Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 1721 02. 03. 2017 1Eingegangen: 02. 03. 2017 / Ausgegeben: 03. 05. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Welchen Neutralitätspflichten unterliegen Amtsträger in Wahlkämpfen? 2. Welchen Neutralitätspflichten unterliegen Oberbürgermeister in Wahlkämpfen? 3. Welchen Neutralitätspflichten unterliegen Beigeordnete in Wahlkämpfen? 4. Welchen Neutralitätspflichten unterliegen ehrenamtliche Ortsvorsteher in Wahl - kämpfen? 5. Inwieweit dürfen sich ehrenamtlich tätige Ortsvorsteher im Rahmen von Initiativen zugunsten eines Kandidaten bei Oberbürgermeisterwahlkämpfen in der eigenen politischen Kommune öffentlich äußern, ohne diese Neutralitätspflicht zu verletzen? 6. Welche Konsequenzen können aus einer Verletzung dieser Neutralitätspflicht erwachsen? 02. 03. 2017 Dr. Rülke FDP/DVP Kleine Anfrage des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP und Antwort des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration Neutralitätspflicht von Amtsträgern in Wahlkämpfen Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1721 2 A n t w o r t Mit Schreiben vom 28. März 2017 Nr. 2-2206.0/46 beantwortet das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welchen Neutralitätspflichten unterliegen Amtsträger in Wahlkämpfen? 2. Welchen Neutralitätspflichten unterliegen Oberbürgermeister in Wahlkämpfen? 3. Welchen Neutralitätspflichten unterliegen Beigeordnete in Wahlkämpfen? Zu 1. bis 3.: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 44, 125) und des Staatsgerichtshofs (jetzt: Verfassungsgerichtshofs) Baden-Württemberg (ESVGH 31, 81) besteht für Staatsorgane im Vorfeld von Wahlen eine Neutralitätspflicht . Danach ist es den Staatsorganen im Hinblick auf das Demokratieprinzip und das Recht der Parteien auf Chancengleichheit von Verfassungs wegen versagt, sich in amtlicher Funktion im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher Mittel zu unterstützen oder zu bekämpfen, insbesondere durch Werbung die Entscheidung der Wähler zu beeinflussen. Diese Grundsätze gelten auch für kommunale Organe und für kommunale Wahlen. Oberbürgermeister und Bürgermeister als Organe der Gemeinde und Beigeord - nete als deren ständige Vertreter unterliegen dieser verfassungsrechtlichen Neutralitätspflicht in Wahlkämpfen. Als Beamte auf Zeit haben sie zudem nach § 33 Absatz 2 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) bei politischer Betätigung die - jenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt. Diesen Pflichten steht es nicht entgegen, dass sie sich im Rahmen der Meinungsfreiheit unter Berücksichtigung der öffentlichen Wahrnehmung als Privatpersonen an Wahlkämpfen beteiligen. Sie haben dabei jedoch auf eine klare Trennung zwischen Amt und persönlichem Engagement im Wahlkampf zu achten. 4. Welchen Neutralitätspflichten unterliegen ehrenamtliche Ortsvorsteher in Wahl - kämpfen? 5. Inwieweit dürfen sich ehrenamtlich tätige Ortsvorsteher im Rahmen von Initiativen zugunsten eines Kandidaten bei Oberbürgermeisterwahlkämpfen in der eigenen politischen Kommune öffentlich äußern, ohne diese Neutralitätspflicht zu verletzen? Zu 4. und 5.: Der Ortsvorsteher ist Vorsitzender des Ortschaftsrats und vertritt den Bürger - meister, in Gemeinden mit Beigeordneten auch diese, ständig beim Vollzug der Beschlüsse des Ortschaftsrats und bei der Leitung der örtlichen Verwaltung (§ 69 Absatz 3 und § 71 Absatz 3 der Gemeindeordnung – GemO). Ortsvorsteher unterliegen in Ausübung ihres Amtes deshalb der Neutralitätspflicht in Wahlkämpfen. Ehrenamtliche Ortsvorsteher sind Ehrenbeamte auf Zeit (§ 71 Absatz 1 Satz 3 GemO), für die die Pflicht zur Mäßigung und Zurückhaltung bei politischer Betätigung nach § 33 Absatz 2 BeamtStG ebenfalls gilt (§ 91 Absatz 1 des Landesbeamtengesetzes ). Ein ehrenamtlicher Ortsvorsteher kann als Privatperson einen bestimmten Kandidaten zur Oberbürgermeisterwahl unterstützen und sich insoweit auch öffentlich äußern. Im Zusammenhang mit seinem Amt als Ortsvorsteher ist ihm dies aus den oben genannten Gründen nicht gestattet. Inwieweit das Engagement im Rahmen einer Initiative für einen Kandidaten zulässig ist, kann nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1721 6. Welche Konsequenzen können aus einer Verletzung dieser Neutralitätspflicht erwachsen? Zu 6.: Eine Verletzung der Neutralitätspflicht kann zur Ungültigkeit der Wahl im Wahlprüfungsverfahren oder aufgrund einer Wahlanfechtung führen. Nach § 32 Ab - satz 1 des Kommunalwahlgesetzes ist eine Wahl u. a. dann für ungültig zu erklären , wenn ihr Ergebnis dadurch beeinflusst werden konnte, dass Bewerber oder Dritte eine gegen ein Gesetz verstoßende Wahlbeeinflussung begangen haben. Auch bei Parlamentswahlen kann eine unzulässige Wahlbeeinflussung zur Ungültigkeit der Wahl führen. Bei Beamten kann eine schuldhafte Verletzung ihrer Pflicht zur Mäßigung und Zurückhaltung bei politischer Betätigung – auch unabhängig von einer Wahl - anfechtung – ein Dienstvergehen nach § 47 Absatz 1 BeamtStG darstellen, das eine Disziplinarmaßnahme nach dem Landesdisziplinargesetz zur Folge haben kann. Strobl Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration