Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 2595 04. 09. 2017 1Eingegangen: 04. 09. 2017 / Ausgegeben: 17. 10. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Bildet sich nach ihrer Kenntnis eine neue Generation der RAF oder einer gesinnungsverwandten Organisation in Baden-Württemberg heran? 2. Wie hoch schätzt sie das terroristische Potenzial des linksextremen Spektrums in Baden-Württemberg ein? 3. Wie viele Personen des linksextremen Spektrums stuft sie als gewaltbereit bis hin zu mordbereit ein? 4. Dienen die zahlreichen, teils sehr anarchisch ausgerichteten Strukturen der sogenannten „Antifa“ ihrer Kenntnis nach als Basis für den Aufbau einer neuen RAF? 5. Stuft sie die in KPD-Rotfrontmanier ausgeführten Angriffe gegen die Partei Alternative für Deutschland der sogenannten „Antifa“ als terroristisch ein? 6. Was will sie im Jahr 2018 unternehmen, um Zivilgesellschaft, Behörden, Nichtregierungsorganisationen, Medien und andere gesellschaftliche Akteure gegenüber linksextremistischer Ideologie, Agitation und Propaganda zu sensibilisieren ? 7. Sieht sie in einzelnen Regionen oder Städten eine kommunistische Stadtguerilla entstehen – ggf. in welchen? 8. Plant sie, mit Blick auf die linksextremistischen Straf- und Gewalttaten in Hamburg, eine Demokratieoffensive gegen Linksextremismus? 9. 2019 jährt sich zum neunzigsten Mal der Jahrestag des Verbots des kommunis - tischen Rotfrontkampfbundes – wappnet sie sich auf mögliche „Racheaktionen “ oder anderer Straftaten der linksextremistischen Szene gegen staatliche Einrichtungen? Kleine Anfrage des Abg. Lars Patrick Berg AfD und Antwort des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration Rückkehr der Roten Armee Fraktion (RAF) Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2595 2 10. Was unternimmt sie, um die Einflussnahme der „Roten Hilfe“, wonach linksgerichtete Strafgefangene nicht von ihrer extremistischen Gesinnung und ihrer Straftat abrücken sollen, zu unterbinden? 21. 08. 2017 Berg AfD B e g r ü n d u n g Terror droht in Deutschland nicht nur aus dem islamistischen Milieu. Martin Jäger , Staatssekretär im baden-württembergischen Innenministerium, warnt vor einer „Wiederkehr der RAF“. Im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung vom 19. August 2017 sagt er: „Für gewaltbereite Linksextremisten, die zuletzt bei Protesten gegen den G-20-Gipfel in Hamburg in Erscheinung getreten sind, sei es ‚nur noch ein kleiner Schritt ins klassisch terroristische Muster‘ “. Jäger spricht in diesem Zusammenhang von „einer Art RAF 2.0“. Diese Kleine Anfrage soll einen tieferen Einblick in diese Form der Bedrohung unserer Demokratie ermöglichen. A n t w o r t Mit Schreiben vom 2. Oktober 2017 Nr. 4-1082.1/175/ beantwortet das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration im Einvernehmen mit dem Minis - terium der Justiz und für Europa die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Bildet sich nach ihrer Kenntnis eine neue Generation der RAF oder einer gesinnungsverwandten Organisation in Baden-Württemberg heran? Zu 1.: Im Jahr 1998 löste sich die „Rote Armee Fraktion“ (RAF) auf. Sie verkörperte die straff organisierte Form des Linksterrorismus. In den Jahren nach ihrer Auflösung wurde innerhalb der gewaltorientierten linksextremistischen Szene erneut darüber diskutiert, ob Anschläge gegen Personen gerechtfertigt seien. Heute weisen die „Antiimperialisten“ die größte Nähe zu den Zielen und der Taktik der damaligen RAF auf. Sie bilden neben der autonomen und der anarchistischen Szene das dritte Spektrum innerhalb des gewaltorientierten deutschen Linksextremismus. Auch die „Antiimperialisten“ lehnen die gegenwärtigen staatlichen Strukturen ab. Eine „Wiederauflage“ der RAF ist für sie jedoch nach den Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) derzeit nicht angezeigt, weil sie ein solches Vorgehen – zumindest gegenwärtig – nicht als zielführend erachten. Auch wenn es nur wenige antiimperialistische Gruppen in Baden-Württemberg gibt, darf die von ihnen ausgehende abstrakt hohe Gefahr dennoch nicht unterschätzt werden, da ihre Handlungen, die auch gewalttätiger Natur sein können, langfristig und im Geheimen vorbereitet und geplant werden. Weiterhin gibt es auch innerhalb der autonomen Szene kleine Gruppierungen, bei denen in den letzten Jahren die Hemmschwelle zu Angriffen auf Leib und Leben, insbesondere gegenüber Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten und dem politischen Gegner, gesunken ist. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2595 2. Wie hoch schätzt sie das terroristische Potenzial des linksextremen Spektrums in Baden-Württemberg ein? Zu 2.: Neben der gesetzlichen Bestimmung über die terroristische Vereinigung (§§ 129 a und 129 b StGB) hinaus ist Terrorismus nach zusammenfassender Definition der Sicherheitsbehörden der nachhaltig geführte planmäßige Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen in der Regel durch arbeitsteilig organisierte und verdeckt operierende Gruppen durchgesetzt werden sollen. Hierzu zählen insbesondere politisch motivierte Gewaltdelikte wie sie in § 129 a StGB genannt sind oder andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen (u. a. §§ 89 a, 89 b, 89 c und 91 StGB). Der Landesregierung liegen im Sinne der Definition derzeit keine Erkenntnisse über Terroristen aus dem linksextremistischen Spektrum in Baden-Württemberg vor. 3. Wie viele Personen des linksextremen Spektrums stuft sie als gewaltbereit bis hin zu mordbereit ein? Zu 3.: Das Potenzial der gewaltorientierten Linksextremisten in Baden-Württemberg umfasst derzeit etwa 820 Personen. Gewaltbereite Linksextremisten sind Teilmengen dieses Spektrums und sehen für sich selbst gewalttätiges Handeln als legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele. 4. Dienen die zahlreichen, teils sehr anarchisch ausgerichteten Strukturen der sogenannten „Antifa“ ihrer Kenntnis nach als Basis für den Aufbau einer neuen RAF? Zu 4.: Aus Sicht des LfV liegen für die Annahme, dass die Strukturen der „Antifa“ als Basis für den Aufbau einer neuen RAF dienen könnten, keine Erkenntnisse vor. Wie bereits zu Frage 1 geschildert, gibt es in Baden-Württemberg jedoch einige wenige RAF-freundliche Gruppen, deren weitere Entwicklung aufmerksam zu beobachten ist. 5. Stuft sie die in KPD-Rotfrontmanier ausgeführten Angriffe gegen die Partei Alternative für Deutschland der sogenannten „Antifa“ als terroristisch ein? Zu 5.: Die von Linksextremisten gegen die Partei Alternative für Deutschland (AfD) und deren Mitglieder ausgeführten Aktionen erschöpfen sich nicht in verbalen Angriffen , sondern sind in ihren Ausprägungen sehr vielfältig. Die Steigerung des Aggressionspotenzials der linksextremistischen gewaltorientierten Szene in Bezug auf die AfD wurde unter anderem durch die Ausschreitungen bei der Demonstration gegen den AfD-Bundesparteitag am 30. April 2016 in Stuttgart deutlich. Auch im Zusammenhang mit der Bundestagswahl am 24. September 2017 stand die AfD im Fokus von Linksextremisten. Ausgehend von der zu Frage 2 dargestellten Definition werden entsprechende Aktionen von den Sicherheitsbehörden nicht als terroristisch eingestuft. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2595 4 6. Was will sie im Jahr 2018 unternehmen, um Zivilgesellschaft, Behörden, Nichtregierungsorganisationen , Medien und andere gesellschaftliche Akteure gegenüber linksextremistischer Ideologie, Agitation und Propaganda zu sensibilisieren ? Zu 6.: Kriminalprävention ist eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die das Zusammenwirken der Polizei mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen/ Institutionen auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene erfordert. Für den Einsatz bei Veranstaltungen, wie zum Beispiel Gegendemonstrationen zu Aufmärschen rechtsextremistischer Personen oder Gipfeltreffen, bei denen es immer wieder zu Gewalthandlungen aus dem Bereich der politisch links motivierten Kriminalität kommt, hat die Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes beispielsweise einsatzbegleitende Materialien entwickelt. Diese umfassen Plakate, Postkarten sowie ein Faltblatt. Die Materialien werben für eine friedfertige (nicht strafbare) Teilnahme und informieren über anlasstypische Straftaten sowie Aufgabe und Rolle der Polizei (Schutz der Grundrechte, Neutralitätspflicht). Ziel ist, neben einem friedlichen Verlauf, möglichen Missverständnissen oder emotionalen Reaktionen vorzubeugen sowie gewaltorientierte linksextremistische Personen von anderen Demonstrationsteilnehmern und der Öffentlichkeit zu isolieren . Neben den einsatzbegleitenden Materialien hat die Polizeiliche Kriminalpräven - tion auf der Website www.polizei-beratung.de umfassende Informationen zum Thema PMK-links zusammengestellt. Diese sind aufgeteilt in die Bereiche Erscheinungsformen (z. B. Gruppierungen und Aktionsfelder der Szene), typische Straftaten, Rolle und Aufgaben der Polizei, Prävention und Opferschutz. Ziel der Inhalte ist, insbesondere Eltern und Multiplikatoren (z. B. Lehrer, Sozialpäda - gogen, Präventionsbeamte) anzusprechen und über die Szene sowie mögliche Präventionsmaßnahmen zu informieren. Aber auch junge Menschen, insbesondere potenzielle Täter, können über die Website angesprochen werden, vor allem im Hinblick auf das Begehen von Straftaten und deren Folgen. Unter der Adresse www.polizeifürdich.de finden junge Nutzer zwischen zwölf und 15 Jahren umfangreiche Informationen der Polizeilichen Kriminalprävention über jugendspezifische Polizeithemen wie beispielsweise Hasskriminalität und Politisch Motivierte Kriminalität – links. Als Ziele präventiven Handelns sind vor allem die Verhinderung von Straftaten, die Sensibilisierung für spezifische Gefahren sowie die Reduzierung von Tatgelegenheiten zu definieren. Das LfV betreibt durch Vorträge und Publikationen sowie den alljährlichen Verfassungsschutzbericht eine intensive Öffentlichkeitsarbeit. Zudem sind weitere Informationen zum Linksextremismus auf der Homepage des LfV abrufbar. Zuletzt wurden dort im Zusammenhang mit dem Verbot der Vereinigung „linksunten .indymedia“ Erkenntnisse zu linksextremistischen Anlaufstellen, Straf- und Gewalttaten, zur überregionalen Vernetzung von Linksextremisten, zu Bündnissen und Strukturen, aber auch zur Unterstützung gewaltorientierter Linksextremis ten durch die „Rote Hilfe e. V.“ veröffentlicht. 7. Sieht sie in einzelnen Regionen oder Städten eine kommunistische Stadtguerilla entstehen – ggf. in welchen? Zu 7.: Der Landesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. 8. Plant sie, mit Blick auf die linksextremistischen Straf- und Gewalttaten in Hamburg, eine Demokratieoffensive gegen Linksextremismus? Zu 8.: Für die Landesregierung ist die Beobachtung des gewaltorientierten Linksextremismus ein fester Bestandteil der Sicherheitspolitik in Baden-Württemberg. Die 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2595 Sicherheitsbehörden gehen gegen jede Form von extremistischer Gewalt entschlossen vor. Auch künftig werden Präventivmaßnahmen der Polizei und des LfV im Phänomenbereich des Linksextremismus ergriffen, um Gewalttaten aus dem linksextremistischen Spektrum vorzubeugen (s. hierzu Antwort auf Frage 6). 9. 2019 jährt sich zum neunzigsten Mal der Jahrestag des Verbots des kommunis - tischen Rotfrontkampfbundes – wappnet sie sich auf mögliche „Racheaktionen “ oder anderer Straftaten der linksextremistischen Szene gegen staatliche Einrichtungen? Zu 9.: Das LfV beobachtet vorausschauend alle sich entwickelnden linksextremistischen Aktivitäten und Aktionen und hier in besonderem Maß solche, die mit Gewalt verbunden sein könnten. Erkenntnisse zu potenziell strafbaren Handlungen werden im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten umgehend an die Polizei weitergegeben . Soweit im Einzelfall Hinweise vorliegen, die eine konkrete Gefahr oder den Anfangsverdacht einer Straftat begründen, führt die Polizei anlassbezogene offene und/oder verdeckte Maßnahmen der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung durch. 10. Was unternimmt sie, um die Einflussnahme der „Roten Hilfe“, wonach linksgerichtete Strafgefangene nicht von ihrer extremistischen Gesinnung und ihrer Straftat abrücken sollen, zu unterbinden? Zu 10.: In allen Justizvollzugsanstalten des Landes sind sogenannte Strukturbeobachter besonders damit betraut, subkulturelle Aktivitäten, extremistische Tendenzen und Radikalisierungspotenziale von Gefangenen und Gefangenengruppen frühzeitig zu erkennen und diesen entgegenzuwirken. Hierzu zählen auch linksextremistische Aktivitäten wie eine Einflussnahme der „Roten Hilfe e. V.“. Die Strukturbeobachter sichten und analysieren die Vollstreckungsunterlagen von Gefangenen, beobachten deren Verhalten während Arbeit und Freizeit und dokumentieren Auffälligkeiten. Auf der Grundlage dieser Beobachtungen werden dann beispielsweise Hafträume nach einschlägigen Texten, Symbolen oder Gegen - ständen durchsucht, um Erkenntnisse zu gewinnen, die wiederum Grundlage für Sicherungsmaßnahmen sein können. Die Strukturbeobachter sind auch Ansprechpartner für die Beobachtungen ihrer Kolleginnen und Kollegen. Sie stehen regelmäßig in Kontakt mit dem Sicherheitsreferat des Ministeriums der Justiz und für Europa, der Polizei und dem Landesamt für Verfassungsschutz. Dieses hat für den Justizvollzug eine Handreichung erstellt, die Merkmale extremistischer Ideologien , Erkennungszeichen und Verhaltensmuster aufzeigt und Ansprechpartner für die jeweiligen Extremismusbereiche benennt. Das Kapitel zum Linksextremismus enthält auch Ausführungen zur Organisation „Rote Hilfe e. V.“, die den Strukturbeobachtern daher bekannt ist. In den vergangenen Jahren sind in diesem Zusammenhang aber keine besonderen Vorkommnisse bekannt geworden. Strobl Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration