Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 24 17. 05. 2016 1Eingegangen: 17. 05. 2016 / Ausgegeben: 20. 06. 2016 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Vorgaben erteilt sie den Schulbuchverlagen bei der inhaltlichen Gestaltung von Lehrmaterialien, insbesondere bei der Darstellung der Alternative für Deutschland (AfD)? 2. Welche Prüfkriterien nutzt das Land Baden-Württemberg bei der Zulassung von Schulbüchern und sonstigen Lehrmaterialien wie etwa Arbeitsblättern? 3. Welche Normen und Werte sollen durch die Lehrmaterialien, insbesondere im Fach Politik, vermittelt werden? 4. Wie beurteilt sie das von der Schroedel Diesterweg Schöningh Winklers GmbH unter der Rubrik „Schroedel aktuell“ angebotene Arbeitsblatt „Wahlprogramm : Was die AfD wirklich will“, insbesondere hinsichtlich der darin enthaltenen Behauptungen, die AfD wolle „Muslime schikanieren“, „Frauen zurück an den Herd“ schicken und trete für ein „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus also“ ein? 5. Bestanden ihrerseits bei der Zulassung des besagten Arbeitsblattes Bedenken? 6. In welchem Umfang und in welchen Schulen Baden-Württembergs fand das besagte Arbeitsblatt bereits Anwendung? 7. Ist sie der Ansicht, dass Arbeitsmaterialien der oben genannten Art mit dem Ziel des politischen, religiösen und weltanschaulichen Schulfriedens vereinbar sind? 8. Inwiefern wurden und werden politische Parteien bei der Erstellung von Lehrmaterialen miteinbezogen? Kleine Anfrage der Abg. Dr. Christina Baum AfD und Antwort des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Zulassung und Prüfung von Lehrmaterialien in Baden-Württemberg Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 24 2 9. Ist sie bestrebt an einem politisch und weltanschaulich neutralen Unterricht festzuhalten? Wie sieht sie dies, sofern dies der Fall sein sollte, mit dem oben genannten Arbeitsblatt vereinbar? 17. 05. 2016 Dr. Baum AfD B e g r ü n d u n g Die Schroedel Diesterweg Schöningh Winklers GmbH bietet auf ihrer Internetseite https://verlage.westermanngruppe.de/schroedel/? unter der Rubrik „Schroedel aktuell“ unter anderem Arbeitsblätter für Lehrkräfte zum Download an. Diese sollen den Gemeinschaftskundeunterricht mit Bezügen zum aktuellen Zeitgeschehen bereichern. Darunter befinden sich auch solche, welche sich mit der Programmatik der AfD auseinandersetzen. Insbesondere genannt werden muss hierbei das Arbeitsblatt „Wahlprogramm: Was die AfD wirklich will“ (Produktnummer: OD000001013024, erschienen am 21. März 2016). Es ist notwendig zu erheben, welche Kriterien das Land Baden-Württemberg bei der Prüfung und Zulassung von Lehrmaterialien nutzt. Diese Kleine Anfrage soll dazu beitragen, zu überprüfen, ob Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg vorsätzlich einer politischen Indoktrination ausgesetzt werden. A n t w o r t Mit Schreiben vom 10. Juni 2016 Nr. 32-6559.9/52/1 beantwortet das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Vorgaben erteilt sie den Schulbuchverlagen bei der inhaltlichen Gestaltung von Lehrmaterialien, insbesondere bei der Darstellung der Alternative für Deutschland (AfD)? 2. Welche Prüfkriterien nutzt das Land Baden-Württemberg bei der Zulassung von Schulbüchern und sonstigen Lehrmaterialien wie etwa Arbeitsblättern? Die Vorgaben für die Zulassung von Schulbüchern sind die Zulassungsvoraussetzungen gemäß § 5 der Schulbuchzulassungsverordnung: „§ 5 Zulassungsvoraussetzungen (1) Zulassungsvoraussetzungen sind: 1. Übereinstimmung mit den durch Grundgesetz, Landesverfassung und Schulgesetz vorgegebenen Erziehungszielen; 2. Übereinstimmung mit den Zielen, Kompetenzen und Inhalten des jeweiligen Bildungsstandards bzw. der Niveaustufe oder des Lehrplans sowie ange - mes sene didaktische Aufbereitung der Stoffe; 3. altersgemäße und dem Prinzip des Gender Mainstreaming Rechnung tragende Aufbereitung der Inhalte sowie Gestaltung der äußeren Form; 4. Einbindung von Druckbild, grafischer Gestaltung und Ausstattung in die jeweilige didaktische Zielsetzung; 5. Orientierung an gesicherten Erkenntnissen der Fachwissenschaft.“ Es gibt keine gesonderten Vorgaben für die Darstellung der politischen Parteien. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 24 3. Welche Normen und Werte sollen durch die Lehrmaterialien, insbesondere im Fach Politik, vermittelt werden? Die Normen und Werte, die in der Schule vermittelt werden sollen, ergeben sich insbesondere aus der Landesverfassung von Baden-Württemberg, dem Schulgesetz und den Bildungsplänen. Aus diesen Texten soll hier ausschnittsweise zitiert werden: Landesverfassung „Artikel 12 (1) Die Jugend ist in der Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe , zur Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedensliebe, in der Liebe zu Volk und Heimat, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen. (2) Verantwortliche Träger der Erziehung sind in ihren Bereichen die Eltern, der Staat, die Religionsgemeinschaften, die Gemeinden und die in ihren Bünden gegliederte Jugend.“ Schulgesetz für Baden-Württemberg „§ 1 Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule (1) Der Auftrag der Schule bestimmt sich aus der durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung des Landes Baden-Württemberg gesetzten Ordnung, insbesondere daraus, dass jeder junge Mensch ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung hat und dass er zur Wahrnehmung von Verantwortung, Rechten und Pflichten in Staat und Gesellschaft sowie in der ihn umgebenden Gemeinschaft vorbereitet werden muss. (2) Die Schule hat den in der Landesverfassung verankerten Erziehungs- und Bildungsauftrag zu verwirklichen. Über die Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten hinaus ist die Schule insbesondere gehalten, die Schüler in Verantwortung vor Gott, im Geiste christlicher Nächstenliebe, zur Menschlichkeit und Friedensliebe, in der Liebe zu Volk und Heimat, zur Achtung der Würde und der Überzeugung anderer, zu Leistungswillen und Eigenverantwortung sowie zu sozialer Bewährung zu erziehen und in der Entfaltung ihrer Persönlichkeit und Begabung zu fördern, zur Anerkennung der Wert- und Ordnungsvorstellungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu erziehen, die im Einzelnen eine Auseinandersetzung mit ihnen nicht ausschließt, wobei jedoch die freiheitlich-demokratische Grundordnung, wie in Grundgesetz und Landesverfassung verankert, nicht in Frage gestellt werden darf, auf die Wahrnehmung ihrer verfassungsmäßigen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten vorzubereiten und die dazu notwendige Urteils- und Entscheidungsfähigkeit zu vermitteln, auf die Mannigfaltigkeit der Lebensaufgaben und auf die Anforderungen der Berufs- und Arbeitswelt mit ihren unterschiedlichen Aufgaben und Entwicklungen vorzubereiten. (4) Die zur Erfüllung der Aufgaben der Schule erforderlichen Vorschriften und Maßnahmen müssen diesen Grundsätzen entsprechen. Dies gilt insbesondere für die Gestaltung der Bildungs- und Lehrpläne sowie für die Lehrerbildung.“ Bildungspläne 2016 Zu den „Leitgedanken“ zum Fach Gemeinschaftskunde im Bildungsplan Sekundarstufe I heißt es: „Mündigkeit: Das politische System Deutschlands kann nur dann nach demokratischen Prinzipien funktionieren, wenn es von politisch mündigen Bürgern getragen und gestaltet wird. Die Schülerinnen und Schüler zu demokratischem Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 24 4 Denken und Handeln zu befähigen und zu ermutigen, ist die wichtigste Auf - gabe der politischen Bildung, aber auch der Schule insgesamt. Die Bedeutung, die der politischen Bildung für die Demokratie beigemessen wird, zeigt sich auch darin, dass Gemeinschaftskunde nach der Landesverfassung ordentliches Lehrfach in allen Schulen ist (Art. 21 Abs. 2 Verfassung des Landes Baden- Württemberg). Wertebildung: Auf der Grundlage solider Fachkenntnisse entwickeln die Schülerinnen und Schüler Kompetenzen, um sich in der komplexen Welt der Politik orientieren zu können. Sie müssen in der Lage sein, politische Prozesse und Entscheidungen zielgerichtet zu analysieren, über diese kriterienorientiert zu urteilen und darauf aufbauend reflektiert politisch zu handeln. Ferner leistet der Unterricht einen wertvollen Beitrag zur Wertebildung, indem er dabei hilft, dass die Schülerinnen und Schüler eine demokratische Grundeinstellung entwickeln und zu selbstständig denkenden, rational urteilenden und sozial verantwortlich handelnden Staatsbürgern werden. Es gilt, mit den Schülerinnen und Schülern die Fähigkeit einzuüben, eigenständig politische Meinungen zu vertreten, aber auch Kritik an den eigenen Urteilen zu tolerieren. Gesellschaftlich-politische Toleranz ist generell eine Haltung, auf die der Unterricht zielen muss. Wesentlich ist die Verinnerlichung demokratischer Grundwerte und Haltungen, die auf den Grund- und Menschenrechten basieren, wie etwa Gewaltfreiheit und Zivilcourage. Grundlegend ist die Einsicht, dass Freiheit und Verantwortung konstitutive Elemente der freiheit - lichen demokratischen Grundordnung sind, die es zu sichern und weiterzuentwickeln gilt.“ 4. Wie beurteilt sie das von der Schroedel Diesterweg Schöningh Winklers GmbH unter der Rubrik „Schroedel aktuell“ angebotene Arbeitsblatt „Wahlprogramm: Was die AfD wirklich will“, insbesondere hinsichtlich der darin enthaltenen Behauptungen , die AfD wolle „Muslime schikanieren“, „Frauen zurück an den Herd“ schicken und trete für ein „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus also“ ein? Die genannten Zitate sind keine Autorentexte des Verlags, sondern stehen in Quellen, die der Verlag Veröffentlichungen anderer Medien entnommen hat, in diesem Fall der Homepage „www.zeit.de“. Sie geben Meinungsäußerungen der politischen Diskussion in der Öffentlichkeit wieder und können im Unterricht diskutiert werden. Das Kultusministerium hat nicht die Aufgabe, solche zur Diskussion gestellten Aussagen im Einzelnen zu beurteilen. Das genannte Arbeitsblatt enthält weitere Quellen, darüber hinaus gibt es weitere öffentlich zugängliche Arbeitsblätter des Verlags zum Thema „AfD“. Sofern das Arbeitsblatt zum Einsatz kommt, ist die didaktische Umsetzung in die Hand qualifizierter Lehrkräfte gelegt, die einen an den Erziehungszielen von Landesverfassung , Schulgesetz und Bildungsplan ausgerichteten Unterricht verbürgen. 5. Bestanden ihrerseits bei der Zulassung des besagten Arbeitsblattes Bedenken? Die Durchführung der Schulbuchzulassung ist Aufgabe des Landesinstituts für Schulentwicklung und erfolgt auf der Basis der vom Kultusministerium erlas - senen Schulbuchzulassungsverordnung. Das besagte Arbeitsblatt unterliegt ge - mäß Schulbuchzulassungsverordnung nicht der Zulassungspflicht und hat insofern auch kein Zulassungsverfahren durchlaufen. Die Prüfung der Eignung des Arbeitsblattes als Unterrichtsmaterial obliegt der jeweiligen Lehrkraft. 6. In welchem Umfang und in welchen Schulen Baden-Württembergs fand das besagte Arbeitsblatt bereits Anwendung? Das Kultusministerium führt keine Erhebungen zum Einsatz von Arbeitsblättern an Schulen durch. Die Schulen entscheiden im Rahmen der geltenden Regelungen selbst, welche Lernmittel sie im Unterricht einsetzen. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 24 7. Ist sie der Ansicht, dass Arbeitsmaterialien der oben genannten Art mit dem Ziel des politischen, religiösen und weltanschaulichen Schulfriedens vereinbar sind? Das Kultusministerium setzt großes Vertrauen in die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer in Baden-Württemberg und geht davon aus, dass diese aufgrund ihrer Ausbildung und ihres professionellen Selbstverständnisses gesellschaftliche oder politische Themen differenziert diskutieren und dabei nach eigener Auswahl und Entscheidung geeignete Unterrichtsmaterialien einsetzen. 8. Inwiefern wurden und werden politische Parteien bei der Erstellung von Lehrmaterialien miteinbezogen? Für die Erstellung von Unterrichtsmaterialien sind im Wesentlichen die Verlage zuständig. Über die Einbeziehung politischer Parteien in die Erstellung von Materialien ist der Landesregierung nichts bekannt. 9. Ist sie bestrebt an einem politisch und weltanschaulich neutralen Unterricht festzuhalten? Wie sieht sie dies, sofern dies der Fall sein sollte, mit dem oben genannten Arbeitsblatt vereinbar? Bei gesellschaftlich und politisch kontroversen Fragen verbietet das Pluralismusgebot dem Staat, im Schulwesen einseitige Sichtweisen zu vertreten. So gelten als Leitlinien für den Bildungsplan 2016 ausdrücklich die Grundsätze des sogenannten „Beutelsbacher Konsenses“, der Perspektivenvielfalt und Kontroversität einfordert und eine „Überwältigung“ von Schülerinnen und Schülern ausschließt. „Perspektivenvielfalt ist dennoch nicht gleichzusetzen mit Wertneutralität; sie erfordert vielmehr einen klaren und ausdrücklichen Rückbezug auf die in der Verfassung und im Schulgesetz festgeschriebenen Bildungsziele.“ (vgl. Hans Anand Pant, Einführung in den Bildungsplan 2016, http://bildungsplaene-bw.de/,Lde/3748176). Im Übrigen wird auf die Ausführungen unter Ziffer 7 verwiesen. Dr. Eisenmann Ministerin für Kultus, Jugend und Sport