Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 2093 18. 05. 2017 1Eingegangen: 18. 05. 2017 / Ausgegeben: 10. 07. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Werden die Fälle von Mobbing an Schulen in Baden-Württemberg systematisch erfasst und wenn ja, wie? 2. Wie haben sich die Fälle von Mobbing an den Schulen im Rhein-Neckar-Kreis und im Stadtkreis Heidelberg (aufgelistet nach Schulart) seit 2006 entwickelt? 3. Wie bewertet sie die Erkenntnisse der aktuellen PISA-Studie zum Thema Mobbing und welche Konsequenzen werden daraus für die Präventionsarbeit in Baden-Württemberg abgeleitet? 4. Welche Schulen im Rhein-Neckar-Kreis und im Stadtkreis Heidelberg verfügen über ein schuleigenes Anti-Mobbing-Konzept? 5. Wie unterstützten der Rhein-Neckar-Kreis und der Stadtkreis Heidelberg die Anti-Mobbing-Prävention an den Schulen? 6. Wie bewertet sie die ersten Erkenntnisse zur Anwendung des Mobbing-Präventionsprogramms nach Dan Olweus im Rahmen des Modellprojekts der Baden- Württemberg Stiftung? 7. Inwiefern wird wann auf Grundlage dieser Bewertung eine Ausweitung des Programms auf andere Schulen in Baden-Württemberg in Erwägung gezogen? Kleine Anfrage des Abg. Gerhard Kleinböck SPD und Antwort des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Mobbing-Prävention an den Schulen im Rhein-Neckar-Kreis und im Stadtkreis Heidelberg Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2093 2 8. Welche Schulen im Rhein-Neckar-Kreis und im Stadtkreis Heidelberg nehmen am Modellprojekt der Baden-Württemberg Stiftung teil? 18. 05. 2017 Kleinböck SPD B e g r ü n d u n g Jeder sechste Schüler wird in Deutschland regelmäßig Opfer von Mobbing, so das alarmierende Ergebnis der aktuellen PISA-Studie. Für die Betroffenen können die Folgen gravierend sein: Verlust des Selbstvertrauens, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme , Einsamkeit bis hin zu Depressionen. Das Land ist daher gefordert , Schulen, Eltern und Schulträger bei ihrer Präventions- und Anti-Mobbing- Arbeit zu unterstützen. A n t w o r t * ) Mit Schreiben vom 21. Juni 2017 Nr. 26-6500.20/952/1 beantwortet das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport im Einvernehmen mit dem Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration und dem Ministerium für Soziales und Integration die Kleine Anfrage wie folgt: Ich frage die Landesregierung: 1. Werden die Fälle von Mobbing an Schulen in Baden-Württemberg systematisch erfasst und wenn ja, wie? Beim Vorgehen gegen Mobbing muss man unterscheiden zwischen der Mobbingprävention , d. h. der Vorbeugung gegen Mobbing, und der Intervention, d. h. dem Eingreifen in einen Mobbingfall, um diesen zu stoppen und zu lösen. Mobbing ist ein komplexes Geschehen, das nach definierten Eskalationsstufen verläuft. Es wird einerseits oft nicht bzw. nicht rechtzeitig erkannt, andererseits aber auch häufig mit den unter Kindern üblichen Streitigkeiten und Hänseleien verwechselt. Daher erfordert die Intervention bei Mobbing ein professionelles Vorgehen. Vielfach erlangt die Schule über Mobbingfälle keine Kenntnis. Gründe hierfür können beispielsweise sein, dass die Fälle nicht gemeldet und angezeigt werden, oder aber dass bei einem Mobbingtatbestand die Betroffenen eine vertrauliche Be handlung wünschen. Eine zuverlässige, systematische und vor allem aussagekräftige Erfassung von Mobbingfällen in Schulen ist deswegen kaum möglich. Dies zeigt auch eine Abfrage beim Ministerium für Soziales und Integration, beim Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration sowie bei der Unfallkasse Baden-Württemberg. Dem für die Schulsozialarbeit fachlich zuständigen Ministerium für Soziales und Integration sind keine statistischen Erhebungen zu Mobbingfällen an Schulen bekannt . Aus der Unfallstatistik der Unfallkasse Baden-Württemberg ist es ebenfalls nicht möglich, die Versicherungsfälle herauszufiltern, die auf eine Mobbingaktivität zu - rückzuführen sind. *) Der Überschreitung der Drei-Wochen-Frist wurde zugestimmt. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2093 Auch das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration kann keine sta - tistische Erfassung von Mobbingfällen vorweisen. Bei der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) handelt es sich um eine sogenannte reine Ausgangsstatistik, in der strafrechtlich relevante Sachverhalte nach der polizeilichen Sachbearbeitung vor Abgabe an die Strafverfolgungsbehörden erfasst werden. Mobbing als solches bzw. in Form von schikanösen Vorfällen stellt kein strafbares Handeln dar und wird daher auch nicht in der PKS ausgewiesen. 2. Wie haben sich die Fälle von Mobbing an den Schulen im Rhein-Neckar-Kreis und im Stadtkreis Heidelberg (aufgelistet nach Schulart) seit 2006 entwickelt? 4. Welche Schulen im Rhein-Neckar-Kreis und im Stadtkreis Heidelberg verfügen über ein schuleigenes Anti-Mobbing-Konzept? Wie unter Frage 1 dargestellt, ist eine systematische und aussagekräftige Erfassung der Mobbingfälle an Schulen nicht möglich. Daher kann auch die Entwicklung von 2006 bis 2017 nicht in Zahlen und nach Schularten aufgeschlüsselt dargestellt werden. Das Kultusministerium hat die Schulen im Rhein-Neckar-Kreis und im Stadtkreis Heidelberg abgefragt. Es haben 76 Schulen geantwortet, 67 aus dem Rhein-Neckar-Kreis und 9 aus dem Stadtkreis Heidelberg. Das ist eine Rücklaufquote von etwa einem Drittel. Auf die Frage nach der Entwicklung der Mobbing-Fälle seit 2006 ergab sich unter den an der Abfrage teilnehmenden Schulen folgendes Bild: – 64,47 Prozent der Schulen gaben eine gleichbleibende oder abnehmende Zahl bei Mobbing an – 28,95 Prozent der Schulen gaben eine steigende Zahl an – 6,58 Prozent Schulen machten keine Angabe Bei der Angabe „steigende Zahl“ ist zu berücksichtigen, dass häufig kurz nach Einführung von Mobbingprävention Mobbingfälle erst als solche wahrgenommen werden, da offen darüber gesprochen wird und die Sensibilität für die Wahrnehmung von Mobbinghandlungen steigt. Die Frage nach einem schuleigenen Anti-Mobbing-Konzept hat ergeben, dass 76,31 Prozent aller an der Abfrage teilnehmenden Schulen ein schuleigenes Präventionskonzept gegen Mobbing haben, das teilweise auf bestimmte Klassenstufen ausgerichtet ist. 21,05 Prozent der Schulen haben kein schuleigenes Präventionskonzept gegen Mobbing, zwei Schulen haben die Frage nicht beantwortet . 3. Wie bewertet sie die Erkenntnisse der aktuellen PISA-Studie zum Thema Mobbing und welche Konsequenzen werden daraus für die Präventionsarbeit in Baden-Württemberg abgeleitet? Die PISA-Studie zum Thema Mobbing hat ergeben, dass in Deutschland fast jeder sechste 15-Jährige (15,7 Prozent) regelmäßig Opfer von teils massiver körperlicher oder seelischer Misshandlung durch Mitschüler wird. Im Schnitt aller Teilnehmerländer der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist es sogar nahezu jeder Fünfte. Deutschland liegt im OECD-Vergleich im Mittelfeld. Dabei macht die PISA-Studie keine Unterscheidung zwischen den einzelnen Bundesländern. Unabhängig von der PISA-Studie widmet sich das Kultusministerium Baden- Württemberg bereits seit 2009 gezielt dem Thema Mobbing. In Kooperation mit der Techniker Krankenkasse (TK) wurde mit dem Programm „Mobbingfreie Schule – Gemeinsam Klasse sein“ eine Initiative gestartet, um Mobbing an Schulen präventiv zu begegnen. In Baden-Württemberg können flächendeckend Schulen Lehrkräfte für das Programm durch Präventionsbeauftragte fortbilden lassen. Gemeinsam mit einem gesamtschulischen Präventionsrahmenkonzept, das alle an Schule beteiligten Personen einbezieht, und der im Bildungsplan verankerten Leitperspektive Prävention und Gesundheitsförderung kann das Programm dazu beitragen, Mobbing wirksam zu reduzieren. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2093 4 Ein Abgleich der Empfehlungen der PISA-Studie (z. B. „Ganzheitliches, gesamtschulisches Präventionskonzept“ und „Übungen mit den Schülerinnen und Schü - lern zum Umgang mit Mobbern“) zur Reduktion von Mobbing mit den Präven - tionsangeboten des Kultusministeriums zeigt, dass Baden-Württemberg mit seinem Präventionsrahmenkonzept stark.stärker.WIR. und der Leitperspektive Prä - vention und Gesundheitsförderung in den Bildungsplänen sowie den dazugehörigen landesweiten Angeboten für Schulen zum Thema Mobbing gut aufgestellt ist. Insbesondere das Präventionsrahmenkonzept stark.stärker.WIR. hilft Schulen, die Aktivitäten im Bereich Gewaltprävention, Suchtprävention und Gesundheitsförderung zu bündeln, aufeinander abzustimmen und zu verstetigen. Die wissenschaftliche Evaluation hat u. a. einen Rückgang der Prävalenz von Mobbing im Evaluationszeitraum (2014 bis 2016) in den stark.stärker.WIR.-Schulen ergeben. 5. Wie unterstützten der Rhein-Neckar-Kreis und der Stadtkreis Heidelberg die Anti-Mobbing-Prävention an den Schulen? In Beantwortung dieser Frage haben die abgefragten Schulen eine große Vielzahl von kommunalen, regionalen und überregionalen Unterstützungssystemen angegeben . Aufgrund zahlreicher Mehrfachnennungen zeichnet sich folgendes Bild ab: Die meisten dieser Schulen erhalten Unterstützung innerhalb des Schulsys - tems (schulische Präventionslehrkraft, Beratungslehrkraft, Schulpsychologische Beratungsstelle, Präventionsbeauftragte) bzw. durch die Schulsozialarbeit. Darüber hinaus zeigt sich, dass Schulen eine breite Palette regionaler und überregionaler außerschulischer Kooperationspartner hinzuziehen. 6. Wie bewertet sie die ersten Erkenntnisse zur Anwendung des Mobbing-Präventionsprogramms nach Dan Olweus im Rahmen des Modellprojekts der Baden- Württemberg Stiftung? 7. Inwiefern wird wann auf Grundlage dieser Bewertung eine Ausweitung des Programms auf andere Schulen in Baden-Württemberg in Erwägung gezogen? Im April 2015 fand im Kultusministerium ein Austauschgespräch mit Vertretern der Universitätsklinik Heidelberg über das Olweus-Forschungsprojekt statt. Hierbei wurde vertieft über einige Strukturen des Forschungsprojekts gesprochen, u. a. über relativ zeitaufwendige Maßnahmen (z. B. vierzehntägige Supervisionssitzungen à 90 Minuten), die das Forschungsdesign vorsieht, die aber für Schulen nicht leistbar sind. Es wurde vereinbart, ein weiteres Gespräch zu führen, wenn erste Ergebnisse aus dem Projekt vorliegen. 8. Welche Schulen im Rhein-Neckar-Kreis und im Stadtkreis Heidelberg nehmen am Modellprojekt der Baden-Württemberg Stiftung teil? Folgende Schulen nehmen im Rhein-Neckar-Kreis am Modellprojekt der Baden- Württemberg Stiftung teil: – Heinrich Sigmund Gymnasium, Schriesheim – Merian Realschule, Ladenburg – Realschule Waibstadt, Waibstadt – Theodor-Heuß-Realschule, Hockenheim Die Freie Schule LernZeitRäume (Dossenheim) hat das Projekt abgebrochen, nimmt aber weiterhin an der Schülerumfrage teil. Im Stadtkreis Heidelberg nimmt keine Schule teil. Dr. Eisenmann Ministerin für Kultus, Jugend und Sport