Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 1723 02. 03. 2017 1Eingegangen: 02. 03. 2017 / Ausgegeben: 19. 05. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Erfahrungen hat sie bezüglich der Umsetzung der im Staatsvertrag mit dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg e. V. vom 28. November 2013 genannten Ziele und Aufgaben gemacht? 2. Wann und in welcher Form sind die genannten Ziele und Aufgaben bislang überprüft worden bzw. werden in Zukunft überprüft? 3. Wann und in welcher Form wurde bzw. wird der Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg e. V. bei der Erarbeitung einer Anschlussregelung des Staatsvertrags und seiner Inhalte eingebunden? 02. 03. 2017 Gall SPD Kleine Anfrage des Abg. Reinhold Gall SPD und Antwort des Staatsministeriums Bisherige Erfahrungen bei der Umsetzung des Vertrags des Landes Baden-Württemberg mit dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg e. V. und Prüfung einer Anschlussregelung Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1723 2 B e g r ü n d u n g Am 28. November 2013 hat das Land Baden-Württemberg einen Staatsvertrag mit dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg e. V. (VDSR-BW) geschlossen. Ziele des Vertrags sind die Verankerung der Geschichte und Gegenwart von Sinti und Roma in den Bildungsplänen des Landes, die Fortsetzung und Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen dem VDSR-BW mit den Bildungseinrichtungen des Landes zur Aufklärung über minderheitenfeindliche Vorurteile und zur Förderung des Geschichtsbewusstseins und der gesellschaftlichen Toleranz, der Ausbau der bewährten Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung und der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten in Baden-Württemberg, die Sicherstellung von Erhalt und Pflege der Grabstätten von Sinti und Roma, die der NS- Verfolgung ausgesetzt waren, der Auf- und Ausbau von ergänzenden Schul-, Bildungs - und Kulturangeboten für junge Sinti und Roma zur Vermittlung ihrer Sprache und Kultur, die Förderung der VDSR-BW Beratungsstellen für Soziales und Arbeit sowie Bildung, die institutionelle Förderung des VDSR-BW, die Errichtung einer Forschungsstelle zur Geschichte und Kultur der Sinti und Roma sowie zum Antiziganismus, die kritische Aufarbeitung der historisch von rassistischen Vorurteilen geprägten Geschichte der sogenannten „Zigeunerforschung“, das Ermöglichen einer angemessenen Wahrnehmung und Vertretung von deutschen Sinti und Roma in Kultur, Wissenschaft und Medien und die gemeinsame Identifizierung weiterer Zukunftsaufgaben. Das Land und der VDSR-BW haben einen gemeinsamen „Rat für die Angelegenheiten der deutschen Sinti und Roma in Baden-Württemberg“ errichtet. Der Landtag wird regelmäßig über Arbeit und Beschlüsse des Rates informiert. Der Vertrag gilt für die Dauer von fünf Jahren vom 1. Januar 2014 bis 31. Dezember 2018. Land und VDSR-BW haben vereinbart, auf Basis der bis dahin gemachten Erfahrungen eine Anschlussregelung zu prüfen. A n t w o r t Mit Schreiben vom 18. April 2017 Nr. IV-1016.4 beantwortet das Staatsministerium im Einvernehmen mit dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, dem Minis - terium für Soziales und Integration und dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Erfahrungen hat sie bezüglich der Umsetzung der im Staatsvertrag mit dem Verband deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg e. V. vom 28. November 2013 genannten Ziele und Aufgaben gemacht? Zu 1.: Mit dem am 28. November 2013 unterzeichneten Vertrag des Landes Baden- Württemberg mit dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden -Württemberg e. V. (VDSR-BW) wurden die Beziehungen des Landes Baden- Württemberg zur Minderheit deutscher Sinti und Roma in Baden-Württemberg auf eine verlässliche rechtliche und finanzielle Grundlage gestellt. Das Land fördert die Arbeit des VDSR-BW seit 2014 mit einem jährlichen Zuschuss in Höhe von 500.000 €. Damit fördert das Land den Betrieb der Geschäftsstelle sowie die Beratungsstellen „Soziales/Arbeit“ und „Beratungsstelle des Landesverbandes Sinti und Roma in Mannheim“. Ziel der Beratungsstelle des Landesverbandes Sinti und Roma in Mannheim ist es, die kulturelle Identität und die eigenständigen Minderheitensprachen der Sinti und Roma zu fördern sowie der Öffentlichkeit die Geschichte und Kultur beider ethnischer Gruppen zu vermitteln. Der Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg e. V. initiiert verschiedene Projekte zur schuli- 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1723 schen Integration von Kindern und Jugendlichen der baden-württembergischen Sinti und Roma. Daneben ist der Landesverband z. B. in der Fortbildung und Beratung von Lehrerinnen und Lehrern sowie Schülerinnen und Schülern, der Förderung von gesellschaftspolitischen Bildungsangeboten für Familien und Erwachsenen sowie von Umschulungs- und Weiterbildungsprogrammen sowie in der Schulung und Qualifizierung von Kultur- und Bildungslotsen zur interkulturellen Vermittlung aus der Minderheit tätig. Aus dem jährlichen Zuschuss wird mit 50.000 € auch die 2014 neu gegründete soziale Beratungsstelle für ausländische Roma des VDSR-BW finanziert. Die Beratungsstelle setzt sich für die sozialen und bürgerrechtlichen Belange von deutschen und nichtdeutschen Roma ein. Sie bietet Beratung in bürgerrechtlichen und aufenthaltsrechtlichen Fragen sowie bei Diskriminierung, Hilfe bei Behörden - angelegenheiten und Unterstützung bei Wohnungsangelegenheiten. Die Landesregierung stellt darüber hinaus dem VDSR-BW seit 2016 pro Jahr bis zu 8.000 € zur Verfügung für Erhalt und Pflege von Grabstätten derjenigen Sinti und Roma, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden, aber erst nach 1952 verstorben sind und damit nicht unter die Regelungen des Kriegsgräbergesetzes fallen . Die Landesregierung wird sich weiterhin auch für eine bundeseinheitliche Regelung zum Erhalt der Grabstätten einsetzen. Die Thematik Sinti und Roma wurde in den neuen Bildungsplänen 2016 ver - ankert. Diese wurden im Schuljahr 2016/2017 in den Grundschulen, den weiterführenden allgemein bildenden Schulen sowie denjenigen sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren, die die Bildungsgänge der allgemeinen Schulen führen und für die der Plan eine wichtige Orientierungsgrundlage ist, für die Klassen 1/2 und 5/6 eingeführt. In den folgenden Schuljahren werden sie jeweils eine weitere Klassenstufe umfassen. In allgemeiner Form findet sich das Thema in der spiralcurricular in die Fachpläne eingebundenen Leitperspektive Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt (BTV). Ziel der Leitperspektive ist die Befähigung zu Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt sowie zum diskriminierungsfreien Umgang mit Vielfalt in personaler, reli - giöser, geschlechtlicher, kultureller, ethnischer und sozialer Hinsicht. Das Thema findet konkrete Behandlung im gemeinsamen Plan der Sekundarstufe I sowie im Bildungsplan des Gymnasiums in Gemeinschaftskunde im Themenbereich „Grund - rechte“, dort mit folgendem Standard: „Die Schülerinnen und Schüler können die Ausgestaltung des Minderheitenschutzes am Beispiel der Sinti und Roma beschreiben “. Auch im Fach Geschichte im Themenbereich „Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg – Zerstörung der Demokratie und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ ist in den oben genannten Bildungsplänen die Thematik Sinti und Roma explizit verortet. Im Fachplan Portugiesisch des Gymnasiums wird auf die Situation der Sinti und Roma im Bereich „Soziokulturelles Orientierungs - wissen/Themen“ unter dem Schwerpunkt „Individuum/Gesellschaft“ eingegangen : „Facetten der Gesellschaft (z. B. soziale Diskriminierung, Vorurteile, kulturelle Minderheiten wie die indigene Bevölkerung Brasiliens oder die Sinti und Roma in Portugal, […])“. Im Staatsvertrag mit dem VDSR-BW ist auch die Einrichtung einer Forschungsstelle zum Antiziganismus vorgesehen, deren Realisierung derzeit geprüft wird. Mit der Landeszentrale für politische Bildung wurde die Zusammenarbeit seit Abschluss des Staatsvertrages fortgesetzt und weiter intensiviert. So hat die Landeszentrale bereits 2012 eine Dokumentation des Symposiums „Antiziganismus in Europa“ in Mannheim veröffentlicht. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Erinnerungskultur – Erinnerungskonflikte“ wurde die Auftaktveranstaltung 2013 unter das Thema „Zeitgeschichte und Zigeunerklischees: Die Sinti und Roma im ‚Dritten Reich‘“ gestellt. In verschiedenen Buchpublikationen zum Nationalsozialismus wurden Kapitel zum Völkermord an den Sinti und Roma aufgenommen, die Publikation „Sinti und Roma. Eine deutsche Minderheit zwischen Diskriminierung und Emanzipation“ von Oliver von Mengersen (2015) wurde in das Sortiment der Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg übernommen . Für November 2017 ist in Zusammenarbeit mit dem VDSR-BW die Fach - tagung „Erscheinungsformen von Antiziganismus“ geplant. Zu diesem Thema ist auch eine neue Ausgabe der Schriftenreihe „Bürger im Staat“ in Planung. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1723 4 Auch die Vertretung von deutschen Sinti und Roma im Medienbereich konnte gestärkt werden: Durch den Staatsvertrag über den Südwestrundfunk (SWR) zwischen dem Land Baden-Württemberg und dem Land Rheinland-Pfalz, der am 1. Januar 2014 in Kraft getreten ist, wurde in § 14 Abs. 3 Nr. 13 des Staatsver - trages auch die Beteiligung der Minderheit von Sinti und Roma im Rundfunkrat geregelt. Damit konnten seit Inkrafttreten des Staatsvertrages am 1. Januar 2014 wesentliche Ziele des Staatsvertrages umgesetzt werden. Der Rat für die Angelegenheiten der deutschen Sinti und Roma in Baden-Württemberg, in dem Vertreterinnen und Vertreter von Landesregierung, Landtag, der kommunalen Landesverbände sowie der Minderheit selbst vertreten sind, hat sich als wichtiges Beratungsgremium etabliert . Zur Umsetzung des Staatsvertrags wird auch auf die jährlichen Mitteilungen an den Landtag verwiesen (Drucksache 15/7365 und Drucksache 16/755). 2. Wann und in welcher Form sind die genannten Ziele und Aufgaben bislang überprüft worden bzw. werden in Zukunft überprüft? Zu 2.: Die Aktivitäten und Fortschritte zur Umsetzung des Vertrages werden regelmäßig im Rat für die Angelegenheiten der deutschen Sinti und Roma in Baden-Württemberg beraten. Gemäß des Gesetzes zu dem Vertrag des Landes Baden-Württemberg mit dem VDSR-BW unterrichtet die Landesregierung in einer jährlichen Mitteilung den Landtag von Baden-Württemberg über die Fortschritte bei der Umsetzung des Vertrags zwischen der Landesregierung und dem VDSR-BW. 3. Wann und in welcher Form wurde bzw. wird der Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg e. V. bei der Erarbeitung einer Anschlussregelung des Staatsvertrags und seiner Inhalte eingebunden? Zu 3.: Als Vertragspartner des bisherigen Staatsvertrages wird der VDSR-BW selbstverständlich auch bei der Erarbeitung einer Anschlussregelung formal und inhaltlich eingebunden. Der gemeinsame Rat für die Angelegenheiten der deutschen Sinti und Roma in Baden-Württemberg hat sich als Beratungsgremium bewährt und wird hierbei ein wichtiger Impulsgeber sein. Murawski Staatsminister und Chef der Staatskanzlei