Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 177 22. 06. 2016 1Eingegangen: 22. 06. 2016 / Ausgegeben: 20. 07. 2016 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Erkenntnisse hat sie über Weideschlachtungen mit Blick auf Tierwohl, Lebensmittelhygiene und Fleischqualität und wie bewertet sie diese? 2. Inwiefern sind ihr im In- oder europäischen Ausland Zertifizierungen oder Siegel für Fleisch aus Weideschlachtungen bekannt? 3. Welche Erkenntnisse hat sie über Angebot und Nachfrage von Fleisch aus Weideschlachtungen in Baden-Württemberg? 4. Welche rechtlichen Hürden können Weideschlachtungen entgegenstehen, insbesondere hinsichtlich der europäischen Schlachthygieneverordnung? 5. Inwiefern sieht sie hier Verbesserungsbedarf? 21. 06. 2016 Dr. Bullinger FDP/DVP Kleine Anfrage des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP und Antwort des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Möglichkeiten der Weideschlachtung Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 177 2 A n t w o r t Mit Schreiben vom 12. Juli 2016 Nr. Z(35)-0141.5/9 F beantwortet das Ministe - rium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz die Kleine Anfrage wie folgt: Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Erkenntnisse hat sie über Weideschlachtungen mit Blick auf Tierwohl, Lebensmittelhygiene und Fleischqualität und wie bewertet sie diese? Zu 1.: Obwohl von vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern und von einigen Rinderhaltern der Verzicht auf den Transport zum Schlachthof und die Tötung im Herkunftsbetrieb als Vorteil für den Tierschutz bewertet werden, ist die sogenannte Weideschlachtung auch aus Gründen des Tierschutzes nicht unproblematisch. Auch bei ganzjähriger Weidehaltung muss eine erhebliche Verwilderung von Haustieren durch entsprechendes Management verhindert werden. Die Betreuung und Heilbehandlung der Tiere muss auch bei Freilandhaltung gewährleistet sein und somit ist i. d. R. das Vorhandensein von geeigneten Fang- und Fixiereinrichtungen erforderlich. Dabei sollten die Tiere sowohl an Fangeinrichtungen als auch an den Menschen gewöhnt werden. Neben der Bolzenschussmethode (Schlachttier fixiert) kommt bzw. soll bei der „Weideschlachtung“ in vielen Fällen der Kugelschuss auf unterschiedlich große Distanzen zur Anwendung kommen. Kleinere Studien weisen darauf hin, dass die Pegel an Stresshormonen sowie Milchsäure im Blut der Schlachttiere bei der Schlachtung auf der Weide niedriger seien als die von Schlachttieren, die zu größeren Schlachtbetrieben transportiert wurden. Es fehlen nach Kenntnis des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz jedoch Studien, die die Weideschlachtung mit der Einzelschlachtung in handwerklichen Metzgereien nahe der Tierhaltung oder in Schlachträumen von Tierhaltern vergleichen. Neben den mutmaßlichen Vorteilen für den Tierschutz muss berücksichtigt werden , dass durch diese Vorgehensweise auch Risiken im Hinblick auf die Lebensmittelhygiene (ggf. verzögerter Entblutungsvorgang nach Kugelschuss, Zeitverzug bis zum Ausweiden des Schlachttieres nach Transport zum Schlachtbetrieb) bestehen. Auch hier fehlen bisher umfassende und belastbare Studien, deren Erstellung allerdings mit erheblichem Aufwand verbunden wäre. Bei Einhaltung der rechtlichen Vorgaben zur Betäubung von Schlachttieren (europäische und nationale Tierschutzschlacht-VO) und der Frist von 1 Stunde für den Transport bei der Schlachtung von Rindern im Herkunftsbetrieb nach der nationalen Ausnahme - regelung für Schlachtung von ganzjährig im Freien gehaltenen Rindern im Herkunftsbetrieb (Tier-LMHV, siehe Nr. 4) sind jedoch erhebliche Unterschiede im Hinblick auf den Hygienestatus des gewonnenen Fleisches im Vergleich zur Schlachtung im Schlachtbetrieb nach Auffassung des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz nicht zu erwarten. 2. Inwiefern sind ihr im In- oder europäischen Ausland Zertifizierungen oder Siegel für Fleisch aus Weideschlachtungen bekannt? 3. Welche Erkenntnisse hat sie über Angebot und Nachfrage von Fleisch aus Weideschlachtungen in Baden-Württemberg? Zu 2. und 3.: Hierzu liegen dem Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz keine konkreten Erkenntnisse vor. Dem Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz ist jedoch bekannt , dass das Interesse von einigen Verbraucherinnen und Verbrauchern an Fleisch aus besonders tierschonender Schlachtung groß ist und diese auch bereit sind, einen Mehrpreis für derartiges Fleisch zu zahlen. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 177 Daher sind eine Reihe von Rinderhaltern, die Fleisch ihrer Tiere überwiegend lokal vermarkten bzw. vermarkten wollen (Hofläden, handwerkliche Metzgereien etc.), an dieser Form der Schlachtung interessiert. Insgesamt dürfte der poten - zielle Marktanteil jedoch nur sehr klein sein. 4. Welche rechtlichen Hürden können Weideschlachtungen entgegenstehen, insbesondere hinsichtlich der europäischen Schlachthygieneverordnung? Zu 4.: In dem unmittelbar anzuwendenden und hier einschlägigen EU-Lebensmittel - hygienerecht (Verordnung [EG] Nr. 853/2004) ist die Schlachtung von Rindern im Herkunftsbetrieb nicht vorgesehen. Lediglich für Gehegewild und Bisons ist eine derartige Vorgehensweise nach EU-Recht möglich. Die Bestrebungen, eine EU-weite Ausnahmeregelung für Rinder einzuführen, wurden 2010 aufgrund der Bedenken der Tiergesundheitsseite (keine ordnungsgemäße Schlachttieruntersuchung [Lebendbeschau], keine Prüfung der Tierkennzeichnung vor der Tötung, Ausbreitung von Krankheiten durch austretendes Hirngewebe oder Blut) eingestellt . Das EU-Recht sieht allerdings die Möglichkeit vor, nationale Ausnahmeregelungen mit Zustimmung der EU-Kommission zu erlassen. Auf dieser Grundlage wurde 2011 in Deutschland die Ausnahme für die Schlachtung von einzelnen Rindern aus ganzjähriger Freilandhaltung im Herkunftsbetrieb eingeführt (§ 12 Abs. 2 Tier-LMHV). In Baden-Württemberg werden ca. 200 Rinder pro Jahr auf der Grund - lage dieser Ausnahmeregelung geschlachtet und das Fleisch lokal vermarktet. Tierhalter, die ihre Rinderherde nur zu einem Teil des Jahres im Freien oder mit ganzjährigem Zugang zum Stall halten, können diese Regelung nicht in Anspruch nehmen. Eine Reihe weiterer Mitgliedsstaaten der EU strebt nationale Ausnahmeregelungen ähnlich der deutschen Regelung an. Die EU-Kommission lehnt diese aufgrund der Bedenken der Tiergesundheit bisher stets ab. Die Regelung in Deutschland konnte nur getroffen werden, da die EU-Kommission die Antwort auf den Antrag Deutschlands lediglich mit dem Hinweis auf eigene Bestrebungen, eine EU-Regelung zu schaffen, im Jahr 2009 abgelehnt hatte. Seit 2008 sind in Deutschland zur Schlachtung von Rindern im Herkunftsbetrieb zudem „mobile Schlachteinheiten“ in unterschiedlicher Form im Einsatz. Dabei wird das Tier nach der Betäubung mittels Kugel- oder Bolzenschuss zur Entblutung in einen Anhänger oder eine Box verladen, dort die Schnitte zur Entblutung angebracht, das Blut aufgefangen und das Schlachttier in der „Schlachteinheit“ zu einem nahegelegenen Schlachtbetrieb zum weiteren Schlachtprozess verbracht. Diese Schlachteinheit wird dann als mobiler Teil des gesamten, nach EU-Recht zugelassenen Schlachtbetriebes betrachtet. Diese Auslegung wird – zumindest in Verbindung mit der Bolzenschussmethode – von einer Reihe von Bundesländern vertreten. Eine besondere zusätzliche Genehmigung oder Ausnahmeregelung über die Prüfung im Rahmen der Zulassung des Schlachtbetriebes hinaus ist bei dieser Auslegung nicht erforderlich. Die EU-Kommission hat auf verschiedene Anfragen aus EU-Mitgliedstaaten zur Anwendung derartiger mobiler Schlachteinheiten bisher stets die Auffassung vertreten , dass mobile Schlachtanlagen alle Anforderungen an Schlachtbetriebe nach EU-Recht wie ein kleiner Schlachtbetrieb auf Rädern erfüllen müssten. Dies ist für Geflügel oder Schafe und Ziegen auch mit überschaubarem Aufwand möglich. Bisher entwickelte, dem Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz bekannte und komplett mobile Schlachtanlagen für Rinder sind jedoch sehr aufwändig und damit unwirtschaftlich oder weisen erhebliche Hygienemängel auf. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 177 4 5. Inwiefern sieht sie hier Verbesserungsbedarf? Zu 5.: Das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz sieht die Diskrepanz zwischen dem Bedarf aus dem Kreis einiger Tierhalter und einer Reihe von Verbraucherinnen und Verbrauchern auf der einen Seite und den vor allem lebensmittelrechtlichen Bedenken und Regelungen auf der anderen Seite. Daher hat das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz auf der Amtschefkonferenz (ACK) in Berlin im Januar 2016 den Beschluss zur Einrichtung einer Arbeitsgruppe zur Klärung der rechtlichen Implikationen bei der Schlachtung von Rindern im Herkunftsbetrieb herbeigeführt. Baden-Württemberg hat den Vorsitz in dieser Arbeitsgruppe. Ein erstes Treffen soll nach der Sommerpause stattfinden. Im Koalitionsvertrag hat sich die Landesregierung zur Entwicklung von attrak - tiven Modellen zur mobilen Schlachtung verpflichtet. Eine wichtige Grundlage hierfür ist die Klärung der rechtlichen Rahmenbedingungen im Rahmen der von der ACK initiierten Arbeitsgruppe. Unter Federführung des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz hat sich bereits eine Gruppe von Rinderhaltern und anderer interessierter Kreise gebildet, die sich mit technischen Fragestellungen bei der mobilen Schlachtung von Rindern befasst. Hauk Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz