Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 1838 24. 03. 2017 1Eingegangen: 24. 03. 2017 / Ausgegeben: 22. 05. 2017 K l e i n e A n f r a g e Wir fragen die Landesregierung: 1. Welche Kenntnis hat sie darüber, dass mutmaßlich Bedienstete der JVA Ravensburg an inhaftierte Rechtsextremisten einschlägige Musik-CDs weitergegeben haben? 2. Gibt oder gab es Fälle in (anderen) Justizvollzugsanstalten des Landes Baden- Württemberg, wo Justizvollzugsbedienstete eine Nähe zur rechtsextremen Szene aufwiesen bzw. diese unterstützten und wenn ja, wann und in welchen Justizvollzugsanstalten? 3. Welche Maßnahmen hat sie gegebenenfalls ergriffen bzw. ergreift sie bei Bedarf ? 4. Welche Vorbeugungsmaßnahmen ergreift sie? 5. Inwiefern werden Justizvollzugsbediensteten während der Aus- und Weiterbildung Kenntnisse zum Thema (Rechts-)Extremismus vermittelt? 6. Wie wird vor und bei der Einstellung von Justizvollzugsbediensteten die Eignung für die Tätigkeit festgestellt? 7. Welche Kenntnisse haben Justizvollzugsbedienstete über die Inhaftierten bei Haftantritt? Kleine Anfrage der Abg. Jürgen Filius und Alexander Maier GRÜNE und Antwort des Ministeriums der Justiz und für Europa Mutmaßliche Weitergabe rechtsextremistischer Musik-CDs durch Bedienstete der Justizvollzugsanstalt (JVA) Ravensburg Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1838 2 8. Welche Angebote und Hilfestellungen zum Ausstieg aus der (rechts-)extremen Szene für Inhaftierte gibt es? 24. 03. 2017 Filius, Maier GRÜNE B e g r ü n d u n g In seiner Zeugenvernehmung durch den Untersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus /NSU BW II“ vom 20. März 2017 gab P. W. an, Inhaftierte der Justizvollzugsanstalt Ravensburg hätten rechtsextreme Musik-CDs von Bediensteten bekommen , dies sei „gang und gäbe“ gewesen. Medienberichten zufolge habe es laut P. W. in der JVA Schwäbisch Hall keine CD-Lieferungen, aber Sympathisanten unter den Bediensteten gegeben. Ein Beamter sei einmal „das ‚Horst-Wessel- Lied‘ pfeifend über den Hof gegangen“. In beiden Justizvollzugsanstalten war P. W. wegen seiner mit den rechtsextre - mistischen „Autonomen Nationalisten Backnang“ begangenen Straftaten inhaftiert . A n t w o r t Mit Schreiben vom 18. April 2017 Nr. 4434.C/0021 beantwortet das Ministerium der Justiz und für Europa die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Kenntnis hat sie darüber, dass mutmaßlich Bedienstete der JVA Ravensburg an inhaftierte Rechtsextremisten einschlägige Musik-CDs weitergegeben haben? Das Ministerium der Justiz und für Europa geht davon aus, dass Hintergrund der Frage die Einlassung des Zeugen P. W. im Untersuchungsausschuss Rechtsextremismus /NSU II BW in der Beweisaufnahme am 20. März 2017 ist, wonach in seiner Haftzeit in den Justizvollzugsanstalten Ravensburg und Schwäbisch Hall Justizvollzugsbeamte rechtsextremen Häftlingen Rechtsrock-CDs zugeführt hätten bzw. anderweitige Unterstützung bei der Verfestigung rechtsextremistischer Ideologien geleistet hätten. Die Einlassung des Zeugen hat das Ministerium zum Anlass genommen, den Sachverhalt zu prüfen. Zurückgegriffen wird dabei – neben dem offiziellen Ausschussprotokoll – auch auf die bereits im Jahr 2013 durch den damaligen Justizminister veranlassten Überprüfungen, welche im Zusammenhang mit Verlautbarungen des Hessischen Ministeriums der Justiz über den Versuch eines Gefangenen , aus einer hessischen Justizvollzugsanstalt heraus rechtsextreme Verbindungen aufzubauen, erfolgten (s. hierzu auch den Antrag der Abg. Filius u. a. Grüne, Drucksache 15/3462). Parallel wurden staatsanwaltschaftliche Ermittlungen aufgenommen . Hinsichtlich des im Jahr 2013 geprüften Sachverhalts lässt sich zusammenfassend festhalten: In der Justizvollzugsanstalt Ravensburg war seinerzeit bekanntermaßen eine größere Anzahl Gefangener mit rechtsextremer Gesinnung untergebracht . Zur damaligen Zeit hatte auch ein dort untergebrachter Gefangener behauptet , dass zwei Bedienstete gegen Bezahlung Mobiltelefone, Betäubungsmittel , CDs und DVDs in die Anstalt einbrächten, weitere Angaben jedoch von der Gewährung vollzuglicher Vergünstigungen abhängig gemacht. Auch in seiner – 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1838 nach durch die Anstalt erstatteter Strafanzeige – erfolgten Vernehmung durch die Kriminalpolizei hat der Gefangene keine näheren Angaben gemacht. Weitere Anhaltspunkte , die auf eine Unterstützung rechtsextremistischer Ideologien durch Vollzugsbedienstete der genannten Anstalten hindeuten könnten, lagen nicht vor. Auch ein im Rahmen der medialen Diskussion des Jahres 2013 durch einen Gefangenen einer anderen baden-württembergischen Anstalt auf einer linksgerichteten Internetplattform geäußerte Verdacht, dass Vollzugsbedienstete in rechts - extremen Motorradvereinigungen organisiert sein könnten, hatte sich nach Überprüfung durch Polizei und Verfassungsschutz nicht bestätigt. 2. Gibt oder gab es Fälle in (anderen) Justizvollzugsanstalten des Landes Baden- Württemberg, wo Justizvollzugsbedienstete eine Nähe zur rechtsextremen Szene aufwiesen bzw. diese unterstützten und wenn ja, wann und in welchen Justizvollzugsanstalten? In den Jahren 1993 und 1994 gab es hinsichtlich eines Bediensteten Anhaltspunkte für eine fortbestehende Verbindung zur Partei „Die Republikaner“, deren Mitglied und Funktionär er bis kurz vor seiner Ernennung zum Beamten gewesen war. Der Bedienstete ist weiterhin im Justizvollzug tätig, ohne dass es seitdem zu weiteren Auffälligkeiten gekommen wäre. Darüber hinaus ist gegenwärtig in einer Justizvollzugsanstalt ein Disziplinarverfahren gegen einen Bediensteten anhängig, dem vorgeworfen wird, auf seinem privaten Facebook-Profil unter anderem den Satz „HoGeSa (Anm.: Abkürzung für „Hooligans gegen Salafisten“) für Deutschland“ veröffentlicht zu haben. 3. Welche Maßnahmen hat sie gegebenenfalls ergriffen bzw. ergreift sie bei Bedarf ? Die Pflicht zur Verfassungstreue ist als wesentlicher Teil der Treuepflicht Grundpflicht jedes Beamten und jeder Beamtin (Art. 33 Abs. 4 GG). Sie verlangt, dass sich die Beamten durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes, insbesondere zu den tragenden Grundsätzen des Demokratie- und Rechtsstaatsgebots, bekennen und für deren Erhaltung eintreten. Die Verfassungstreuepflicht gilt gleichermaßen für das dienstliche wie das außerdienstliche Verhalten. Verstoßen Beamte hiergegen, kommt bei Beamten auf Widerruf sowie bei Beamten auf Probe insbesondere die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis nach den §§ 43, 44 LBG in Betracht. Im Übrigen sind Verstöße gegen die Verfassungstreuepflicht im Rahmen von Dis - ziplinarverfahren aufzuklären und können auch mit der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geahndet werden. Bei auf vertraglicher Grundlage im Justizvollzug tätigen Bediensteten kommen in einem solchen Fall arbeitsrechtliche Maßnahmen in Betracht. Die Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung im Einzelfall bleibt hiervon unberührt. 4. Welche Vorbeugungsmaßnahmen ergreift sie? Es wird auf die Antworten zu den Fragen 5 und 6 verwiesen. 5. Inwiefern werden Justizvollzugsbediensteten während der Aus- und Weiterbildung Kenntnisse zum Thema (Rechts-)Extremismus vermittelt? Die Vermittlung von Kenntnissen zum Thema Extremismus ist ein wichtiger Bestandteil der Aus- und Fortbildung im baden-württembergischen Justizvollzug. Während der Ausbildung werden die Anwärterinnen und Anwärter in den mittleren Diensten im Justizvollzug durch Dozenten des Landeskriminalamtes und des Landesamtes für Verfassungsschutz in mehrstündigen Veranstaltungen im Bereich Rechtsextremismus gezielt geschult. Unterrichtsinhalte sind dabei neben dem Erkennen und Differenzieren von rechtsextremen Strömungen insbesondere auch – mit Blick auf Gefangene – die Vermittlung von Hilfen zum Ausstieg aus der Szene. Auch im Bereich Islamischer Radikalismus sind im Ausbildungsplan Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1838 4 mehrstündige Unterrichtseinheiten für die Anwärterinnen und Anwärter vorgesehen , die von einem erfahrenen Dozenten des Landesamts für Verfassungsschutz gehalten werden. Im Jahr 2016 fand zudem zur Vertiefung erstmals ein eintägiger Projekttag zu diesem Thema statt. In der Fortbildung befasst sich das Bildungszentrum Justizvollzug seit 2012 im Rahmen der landesweiten Fortbildung kontinuierlich sowohl mit dem Rechts - extremismus als auch mit dem Islamischen Radikalismus. Der Schwerpunkt der in der Regel ein- oder zweitägigen Fortbildungsangebote liegt dabei auf dem Erkennen solcher Strömungen, deren Symbolik und Erscheinungsformen, aber auch auf den Gründen und Motiven für die Übernahme entsprechender Einstellungen und einem Eintritt in die Szene, wie auch – mit Blick auf Gefangene – den Möglichkeiten des Ausstiegs. Die Referenten kommen überwiegend vom Landes - kriminalamt oder vom Landesamt für Verfassungsschutz. Auch über das Netzwerk „Team meX. Mit Zivilcourage gegen Extremismus“ der Landeszentrale für Politische Bildung konnten in der Vergangenheit – etwa Aussteiger aus der rechtsextremen Szene – als Referenten gewonnen werden. 6. Wie wird vor und bei der Einstellung von Justizvollzugsbediensteten die Eignung für die Tätigkeit festgestellt? Für die Berufung in ein Beamtenverhältnis müssen Bewerberinnen und Bewerber die sich aus § 7 BeamtStG ergebenden persönlichen Voraussetzungen erfüllen, die auch die Pflicht zur Verfassungstreue umfassen sowie fachlich, gesundheitlich und persönlich für die angestrebte Laufbahn geeignet sein. Im Bereich der mittleren Dienste im Justizvollzug (Vollzugsdienst, Werkdienst und Verwaltungsdienst) sieht das Einstellungsverfahren bei den einzelnen Justizvollzugsanstalten (Ernennungsbehörden) vor der Entscheidung über die Zulassung zum Vorbereitungsdienst eine obligatorische Einstellungsprüfung vor, in der die fachliche und persönliche Eignung von Bewerbern festgestellt werden soll. Diese Prüfung richtet sich nach dem Anforderungsprofil der jeweiligen Laufbahn und beinhaltet neben einer schriftlichen Prüfung zumindest eine psychologische Eignungsprüfung sowie ein Vorstellungsgespräch. Die Justizvollzugsanstalten können weitere Prüfungselemente durchführen. In den Laufbahnen des gehobenen und höheren Dienstes des Justizvollzugs sowie bei der Einstellung von hauptamtlichen Tarifbeschäftigten wird die Eignung von Bewerberinnen und Bewerbern vor allem durch Vorstellungsgespräche festgestellt . Dabei ist in den Justizvollzugsanstalten regelmäßig derjenige Fachdienst einbezogen, dem die Bewerberin oder der Bewerber bei Einstellung angehören würde. Im Rahmen aller Einstellungsverfahren werden unbeschränkte Auskünfte aus dem Bundeszentralregister sowie dem Erziehungsregister über die jeweiligen Bewerber eingeholt. Sie haben darüber hinaus schriftliche Erklärungen zu ihrer Verfassungstreue abzugeben. Ergeben sich im Laufe des Einstellungsverfahrens Zweifel an dem Bekenntnis von Bewerberinnen und Bewerbern zur freiheitlich demokratischen Grundordnung ist über das Innenministerium eine Anfrage an das Landesamt für Verfassungsschutz zu richten, ob Tatsachen über die betreffende Person bekannt sind, die unter dem Gesichtspunkt der Verfassungstreue Bedenken gegen eine Einstellung begründen. 7. Welche Kenntnisse haben Justizvollzugsbedienstete über die Inhaftierten bei Haftantritt? Bei der Aufnahme in die Untersuchungshaft erlangen die Justizvollzugsbediensteten Erkenntnisse zur Person des Beschuldigten sowie zu den diesem vorgeworfenen Straftaten aus dem zugrundeliegenden Haftbefehl. Darüber hinaus sind Gerichte und Staatsanwaltschaften nach § 114 d StPO verpflichtet, Daten zur Person des Beschuldigten, die für die Erfüllung der Aufgaben der Vollzugsanstalt erforderlich sind, insbesondere solche über seine Persönlichkeit und weitere relevante Strafverfahren, mitzuteilen. Bei der Aufnahme eines Gefangenen in die Strafhaft bilden das zugrundeliegende Urteil, ein aktueller Auszug aus dem Bundeszentral- 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1838 register sowie die Gefangenenpersonalakte aus möglicherweise vorangegangener Untersuchungshaft die ersten Erkenntnisquellen zu dessen Person. Nach der Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt sind alle Gefangenen alsbald ärztlich zu untersuchen und der Anstaltsleiterin oder dem Anstaltsleiter oder den von diesen beauftragten Bediensteten vorzustellen. Hierdurch erlangt die Anstalt weitere erste Informationen zu deren Person. In allen Fällen können Justizvollzugsbedienstete im Übrigen Kenntnisse aus anlässlich vorangegangener Inhaftierungen angelegten Gefangenenpersonalakten haben. 8. Welche Angebote und Hilfestellungen zum Ausstieg aus der (rechts-)extremen Szene für Inhaftierte gibt es? Vollzugliche Präventionsprojekte und -maßnahmen, wie Antigewalt- bzw. Antiaggressionstrainings sind im baden-württembergischen Justizvollzug am Bedarf der Anstalten bzw. der Gefangenen ausgerichtet, der spezifische Programme gegen Rechtsextremismus bisher nicht trägt. Im Bedarfsfall ist in geeigneten Fällen jedoch die Beratungs- und Interventionsgruppe gegen Rechtsextremismus beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg (BIG-Rex) mit ihrem Ausstiegsprogramm auch in den Justizvollzugsanstalten des Landes tätig. In Vertretung Steinbacher Ministerialdirektor