Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 1941 21. 04. 2017 1Eingegangen: 21. 04. 2017 / Ausgegeben: 20. 06. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Welche konkreten Auswirkungen ergeben sich nach der Volkszählung „Zensus “ aus dem Jahr 2011 für die Kommunen in Baden-Württemberg, die nach der Volkszählung weniger Einwohnerinnen und Einwohner haben als bis dahin angenommen? 2. Bis wann rechnet sie mit einer gerichtlichen Entscheidung zu den Klagen baden-württembergischer Kommunen gegen die Berechnungsmethode der Volkszählung? 3. Welche Möglichkeiten sieht sie, die nachteiligen Auswirkungen der betroffenen Kommunen in Baden-Württemberg bis zur endgültigen Entscheidung über die Klagen zur Berechnungsmethode der Volkszählung auszugleichen bzw. abzumildern ? 4. Plant sie konkrete Maßnahmen, um die betroffenen baden-württembergischen Kommunen im Zeitraum bis zur endgültigen Entscheidung über die Klage zur Berechnungsmethode der Volkszählung zu unterstützen und wenn ja, welche? 21. 04. 2017 Gall SPD Kleine Anfrage des Abg. Reinhold Gall SPD und Antwort des Ministeriums für Finanzen Auswirkungen der Volkszählung für Kommunen in Baden-Württemberg Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1941 2 B e g r ü n d u n g Die Volkszählung „Zensus“, die im Jahr 2011 durchgeführt wurde, hat für einige Kommunen in Baden-Württemberg deutlich geringere Einwohnerzahlen ergeben als die bisherige amtliche Statistik. Mehrere betroffene Kommunen zweifeln die Berechnungsmethode der Volkszählung an, da erstmals keine Vollzählung durchgeführt wurde, sondern es in Städten ab 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern lediglich eine Hochrechnung nach Stichprobenzählung gab. Deswegen haben sie Klagen gegen die Berechnungsmethode der Volkszählung eingelegt. Über die Klagen ist noch nicht entschieden, in der Zwischenzeit entstehen aber für die betroffenen Kommunen Nachteile, etwa durch den Verlust von Mitteln aus dem kommunalen Finanzausgleich. Die Kleine Anfrage hat das Ziel, in Erfahrung zu bringen, welche Auswirkungen sich durch die Volkszählung für die Städte mit weniger Einwohnerinnen und Einwohnern als bislang ergeben und wie die Landesregierung gedenkt, damit bis zur endgültigen Entscheidung über die Klagen umzugehen. A n t w o r t Mit Schreiben vom 16. Mai 2017 Nr. 5-9512/10 beantwortet das Ministerium für Finanzen im Einvernehmen mit dem Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche konkreten Auswirkungen ergeben sich nach der Volkszählung „Zensus “ aus dem Jahr 2011 für die Kommunen in Baden-Württemberg, die nach der Volkszählung weniger Einwohnerinnen und Einwohner haben als bis dahin angenommen? Zu 1.: Zahlreiche gesetzliche Regelungen stellen auf amtliche Einwohnerzahlen ab und knüpfen Rechtsfolgen hieran. So spielen die kommunalen Einwohnerzahlen zum Beispiel eine Rolle bei der Festlegung von Sitzzahlen in Kommunalparlamenten und der Besoldung von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern sowie Landrätinnen und Landräten. Dafür wird die amtliche Einwohnerzahl nach dem Bevölkerungsstatistikgesetz auf Basis der letzten Volkszählung bzw. des letzten Zensus fortgeschrieben. Die etwaigen Auswirkungen des Rückgangs von Einwohnerzahlen bestimmen sich im Einzelnen nach den einschlägigen Regelungen des jeweiligen Rechtsbereichs. Die fortgeschriebene Bevölkerungszahl ist auch die Bemessungsgrundlage für die Schlüsselzuweisungen im kommunalen Finanzausgleich. Die Gesamtmasse des kommunalen Finanzausgleichs ändert sich grundsätzlich durch die neuen Einwohnerzahlen nicht. Lediglich die Auswirkungen im Länderfinanzausgleich (Finanzausgleich unter den Ländern und Umsatzsteueranteile) führen entsprechend der kommunalen Beteiligungsquote (23 % der Landessumme) zu Mindereinnahmen , da die Einwohnerzahlen des Landes im Ländervergleich überdurchschnittlich gesunken sind. Bis einschließlich 2013 hatten die Zensusergebnisse aufgrund der Übergangsregelung in § 39 Absatz 36 FAG keine Auswirkungen auf die Leistungen nach dem Finanzausgleichsgesetz. Im Jahr 2014 wurden die Zensusergebnisse zu 50 % und im Jahr 2015 zu 75 % berücksichtigt. Seit dem Jahr 2016 fließen diese zu 100 % ein. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 1941 Die Umstellung auf die Zensusergebnisse führt dazu, dass Kommunen mit einem überdurchschnittlichen Einwohnerrückgang ab dem Jahr 2014 grundsätzlich geringere Finanzzuweisungen erhalten. Kommunen mit einem unterdurchschnittlichen Einwohnerverlust oder einem Einwohnerzuwachs erhalten höhere Finanz - zuweisungen. 2. Bis wann rechnet sie mit einer gerichtlichen Entscheidung zu den Klagen baden-württembergischer Kommunen gegen die Berechnungsmethode der Volkszählung? Zu 2.: Die Verfassungsmäßigkeit bundesrechtlicher Grundlagen des Zensus 2011 ist Gegenstand zweier beim Bundesverfassungsgericht anhängiger Normenkontrollanträge des Senats von Berlin und des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg (2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15). Im Hinblick auf die zu erwartende richtungsweisende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Zensus 2011 ruhen sämtliche in Baden-Württemberg anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu den durch den Zensus 2011 festgestellten kommunalen Einwohnerzahlen. Die Normenkontrollanträge des Senats von Berlin und des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg zum Zensus 2011 befinden sich auf der vom Bundesverfassungsgericht für das Jahr 2017 auf seiner Internetseite veröffentlichten Übersicht wichtiger Verfahren, in denen es während des laufenden Jahres eine Entscheidung anstrebt (Fundstelle: http://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/ Jahresvorausschau/jahresvorausschau_node.html). 3. Welche Möglichkeiten sieht sie, die nachteiligen Auswirkungen der betroffenen Kommunen in Baden-Württemberg bis zur endgültigen Entscheidung über die Klagen zur Berechnungsmethode der Volkszählung auszugleichen bzw. abzumildern ? 4. Plant sie konkrete Maßnahmen, um die betroffenen baden-württembergischen Kommunen im Zeitraum bis zur endgültigen Entscheidung über die Klage zur Berechnungsmethode der Volkszählung zu unterstützen und wenn ja, welche? Zu 3. und 4.: Allein aufgrund der Klagen gegen die Einwohnerfeststellung nach dem Zensus - gesetz 2011 ist nicht davon auszugehen, dass diese nicht rechtskonform ist. Die Übergangsregelung gab den Kommunen mit sinkenden Einwohnerzahlen ausreichend Zeit, sich auf die neue Situation einzustellen. Wegen der anhängigen Klagen gegen die erstmals nach einem registergestützten Verfahren durchgeführte Bevölkerungszählung auf Grundlage des Zensusgesetzes 2011 werden die Festsetzungsbescheide über Leistungen im kommunalen Finanzausgleich , soweit diese einwohnerabhängige Leistungen aufgrund der registergestützten Bevölkerungszählung enthalten, für alle Leistungsempfänger mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen. Die Vorläufigkeitserklärung gilt, bis alle gerichtlichen Verfahren baden-württembergischer Gemeinden rechtskräftig abgeschlossen sind. In Vertretung Dr. Splett Staatssekretärin