Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 2567 24. 08. 2017 1Eingegangen: 24. 08. 2017 / Ausgegeben: 02. 10. 2017 K l e i n e A n f r a g e Wir fragen die Landesregierung: 1. Wie bewertet sie den Aufruf des türkischen Präsidenten Erdogan zum Boykott deutscher Parteien bei der Bundestagswahl sowie die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Türkei unter Angabe, welche Schlüsse sie hieraus für die Landespolitik zieht? 2. Welche Erkenntnisse bestehen bezüglich der Zusammenarbeit bzw. dem Zusammenwirken zwischen der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) und der türkischen Regierungspartei AKP? 3. Welche Erkenntnisse bestehen bezüglich der Zusammenarbeit bzw. dem Zusammenwirken zwischen der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e. V. (DITIB) und der türkischen Regierungspartei AKP? 4. An welchen Schulen und mit wie vielen Schülerinnen und Schülern wird der vom türkischen Generalkonsulat verantwortete muttersprachliche türkische Un - terricht in Baden-Württemberg durchgeführt (mit Aufstellung der letzten fünf Jahre sowie des kommenden Schuljahres)? 5. Bestehen rechtliche Verpflichtungen – unter Angabe, welche – zur Durchfüh - rung des muttersprachlichen Unterrichts in türkischer Sprache in Baden-Württemberg ? 6. Ist eine Abschaffung oder zumindest unbefristete Aussetzung des muttersprach - lichen Unterrichts in türkischer Sprache an baden-württembergischen Schulen geplant? 7. Wird das Thema in die Kultusministerkonferenz zur Erreichung einer bundeseinheitlichen Verfahrensweise eingebracht? Kleine Anfrage der Abg. Siegfried Lorek und Dr. Bernhard Lasotta CDU und Antwort des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Zusammenarbeit mit türkischen Organisationen Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2567 2 8. Ist nach Ablauf der Förderung des DITIB-Landesjugendverbands Württemberg sowie des DITIB-Landesjugendverbands Baden aus Mitteln des „Zukunftsplan Jugend“ bis zum 28. Februar 2017 eine erneute Förderung der DITIB-Landesjugendverbände beabsichtigt? 9. Falls ja, durch wen erfolgt die Entscheidung hierüber? 10. Wie genau erfolgt die Förderung von Jugendorganisationen aus Mitteln des Landesjugendplans (Voraussetzungen, Antragsstellung, Entscheidung)? 23. 08. 2017 Lorek, Dr. Lasotta CDU B e g r ü n d u n g Die Politik des türkischen Präsidenten und der Regierungspartei AKP entfernen sich immer weiter von den europäischen Werten. Neuerdings erfolgt der Aufruf zum Wahlboykott bzw. gezielt dazu, einige deutsche Parteien nicht zu wählen. Mit der Kleinen Anfrage werden die Aspekte der Zusammenarbeit mit dem türkischen Generalkonsulat beim muttersprachlichen Unterricht und der DITIB-Jugend sowie die Folgerungen der baden-württembergischen Landesregierung zu den Entwicklungen in der Türkei hinterfragt. A n t w o r t Mit Schreiben vom 14. September 2017 Nr. 55-6642.1-TUR/113 beantwortet das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport im Einvernehmen mit dem Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration und dem Ministerium für Soziales und Integration die Kleine Anfrage wie folgt: Wir fragen die Landesregierung: 1. Wie bewertet sie den Aufruf des türkischen Präsidenten Erdogan zum Boykott deutscher Parteien bei der Bundestagswahl sowie die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Türkei unter Angabe, welche Schlüsse sie hieraus für die Landespolitik zieht? Die Landesregierung ist grundsätzlich der Ansicht, dass demokratische Wahlen nicht durch ausländische Mächte beeinflusst werden sollten. Außenpolitik ist nach der deutschen Verfassungsordnung Sache des Bundes. Das Land stimmt sich in den entsprechenden Fragen daher immer wieder mit der Bundesregierung ab. 2. Welche Erkenntnisse bestehen bezüglich der Zusammenarbeit bzw. dem Zusammenwirken zwischen der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) und der türkischen Regierungspartei AKP? Bei der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) handelt es sich um kein Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden. Das Landesamt für Ver - fassungsschutz verfügt daher nur über eingeschränkte Erkenntnisse. Die UETD wurde im Jahr 2004 in Köln gegründet und agiert mit ihrer dort ansässigen Zentrale als Plattform zur Unterstützung der Politik der türkischen Regierungspartei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP). Die UETD ist deutschland- und euro- 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2567 paweit mit Hauptverband, Landes- und Orts- sowie Frauen- und Jugendverbänden gut organisiert und vernetzt. Sie organisiert Auftritte von AKP-Politikern in Deutschland und damit Veranstaltungen, bei denen politische Inhalte aus Sicht der türkischen Regierung dargestellt werden. Darüber hinaus erfüllt die UETD die Funktion einer Mobilisierungsplattform. Sie organisierte beispielsweise kosten - lose Bustransfers zu den in Deutschland eingerichteten Wahllokalen für türkische Wahlberechtigte, die an den Parlamentswahlen im Jahr 2015 oder an der Abstimmung zum Verfassungsreferendum in der Türkei am 16. April 2017 teilnahmen. Ferner war sie nach dem gescheiterten Putschversuch am 16. Juli 2016 in der Türkei Organisatorin einer Großdemonstration in Köln. Das Kooperationsverhältnis von AKP und UETD zeigt sich u. a. auch am Beispiel einer am 3. und 4. Februar 2017 durchgeführten Bildungs- und Beratungsveranstaltung des Frauenverbands der AKP-Zentrale in Ankara, an der 150 Frauen als Abgesandte verschiedener UETD-Verbände in Europa teilnahmen. 3. Welche Erkenntnisse bestehen bezüglich der Zusammenarbeit bzw. dem Zusammenwirken zwischen der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e. V. (DITIB) und der türkischen Regierungspartei AKP? Bei der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e. V. (DITIB) handelt es sich um kein Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden. Dem Landesamt für Verfassungsschutz liegen daher nur eingeschränkte Erkenntnisse vor. Mit DITIB verfügt die türkische Regierung über eine religiös ausgerichtete Unterstützungsplattform. Der Dachverband DITIB ist unmittelbar mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet über deren Abteilung „Außenbeziehungen“ verbunden . In diesem Zusammenhang entsendet die türkische Religionsbehörde Imame , die in DITIB-Moscheen in Deutschland tätig werden. Nach dem gescheiterten Putschversuch am 16. Juli 2016 in der Türkei wurde in DITIB-Moscheen gegen Anhänger der Gülen-Bewegung agitiert. DITIB-Angehörige wurden dabei u. a. zur Denunziation von Gülen-Anhängern aufgefordert. 4. An welchen Schulen und mit wie vielen Schülerinnen und Schülern wird der vom türkischen Generalkonsulat verantwortete muttersprachliche türkische Unterricht in Baden-Württemberg durchgeführt (mit Aufstellung der letzten fünf Jahre sowie des kommenden Schuljahres)? Es liegen keine amtlichen Listen über die Schulen vor, an welchen türkischer muttersprachlicher Zusatzunterricht erteilt wird. Insoweit können keine detaillierten Angaben zu einzelnen Schulstandorten erfolgen. An jeder Schulaufsichtsbehörde gibt es jedoch Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für den muttersprachlichen Zusatzunterricht, die für Fragen vor Ort zur Verfügung stehen. Die Zahlen der Schülerinnen und Schüler im türkischen muttersprachlichen Zusatzunterricht stellen sich wie folgt dar: Schuljahr 2012/2013: 24.602 Schuljahr 2013/2014: 24.859 Schuljahr 2014/2015: 24.921 Schuljahr 2015/2016: 23.953 Schuljahr 2016/2017: 24.426 Für das kommende Schuljahr liegt entsprechend dem Meldeverfahren für die Konsulate derzeit noch keine Übersicht der Schülerzahlen vor. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2567 4 5. Bestehen rechtliche Verpflichtungen – unter Angabe, welche – zur Durchfüh - rung des muttersprachlichen Unterrichts in türkischer Sprache in Baden-Württemberg ? 6. Ist eine Abschaffung oder zumindest unbefristete Aussetzung des muttersprachlichen Unterrichts in türkischer Sprache an baden-württembergischen Schulen geplant? Rechtliche Grundlage für die Förderung des muttersprachlichen Zusatzunterrichts ist die Richtlinie des Rates 77/486/EWG über die schulische Betreuung der Kinder von Wanderarbeitnehmern vom 25. Juli 1977. Nach Artikel 1 gilt die Richt - linie unmittelbar nur für die Kinder von Arbeitnehmern aus anderen EU-Mitgliedstaaten . Durch eine zeitgleiche politische Willenserklärung des Rates der Europäischen Gemeinschaften findet die Richtlinie auch Anwendung für traditionelle Anwerbeländer , die nicht der EU angehören (z. B. Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Serbien, Mazedonien, Tunesien und Türkei). Die Richtlinie und die politische Willenserklärung sollen der Verbesserung der Bedingungen für die Freizügigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dienen – hier insbesondere ihrer Kinder – und bezogen sich von Beginn an auf ausgewählte Sprachen im Kontext der europäischen Arbeitsmigration. Ihr gingen bilaterale Anwerbeabkommen der Bundesrepublik Deutschland ab 1955 voraus, z. B. mit Griechenland, Italien, Spanien, Jugoslawien, Marokko, Portugal und der Türkei. Die Teilnehmerstaaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammen - arbeit in Europa (KSZE) haben in der Schlussakte von Helsinki aus dem Jahr 1975 erklärt, dass sie sicherstellen wollen, dass die im Aufnahmeland lebenden Kinder von Wanderarbeitnehmern unter den gleichen Bedingungen wie die Kinder dieses Landes Zugang zu dem dort üblichen Unterricht haben und ihnen gestattet werden soll, dass sie darüber hinaus in ihrer Sprache, Kultur, Geschichte und Geografie unterrichtet werden. Obwohl diese Schlussakte kein völkerrecht - licher Vertrag ist, kommt ihr ein hohes Maß an politischer Verbindlichkeit zu. Gleiches gilt für die politische Willenserklärung, die der Rat der Europäischen Gemeinschaften zeitgleich zur Verabschiedung der Richtlinie 77/486/EWG der Rat der Europäischen Gemeinschaften gefasst hat. In Baden-Württemberg erfolgt die Umsetzung seit den 1970er-Jahren in Verantwortung der Herkunftsstaaten, d. h. im sog. Konsulatsmodell, mit Unterstützung des Landes. Derzeit ist nicht vorgesehen, dass das Land künftig von dieser Unterstützung absieht. 7. Wird das Thema in die Kultusministerkonferenz zur Erreichung einer bundeseinheitlichen Verfahrensweise eingebracht? Es ist vorgesehen, das Thema muttersprachlicher Unterricht noch in diesem Jahr auf die Tagesordnung der Kultusministerkonferenz zu setzen. 8. Ist nach Ablauf der Förderung des DITIB-Landesjugendverbands Württemberg sowie des DITIB-Landesjugendverbands Baden aus Mitteln des „Zukunftsplan Jugend“ bis zum 28. Februar 2017 eine erneute Förderung der DITIB-Landesjugendverbände beabsichtigt? 9. Falls ja, durch wen erfolgt die Entscheidung hierüber? Nach Ablauf der Förderung des DITIB-Landesjugendverbands Württemberg sowie des DITIB-Landesjugendverbands Baden aus Mitteln des „Zukunftsplan Jugend “ am 28. Februar 2017 ist keine erneute Förderung der DITIB-Landesjugendverbände aus Mitteln des „Zukunftsplan Jugend“ geplant. Im Übrigen werden aktuell die DITIB-Landesjugendverbände aus Kapitel 0917 – Wohlfahrtspflege und Bürgerschaftliches Engagement –, Titel 684 82 – Zuschüsse für laufende Zwecke an sonstige Projektträger – vom Ministerium für Soziales und Integration bis Jahresende 2017 gefördert. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2567 Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse wird das Ministerium für Soziales und Integration die Entwicklung in der Türkei und die Rolle der DITIB-Landes - jugendverbände in Baden-Württemberg genau beobachten, um die mögliche weitere Zusammenarbeit oder Förderung neu zu bewerten und zu entscheiden. 10. Wie genau erfolgt die Förderung von Jugendorganisationen aus Mitteln des Landesjugendplans (Voraussetzungen, Antragsstellung, Entscheidung)? Soweit das Ministerium für Soziales und Integration Jugendorganisationen fördert , erfolgt dies nach der gewachsenen Verwaltungspraxis, die auf Nr. 20 der Richtlinien des Kultusministeriums zur Förderung der außerschulischen Jugendbildung vom 30. Juli 2002 beruht. Danach können landesweit anerkannten Jugendverbänden „zur Durchführung ihrer zentralen Führungsaufgaben“ Zuschüsse gewährt werden. Anträge sind direkt beim Ministerium für Soziales und Integration oder beim jeweils zuständigen Regierungspräsidium zu stellen. Die Entscheidungen über die Gewährung von Zuschüssen werden bei dem jeweiligen Regierungspräsidium im Rahmen der haushaltsrechtlichen Voraussetzungen in eigener Zuständigkeit getroffen . Dr. Eisenmann Ministerin für Kultus, Jugend und Sport