Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 1857 28. 03. 2017 1Eingegangen: 28. 03. 2017 / Ausgegeben: 24. 05. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie wird in Baden-Württemberg das Alter von Personen festgestellt, die in Abschiebehaft genommen werden? 2. Wie wird mit Fällen von Personen verfahren, deren Minderjährigkeit erst nach der Unterbringung in einer Abschiebehaftanstalt erkannt wurde (inkl. einer detaillierten Darstellung der bisherigen bekannten Fälle)? 3. Wie wird die Kostenübernahme durch die Landesregierung in diesen Fällen gehandhabt (detailliert, inkl. einer Auflistung der entstandenen/entstehenden Kos - ten durch die Behandlung als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge)? 4. Inwieweit verfolgt sie Pläne, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, deren Minderjährigkeit erst in der Abschiebehaftanstalt festgestellt wurde, in den ursprünglichen Jugendamtsbezirk zurückzuführen, von dem aus die Unterbringung in der Abschiebehaftanstalt vor der Feststellung der Minderjährigkeit des betreffenden Flüchtlings vollzogen wurde? 5. Inwieweit ist ihr bekannt, ob die in der Abschiebehaftanstalt Pforzheim untergebrachten Menschen bereits in anderen Staaten Asylanträge gestellt haben (aufgelistet nach Nationalität, Staat, in dem Asylantrag gestellt wurde)? 6. Wie wird mit Asylbewerbern verfahren, die in der Abschiebehaftanstalt Pforzheim inhaftiert sind, von denen sie weiß, dass sie bereits in einem Drittstaat, für den die Dublin-III-Verordnung gilt, einen Asylantrag gestellt haben? 7. Wie viele Menschen wurden bislang aus der Abschiebehaftanstalt Pforzheim abgeschoben (einzeln aufgelistet nach Geschlecht, Nationalität, Alter, Abschiebeziel )? Kleine Anfrage des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP und Antwort des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Abschiebe - haftanstalten in Baden-Württemberg Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1857 2 8. Inwieweit hat die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Pforzheim, die bis zur Feststellung ihrer Minderjährigkeit in der Abschiebehaftanstalt einsaßen, die Bereitschaft der Landesregierung geändert, die in der Abschiebehaftanstalt Pforzheim Inhaftierten auf die Aufnahmequote für Flüchtlinge in der Stadt Pforzheim anzurechnen? 9. Falls sie keine Pläne verfolgt, künftig die in der Pforzheimer Abschiebehaft - anstalt Inhaftierten auf die Aufnahmequote der Stadt Pforzheim anzurechnen, weshalb nicht? 28. 03. 2017 Dr. Rülke FDP/DVP A n t w o r t Mit Schreiben vom 24. April 2017 Nr. 4-1350.0/18 beantwortet das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration im Einvernehmen mit dem Ministe - rium für Soziales und Integration die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie wird in Baden-Württemberg das Alter von Personen festgestellt, die in Abschiebehaft genommen werden? Zu 1.: Die Altersfeststellung muss bereits in dem der Abschiebungshaft vorausgehenden Verfahren erfolgen. Es ist nicht vorgesehen, regelmäßig vor Vollzug der Abschiebungshaft (nochmals) das Alter festzustellen. Lediglich in Ausnahmefällen und bei begründeten Zweifeln an der Volljährigkeit kommen dahingehende Maßnahmen in Betracht. 2. Wie wird mit Fällen von Personen verfahren, deren Minderjährigkeit erst nach der Unterbringung in einer Abschiebehaftanstalt erkannt wurde (inkl. einer detaillierten Darstellung der bisherigen bekannten Fälle)? Zu 2.: Bisher hat es zwei Einzelfälle gegeben, in denen die Minderjährigkeit erst nach der Unterbringung in der Abschiebungshafteinrichtung festgestellt worden ist. Bei beiden Minderjährigen handelte es sich um unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA). In beiden Fällen lag die ausländerrechtliche Zuständigkeit ursprünglich nicht bei Ausländerbehörden des Landes und in beiden Fällen wurden nach Zweifeln am Alter bzw. Feststellung der Minderjährigkeit umgehend die erforderlichen Maßnahmen ergriffen. In einem Fall konnte der UMA von der Abschiebungshafteinrichtung in Absprache mit dem Stadtjugendamt Pforzheim einem Familienange - hörigen übergeben werden. Im anderen Fall erfolgte nach dem Bekanntwerden der Minderjährigkeit eine vorläufige Inobhutnahme nach § 42 a des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) durch das Stadt - jugendamt Pforzheim und die Unterbringung in einer Einrichtung der Jugend - hilfe. Da der entsprechende UMA wegen seines Gesundheitszustands nicht in das Verteilungsverfahren nach dem SGB VIII einbezogen werden konnte (Verteilhindernis ), wurde die vorläufige Inobhutnahme in eine Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 SGB VIII überführt und gemäß § 42 Absatz 3 Satz 4 SGB VIII das zuständige Familiengericht wegen Feststellung des Ruhens der elter - lichen Sorge und Bestellung eines Vormunds angerufen. Seit der Bestellung eines Amtsvormunds wird der UMA im Rahmen einer Hilfe zur Erziehung nach § 34 SGB VIII untergebracht, betreut und versorgt. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1857 3. Wie wird die Kostenübernahme durch die Landesregierung in diesen Fällen gehandhabt (detailliert, inkl. einer Auflistung der entstandenen/entstehenden Kosten durch die Behandlung als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge)? Zu 3.: In grundsätzlicher Hinsicht gilt, dass die Erstattung der Fallkosten der Jugend - ämter für die Betreuung, Unterbringung und Versorgung von UMA durch das Land gemäß § 89 d SGB VIII auch in Fällen erfolgt, in denen die Minderjährigkeit erst im Rahmen der Unterbringung in einer Abschiebungshafteinrichtung des Landes festgestellt wurde und daher erst nach der Entlassung aus dieser Einrichtung Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII gewährt worden ist. In den beiden bisherigen Fällen stellt sich die Kostensituation wie folgt dar: Im ersten Einzelfall sind dem Stadtjugendamt Pforzheim keine Kosten entstanden. Im zweiten Fall betragen die monatlichen Unterbringungskosten in der statio - nären Jugendhilfeeinrichtung, die den UMA seit 9. Februar 2017 betreut, bei einem Tagessatz von 181,91 Euro knapp 5.500 Euro. Da sich der UMA in ambulanter psychiatrischer Behandlung befindet, fallen darüber hinaus auch Kosten für die Krankenhilfe an, die gleichfalls im Rahmen des SGB VIII zu leisten ist. Sowohl bei den Unterbringungskosten als auch bei den Kosten der Krankenhilfe handelt es sich um Fallkosten, die dem Stadtjugendamt vom Land gemäß § 89 d SGB VIII bei rechtmäßiger Aufgabenwahrnehmung vollumfänglich erstattet werden (Spitzabrechnung, keine Pauschalen). Die einschlägigen Verwaltungskosten (Tätigkeit der Mitarbeiterin des Sonderdienstes für UMA in der Abteilung Soziale Dienste: Inobhutnahme, Mitwirkung im familiengerichtlichen Verfahren, Einleitung und Begleitung der Hilfe zur Erziehung , Beratung, Kommunikation zu sonstigen Beteiligten wie z. B. Gesundheitsamt , niedergelassenem Psychiater usw./Tätigkeit der Abteilung Wirtschaft - liche Jugendhilfe/Tätigkeit des Amtsvormunds), die nach Mitteilung des Stadt - jugendamts Pforzheim bezogen auf einen einzelnen UMA nur schwer zu beziffern sind, muss die Stadt Pforzheim als örtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach dem SGB VIII selbst tragen. Allerdings erhalten die 46 Jugendämter im Land seit diesem Jahr über das kommunale Finanzausgleichssystem zur anteiligen Finanzierung der Verwaltungskosten für UMA rund 11 Mio. Euro aus Mitteln des Bundes. 4. Inwieweit verfolgt sie Pläne, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, deren Minderjährigkeit erst in der Abschiebehaftanstalt festgestellt wurde, in den ursprünglichen Jugendamtsbezirk zurückzuführen, von dem aus die Unterbringung in der Abschiebehaftanstalt vor der Feststellung der Minderjährigkeit des betreffenden Flüchtlings vollzogen wurde? Zu 4.: In Fällen, in denen sich erst nach der Aufnahme eines jungen Flüchtlings in einer Abschiebungshafteinrichtung herausstellt, dass es sich um einen UMA handelt, ist dieser von dem für die Abschiebungshafteinrichtung örtlich zuständigen Jugend - amt als örtlichem Träger der öffentlichen Jugendhilfe gemäß §§ 42 a, 88 a Absatz 1 SGB VIII vorläufig in Obhut zu nehmen. Die Übergabe des UMA an ein Jugend - amt, das bei einer früheren Feststellung der unbegleiteten Einreise örtlich zuständig gewesen wäre, sieht das SGB VIII insbesondere im Hinblick auf das zu wahrende Kindeswohl nicht vor. Es kommt vielmehr ausschließlich darauf an, in welchem Jugendamtsbezirk die erstmalige Feststellung der unbegleiteten Einreise als Kind oder Jugendlicher erfolgt ist. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1857 4 5. Inwieweit ist ihr bekannt, ob die in der Abschiebehaftanstalt Pforzheim untergebrachten Menschen bereits in anderen Staaten Asylanträge gestellt haben (aufgelistet nach Nationalität, Staat, in dem Asylantrag gestellt wurde)? 6. Wie wird mit Asylbewerbern verfahren, die in der Abschiebehaftanstalt Pforzheim inhaftiert sind, von denen sie weiß, dass sie bereits in einem Drittstaat, für den die Dublin-III-Verordnung gilt, einen Asylantrag gestellt haben? Zu 5. und 6.: Im Regelfall ist bereits vor der Aufnahme eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers in die Abschiebungshafteinrichtung Pforzheim im Rahmen der Stellung des Haftantrags geklärt, auf welcher Grundlage die vollziehbare Ausreisepflicht besteht und ob es sich um den Fall einer Überstellung nach der Dublin-III- Verordnung handelt. Wenn der Untergebrachte in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen ist, wird er in der Regel von Untergebrachten, die nicht unter die Dublin -III-Verordnung fallen, getrennt untergebracht. Die Erhebung der bisher in der Abschiebungshafteinrichtung untergebrachten Ausländer, die nach der Dublin III-VO zu überstellen waren, wäre nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich. 7. Wie viele Menschen wurden bislang aus der Abschiebehaftanstalt Pforzheim abgeschoben (einzeln aufgelistet nach Geschlecht, Nationalität, Alter, Abschiebeziel )? Zu 7.: Seit der Inbetriebnahme am 1. April 2016 wurden 273 Ausländer aus der Abschiebungshafteinrichtung Pforzheim abgeschoben. Es handelte sich dabei ausschließlich um Männer. Eine weitere Auswertung wäre nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich. 8. Inwieweit hat die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flücht - lingen in Pforzheim, die bis zur Feststellung ihrer Minderjährigkeit in der Abschiebehaftanstalt einsaßen, die Bereitschaft der Landesregierung geändert, die in der Abschiebehaftanstalt Pforzheim Inhaftierten auf die Aufnahmequote für Flüchtlinge in der Stadt Pforzheim anzurechnen? 9. Falls sie keine Pläne verfolgt, künftig die in der Pforzheimer Abschiebehaft - anstalt Inhaftierten auf die Aufnahmequote der Stadt Pforzheim anzurechnen, weshalb nicht? Zu 8. und 9.: Eine Anrechnung aller in Abschiebungshaft untergebrachten Personen auf die Aufnahmequote der Stadt Pforzheim für die vorläufige Unterbringung nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz kommt nach Auffassung der Landesregierung schon deshalb nicht in Betracht, weil die Durchführungsverordnung zum Flüchtlingsaufnahmegesetz hierfür, anders als beispielsweise im Falle der Anrechnung der belegten Kapazitäten von Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes, keine rechtliche Handhabe bietet. Sie wäre aber auch in der Sache nicht vertretbar, da hier verschiedene Lebenssachverhalte in Rede stehen. Weder der betroffene Personenkreis, noch die Bedingungen der Unterbringung der Betroffenen entsprechen den Gegebenheiten in einer Einrichtung der Flüchtlingsunterbringung beziehungsweise deren Auswirkungen auf die Standortkommune. Insbesondere treten Abschiebungsgefangene, anders als beispielsweise Flüchtlinge, die in einer Einrichtung der Flüchtlings - unterbringung untergebracht sind, im Alltag der Standortgemeinde im Allgemeinen nicht in Erscheinung, da sie die Einrichtung nicht verlassen können. Dass ausnahmsweise nachträglich als solche identifizierte unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA) aus der Abschiebungshafteinrichtung zu entlassen und vom 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1857 Jugendamt der Stadt vorläufig in Obhut bzw. in Obhut zu nehmen waren, ändert an diesem Befund nichts. Die UMA-Fallkosten werden dem Stadtjugendamt auch in Fällen, in denen zunächst eine Unterbringung in der Abschiebungshafteinrichtung erfolgt ist, bei rechtmäßiger Aufgabenwahrnehmung vollumfänglich vom Land gemäß § 89 d Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) erstattet. Darüber hinaus werden die entsprechenden UMA auch auf die entsprechende Quote des Stadtjugendamts angerechnet. In Vertretung Jäger Staatssekretär