Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 2360 19. 07. 2017 1Eingegangen: 19. 07. 2017 / Ausgegeben: 18. 08. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie werden in den verschiedenen Schularten, Klassenstufen und Fächern die Anwendungsjahre und Abschaffung des verfassungswidrigen § 175 StGB sowie die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer behandelt? 2. Inwiefern wird dieses Thema dabei mit Blick auf die Wahrung der Menschenrechte besprochen und reflektiert? 3. Inwiefern werden die Schülerinnen und Schüler angeregt, sich mit dem Thema im Kontext der eigenen Stadtgeschichte bzw. Geschichte der Region auseinanderzusetzen ? 4. Wie ist dieses Thema in Schulbüchern und anderen Unterrichtsmaterialien aufgenommen ? 5. Gibt es noch Schulbücher und andere Unterrichtsmaterialien, die eine Rechtsprechung vor Abschaffung des § 175 StGB im Jahr 1994 vermitteln? 6. Welche pädagogischen Handreichungen und Unterstützungsmaterialien stehen den Lehrkräften für die Aufbereitung des Themas im Unterricht zur Verfügung? 7. Inwiefern gibt es seitens der Landesregierung Unterstützungs- bzw. Informa - tionsmöglichkeiten, um den Schulen auch Gespräche mit Zeitzeugen und Opfern zu ermöglichen? 19. 07. 2017 Born SPD Kleine Anfrage des Abg. Daniel Born SPD und Antwort des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Abschaffung des verfassungswidrigen § 175 Strafgesetzbuch (StGB) und Rehabilitierung seiner Opfer als Thema im Schulunterricht Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2360 2 B e g r ü n d u n g Laut § 175 des deutschen Strafgesetzbuchs (StGB) standen sexuelle Handlungen zwischen Männern vom 1. Januar 1872 (Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuches ) bis zum 11. Juni 1994 unter Strafe. Mit Anwendung und Vollzug des § 175 StGB hat der deutsche Staat Schuld auf sich geladen, weil er so vielen Menschen das Leben erschwert hat. Der § 175 StGB war von Anfang an verfassungswidrig. Die alten Urteile sind Unrecht. Sie verletzen jeden Verurteilten zutiefst in seiner Menschenwürde. Der Bundesgesetzgeber hat beschlossen, dass die verurteilten Männer nicht länger mit dem Makel der Verurteilung leben müssen. Anwendung und Vollzug des § 175 StGB sowie die Diskussionen um seine Begrenzung, seine Abschaffung und die Debatte über Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer sind ein relevanter Teil deutscher Geschichte. Als kritische Reflektion über Staatsgewalt, Menschenrechte und Verfassungsrecht leistet die Auseinandersetzung mit dem Thema auch einen wichtigen Beitrag zur Demokratieerziehung. Das Land sollte die Schulen daher aktiv und engagiert bei der Einflechtung des Themas in den Unterricht begleiten. A n t w o r t Mit Schreiben vom 9. August 2017 Nr. 52-6520.1-17/22/1 beantwortet das Minis - terium für Kultus, Jugend und Sport die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie werden in den verschiedenen Schularten, Klassenstufen und Fächern die Anwendungsjahre und Abschaffung des verfassungswidrigen § 175 StGB sowie die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer behandelt? 2. Inwiefern wird dieses Thema dabei mit Blick auf die Wahrung der Menschenrechte besprochen und reflektiert? Bildungspläne sind grundsätzlich so abstrakt formuliert, dass einzelne Bevölkerungsgruppen oder Opfergruppen nicht genannt werden. Die Verfolgung Homo - sexueller muss im Rahmen der Bildungspläne 2016 im Fach Geschichte aller auf die Grundschulen aufbauenden allgemein bildenden Schulen beim Thema „Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg – Zerstörung der Demokratie und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ behandelt werden. Homosexualität, homosexuelle Personen und die Geschichte ihrer Diskriminierung können darüber hinaus im Unterricht des Fachs Gemeinschaftskunde auf der Basis der Bildungspläne 2016 bei den Themen „Familie und Gesellschaft“, „Grundrechte“ sowie „Frieden und Menschenrechte“ in den Klassenstufen 7, 8 und 9 (Gemeinsamer Bildungsplan für die Sekundarstufe I) bzw. 8, 9 und 10 (Bildungsplan des Gymnasiums) thematisiert werden. Auch im Fach Ethik gibt es Anknüpfungspunkte für die Thematik z. B. bei den Themen „Identität, Individualität und Rolle“ der Klassenstufen 7, 8 und 9. Darüber hinaus gibt es viele Möglichkeiten, die Thematik im Fach Deutsch, in den modernen Fremdsprachen (Literatur, Landeskunde), im Fach Bildende Kunst oder in den Religionslehren aufzugreifen. 3. Inwiefern werden die Schülerinnen und Schüler angeregt, sich mit dem Thema im Kontext der eigenen Stadtgeschichte bzw. Geschichte der Region auseinanderzusetzen ? Die Bildungspläne 2016 für die Sekundarstufe I und das Gymnasium für das Fach Geschichte legen unter den „Leitgedanken zum Kompetenzerwerb“ im Blick auf die inhaltsbezogenen Kompetenzen fest: „Die Regionalgeschichte ermöglicht den Schülerinnen und Schülern einen anschaulichen, eng auf ihre Lebenswelt bezogenen Zugang zur Geschichte. (…) Historische Lernorte bieten in besonderem 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2360 Maße Anregungen, den Prozess des historischen Denkens anzustoßen.“ Die Lehrkräfte entscheiden eigenverantwortlich, bei welchem Thema sie welche Heran - gehensweise für ihren Unterricht wählen. 4. Wie ist dieses Thema in Schulbüchern und anderen Unterrichtsmaterialien aufgenommen ? Schulbücher und Unterrichtsmaterialien müssen gemäß § 5 Abs. 2 der Schulbuchzulassungsverordnung den geltenden Bildungsplänen entsprechen. Innerhalb dieses Rahmens liegt die inhaltliche Ausgestaltung und Schwerpunktsetzung in der Verantwortung der Autorinnen und Autoren bzw. der Verlage. Im Rahmen der Zulassung wird deshalb nicht erfasst, in welcher Weise dieses Thema behandelt wird, es sei denn sie geben Anlass zur Beanstandung. Aus diesem Grund liegen die entsprechenden Informationen nicht vor. 5. Gibt es noch Schulbücher und andere Unterrichtsmaterialien, die eine Rechtsprechung vor Abschaffung des § 175 StGB im Jahr 1994 vermitteln? In den Jahren 1994, 2004, 2012 und 2016 wurden in Baden-Württemberg für die allgemein bildenden Schulen Bildungspläne erlassen, die jeweils auf der Basis der aktuellen Rechtslage in Deutschland erarbeitet wurden. Schulbücher und Unterrichtsmaterialien müssen den Bildungsplänen entsprechen und die jeweils aktuelle Situation berücksichtigen. Bei Schulbüchern wird nach § 5 Abs. 3 Ziffer 1 der Schulbuchzulassungsverordnung eine Nutzungsdauer von durchschnittlich 5 Jahren angenommen. Es ist daher nicht zu erwarten, dass noch Schulbücher oder andere Unterrichtsmaterialien in den Schulen genutzt werden, die eine Rechtslage bzw. Rechtsprechung aus den Jahren vor 1994 vermitteln. 6. Welche pädagogischen Handreichungen und Unterstützungsmaterialien stehen den Lehrkräften für die Aufbereitung des Themas im Unterricht zur Verfügung? Lehrkräfte nutzen intensiv die Angebote der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) und der Landeszentrale für politische Bildung (LpB), da diese politische Einzelthemen detailliert aufbereiten und oft aktueller sein können als Schulbücher . Besonders die BpB hält umfangreiches Material zum Thema „Homo - sexualität“, auch im Blick auf die Geschichte der Diskriminierung, bereit. Der Schulnewsletter Juli 2015 zum Thema „Homosexualität“ wies die Schulen auf verschiedene Dossiers und Publikationen hin, z. B. auch auf das Heft „Homo - sexualität“ der Reihe „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (Heft 15–16/2010). Auch in den Materialien der BpB zu den Themen „Menschenrechte“ und „National - sozialismus“ kommt die Diskriminierung Homosexueller in Geschichte und Gegenwart zur Sprache. Lehrkräften ist es freigestellt, Bücher und andere (analoge oder digitale) Unterrichtsmaterialien , die auf dem freien Markt zugänglich sind, für den Unterricht zu verwenden, sofern sie den Zulassungsvoraussetzungen der Schulbuchzulassungsverordnung entsprechen. Verantwortlich für die Einhaltung der Vorgaben sind die Lehrkräfte und die Schulleitungen. 7. Inwiefern gibt es seitens der Landesregierung Unterstützungs- bzw. Informa - tionsmöglichkeiten, um den Schulen auch Gespräche mit Zeitzeugen und Opfern zu ermöglichen? Die Landesregierung selbst wird in diesem Bereich nicht aktiv. Die LpB wie auch zahlreiche Nicht-Regierungsorganisationen bieten Veranstaltungen mit Zeitzeugen und Opfern an. Dort können auch Kontakte zu geeigneten Gesprächspartnern geknüpft werden, die die Schulen in den Unterricht einladen können. Dr. Eisenmann Ministerin für Kultus, Jugend und Sport