Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 2571 24. 08. 2017 1Eingegangen: 24. 08. 2017 / Ausgegeben: 25. 10. 2017 K l e i n e A n f r a g e Wir fragen die Landesregierung: 1. Wie hat sich die Zahl der erwirkten Räumungstitel im Rhein-Neckar-Kreis seit 2012 entwickelt (nach Gerichtsbezirken)? 2. Welche Rechtsgrundlage war wie häufig ausschlaggebend für das Erwirken der Räumungstitel? 3. Wie hat sich die Zahl der vollstreckten Räumungstitel im Rhein-Neckar-Kreis seit 2012 entwickelt (nach Kommunen)? 4. In wie vielen Fällen der abgewandten Räumungstitel wurden Mietrückstande von den Jobcentern bzw. Kommunen übernommen? 5. In welchem Umfang und in wie vielen Fällen wurden seitens der Jobcenter bzw. Kommunen Vorschüsse bzw. Darlehen für die Kundinnen und Kunden gewährt, um Mieten zu bezahlen? 6. Gibt es zur Gewährung von o. g. Vorschüssen bzw. Darlehen ermessenslenkende Weisungen seitens der Jobcenter bzw. Kommunen und wie lauten diese? 7. Wie viele Menschen sind aufgrund vollstreckter Räumungstitel obdachlos geworden ? 24. 08. 2017 Born, Kleinböck SPD Kleine Anfrage der Abg. Daniel Born und Gerhard Kleinböck SPD und Antwort des Ministeriums der Justiz und für Europa Zwangsräumungen im Rhein-Neckar-Kreis Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2571 2 B e g r ü n d u n g Besonders für einkommensschwache Menschen erreichen die Mieten in weiten Teilen der Metropolregion Rhein-Neckar immer häufiger die Grenze des Bezahlbaren . Regelmäßig ist von Zwangsräumungen aufgrund von Mietrückständen zu lesen. Es ist gesellschaftliche Aufgabe, die Rechte der Vermieter auf Mietzahlungen und das Recht der Bürgerinnen und Bürger auf bezahlbaren Wohnraum in Einklang zu bringen. Diese Kleine Anfrage soll prüfen, wie häufig dies im Rhein-Neckar- Kreis derzeit nicht gelingt. A n t w o r t * ) Mit Schreiben vom 5. Oktober 2017 beantwortet das Ministerium der Justiz und für Europa in Abstimmung mit dem Ministerium für Soziales und Integration sowie dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau die Kleine An - frage wie folgt: 1. Wie hat sich die Zahl der erwirkten Räumungstitel im Rhein-Neckar-Kreis seit 2012 entwickelt (nach Gerichtsbezirken)? 2. Welche Rechtsgrundlage war wie häufig ausschlaggebend für das Erwirken der Räumungstitel? Zu diesen Fragen liegen dem Ministerium der Justiz und für Europa keine präsenten Daten vor. Nach der bundeseinheitlichen Anordnung über die Erhebung sta - tistischer Daten in Zivilsachen (ZP-Statistik) werden die Zahl der erwirkten Räumungstitel und deren jeweiligen Rechtsgrundlagen nicht erhoben. Auch über das statistisch erhobene Merkmal der „Art der Erledigung“ stehen weder Daten zur Zahl der erwirkten Räumungstitel noch zu den Rechtsgrundlagen für das Erwirken der Räumungstitel zur Verfügung. Über die reine Erledigungsart hinaus (z. B. erledigt durch streitiges Urteil, durch Anerkenntnis-, Verzichts- bzw. Versäum - nisurteil oder durch Vergleich) werden keine Angaben zum Inhalt oder zu Rechtsgrundlagen erhoben. Eine Erhebung der zur Beantwortung der Fragen 1 und 2 benötigten Daten wäre mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden, da allein bei den Amtsgerichten Schwetzingen, Sinsheim, Weinheim und Wiesloch die Akten von rund 4.800 Verfahren manuell ausgewertet werden müssten. Aus den Ergebnissen der bundeseinheitlichen Anordnung über die Erhebung sta - tistischer Daten in Zivilsachen (ZP-Statistik) lässt sich jedoch die Gesamtzahl der mit dem Verfahrensgegenstand „Wohnungsmietsache“ erledigten Verfahren der nachfolgenden Tabelle entnehmen. *) Der Überschreitung der Drei-Wochen-Frist wurde zugestimmt. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2571 Für die Gerichtsbezirke der Amtsgerichte Schwetzingen, Sinsheim, Weinheim und Wiesloch besteht eine Übereinstimmung mit den im jeweiligen Gerichtsbezirk gelegenen Gemeinden des Rhein-Neckar-Kreises. Dagegen liegen die Gemeinden des Rhein-Neckar-Kreises Bammental, Dossenheim Eberbach, Edingen- Neckarhausen, Eppelheim, Gaiberg, Heddesbach, Heiligkreuzsteinach, Ilvensheim , Leimen, Neckargemünd, Nußloch, Sandhausen, Schönau, Schönbrunn, Wiesenbach und Wilhelmsfeld im Bezirk des Amtsgerichts Heidelberg. Eine Trennung der „Wohnungsmietsachen“ des Amtsgerichts Heidelberg zwischen der Gemeinde Heidelberg und den vorstehend genannten Gemeinden mit der Kreis - zugehörigkeit zum Rhein-Neckar-Kreis ist nicht möglich. 3. Wie hat sich die Zahl der vollstreckten Räumungstitel im Rhein-Neckar-Kreis seit 2012 entwickelt (nach Kommunen)? Die Anzahl der Zwangsräumungen wird erst ab September 2013 getrennt von den Zwangsvollstreckungs- und sonstigen Aufträgen statistisch ausgewiesen. Für das Jahr 2012 und den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. August 2013 liegt somit kein Zahlenmaterial vor. Eine Erhebung der Daten für diesen Zeitraum wäre mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden, da hierzu über 80.000 Zwangsvollstreckungs - und sonstige Aufträge manuell ausgewertet werden müssten. Für den Zeitraum ab dem 1. September 2013 wurden folgende Daten ermittelt, die nachfolgender Tabelle entnommen werden können: Grundlage der Auswertungen bilden die Gerichtsvollzieherstatistiken der Amtsgerichte für ihren jeweiligen Amtsgerichtsbezirk. Eine weitergehende Differenzierung auf das Gebiet einer Gemeinde ist nicht möglich, da derartige Statistiken nicht geführt werden. $PWVJHULFKWH LP 5KHLQ 1HFNDU .UHLV (UOHGLJWH 9HUIDKUHQ PLW GHP 9HUIDKUHQVJHJHQVWDQG Ä:RKQXQJVPLHWVDFKH³ $PWVJHULFKW +DOEMDKU 6FKZHW]LQJHQ 6LQVKHLP :HLQKHLP :LHVORFK 6XPPH 5KHLQ 1HFNDU .UHLV QXU QDFKULFKWOLFK +HLGHOEHUJ DE 6HSWHPEHU $PWVJHULFKWVEH]LUN 6FKZHW]LQJHQ $PWVJHULFKWVEH]LUN 6LQVKHLP $PWVJHULFKWVEH]LUN :HLQKHLP $PWVJHULFKWVEH]LUN :LHVORFK $PWVJHULFKWVEH]LUN +HLGHOEHUJ Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2571 4 4. In wie vielen Fällen der abgewandten Räumungstitel wurden Mietrückstände von den Jobcentern bzw. Kommunen übernommen? Zu der Frage, in wie vielen Fällen im Rhein-Neckar-Kreis Räumungstitel durch eine Mietschuldenübernahme im Rahmen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II – Grundsicherung für Arbeitsuchende) oder des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII – Sozialhilfe) abgewendet wurden, liegen keine Daten vor. Derartige Statistiken werden weder von den Jobcentern noch den Kommunen geführt . 5. In welchem Umfang und in wie vielen Fällen wurden seitens der Jobcenter bzw. Kommunen Vorschüsse bzw. Darlehen für Kundinnen und Kunden gewährt , um Mieten zu bezahlen? Der Rhein-Neckar-Kreis hat durch eine Auswertung der Daten aus dem SGB IIund SGB XII-Bereich die Zahl der Fälle, in denen der Rhein-Neckar-Kreis Mietschulden übernommen hat, und die Höhe des Aufwandes erhoben. Die Daten können der nachfolgenden Tabelle entnommen werden: Darlehen für Mietschulden SGB II – Fallzahlen und Aufwand (in Euro) Einmalige Beihilfen – Sicherung der Unterkunft nach § 36 SGB XII, hier: Übernahme von Mietschulden, Zeitraum 2012 bis 2017 6. Gibt es zur Gewährung von o. g. Vorschüssen bzw. Darlehen ermessenslenkende Weisungen seitens der Jobcenter bzw. Kommunen und wie lauten diese? Bei der Gewährung von Vorschüssen bzw. Darlehen bei Mietrückständen orientieren sich die Träger der Sozialhilfe/Jobcenter an den kommunalen Sozialhilferichtlinien für Baden-Württemberg. Die Regelung zur Übernahme von Mietschulden lautet wie folgt: „Ziel der Übernahme von Mietrückständen ist die Sicherung der Unterkunft. Vor Übernahme der Mietrückstände ist daher zu prüfen, ob der Betroffene durch die Schuldübernahme vor dem Verlust der Wohnung bzw. Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft geschützt werden kann.“ Grundsätzlich wird eine außerordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) unwirksam, wenn die Mietschulden innerhalb von zwei Monaten nach Einreichung der Räumungsklage beglichen werden oder sich der Leistungsträger zur Zahlung der Mietschul- *HVDPW -DKU )DOO]DKO 'DUOHKHQ %HLKLOIH $XIZDQG ¼ ¼ ¼ ¼ ¼ ¼ ,QVJ ¼ 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2571 den verpflichtet (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB). Allerdings kann eine außerordentliche Kündigung durch die Übernahme der Mietschulden nicht mehr unwirksam werden , wenn ihr innerhalb der letzten zwei Jahre bereits schon einmal eine Kündigung vorausgegangen ist, die durch die Begleichung der Mietschulden unwirksam wurde (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB). Durch das „Gesetz über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln“ (MietRÄndG) aus dem Jahr 2013 liegt nach § 569 Abs. 2 a BGB ein wichtiger, zur fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigender Grund im Sinne von § 543 Abs. 1 BGB auch dann vor, wenn der Mieter mit der Kautionszahlung in Höhe eines Betrages von zwei Monatsmieten im Verzug ist. Nach § 551 Abs. 2 BGB ist die erste Raten der Kaution zu Beginn des Mietverhältnisses, die zweite und dritte Rate mit den unmittelbar folgenden Mietzahlungen, regelmäßig also mit der zweiten und dritten Miete, fällig. Nach Art. 229 § 29 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) gilt dies allerdings nur für Mietverhältnisse, die nach dem 1. Mai 2013 entstanden sind. Ferner ist zu beachten, dass eine ordentliche Kündigung ihre Wirksamkeit durch die Begleichung der Mietschulden nicht verliert. Ist parallel eine fristlose und eine fristgerechte Kündigung ausgesprochen worden, ist deshalb mit dem Vermieter eine Vereinbarung über die Rücknahme der fristgerechten Kündigung bei Ausgleich der Mietrückstände zu schließen (vgl. BGH, Urteil v. 16. Februar 2005, VIII ZR 6/04). Wenn der Erhalt der Unterkunft nicht mehr erreicht werden kann, weil beispielsweise die Wohnungsräumung bereits durchgeführt wurde, kann der Betroffene keine Hilfe nach § 22 Abs. 8 Sozialgesetzbuch II (SGB II) mehr beanspruchen, da der Sicherungsbedarf entfallen ist. Die Übernahme von Mietschulden ist daher nur dann gerechtfertigt, wenn hierdurch tatsächlich die Wohnung dauerhaft gesichert werden kann und die Unterkunftskosten nicht unangemessen hoch sind (LSG BRB, Beschluss v. 28. September 2006, L 19 B 751/06 AS ER; LSG BRB, Beschluss v. 10. März 2006, L B 56/06 AS ER; LSG BRB, Beschluss v. 22. März 2007, L 28 B 269/07 AS ER; LSG BWB, Beschluss v. 1. August 2006, L 7 SO 2938/06 ER-B; LSG BWB, Beschluss v. 5. Dezember 2007, L 8 AS 4481/07 ER- B; LSG NSB, Beschluss v. 21. Februar 2007, L 7 AS 22/07 ER). 7. Wie viele Menschen sind aufgrund vollstreckter Räumungstitel obdachlos geworden ? Zu dieser Frage liegen keine präsenten Daten vor. Eine statistische oder sonstige Auswertung der Folgen vollstreckter Räumungstitel erfolgt nicht. Wolf Minister der Justiz und für Europa