozialen Diensten, soweit die Teilnahme vom jeweiligen Verband befürwortet wird (§ 4 Absatz 3 Nr. 5 Schulbesuchsverordnung). Darüber hinaus sieht § 5 Schul - besuchsverordnung weitere Möglichkeiten einer Beurlaubung für Berufsschüler aus betrieblichen Gründen vor. 3. Was priorisiert sie: die reibungslose Beschulung im Ganztagsbetrieb oder die mögliche Durchführung des Konfirmandenunterrichts während der Schulzeit? Eine Priorisierung bezüglich des Ganztagsbetriebes und des Konfirmandenunterrichts ist nicht erforderlich, da die Vereinbarkeit der Ganztagsschule mit dem Konfirmandenunterricht insoweit gewährleistet ist, als die Ganztagsschule an maximal 4 Tagen mit sieben bzw. acht Zeitstunden pro Tag geführt wird. Dies ermöglicht in der Klassenstufe 8 (ggf. auch Klassenstufe 7) grundsätzlich ein Freihalten des Mittwochnachmittags auch im Ganztagsbetrieb. Die in Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG garantierte Religionsfreiheit umfasst unter anderem die Freiheit, eine Glaubensüberzeugung zu bilden und die Religion ungestört auszuüben. Die Teilnahme am Religionsunterricht fällt in diesen verfassungsrechtlich garantierten Bereich. Die Ausübung der Religionsfreiheit durch die Teilnahme am Konfirmandenunterricht kann allerdings in Konflikt geraten mit dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG, der insbesondere auch die Befugnis zur Planung und Organisation des Schulwesens umfasst. Im Konfliktfall sind die divergierenden Verfassungsgüter im Wege der praktischen Konkordanz in einen möglichst schonenden Ausgleich zu bringen. 4. Gibt es Verhandlungen mit der evangelischen Landeskirche, wie der Konfirmandenunterricht mit der ganztägigen Beschulung vereinbart werden soll? 5. Gibt es Überlegungen, den laut Schulbesuchsverordnung für den Konfirmandenunterricht freien Nachmittag auf den Freitag zu legen, damit der Ganztagsschulbetrieb von Montag bis Donnerstag für alle Schüler gleich stattfinden kann? Die Landesregierung achtet den hohen Stellenwert, den der Konfirmandenunterricht für die Verwirklichung der Religionsfreiheit hat und sieht keine Notwendigkeit , die bestehende Regelung der Schulbesuchsverordnung, die einen schonenden Ausgleich zwischen Schulpflicht und Religionsfreiheit gewährleistet, zu ändern. § 1 Absatz 4 der Schulbesuchsverordnung bestimmt, dass für den Konfirmandenunterricht der ganze Mittwochnachmittag unterrichtsfrei zu halten ist. Er bringt damit deutlich zum Ausdruck, dass die Schule den Konfirmandenunterricht bei der Erstellung der Stundenpläne wie auch bei der Organisation des Ganztags berücksichtigt, um Kollisionen mit der Schulpflicht auszuschließen. Sie nimmt dabei vor allem eine mögliche Kollision mit dem Unterricht in den Blick, muss aber ebenfalls für den der Schulpflicht unterliegenden Ganztag beachtet werden. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1703 4 Die Schulbesuchsverordnung gibt damit aber den Schulleitungen für den Ganztag neben dem vollständigen Freihalten eines Nachmittags auch andere Möglichkeiten , die Vereinbarkeit von Schulpflicht und Konfirmandenunterricht zu gewährleisten , z. B. dadurch, dass zeitlich parallel zum Ganztagsunterricht jedenfalls kein Pflichtunterricht stattfindet und die Schülerinnen und Schüler für die Teilnahme am Konfirmandenunterricht von den Ganztagsangeboten beurlaubt werden. 6. Hält sie es für angemessen, dass Schulen, die ein mehrere Gemeinden umfassendes Einzugsgebiet haben, die Termine des Konfirmandenunterrichts mit mehreren Kirchenvertretern abstimmen müssen, auch wenn es sich je nach Jahrgang nur um einen Bruchteil der Klasse handelt? Auch in dieser Hinsicht gilt, dass die Religionsfreiheit der am Konfirmanden - unterricht teilnehmenden Schülerinnen und Schüler mit dem staatlichen Bildungsund Erziehungsauftrag in einen möglichst schonenden Ausgleich zu bringen ist. Dabei sind jeweils die konkreten Bedingungen vor Ort mit dem Ziel eines Ausgleichs der betroffenen Interessen einzubeziehen. § 1 Absatz 4 Schulbesuchsverordnung soll mit seiner Festlegung auf den Mittwochnachmittag eine solche Abstimmung mit mehreren Kirchenvertretern gerade entbehrlich machen. 7. Hält sie es für angemessen, dass Familien, die ihren Wochenplan mit dem Ganztagsbetrieb der Schule abgestimmt haben, diesen umstellen müssen, auch wenn sie selbst die Freistellung für den Konfirmandenunterricht nicht nutzen? Für die Erstellung der Stundenpläne bzw. die Organisation des Ganztagsbetriebs sind die Schulleitungen verantwortlich, die mit den dargestellten Möglichkeiten einen möglichst schonenden Ausgleich möglicherweise divergierender Interessen anstreben. Dr. Eisenmann Ministerin für Kultus, Jugend und Sport