Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 1732 07. 03. 2017 1Eingegangen: 07. 03. 2017 / Ausgegeben: 03. 05. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie genau definiert sie „klimaschonende und nachhaltige Baustoffe“ (siehe dazu Seite 102 des grün-schwarzen Koalitionsvertrages)? 2. Wie genau plant sie, deren Verwendung „verstärkt“ zu „fördern“? 3. Welche möglichen Regelungen, Vereinfachungen, Pflichten oder Erfüllungsoptionen hat sie diesbezüglich bisher für die Landesbauordnung angedacht oder geplant? 4. Inwiefern plant sie im Zusammenhang mit dem im grün-schwarzen Koalitionsvertrag angekündigten Ziel, die Rolle Baden-Württembergs als führendes Holz - bauland weiter auszubauen, auch verstärkte Angebote zu Verbraucherinformation und Verbraucherschutz? 5. Welche wesentlichen Fragen des Verbraucherschutzes sieht sie im Zusammenhang mit den verschiedenen Holzbauweisen (Blockbau, Skelettbau, Fachwerkbau , Holzrahmenbau und neuartige Holzbauweisen) gegenüber dem klassischen Massivbau (z. B. bei Brandschutz, Feuchteschutz, Wärmeisolation, Schad - stoffbelastung, Gebäudeversicherungskosten)? 6. Welche Beratungsanbieter sind ihr diesbezüglich bisher bekannt? Kleine Anfrage des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP und Antwort des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Verbraucherschutz bei Holzbauten Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1732 2 7. Welche einschlägigen Normen, Qualitätssiegel und Zertifizierungen sind ihr bekannt? 8. Wie werden diese im Einzelnen kontrolliert und überprüft? 07. 03. 2017 Dr. Bullinger FDP/DVP A n t w o r t Mit Schreiben vom 29. März 2017 Nr. Z(55)-0141.5/124F beantwortet das Minis - terium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz im Einvernehmen mit dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau, dem Ministerium für Umwelt , Klima und Energiewirtschaft und dem Ministerium für Finanzen die Kleine Anfrage wie folgt: Ich frage die Landesregierung: 1. Wie genau definiert sie „klimaschonende und nachhaltige Baustoffe“ (siehe dazu Seite 102 des grün-schwarzen Koalitionsvertrages)? Zu 1.: Die Landesregierung setzt sich beim nachhaltigen Bauen für eine ganzheitliche Betrachtungsweise ein. Die Nachhaltigkeit eines Gebäudes hängt nicht allein von der Ökobilanz der für den Rohbau verwendeten Baustoffe ab, sondern ebenso von der Ökobilanz der für den Ausbau verwendeten Baustoffe (Dämmung, Bodenbeläge usw.) und weiteren ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Aspekten: Energieeffizienz, Dauerhaftigkeit, Kosten über den gesamten Lebenszyklus , Ausführungsqualität, Behaglichkeit, Nutzungsfreundlichkeit usw. Zum Teilaspekt Baustoffe ist festzustellen, dass rund 50 % der in Deutschland genutzten Rohstoffe in den Bau und Betrieb von Gebäuden fließen. Sie zeichnen für etwa 60 % aller Abfallstoffe verantwortlich. Die Klimaauswirkungen der Bau - stoffe sollen – neben der technischen Eignung – daher ebenso betrachtet werden. Zukunftsfähige Gebäude werden aus Baustoffen errichtet, die wenig Energie für Gebäudeerstellung, Erneuerungsmaßnahmen, Nutzungsphase, Umnutzung und Rückbau benötigen. Somit werden durch die Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen CO2-Emissionen nicht nur während der Nutzungsphase, sondern über die gesamte Produktlebenszeit reduziert. Holz in der tragenden Konstruktion erzielt dabei einen beachtlichen Klimaschutzeffekt. Zusätzlich können durch nachwachsende Rohstoffe solche Baustoffe ersetzt werden, die überwiegend unter hohem Primärenergie- oder Ressourceneinsatz hergestellt werden. Moderne, meist holzbasierte Baustoffe bieten hier ein großes Substitutionspotenzial . Generell benötigen klimaschonende und nachhaltige Materialien wenig Primärenergie und schonen Ressourcen während ihrer Produktionsphasen, binden langfristig CO2, haben bei fachgerechtem Einsatz einen langen Lebenszyklus und sind am Ende des Produktzyklus unproblematisch, wenig energieaufwändig re - cycelbar oder Teil einer Kaskadennutzung. Holz und holzbasierte Baustoffe sowie Baustoffe aus nachwachsenden Rohstoffen erfüllen bei Nutzung baulicher statt chemischer Maßnahmen zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit diese Voraussetzungen weitgehend und stellen einen wichtigen Beitrag dar, die Klimaschutzziele des Landes zu erreichen. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1732 2. Wie genau plant sie, deren Verwendung „verstärkt“ zu „fördern“? Zu 2.: Die Landesregierung hat eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die Verwendung von klimaschonenden und nachhaltigen Baustoffen zu unterstützen. Im Wesentlichen sind dies Maßnahmen im Rahmen der Förderprogramme „Europäischer Fond für regionale Entwicklung (EFRE)“ – Holz Innovativ Programm (VwV HIP) und dem „Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum (ELR)“. Darüber hinaus unterstützt das Land die Netzwerkbildung, Fachinformation und Beratung durch die proHolzBW und unterstützt die Vorbereitung der Richtlinie Holzbau in Baden-Württemberg (HolzbauRLBW), die an der Hochschule Rottenburg erarbeitet wird. In einem weiteren Schritt wird die Landesregierung Hemmnisse für nachwachsende Baustoffe in der Baugesetzgebung weiter reduzieren, ohne die Schutzziele zu vernachlässigen. Ebenso führt das Land eine Machbarkeitsstudie zu einem „Technikum Laubholz“ durch. Dabei wird geprüft, welche Potenziale und Marktchancen im Aufschluss von Rohfasern, vor allem beim derzeit überwiegend thermisch genutzten Laubholz in Baden-Württemberg bestehen. Durch die Beratung und Information zu Holz und Holzbau, wie dies beispiels - weise durch die Informationsplattform proHolzBW geschieht, wird die wertschöpfende Verwendung von Holz vorangetrieben. Damit wird die Spitzenposition des Landes als Holzbauland Nummer 1 weiter entwickelt. 3. Welche möglichen Regelungen, Vereinfachungen, Pflichten oder Erfüllungs - optionen hat sie diesbezüglich bisher für die Landesbauordnung angedacht oder geplant? Zu 3.: Das Bauordnungsrecht ermöglicht Holzbau in den Gebäudeklassen 1 bis 3 (GKL 1 bis 3 bis 7 m Rohfußbodenhöhe) mit sehr einfach zu erfüllenden Anforderungen . Nach der in der Liste der Technischen Baubestimmungen für Baden-Württemberg verbindlich bekanntgemachten „Richtlinie über brandschutztechnische Anforderungen an hochfeuerhemmende Bauteile in Holzbauweise“ (HFHHolzR) ist darüber hinaus Bauen mit tragenden Holzbauteilen bis Gebäudeklasse 4 (bis 13 m Rohfußbodenhöhe) möglich. Mit der Landesbauordnung (LBO)-Novelle 2015 wurde die Ausnahmeregelung des § 26 Absatz 3 LBO neu eingeführt. Sie ermöglicht das Bauen mit Holz auch ohne Bekleidung bis in die höchste Gebäudeklasse 5, gegebenenfalls bis in den Hochhausbau hinein. Baden-Württemberg ist bislang das einzige Bundesland mit einer derartigen Ausnahmeregelung und schafft damit bundesweit vorbildliche und weitreichende Möglichkeiten für den Holzbau. Durch die vom Land unterstützte Erarbeitung der Holzbau Richtlinie Baden- Württemberg (HolzbauRLBW) wird zudem erreicht, dass die Umsetzung moderner Holzbaulösungen, vor allem in den Gebäudeklassen 4 und 5, vereinfacht und wirtschaftlicher wird. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1732 4 4. Inwiefern plant sie im Zusammenhang mit dem im grün-schwarzen Koalitionsvertrag angekündigten Ziel, die Rolle Baden-Württembergs als führendes Holzbauland weiter auszubauen, auch verstärkte Angebote zu Verbraucherinformation und Verbraucherschutz? Zu 4.: Die Rolle Baden-Württembergs als führendes Holzbauland weiter zu entwickeln, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Hierzu bedarf es gemeinschaftlicher Anstrengungen . Die Landesregierung wird hierzu neben der gezielten Förderpolitik für Demonstrationsvorhaben des innovativen Holzbaus und der Beseitigung von Hemmnissen in der Baugesetzgebung auch die Verbraucherinformation und Fachberatung stärken. Hierzu ist die gegründete proHolzBW eine geeignete Plattform . Mit zahlreichen Netzwerk- und Informationsveranstaltungen werden die vielseitigen Möglichkeiten des Holzbaus aufgezeigt und relevante Akteure im Netzwerk in Austausch gebracht. Aktuelle Veranstaltungen waren das Forum Baukultur, die Cluster innovativ-Veranstaltungen „Urbane Nachverdichtung durch Aufstockungen“ und „Potenziale im sozialen Wohnungsbau“. Zudem bestehen Fachberatungsangebote seitens der proHolzBW für Endverbraucher sowie eine umfassende Datenbank zu vorbildlichen Holzbauten im Bereich aller wesentlichen Bauaufgaben. Mit dem alle drei Jahre ausgelobten Holzbaupreis Baden-Württemberg werden die innovativsten Holzbauten im Land prämiert und im Internet sowie in Informationsbroschüren den Verbrauchern zugänglich gemacht. 5. Welche wesentlichen Fragen des Verbraucherschutzes sieht sie im Zusammenhang mit den verschiedenen Holzbauweisen (Blockbau, Skelettbau, Fachwerkbau , Holzrahmenbau und neuartige Holzbauweisen) gegenüber dem klassischen Massivbau (z. B. bei Brandschutz, Feuchteschutz, Wärmeisolation, Schad - stoffbelastung, Gebäudeversicherungskosten)? Zu 5.: Die Landesbauordnung enthält keine Differenzierungen nach verschiedenen Baustoffen . In Baden-Württemberg liegt die Holzbauquote im Wohnbau bereits bei 27,8 %, es handelt sich somit um eine etablierte Bauweise. Bei der Planung, Bemessung und Errichtung von Bauwerken findet das technische Regelwerk Anwendung, das unter anderem die Besonderheiten der jeweiligen Bauweise umfänglich berücksichtigt. Die zur Gewährleistung der Bauwerkssicherheit für die Planung, Bemessung und Errichtung von Bauwerken unerlässlichen technischen Regeln (Normen usw.) werden auf Grundlage der Landesbauordnung von der obersten Baurechtsbehörde als sogenannte technische Baubestimmungen bekannt gemacht. Die technischen Baubestimmungen konkretisieren dementsprechend baurechtliche Mindestanforderungen. Zudem werden zur Gewährleistung der Bauwerkssicherheit sogenannte technische Spezifikationen für Bauprodukte von der Europäischen Kommission (im Falle von europäisch harmonisierten Spezifikationen) und dem Deutschen Institut für Bautechnik (im Falle von noch nicht europäisch harmonisierten Spezifikationen) bekannt gemacht. Die technischen Spezifikationen umfassen zum einen technische Regeln (z. B. Normen ) für etablierte Produkte und zum anderen Zulassungen für neuartige Pro - dukte. Die technischen Baubestimmungen behandeln in Verbindung mit den technischen Spezifikationen die Aspekte Standsicherheit (einschließlich Dauerhaftigkeit), Brandschutz, Gesundheits- und Umweltschutz, Nutzungssicherheit, Schallschutz und Mindestwärmeschutz. Der Mindestwärmeschutz bezieht sich im Wesent - lichen auf den Feuchteschutz und stellt sicher, dass die Standsicherheit von Bauteilen nicht durch eine andauernde Kondensation beeinträchtigt wird. Der eigentliche Wärmeschutz und die Energieeinsparung werden über die Anwendung der Energieeinsparverordnung sichergestellt. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1732 Die technischen Baubestimmungen und technischen Spezifikationen berücksichtigen die Besonderheiten der jeweiligen Bauweisen und Baustoffe und sollen bei regelkonformer Anwendung zu einem einheitlichen Sicherheitsniveau führen. Dies gilt für alle von den Bestimmungen und Spezifikationen erfassten Bauweisen , so auch für traditionelle und moderne Holzbauweisen. 6. Welche Beratungsanbieter sind ihr diesbezüglich bisher bekannt? Zu 6.: Die Beratungsangebote für die Verbraucher und Verbraucherinnen sind außerordentlich vielfältig. Für Baden-Württemberg stehen insbesondere die proHolzBW mit Beratungs-Hotline, der Holzbauverband BW, die Architekten und ihre Kammern , die Ingenieure und ihre Kammern sowie die Hersteller von Bauprodukten, Innungen, Unternehmen und Handwerk beratend zur Verfügung. Ergänzt wird dieses Angebot durch bundesweite Organisationen und Institutionen wie das Bildungszentrum Biberach, der Deutsche Holzfertigbau-Verband e. V., der Bundesverband Deutscher Fertigbau e. V., die Gütegemeinschaft deutscher Fertigbau e. V., die Bundes-Gütegemeinschaft Montagebau und Fertighäuser e. V. sowie die Gütegemeinschaft Holzbau-Ausbau-Dachbau e. V. Zur fundierten Fachinforma - tion besteht außerdem die renommierte Reihe „Informationsdienst HOLZ“. Baden-Württemberg flankiert dieses Gesamtangebot durch eine jährliche Leitveranstaltung , die Fachtagung Holzbau für Architekten und Ingenieure. Mit dem Landesbeirat Holz BW e. V. besteht zudem ein Organ zur unabhängigen Politikberatung. 7. Welche einschlägigen Normen, Qualitätssiegel und Zertifizierungen sind ihr bekannt? 8. Wie werden diese im Einzelnen kontrolliert und überprüft? Zu 7. und 8.: Für den Holzbau sind als Planungs-, Bemessungs- und Ausführungsnormen neben fachübergreifenden Bestimmungen die Normen DIN EN 1995 (Bemessung und Konstruktion von Holzbauten) und DIN 68800 (Holzschutz) anzuwenden. Die Holzschutznorm gibt dem baulichen Holzschutz den Vorrang gegenüber einem chemischen Holzschutz und verbietet chemische Holzschutzmaßnahmen in Aufenthaltsräumen. Für die Produkte des Holzbaus gibt es zahlreiche technische Spezifikationen: Harmonisierte Normen und nationale Normen für den geregelten Bereich, europäische technische Bewertungen (Zulassungen) und allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen für den noch nicht durch Normen erfassten Bereich. Für innovative Produkte, die noch nicht in Serie produziert werden, bietet die Landesbauordnung das Instrument der Zustimmung im Einzelfall durch die Landesstelle für Bautechnik (Regierungspräsidium Tübingen) an. Als einschlägige Produktnormen werden beispielhaft DIN EN 14080 (Brettschichtholz und Balkenschichtholz), DIN EN 14081-1 (Schnittholz) und DIN 1052-10 (nicht europäisch geregelte Holzprodukte) genannt. Für die Planung, Bemessung, Produktherstellung und Bauausführung sind die Planer, Hersteller und Ausführenden grundsätzlich selbst verantwortlich. Hersteller und Ausführende müssen eine werkseigene Produktionskontrolle einrichten. Je nach Schwierigkeitsgrad und Gefahrenpotenzial bei Fehlern sind eine Prüfung der Planung und Bemessung und eine Überwachung der Produktherstellung und Bauausführung in der Landesbauordnung bzw. Bauproduktenverordnung vorgeschrieben . Die Prüfung der Planung und Bemessung und die Überwachung der Bauausführung erfolgen in solchen Fällen durch die zuständige Baurechtsbehörde und gegebenenfalls durch eine bautechnisch prüfende Stelle. Das Prüfergebnis wird in Bescheiden bzw. Berichten dokumentiert. Die gegebenenfalls vorgeschriebene Überwachung der Produktherstellung erfolgt im Falle harmonisierter Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1732 6 europäischer Produktspezifikationen durch eine notifizierte Stelle nach Bauproduktenverordnung bzw. im Falle nationaler Normen oder Zulassungen durch eine Prüf- und Überwachungsstelle nach Landesbauordnung. Die Übereinstimmung der Produkte mit den erklärten Produktleistungen bzw. den technischen Spezifikationen bestätigt der Hersteller mit dem CE-Zeichen bzw. dem Ü-Zeichen. Die technischen Baubestimmungen und technischen Spezifikationen stellen gemeinsam mit den Überwachungsmaßnahmen sicher, dass die baurechtlichen Mindestanforderungen erfüllt werden. Hauk Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz